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Warum am 22. Juni 1941 auch der Holocaust begann
Die Geschichte der Ausgrenzung, Enteignung, Vertreibung und schließlich Vernichtung der europäischen Juden kennt viele wichtige Daten und Ereignisse: Boykotte jüdischer Geschäfte ab 1933, Berufsverbote, die diskriminierenden Nürnberger Rassegesetze 1935 oder Gewalttaten wie die Reichspogromnacht 1938. Sie betrafen zunächst die deutschen Juden, ab 1938 auch die Juden Österreichs und des Sudetenlandes. Mit Kriegsbeginn vergrößerte sich jedoch sprunghaft die Gruppe derer, die von der antisemitischen Politik der Nationalsozialisten betroffen war. Allein in Polen gerieten etwa 1,8 Millionen Juden unter deutsche Besatzung. Ab Herbst 1939 wurden dort hunderte Ghettos eingerichtet und bis Ende des Jahres fielen etwa 7000 polnische Juden deutscher Gewalt zum Opfer.
Zu den wichtigen Daten zählt auch der 22. Juni 1941. Denn erst mit dem Überfall auf die Sowjetunion begann die massenhafte und systematische Ermordung der Juden Europas, aus Terror wurde Genozid. Besonders auf den Gebieten der heutigen Ukraine und Belarus sowie der heutigen baltischen Staaten sowie Moldaus und Rumäniens ermordeten mobile Tötungskommandos innerhalb weniger Wochen und Monate Hunderttausende Juden. Hinter den vorrückenden Truppen drangen sie auch auf das Gebiet des heutigen Russlands vor, wo sie ebenfalls zahlreiche Massenmorde an Juden begingen. Insgesamt fanden auf den von Deutschland besetzten Gebieten der Sowjetunion bis 1944 etwa 2,6 Millionen Juden den Tod.
Erst ab Ende 1941 bzw. im Laufe des Jahres 1942 wurden im besetzten Polen jene Vernichtungslager errichtet, in die schließlich Millionen Juden aus Polen und ganz Europa deportiert und ermordet wurden und die bis heute zu den zentralen Erinnerungsorten des Holocaust zählen.
Der russische Jurist und Publizist Lew Simkin hat unter anderem Monographien zu Friedrich Jeckeln, dem Vernichtungslager Sobibor und zur juristischen Aufarbeitung des Holocausts vorgelegt. In einem Kommentar für gazeta.ru geht er anhand der Aussagen der Täter der Frage nach, warum gerade der 22. Juni 1941 den Übergang zu unvorstellbaren Massakern an den Juden markiert.
An dem Tag, als die deutsche Armee und in deren Gefolge die Mörderbrigaden der Einsatzgruppen die sowjetische Grenze überschritten, begann das, was mit dem griechischen Wort Holocaust (dt. „vollkommen verbrannt“) bezeichnet wird. Bis zu diesem Tag waren die Juden in Europa zwar verfolgt, aus ihren Häusern verjagt und ihres Besitzes beraubt worden, aber sie wurden nicht umgebracht, zumindest nicht in diesen Dimensionen.
Die Phase des offenen Massenmordes begann in den besetzten Gebieten der Sowjetunion.„Bereits während des Kampfes um die Macht hatte die Führung der Nationalsozialisten den Kampf gegen die Juden obenan gestellt“
Einer derjenigen, die von nun an in bisher ungekanntem Maße mordeten, war SS-Obergruppenführer Friedrich Jeckeln, der am 23. Juni 1941 seinen Dienst als Höherer SS- und Polizeiführer Russland-Süd antrat. Jeckeln wurde vor 75 Jahren von einem sowjetischen Militärtribunal verurteilt und gehängt. Die Unterlagen zu seinem Verfahren habe ich vor mir. Ich konnte sie im Zentralarchiv des FSB einsehen.
„Bereits während des Kampfes um die Macht hatte die Führung der Nationalsozialisten den Kampf gegen die Juden obenan gestellt“, berichtet Jeckeln bei der Gerichtsverhandlung. „Mit Erlass der Nürnberger Gesetze wurde dieser Kampf rechtlich untermauert. Da hatte man noch nicht vor, die Juden umzubringen. Sie sollten aber ins Ausland umgesiedelt werden, insbesondere nach Palästina“.
Es ist möglich, dass in den ersten Jahren des Dritten Reiches niemand in der NS-Bewegung, auch der „Führer“ nicht, eine feste Vorstellung hatte, wie die Lösung der „jüdischen Frage“ aussehen sollte.Nun gehört aber neben Mein Kampf auch der Brief an den Soldaten Gemlich zu den Quellen des Nationalsozialismus, geschrieben vom „Bildungsoffizier“ Adolf Hitler am 16. September 1919. Dort heißt es: „Das letzte Ziel [des Antisemitismus] muss unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt sein." Sein Weg zu diesem „letzten Ziel“ war allerdings ein recht langer.
In den ersten Jahren hatte niemand in der NS-Bewegung eine feste Vorstellung davon, wie die Lösung der „jüdischen Frage“ aussehen sollte
Es muss wohl kaum jemandem erklärt werden, dass sich hinter dem Euphemismus „Endlösung“ die Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas verbarg. Allerdings weiß niemand, ob dieser Begriff von Beginn an eben diese Bedeutung hatte, und ob er im Dritten Reich jene große Verbreitung fand, die heute gemeinhin angenommen wird. In historischen Dokumenten begegnet man ihm nur äußerst selten.
In den 1980er Jahren hatte der „Nazijäger“ Simon Wiesenthal Hitlers ehemaligen Minister Albert Speer gefragt, wann dieser das erste Mal diesen Begriff gehört hat. Speer antwortete, dass es erst nach dem Krieg gewesen sei – weder Hitler noch Himmler hätten ihn verwendet.Hatte es denn überhaupt einen Beschluss über die Vernichtung der Juden gegeben?
Niemand hat jemals einen schriftlichen Befehl zur Ermordung jedes einzelnen Juden gesehen. Keiner der wichtigsten Helfer Hitlers hat in den Verhören nach dem Krieg einen solchen Befehl erwähnt. Einige Historiker gehen davon aus, dass es ihn nicht gegeben hat. Aber in welchem Sinne nicht gegeben? In schriftlicher Form? Oder hat es ihn überhaupt nicht gegeben?
Der britische Holocaust-Forscher Martin Dean hat mir gegenüber argumentiert, es habe keine einheitliche „Endlösung“ gegeben, die Entscheidung sei schrittweise getroffen worden, zwischen Frühjahr 1941 und Sommer 1942, und sie sei schrittweise umgesetzt worden: Die Juden wurden in verschiedenen Phasen über die gesamte Dauer des Krieges ermordet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die „Endlösung“ anfänglich eine Andeutung Hitlers war, die von jenen verstanden wurde, an die sie gerichtet war. Schließlich waren sie alle – und Himmler an erster Stelle – moralisch bereit; alles Weitere hing allein von ihrer Initiative ab.Die Vernichtung aller sowjetischen Juden, einschließlich der Frauen und Kinder, begann mit dem Einmarsch der Deutschen in die Sowjetunion
All dem könnte man soweit zustimmen, wäre da nicht Folgendes: Die Vernichtung der sowjetischen Juden, und zwar aller Juden, einschließlich der Frauen und Kinder, begann praktisch sofort mit dem Einmarsch der Deutschen in die Sowjetunion. Dies wird allerdings für gewöhnlich damit erklärt, dass nach Hitlers Ansicht den sowjetischen Juden der Kommunismus eigen war, weswegen die Juden in der UdSSR als Kommunisten ermordet wurden. Dem war jedoch nicht ganz so – vielmehr keineswegs so.
Allgemein wird angenommen, dass die sowjetischen Juden aufgrund des „Kommissarbefehls“ ermordet wurden, der am 6. Juni 1941 von Generalfeldmarschall Keitel unterzeichnet wurde und die Anweisung enthielt, „politische Kommissare […] nach durchgeführter Absonderung zu erledigen“. Doch von Juden ist in dem Befehl keine Rede. Diese tauchen erst in einer Weisung Reinhard Heydrichs auf, dem Leiter des Reichsicherheitshauptamtes (RSHA), die er am 2. Juli 1941 bezüglich der Umsetzung des Kommissarbefehls an die Höheren SS und Polizeiführer richtete: „Zu exekutieren sind […] Juden in Partei- und Staatsstellungen, sonstige radikale Elemente […].“Zunächst versuchte Jeckeln auf dem Papier, seine Opfer unter diese Kategorien zu fassen. Und später wunderte sich niemand, dass sämtliche Juden zu den „Kommissaren“ gezählt wurden, auch Frauen und Kinder. Der erste Massenmord geschah im August 1941 in der Stadt Kamjanez-Podilsky, wo auf Befehl von Jeckeln im Laufe von drei Tagen 23.600 Menschen ermordet wurden. Allein, weil sie als Juden geboren worden waren. Das Massaker von Babyn Jar folgte einen Monat später.
„Ich war da der gleichen Ansicht, wie die meisten Deutschen.”
Aus dem Verhör von Jeckeln:
Frage: „Aus welchem Grund wurden Bürger jüdischer Nationalität umgebracht?”
Antwort: „Laut Propaganda mussten die Juden erschossen werden, weil sie nicht produktiv arbeiten konnten und wie ein Parasit im deutschen Volkskörper lebten.“
In seiner Antwort an den Staatsanwalt folgte Jeckeln somit Himmler, der Juden als „Parasiten“ bezeichnet hatte, die „zu vernichten sind“.
Doch, wie Stanislaw Lem in seinen Provokationen treffend schrieb: „Himmler hat […] gelogen, […] denn Parasiten vernichtet man nicht mit der Absicht, ihnen Qualen zuzufügen.” […] „Die nach Geschlechtern getrennten Juden wären in spätestens vierzig Jahren ausgestorben, wenn man dabei in Rechnung stellt, wie rasch die Ghettobevölkerung vor Hunger, Krankheiten und durch die infolge der Zwangsarbeit bedingte Entkräftung zusammenschmolz. […] – es sprachen also keine anderen Faktoren für die blutige Lösung außer dem Willen zum Mord.”Frage Staatsanwalt: „Sie waren natürlich in Bezug auf die Juden der gleichen Ansicht?”
Antwort Jeckeln: „Ich war da der gleichen Ansicht, wie die meisten Deutschen.” Hannah Arendt bezeichnete in ihrem 1945 erschienenen Artikel Organisierte Schuld die Deutschen als ein Volk, „in welchem die Linie, die Verbrecher von normalen Menschen, Schuldige von Unschuldigen trennt, effektiv verwischt worden ist […].”
Und trotzdem heuchelte Jeckeln, als er auf die Frage des Staatsanwalts antwortete. Er teilte nicht einfach nur diese kannibalischen „Ansicht“.Der Führer habe sich geäußert, die Liquidierung der Juden während des Krieges werde kein großes Aufsehen in der Welt erregen.
Verteidigung (Anwalt Milowidow). Frage an den Zeugen Blaschek:
„Als Jeckeln von den Plänen zur Vernichtung der Juden sprach, was meinen Sie als Zeuge – war das der persönliche Plan von Jeckeln oder Programm jener Partei, in der der Angeklagte Mitglied war?“
Antwort: „Wir hatten kaum eine persönliche Meinung. Jeckeln war aber einer derjenigen, die Meinung machten. Unter diesen Meinungsmachern war es sehr schwer, eine eigene Meinung zu haben. Das betrifft nicht nur mich, sondern im Grunde das ganze deutsche Volk.“
Milowidow: Ich habe keine weiteren Fragen.“Für mich bleibt aber noch die Frage: Gab es nun einen Beschluss zur Vernichtung der Juden oder nicht? Ich habe in den Archivunterlagen über SS-Gruppenführer Bruno Streckenbach, der zu Beginn des Krieges als Chef des Amtes I des Reichsicherheitshauptamtes einen der höchsten Posten in der SS-Hierarchie innehatte und der zum Ende des Krieges in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war, einen neuen Beleg für die Existenz eines Beschlusses entdeckt. Anders als Jeckeln ist er nicht hingerichtet worden. Als ihm der Prozess gemacht wurde, galt bereits der Erlass des Präsidiums der Obersten Sowjets der UdSSR vom 26. Mai 1947 „Über die Abschaffung der Todesstrafe“. Streckenbach kehrte 1955 zusammen mit den anderen deutschen Kriegsgefangenen wohlbehalten nach Deutschland zurück.
In Streckenbachs Ausführungen, die er im Laufe der Vorermittlungen gemacht hat , habe ich folgende Passage gefunden: „Mit Beginn des Russlandfeldzugs erreichten die Maßnahmen gegen Juden ein neues Stadium. Es erging der Befehl zur breitangelegten Liqudierung der Juden. Mir ist nicht ganz klar, von wem die Initiative ausging. Einem Bericht von Heydrich zufolge hatte sich der Führer auf einer der Besprechungen dazu geäußert und erklärt, er habe die Absicht, die Judenfrage in Europa endgültig zu lösen, und die Liquidierung der Juden während des Krieges werde kein großes Aufsehen in der Welt erregen. Dieser Befehl wurde zwar geheim gehalten, war aber dennoch bald allseits bekannt und sorgte für große Aufregung, weil es viele gab, die damit nicht einverstanden waren“.
Dass viele nicht einverstanden gewesen seien, ist ein rhetorisches Mittel der Übertreibung, das sich durch den Ort erklären lässt, an dem die Aussage niedergeschrieben wurde, nämlich im Gefängnis der Lubjanka. Alles Übrige entspricht wohl der Wahrheit. Bis zur Wannseekonferenz am 20. Januar 1942, die allgemein mit der „Endlösung der Judenfrage“ verbunden ist, war es noch weit. Zu jener Zeit war aber bereits die erste Million der sechs Millionen Opfer des Holocaust ermordet worden.
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„Das Regime kann sich nur auf seine Härte stützen“
Stalin, der „Dshingis Khan mit Telefon“ habe nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg einen Mythos begründet, der noch das Russland von heute prägt – den Mythos „vom siegreichen Führer und dem großartigen Staat, vom Neid des Westens und der Einzigartigkeit der russischen Nation, von den Kränkungen, dem gestohlenen Ruhm, dem Messianismus“, so der Sheffield-Historiker Jewgeni Dobrenko.
Unlängst hat Putin den Hitler-Stalin-Pakt verteidigt und Polen eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gegeben. Nun hat die Staatsduma Anfang Juni einen Gesetzentwurf angenommen, wonach es künftig strafbar ist, die Sowjetunion mit NS-Deutschland zu vergleichen sowie die „entscheidende Rolle der Sowjetunion beim Sieg über NS-Deutschland“ zu leugnen. Schon im Vorfeld wurde Kritik laut, dass der historische Diskurs so noch weiter verengt werde.
Inwiefern der Kriegsmythos unter Stalin die neue sowjetische Nation schuf, wie stark deren Traumata und Phobien Russland bis heute noch prägen und die politische Führung Produkt dieser Traumata und Phobien ist – das diskutiert Olga Timofejewa, Kulturredakteurin der Novaya Gazeta, im Interview mit Jewgeni Dobrenko.
Novaya Gazeta: Als ich Ihre zwei Bände Late Stalinism. The Aesthetics of Politics (dt. Der Spätstalinismus. Ästhetik der Politik) gelesen habe, konnte ich besser verstehen, warum das Interesse an Stalin heute so groß ist. Dass die Menschen die Gräueltaten jener Zeit gutheißen, das kann man sich nur schwer vorstellen, aber das, was Sie über den späten Stalinismus schreiben, erklärt vieles. Was macht diese Epoche so interessant für Sie?
Jewgeni Dobrenko: Es gibt viele Gründe, aber einer der wichtigsten ist, dass diese Zeit im Schatten anderer Epochen steht, die viel turbulenter und deshalb für Historiker interessanter sind – die revolutionäre Epoche der 1920er Jahre, die Epoche des Terrors in den 1930er Jahren und die Tauwetter-Periode von 1956 bis 1964.
Aber für mich sind die wichtigsten Epochen die, in denen nichts passiert. Ein Vulkanausbruch ist nur eine kurze Erscheinung, aber dass ein Vulkan entsteht, dauert sehr lange. Solche Epochen, in denen sich etwas lange hinzieht, formen das Massenbewusstsein. Damit ein langfristiger Effekt eintritt, müssen die Folgen einer Umbruchszeit eine Phase der Stabilisierung durchlaufen, in der die revolutionäre Welle abebbt und die Menschen sich an das Leben unter den neuen Bedingungen anpassen.
Für mich sind die wichtigsten Epochen die, in denen nichts passiert
Natürlich sind es nicht die 1930er Jahre mit ihrer brutalen Kollektivierung, den Kraftakten der ersten Fünfjahrespläne und dem Großen Terror, sondern der späte Stalinismus mit seinem Siegespathos, dem Pomp und der Selbsterhöhung: Diese bleiben als Idealbild und nähren die postsowjetische Nostalgie bis heute.
Dennoch erwachsen aus dieser Nostalgie ziemlich aktuelle Komplexe, wie der Antiliberalismus, der Antimodernismus, die antiwestlichen Stimmungen.
Es ist eher umgekehrt: Sie erwachsen nicht aus ihr, sondern rufen sie hervor. Unter der äußeren Konfliktlosigkeit der Nachkriegsjahre reifte nämlich das heran, was das historische Bewusstsein der sowjetischen, und dann auch der postsowjetischen Nation auf Jahrzehnte geformt hat. Das Ereignis, in dem sich die Nation voll entfaltet hat, war der Sieg im Krieg. Aber geschehen ist das nicht 1945. Damit der Sieg zu einem Triumph des Regimes werden konnte, brauchte es Jahre. Jahre, in denen ein Mythos vom Krieg und der sowjetischen Überlegenheit erschaffen wurde, vom siegreichen Führer und dem großartigen Staat, vom Neid des Westens und der Einzigartigkeit der russischen Nation, von den Kränkungen, dem gestohlenen Ruhm, dem Messianismus. Und daraus sind dann in der Tat viele der heutigen Komplexe erwachsen.
Warum hat Stalin so hartnäckig genau diese Nation geformt?
Er hat ein Land übernommen, dessen Bevölkerung ihre Geschichte und nationale Identität verloren hatte. Während vor dem Krieg die Außenwelt im sowjetischen Bewusstsein kaum existiert hatte, erforderte der Status einer Supermacht eine aktive Außenpolitik, die wiederum eine künstlich erschaffene Bedrohung und den Westen als deren Quelle brauchte.
Um den Sieg zu einem Triumph des Regimes zu machen, brauchte es Jahre
Stalin setzte alle erdenklichen Mittel ein, um Druck auf das Massenbewusstsein auszuüben, denn genau dadurch wird die politische Kultur geformt. Und noch wichtiger – durch die Mentalität. Deshalb frage ich immer, wenn ich höre, Putin sei schlecht: „Können Sie sich vorstellen, dass in diesem Land Václav Havel regiert? Oder Angela Merkel?“ Das wäre unmöglich.
Denn ein Leader, der humanistisch eingestellt ist und ein liberales Programm verfolgt, ist im Bewusstsein der Bevölkerung ein Loser. Gorbatschow ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Die Mehrheit sieht ihn als Schwächling, der alles zugrunde gerichtet, zugelassen, nicht verhindert hat … Die Mentalität der Nation bestimmt die Nachfrage nach einem bestimmten Typus von politischer Führung. Stalin hat die sowjetische Nation bewusst geformt, aber auch die Nation hat sich ein Regime geformt.
Bei liberalem Tauwetter beginnt es zu bröckeln, und dann kommt wieder eine Eiszeit, in der nur ein solches Regime möglich ist, das die Nachfrage der Massen bedient.
Warum gibt es dann überhaupt Tauwetterperioden?
Auf Frost folgt Tauwetter, das ist unvermeidlich. Auch nach Putin wird eine Tauwetterperiode kommen. Nicht, weil dann ein Liberaler kommt – Liberale gibt es da oben nicht, woher auch. Es wird jemand kommen, der aus demselben Holz geschnitzt ist, nur hoffentlich jemand, der nicht so verstockt, weniger komplexbeladen, jünger und moderner ist.
Auch nach Putin wird eine Tauwetterperiode kommen
Tauwetterperioden kommen in Russland nicht durch liberale Anführer, sondern weil das Land sich nicht bewegen kann, weil es in einer wirtschaftlichen und technologischen Sackgasse feststeckt. Es verliert seine technologischen, also auch militärischen Vorzüge, und das ist in den Augen des Regimes gefährlich. Deshalb ist das Regime gezwungen, Modernisierung zuzulassen.
Stalins Fünfjahrespläne und der Gulag – war das auch Modernisierung?
Bucharin nannte Stalin einen „Dshingis Khan mit Telefon“. Also einerseits einen orientalischen Despoten, grausam, blutrünstig und so weiter, und andererseits einen ziemlich modernen Demagogen, der ein paar marxistische Begriffe aufgeschnappt hatte und hervorragend mit ihnen zu manipulieren verstand.
Wenn ich vom 20. Jahrhundert erzähle, sage ich meinen Studierenden immer etwas, was ihnen nicht klar ist. Sie denken, die Russische Revolution habe sich 1917 ereignet, aber in Wirklichkeit hat sie ein halbes Jahrhundert gedauert. Sie hat am 9. Januar 1905 begonnen und ist am 25. Februar 1956 geendet – an dem Tag, als Chruschtschow seinen Geheimbericht vorlegte.
Bucharin nannte Stalin einen „Dshingis Khan mit Telefon“
Was ist eine Revolution? Die Revolution ist eine Form des Bürgerkriegs. Was ist der Stalinismus? Der Stalinismus ist ein Bürgerkrieg im institutionalisierten Rahmen. Stalin hat ein System erschaffen, in dem der Bürgerkrieg zur Existenzform wurde. Der Gulag war eine Form des Bürgerkriegs, genau wie die Kollektivierung eine Form des Bürgerkriegs war – wer erinnert sich heute noch an den Holodomor in der Ukraine oder daran, dass ein Drittel der Bevölkerung Kasachstans während der Kollektivierung vor Hunger nach China geflohen ist?
Was ist eine Revolution? Die Revolution ist eine Form des Bürgerkriegs. Was ist der Stalinismus? Der Stalinismus ist ein Bürgerkrieg im institutionalisierten Rahmen
Dann die Industrialisierung, die in den Baracken mit Millionen von hungernden Bauern begann, die der Hunger vom Land in die Städte getrieben hatte. Dann die Zeit des Großen Terrors. Danach stürzte das Land in den Zweiten Weltkrieg mit seinen unfassbaren Opferzahlen, einer zerstörten Wirtschaft und so weiter. Und 1946 beginnt dann der Kalte Krieg … Drei Generationen haben in einem Zustand von Gewalt und Terror gelebt. Was für einen politischen Anführer konnte so ein Land haben? Stalin ist nicht vom Himmel gefallen, er war ein logisches, folgerichtiges Produkt aus diesem Dauerkrieg.
Haben die persönlichen Komplexe totalitärer Herrscher Einfluss auf den nationalen Charakter?
Natürlich. Wenn einer bösartig ist, so wie Stalin, dann findet man auch hochgradiges Ressentiment und Hass. Unter einem weniger bösartigen Anführer wie Breshnew hat das repressive Regime einen anderen Charakter. Aber alle diese Regime folgen einem bestimmten Programm, einer inneren Logik. Aus einer Tulpenzwiebel wächst keine Chrysantheme: Stalin konnte kein Tauwetter initiieren, Breshnew konnte keine Perestroika beginnen.
Drei Generationen haben in einem Zustand von Gewalt und Terror gelebt. Was für einen politischen Anführer konnte so ein Land haben?
Nehmen Sie die sowjetische Geschichte. Was kam nach 20 Jahren Sowjetmacht? 1937. Die Chinesische Revolution hat 1949 gesiegt. Was kam 20 Jahre später, 1969? Die Kulturrevolution. In der Logik ihrer Entwicklung kommen totalitäre Regime nach 20 Jahren (das hängt zu einem gewissen Grad mit dem Generationenwechsel zusammen) offenbar in ein repressives Stadium. Ja, wir haben in Russland im Moment weder 1937 noch die Kulturrevolution, das ist immerhin das 21. Jahrhundert und eine andere Welt, aber die Logik des Regimes ist immer noch dieselbe.
Was denken Sie, ist Putins Hauptinteresse – Macht oder Geld?
Ich denke, Geld ist nur ein Instrument der Macht. Putin ist ein typisches Polit-Tier. Er ist genau wie Stalin ein Machtfanatiker. Geld ist nur ein Mittel, diese Macht zu besitzen. Stalin hat dieses Mittel nicht gebraucht. Er besaß ein Sechstel der Erde, wozu brauchte er einen Biberpelz?
Ich glaube, Putins Problem ist, dass er weiß, wie es bei Stalin ausgegangen ist, und ihm klar ist, wie es bei ihm ausgehen wird. Er weiß, was mit Stalins Leuten, Stalins Kindern geschehen ist. Mit der Tochter, die bettelarm in einem Altersheim irgendwo in der Fremde gestorben ist, seiner Enkeltochter, die an der Supermarktkasse arbeiten musste, und so weiter.
Stalin besaß ein Sechstel der Erde, wozu brauchte er einen Biberpelz?
Ich nehme an, Putin denkt, er muss die ihm Nahestehenden absichern. Außerdem ist Geld etwas, das sein gesamtes Umfeld braucht. Was bekommen denn diese Leute für ihre Dienste? Sie bekommen ihr eigenes Stück Macht, und die bemisst sich in den Summen, die diese Menschen besitzen. Das ist der institutionalisierte Fressnapf, den es in Russland immer gegeben hat. Gogols Revisor ist unsterblich: Alle Beamten klauen auf dem Posten, der ihnen zum Fressen hingestellt wurde. Und so sichern diese Menschen im Endeffekt die Macht des politischen Anführers.
Manchmal scheint es, als würden sie sie zerstören, indem sie immer absurdere Gesetze verabschieden.
Diese Gesetze sollte man nicht zu ernst nehmen: Das wird alles in sich zusammenfallen, sobald das Regime zerfällt. Und das wird nach Putin garantiert zerfallen, selbst wenn er von einem loyalen Nachfolger abgelöst wird. Es gibt einen objektiven Prozess, der unterschwellig abläuft und der absolut unaufhaltsam ist. Die nächste Generation kommt. Die Jugend rückt nach. Was bleibt da noch zu sagen?
Dass Menschen aufgrund dieser Gesetze im Gefängnis sitzen.
Vergessen Sie nicht: Macht ist die Demonstration von Macht. Den Menschen wird diese Show vorgeführt, weil das Einzige, worauf sich dieses Regime stützen kann, seine Härte ist. Und dafür braucht es ein bestimmtes Bild: ein starkes Russland, das sich von den Knien erhoben hat, ein eigenständiges Land, vor dem alle Angst haben, weil es so unbezwingbar ist; ohne uns können sie nichts machen, die Amerikaner werden auf ihren Knien angekrochen kommen et cetera … Aber dieses Bild dient nur einem Zweck: Es soll verbergen, dass dieses Land – das sich als Supermacht darstellt, das Amerika ebenbürtig sein will – ein ganzes Prozent des weltweiten BIP hervorbringt!
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„Geiseln verurteilt man nicht!“
Nach über 90 Minuten Befragung im staatlichen Sender ONT sagt Roman Protassewitsch einen Satz, dessen Botschaft viele Belarussen nur zu gut verstehen: „Und ich möchte nie wieder in die Politik verwickelt werden, oder in irgendwelche schmutzigen Spiele oder Streitigkeiten.“ Es ist ein Satz, den viele Belarussen in den vergangenen 26 Jahren verinnerlicht haben: sich nicht in die Politik einmischen. Denn, wenn sie es tun, wenn sie ihren Unmut gegenüber Alexander Lukaschenko auf die Straße tragen, wenn sie sich oppositionell betätigen, gibt es womöglich Probleme mit den Machthabern.
Solche Probleme hat eben nun der 26-jährige Protassewitsch, der vor zehn Tagen auf spektakuläre Art und Weise zusammen mit seiner Freundin Sofia Sapega festgenommen wurde: Das Ryanair-Flugzeug, in dem er saß, wurde während eines Flugs von Athen nach Vilnius zu einer Zwischenlandung in Minsk gezwungen. Vergangenen Donnerstag strahlte der Staatssender ONT besagtes Interview aus, in dem Senderchef Marat Markow Protassewitsch über seine Arbeit für den Telegram-Kanal Nexta, über die Opposition um Swetlana Tichanowskaja, über seine Zeit und Rolle beim „Asow“-Bataillon in der Ukraine und viele andere Themen sprechen lässt.
„Heute haben wir die öffentliche Hinrichtung von Roman Protassewitsch erlebt“, kommentierte der Historiker Alexander Fridman das ausgestrahlte Gespräch, in dem der Interviewte nicht etwa seine Sicht auf die Dinge und seine Überzeugungen darlegt. Protassewitsch fungiert als Überbringer von althergebrachten Narrativen, alten Botschaften in neuem Gewand und ein paar gänzlich neuen Bonmots der Staatspropaganda. So sei die Opposition um Tichanowskaja und Pawel Latuschko in der Diaspora nur an Geld interessiert, der Westen und die EU würden die Opposition und so letztlich auch die Proteste finanzieren, zudem habe ein Teil der Opposition selbst die Notlandung mit Protassewitsch inszeniert, um die belarussische Führung zu diskreditieren und Sanktionen durch die internationale Staatenwelt zu provozieren.
Das TV-Gespräch löste international vehemente Kritik aus. Auch auf belarussischer Seite wurden viele Stimmen laut – darunter die Eltern Protassewitschs –, die mutmaßten, dass das Interview unter Druck, möglicherweise unter Folter, entstanden sei. Der Menschenrechtler Sergej Ustinow analysierte dazu die Wunden an Protassewitschs Handgelenken und sein offensichtlich geschwollenes Gesicht und verglich dies mit den bekannten Foltermethoden des belarussischen KGB. Nikolaj Chalesin, Gründer des Belarus Free Theatres, urteilte, dass man Protassewitsch für seine Aussagen nicht schuldig sprechen dürfe und dass das Gespräch ein neuerlicher Beweis dafür sei, dass die Machthaber vor Gewalt, Niedertracht und Zynismus nicht halt machen: „In Belarus leben wir in einer Zeit, in der sich Beispiele für Schwäche, Verrat und Laster mit Beispielen für verzweifelten Mut, unglaubliche Stärke und überwältigende Liebe abwechseln. Dies sind die Zeichen des Krieges – der Wechsel von Hässlichkeit und Schönheit. Und es ist nicht an uns, über diejenigen zu urteilen, die nicht unsere Seite gewählt haben.“ Der Politologe Waleri Karbalewitsch kommentierte, dass viele Aussagen Protassewitschs vor allem an einen adressiert seien – nämlich an Lukaschenko selbst. Protassewitsch äußert dabei auch die Hoffnung, dass Lukaschenko ihn aufgrund seiner angeblichen Beteiligung am Krieg der Ukraine gegen die prorussischen Separatisten nicht an die Machthaber der Luhansker Volksrepublik ausliefere. Karbalewitsch schreibt: „Ein weinender Feind, der um Gnade und Nachsicht von Alexander Grigorjewitsch bittet, ist die politische Dividende, die alle negativen Folgen aufhebt: die Sperrung des Luftraums, Wirtschaftssanktionen und so weiter. Ein moralisch gebrochener Gegner ist Balsam für eine traumatisierte Seele.“
In dem Gespräch, das im Original über vier Stunden gedauert haben soll, nannte Protassewitsch auch einen Chat, über den bekannte Belarussen die Proteste im Sommer 2020 geplant und organisiert haben sollen. So fiel auch der Name des renommierten politischen Analysten Artyom Shraibman, der am Tag nach der Ausstrahlung der Sendung Belarus verließ und sich nun in der Ukraine befindet. In einem Post, den er über seinen Telegram-Kanal und über Facebook verbreitete, erklärte er seine Beweggründe für die hastige Flucht und auch seine Beteiligung an besagtem Chat.
Was für eine Ironie. Am Morgen des 3. Juni erscheint im Medienprojekt Redakzija ein Beitrag, der mit meinen Worten endet, ich würde mich nicht direkt gefährdet fühlen und Belarus deswegen nicht verlassen. Und schon abends packe ich eilig meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg.
Ich finde es wichtig zu sagen warum. In dem Interview auf ONT hat Roman Protassewitsch gesagt, ich hätte beratend zur Seite gestanden in einem Chat, den man bezeichnen könnte als Koordinationszentrum der Revolution: Love Hata [dt. Liebeshütte].
Ich kann nur raten, warum und ob aus eigenem Willen – doch Roma hat übertrieben, was meine Beteiligung angeht. Ich war tatsächlich bis Ende Herbst 2020 in diesem Chat, der seinerzeit als einfacher Online-Treffpunkt für Blogger begonnen hatte. Aber mit zunehmendem Umfang der Proteste wurde dieses Thema zum zentralen Diskussionspunkt.
Mich hat interessiert, live zu beobachten, wie diejenigen miteinander kommunizieren, die ab August als Koordinatoren der belarussischen Revolution bezeichnet wurden. Diese Bezeichnung passt jedoch bei weitem nicht zu allen in diesem Chat, und die Besprechung der Details bevorstehender Aktionen geschah aus Sicherheitsgründen in Audiokonferenzen der Koordinatoren. Aus eben jenen Sicherheitsgründen habe ich an keiner dieser Konferenzen teilgenommen.
Doch es ging dabei natürlich nicht nur um Sicherheit. Entschuldigt den Pathos: Ich vertrete schon lange die Position, dass ein Analyst nicht Teilnehmer sein kann oder darf an den Prozessen, die er analysiert, genau wie ein Fußballkommentator bei einem Spiel nicht gleichzeitig Feldspieler sein kann. Viele kritisieren mich für diese Zurückhaltung, doch Politik ehrlich analysieren und gleichzeitig politisch aktiv sein, das könnte ich nicht.
Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht genau, ob die belarussischen Geheimdienste überhaupt ein auf Verhaftung abzielendes Interesse an mir hatten. Es gibt Gerüchte über die Vorbereitung eines Strafverfahrens, doch das lässt sich momentan schwer belegen. Paradoxerweise wussten die Silowiki über die Existenz dieses Chats, seine Themen und Teilnehmer mindestens seit Mitte Herbst. Ich wurde sogar schon im Dezember auf ONT in der Teilnehmerliste gezeigt, vor einem halben Jahr. Und nichts ist passiert.
Ich habe damals nicht das Land verlassen, weil mir bewusst war, dass man mir eigentlich nichts vorwerfen kann. Trotz der geleakten Screenshots aus dem Chat und obwohl die Geheimdienste sicherlich einen riesigen Fundus solcher Screenshots haben, wusste ich genau, dass da keine „Strippenzieherei“ von mir zu finden ist, weil es sie tatsächlich auch nicht gab. Höchstens, wenn man sie in Photoshop malt. Es gab von mir keinerlei Beratung jenseits einer grundlegenden Beschreibung dessen, wie ich die Lage im Land sehe, also das, was ich auch in Interviews und Artikeln sage.
Doch im heutigen Belarus ist selbst die Nichtbeteiligung an dem, was die Staatsmacht für ein Verbrechen hält, keine ausreichende Absicherung mehr. Im Fall tut.by, bei dem es formal um Steuern des Unternehmens geht, sitzt der politische Block der Redaktion ein, Leute, die vermutlich keinerlei Ahnung davon haben, wie viel Steuern gezahlt werden.
In meinem Fall ist das genau die gleiche Situation. Allein die Tatsache, dass ich vor vielen Monaten in diesem Chat dabei war und jetzt die laute Äußerung von Protassewitsch, dazu ein Moderator, der in Bezug auf mich extra nachgefragt hat – das bedeutet den Übergang in eine ungemütliche Risikozone. Dieses Gefühl wurde stärker, als ich an eben jenem Abend draußen an meinem Hauseingang etwas bemerkte, das sehr nach Beschattung aussah.Ich weiß nicht, ob mir Verhaftung drohte. Sie strahlten Romans Interview aus, ohne mich vorher festzunehmen, obwohl ich mich nicht versteckt hatte. Möglicherweise wäre auch jetzt wieder alles ausgegangen wie vor einem halben Jahr, also folgenlos. Doch unter diesen Vorzeichen einfach weiterhin ruhig im Land zu leben und zu arbeiten, wäre schwierig gewesen. Daher musste ich die schwere Entscheidung treffen, zu gehen. Beide Alternativen – Untersuchungshaft oder tägliche Erwartung der Untersuchungshaft – wären sowohl für mich als auch für meine Nächsten schlimmer gewesen.
Im Grunde war’s das schon. Ich danke für die Aufmerksamkeit, für die Anteilnahme und für die vielen Angebote zu helfen. Meine Situation ist ungleich einfacher als die derer, die im Gefängnis sitzen oder auf die Entlassung ihrer Angehörigen warten müssen. Deswegen wäre es an meiner Stelle eine Sünde zu verzagen. Ich arbeite weiter, wie ich bisher gearbeitet habe. Ich werde mein Bestes geben, meine gewohnte Herangehensweise an Analysen beizubehalten, auch wenn man versucht, aus mir den Berater von irgendjemandem zu kneten. Ich habe niemanden beraten und habe es auch nicht vor.
Dann bis bald in der Heimat. Alles geht vorüber.PS: Groll gegen Protassewitsch gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Wir wissen nicht, welchen Keller in Luhansk und welches Schicksal für seine Freundin man ihm ausgemalt hat für den Fall, dass er das Interview ablehnt. Geiseln verurteilt man nicht.
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„Wir brauchen keine starken Anführer – wir brauchen eine starke Gesellschaft.“ Dies sagte die Philosophin Olga Shparaga im August 2020 in einem Interview, kurz nachdem sich eine historische Protestwelle gegen die belarussischen Machthaber erhoben hatte. Das autoritäre System von Alexander Lukaschenko versucht bis heute diesen gesellschaftspolitischen Wandlungsprozess durch Gewalt und Repressionen aufzuhalten und zu stoppen. Viele wie Olga Shparaga, die die historischen Ereignisse in ihrem Buch Die Revolution hat ein weibliches Gesicht beschreibt, haben das Land mittlerweile verlassen und arbeiten von Vilnius, Warschau oder Berlin aus daran, die Silowiki in Belarus unter Druck zu setzen und die entstandene Oppositionsbewegung voranzutreiben.
Mit unserer Podcast-Reihe Mediamasterkaja (dt. Medienwerkstatt) wollen wir den eingeleiteten Wandlungsprozess in Bezug auf die Medien kritisch begleiten und mit unterschiedlichen Akteuren erörtern. In der ersten Folge sind es Olga Shparaga und die Gender-Forscherin Lena Ogorelyschewa, die diskutieren, inwieweit die Rolle der Frauen bei den Protesten auch die belarussische Medienwelt bereits geprägt hat – oder wie das Auftreten einer Frau wie Swetlana Tichanowskaja das klassische Rollenverständnis auch von Medien und Journalisten in Belarus herausgefordert hat. Wir bringen einige Auszüge aus dem Podcast.
Mediamasterskaja: Kann man sagen, dass Frauen eine Schlüsselrolle bei den Protesten von 2020 gespielt haben?
Olga Shparaga: Durch die Märsche, die im August zusätzlich zu den großen Sonntagsmärschen begannen, wurden die Frauen dann in dem weiteren Protest zu einem agierenden Kollektiv, das natürlich nicht homogen ist. Wie ich in meinem Buch über die Revolution in Belarus schreibe, ist dieses weibliche Subjekt durch das Patriarchat gespalten. Ein Teil der Frauen begreift sich als feministisch, ein anderer nicht. Aber das ist ein normales Phänomen, das wir in modernen Gesellschaften überall auf der Welt beobachten können. Es hängt mit der Polarisierung der Gesellschaften zusammen, mit der ungleichen sozialen, ökonomischen, politischen Position von Frauen, auf die verschiedene Frauen, die sich in verschiedenen Situationen befinden, mit unterschiedlichem Bildungsgrad und Einkommen, unterschiedlich reagieren.
Dass die Herausbildung eines kollektiven weiblichen Subjekts eine wichtige und neue Etappe war, sehen wir unter anderem daran, dass es ab dem dritten Frauenmarsch harte Repressionen und Festnahmen gab. Das führte dazu, dass die Organisatorinnen diese Form des Protests schließlich aufgeben mussten.
Dennoch waren und sind die Frauen weiterhin im öffentlichen Raum präsent. In kleinen Gruppen, ja, aber sie sind sehr kreativ und beweisen nach wie vor, dass Frauen Führung übernehmen können, dass sie der Gesellschaft neue Formen des Protests und des Widerstands anbieten können. Sie beweisen, dass Frauen Verantwortung übernehmen, Leaderinnen sein und uns verschiedene Formen der Solidarisierung anbieten können.
Hat die Aktivität der Frauen bei den Protesten das Bild von Frauen bereits verändert?
Eine wichtige Etappe war, denke ich, die Schwesterlichkeit in den Gefängnissen, der Zusammenhalt unter Frauen. Sie schreiben darüber in ihren Briefen, wie zum Beispiel Julia Sluzkaja. Wir erfahren daraus, wie wichtig diese gegenseitige Unterstützung für die Frauen ist. Eine weitere wichtige Komponente, eine wichtige Dimension der Revolution von 2020 verbinden diverse Forscher heute mit dem Begriff der gegenseitigen Fürsorge. Fürsorge lässt neue soziale und horizontale Verbindungen entstehen – etwas, das in der belarussischen Gesellschaft sehr gefehlt und sich im Verlauf der Ereignisse herausgebildet hat. Hierfür waren oft Frauen die Impulsgeberinnen, sie bestimmten die Stoßrichtung. Von diesen Verbindungen hängt in meinen Augen die demokratische Zukunft von Belarus ab.
Die Tatsache, dass ein Teil der belarussischen Gesellschaft derart überrascht war von der aktiven Position von Frauen, hängt natürlich mit den bestehenden Stereotypen zusammen. Diese Stereotype werden wiederum von den offiziellen Medien aktiv unterstützt. Denken wir nur an die Aussage von Lidija Jermoschina, dass Frauen Borschtsch kochen sollten, anstatt sich mit Politik zu beschäftigen. Leider sind solche Ansichten auch für die belarussische Zivilgesellschaft und die unabhängigen Medien charakteristisch. Wir wissen, mit welcher Art von sexistischen Äußerungen die Präsidentschaftskandidatin Tatjana Korotkewitsch 2015 konfrontiert war. Genau diese Stereotype und Vorstellungen waren der Grund dafür, dass ein Teil der belarussischen Gesellschaft die Frauenbewegung am Anfang nicht ernst genommen hat.
Aber ich glaube, die Tatsache, dass die Aktivierung der Frauenbewegung in mehreren Etappen verlief und die Frauen ihre Fähigkeit, Führung zu übernehmen, Leaderinnen zu sein und als Team zu arbeiten auf jeder Etappe von einer neuen Seite entdeckt haben, hat die Sicht auf die Frauen verändert.
Wie lässt sich die Sichtbarkeit von Frauen in Politik und im gesellschaftlichen Leben erhöhen?
Warum werden Frauen so widerwillig in Geschichte, Politik und das öffentliche Leben einbezogen, warum werden sie immer auf die zweiten Ränge verwiesen? Weil in der belarussischen Gesellschaft patriarchale Denkmuster vorherrschen, also die Vorstellung, dass Männer Führungsrollen übernehmen können und sollen und Frauen im Hintergrund zu bleiben haben. Und das sehen wir leider nicht nur im staatlichen Kontext. Leider beobachten wir das auch innerhalb der Zivilgesellschaft.
Zweitens müssen wir beachten, dass auch Kommentatoren, Redakteure von Internetportalen, Journalisten und Leiter von diversen Projekten die Hintergrundrolle der Frau mit deren individuellen Fähigkeiten in Verbindung bringen und nicht mit der sozialen Ordnung, den Stereotypen, die in der Gesellschaft vorherrschen. Daraus folgt, dass die leitenden Akteure – meist Männer, selten auch Frauen – nicht verstehen, wie wichtig es ist, dass Frauen einen würdigen Platz in der Gesellschaft einnehmen, einen Platz, den sie einnehmen können und wollen. Dass Frauen ihre Unterstützung brauchen, dass man die bestehenden Stereotype kritisieren muss.
Wie können die Medien die Rolle der Frau stärken?
Ich finde, noch vor einem oder mehreren Monaten haben wir mehr weibliche Expertinnen gesehen. Hervorzuheben wären da Walerija Kostjugowa, Katerina Schmatina oder Tatjana Tschulizkaja.
Dass die Frauen aus dem öffentlichen Raum verschwunden sind, dass sie weniger werden, beweist meiner Meinung nach, dass wir bewusst daran arbeiten müssen und uns auf die Anwesenheit von Frauen fokussieren. Wir brauchen dringend ein Verständnis davon, dass die Abwesenheit von Frauen im öffentlichen Raum gesellschaftliche Gründe hat, und nicht etwa mit angeborenen oder individuellen psychologischen Besonderheiten von Frauen zusammenhängt. Das bedeutet nämlich, dass man dieses Problem beheben kann, indem man die Rahmenbedingungen ändert. Und diese Bedingungen können von den Redakteuren, Journalisten, Projektleitern selbst geändert werden. Es muss eine Politik geben, die die Gleichberechtigung der Geschlechter anstrebt.
Aber das Wichtigste ist, glaube ich, dass das alles nicht geschehen wird, solange nicht die Projektleiter und Redakteure davon überzeugt sind, dass die Teilnahme von weiblichen Expertinnen, die Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Raum sowohl für die Frauen als auch für die Gesellschaft als Ganzes wichtig ist. Die Wichtigkeit hat die Revolution von 2020 bewiesen, die Veränderungen, die in der belarussischen Gesellschaft passiert sind, ihre Aktivierung, das Entstehen von neuen sozialen Verbindungen, die Fortsetzung des Widerstands, den es natürlich nach wie vor gibt in der belarussischen Gesellschaft.
Warum hat das Image, das Swetlana Tichanowskaja um ihre Person aufgebaut hat, den Belarussen so gefallen?
Lena Ogorelyschewa: Für das moderne Belarus mit seiner zwiespältigen Wahrnehmung der Genderfrage war die Figur Swetlana Tichanowskaja und ihre Image-Kampagne deshalb so erfolgreich, weil sie einerseits eine starke Führungspersönlichkeit ist, eine Leaderin, die vor Tausenden von Menschen auftreten konnte. Ich spreche jetzt von der Swetlana Tichanowskaja, wie wir sie während des Wahlkampfs erlebt haben.
Sehr vielen Menschen hat sie als Leaderin imponiert, aber auf der anderen Seite war da auch ihre persönliche Geschichte, die ebenfalls maximal verbreitet wurde: Dass sie diese Führungsrolle quasi ungewollt übernommen hat, weil sie vor allem Ehefrau und Mutter ist. Dass sie das alles nur deshalb auf sich genommen hat, weil ihr Mann inhaftiert wurde. Das hat auch den Menschen gefallen, die sonst für traditionelle Werte einstehen, für die patriarchale Ordnung. Ein großer Teil der potentiellen Wählerschaft von [Sergej] Tichanowski hat sie unterstützt und gewählt, weil es gewissermaßen ein Kompromiss war: Ich unterstütze ja nicht eine Frau, sondern die Ehefrau von Tichanowski. Oder, ich unterstütze ja eigentlich Tichanowski, aber weil ich ihn nicht wählen kann, wähle ich seine Frau.
Wenn wir uns unsere Kultur und die Frauenfiguren ansehen, die darin gepriesen werden, dann ist genau dieses Bild – die Frau als Mutter, ihre Bereitschaft, sich für irgendwelche gesellschaftlichen Ziele zu opfern – durchaus überlebensfähig und populär. Deshalb hat diese Geschichte sehr vielen Menschen, auch solchen, die sonst unpolitisch sind, imponiert.
Die Leute sind auch der Schwäche von Swetlana Tichanowskaja gefolgt
Auch die PR-Strategie war sehr erfolgreich, wiederum nicht unbedingt nach Lehrbuch, wie man einen politischen Leader aufbaut. Bei Tichanowskaja war alles umgekehrt: Sie hat ihre Schwäche in den Vordergrund gestellt, dass sie lieber Frikadellen braten würde. Und das war erfolgreich. Die Menschen sind ihr gefolgt. Unter anderem ihrer Schwäche. Manche haben darin eine Stärke gesehen. Manche sagten sich: Alles okay, das sind keine Feministinnen, die die Macht ergreifen, wenn alles vorbei ist, geht die Frau zurück zur Familie.
Ja, jetzt ist natürlich alles anders. Sowohl ihr Image als auch die Art, wie sie sich positioniert. Sie wirkt wie eine unabhängige, starke Politikerin, deren Worte Autorität haben. Aber angefangen hat alles genau so. Leider kann man sich noch immer schwer eine Strategie vorstellen, die für eine weibliche Politikerin erfolgreicher wäre als die, die sie in dem Moment gewählt hat. Selbst in dem so fortschrittlichen Amerika sind die Leute nicht bereit, für Hillary Clinton zu stimmen. Lieber Trump als Hillary, zeigt uns die Praxis.
In der ersten Zeit hat Swetlana Interviews gemieden. Ihr Erscheinungsbild unterschied sich sehr von dem, wie es heute ist. Aber dann, nachdem sich die Wahlkampfstäbe zusammengeschlossen hatten, wurde allen klar, dass Swetlana die einzige Alternative zur herrschenden Macht ist. Ob wir das wollen oder nicht, eine andere Alternative gibt es nicht.
Auch danach wurde Tichanowskaja kritisiert, aber ich kann mich nicht an eine Flut von Artikeln erinnern, die sie immer noch ausgelacht oder kritisiert hätten für ihre, nun ja, nennen wir es Unprofessionalität. Langsam bildete sich eine Parallele heraus: Wenn du Tichanowskaja kritisierst, bist du für die Macht. Etwas dazwischen gibt es nicht.
Ich denke, am Anfang haben die Medien sie manchmal gnädiger behandelt, waren vielleicht geduldiger mit ihren Schwächen als politische Anführerin. Wenn wir analysieren, was geschrieben wurde, dann überwiegen die Artikel, die Tichanowskaja begeistert lobten. Diese Begeisterung gab auch in den folgenden sechs Monaten den Ton an, nicht nur die Begeisterung der Journalisten, sondern auch die des Publikums, das ihr überwiegend wohlgesonnen war. Nur selten kamen kritische Äußerungen in ihre Richtung.
Wie veränderte sich die Berichterstattung mit der Veränderung von Tichanowskajas Image?
Sie wird jetzt als gestandene und unabhängige Politikerin beurteilt. Deshalb gibt es mittlerweile auch Artikel wie „Hier hätte das Tichanoswkaja-Büro vielleicht das tun können, und hier hätte es vielleicht besser anders gehandelt“. Eine interessante Tendenz, finde ich. Im ersten Moment hatte man Mitleid, im nächsten begann man an sie zu glauben. Und ehe man sich versah, war sie nicht mehr die Frau in der Politik, sondern einfach nur Politikerin. Man kann jetzt nicht mehr einfach zurück zu der Situation, wo man sie vor allem als Frau oder als besonders weiblich beurteilt hat, weil sie diese Etappe schlicht hinter sich gelassen hat.
Wir haben uns damit abgefunden, dass Tichanowskaja in unserem Informationsfeld existiert, dass sie ein unabhängiges Subjekt ist und im Grunde eine der ganz wenigen Hoffnungen darauf, dass sich der Fall Belarus nach einem positiven Drehbuch entwickelt. So hat sie unter anderem auch den potentiellen Sexismus besiegt, der in ihre Richtung zielte.
Das heißt nicht, dass alles nur gut ist. Es kann alle möglichen Meinungen zu Tichanowskaja geben, aber die, die sie eher loben als kritisieren, überwiegen.
Gibt es zunehmend weibliche Expertinnen, und wovon hängt das ab?
Wir sehen zum Beispiel, dass man jetzt relativ regelmäßig Frauen als politische Beobachterinnen einlädt. Plötzlich hat sich herausgestellt, dass es in Belarus nicht nur Frauen gibt, die von Beruf Politikerinnen sind, sondern sich auch mit der Analyse von politischen und wirtschaftlichen Prozessen beschäftigen, und diese Frauen werden jetzt in die Redaktionen eingeladen.
Aber das ist in Wirklichkeit ein sehr langsamer Prozess. Und wir müssen uns klar sein, dass sich alles hier Gesagte nur auf unabhängige Medien bezieht. Ja, man sieht zum Teil mehr weibliche Expertinnen. Im März gab es zum Beispiel viele runde Tische, an denen auch Frauen teilgenommen haben, Politikwissenschaftlerinnen, Frauen, die in soziologische Forschungen involviert sind, und eine ganze Reihe von anderen Expertinnen. Aber im April war alles wieder beim Alten.
Wenn wir uns zum Beispiel heute dieselbe Situation im Westen anschauen, dann kann man sich schwer eine große Paneldiskussion vorstellen, an der keine einzige Frau teilnimmt. Das würde sofort negativ aufstoßen. Das Publikum wäre empört: „Was ist denn hier passiert? Ist irgendwas kaputt? Bringt das schnellstens in Ordnung“, weil man es nicht mehr gewohnt ist.
Ich würde gerne glauben, dass die belarussische Medienwelt irgendwann an den Punkt kommt, an dem die völlige Abwesenheit von Frauen in bestimmten Bereichen etwas Ungewohntes sein wird.
Welche Rolle spielte die Staatspropaganda bei der Beleuchtung der Ereignisse des Jahres 2020?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt, über den ich auch gerade nachdenke: Wie Frauen in den staatlichen Medien dargestellt werden, denn auch dort können wir eine Spaltung beobachten, die es seit August gibt und die sich immer mehr vertieft. Damit meine ich, dass es aus Sicht der Staatsmedien offenbar „normale Frauen“ und die Smaharki-Frauen gibt – solche, die an Protesten teilnehmen.
Das Bild der „normalen Frau“ hat sich nicht geändert. Immer noch dieselbe Palette von patriarchalen und sonstigen Stereotypen. Aber die Smaharki werden auf jede erdenkliche Weise diskreditiert, da sind der Kreativität der Künstler und Schreiber von politischen Pamphleten keine Grenzen gesetzt.
Von einer dieser Künstlerinnen gibt es ein Bild, Der Frauenmarsch. Ziel war es, die Frauen zu diffamieren und zu zeigen, wie abnormal sie sind, weil sich „normale Frauen“ solche Emotionen nie erlauben würden, aber ich finde dieses Porträt sehr lebendig und menschlich. Seit ich es kenne, liebe ich die Frauen, die an politischen Prozessen teilnehmen, noch viel mehr. Sie sind dort so lebendig, so ungleichgültig.
Dieses Porträt will die Gesichter der Frauen entstellen, denn das weibliche Gesicht soll ja, wie wir alle wissen, schön sein. Aber für mich steckt die Schönheit genau da drin, in dem Schmerz, den man angesichts der Ereignisse empfindet, den Schmerz angesichts der menschlichen Tragödien, die Frauen und Männer hier und jetzt erleben, wo immer sie gerade sind. Und auch den Schmerz darüber, wie die Staatspropaganda versucht, das belarussische Volk zu entzweien, indem sie sich unter anderem dieser festgefahrenen Geschlechterstereotypen bedient. Sie versucht auch die Frauen zu entzweien. Ihr Ziel erreichen sie nicht. Mit diesen Versuchen und dem plumpen Spiel mit dem Patriarchat erreichen sie exakt das Gegenteil.
Warum sind die Massenmedien nicht mehr die primäre Quelle für wichtige Informationen?
Da kommen wir wieder auf die Rolle der Medien. Hier könnten wir eine ganz eigene Diskussion aufmachen, aber sie passt sehr gut zu dem, was aktuell in Belarus passiert. Wir sehen, dass die sozialen Netzwerke, die Mikroblogs, diverse Kommunikationskanäle heute eine riesige Rolle spielen. Und wenn wir uns nochmal Tichanowskaja ansehen, aber auch andere Frauen, die 2020 mit politischen Ambitionen vorgetreten sind, sehen wir, dass die Nachrichten ihr Publikum nicht mehr unmittelbar aus den Massenmedien erreichten – jeder, der wollte, konnte ihren Telegram-, Facebook-, Instagram– oder YouTube-Kanal abonnieren und die Informationen aus erster Hand bekommen. Und wenn man seine Informationen aus den Mikroblogs einer bestimmten Personen bezieht, können die Medien das Bild nicht mehr so leicht verzerren, wenn sie das wollen.
Wobei ich in dem Fall gar nicht von verzerren sprechen will, denn im Hinblick auf einen politischen Leader oder politische Leaderin muss natürlich klar sein, dass eine Swetlana Tichanowskaja in Wirklichkeit ganz anders sein kann, als das Image, das ihre PR-Abteilung von ihr zeichnet. Das ist weder gut noch schlecht – das ist einfach die Realität. Bei männlichen Politikern ist das nicht anders – ihr Bild in der Öffentlichkeit kann sich sehr stark von dem unterscheiden, wie sie in Wirklichkeit sind. Aber das Sprachrohr der PR ist so mächtig, dass die Massenmedien es manchmal schwer haben, dieses Bild zu beeinflussen.
Ich würde sagen, dass die Medien die Inspiration, die von Tichanowskaja ausging, von dem Zusammenschluss der drei Wahlkampfstäbe und den drei Gesichtern der weiblichen Revolution, natürlich befeuert haben. Aber sie haben eher das aufgegriffen, was in der Realität passierte.
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Gegen die Organisationen des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny begann am Montag die Hauptverhandlung vor dem Moskauer Stadtgericht: Ihnen wird Extremismus vorgeworfen. Die Sitzung wurde nach wenigen Minuten auf den 9. Juni verlegt. Betroffen sind neben dem Fonds für Korruptionsbekämpfung (FBK) auch die regionalen Wahlkampfbüros, die Nawalnys Team landesweit aufbaute. Über diese schtaby wurden Straßenproteste organisiert, aber auch das sogenannte Smart-Voting – das Verfahren sieht vor, dem aussichtsreichsten Oppositionskandidaten die Stimme zu geben und so die Machtfülle der Regierungspartei Einiges Russland zu brechen.
Ist eine Organisation als extremistisch eingestuft, so ist deren Finanzierung verboten, führende Köpfe müssen mit mehrjährigen Freiheitsstrafen rechnen.
Im Meduza-Podcast Schto slutschilos (dt. Was war da los?) hat Konstantin Gaase mit Nawalnys Wahlkampfchef Leonid Wolkow, der im Exil lebt, darüber gesprochen, wie es mit den Regionalbüros nun weitergeht – und ob das Smart-Voting bei der Dumawahl im September trotz allem funktionieren kann.
Konstantin Gaase: Seit 2012, als Sie befasst waren mit den Wahlen zum Koordinationsrat, gab es ein ganz einfaches Schema für die Beteiligung am oppositionellen Protest: Leute, wir geben euch die Möglichkeit in unterschiedlichen Abstufungen mitzumachen – von der anonymen Spende über Cube-Aktionen bis hin zur Mitarbeit im Team. Das heißt, im Grunde sagten Sie Ihren Sympathisanten: Wir bieten eine Plattform, der ihr euch anschließen könnt, wie es euch passt.
Jetzt gibt es keine Plattform mehr, und auch die Beteiligung am Protest in der Form, wie Sie sie für ungefährlich halten, gibt es nicht mehr. Haben Sie das bei Nawalnys Rückkehr nach Russland besprochen? Hielten Sie ein solches Szenario für wahrscheinlich?Leonid Wolkow: Eine schöne Formulierung, das mit den abgestuften Möglichkeiten, weil wir das auch immer so gesehen haben.
Bei Unterstützer-Treffen habe ich das oft als Pyramide visualisiert: eine Million Anhänger; davon hunderttausend, die spenden können; davon zehntausend, die agitieren können; davon tausend, die aktiv mitarbeiten; hundert, die bereit sind, einen Tag in Haft zu sitzen [per Verwaltungsarrest]; zehn, die bereit sind, verurteilt einzusitzen; und ein Alexej Nawalny.Und es war klar, dass das Team und diese ganze Struktur es allen ermöglichen soll, etwas beizutragen. Denn obwohl wir selber Aktivisten sind und Aktivisten lieben und schätzen, ist ja klar, dass man mit einer Million Anhängern, die täglich je 15 Minuten Zeit investieren, ohne dabei Risiken einzugehen, eine viel größere politische Wirkung erzielen kann. Und diese 15 Millionen Minuten vermögen immer noch mehr, als die eingefleischtesten und risikofreudigsten Aktivisten auf der Straße mit wundgelaufenen Füßen zusammensammeln. Aktivisten gibt es ja viel weniger.
Aber so vorzugehen, dass aus diesen 15 Millionen Menschenminuten etwas Sinnvolles entsteht, ist sehr schwierig. Das erfordert eine riesige Infrastruktur und eine ziemlich geschickte Planung.Alles, was wir gemacht haben, war, die Aktivisten, die es [zum Kampf] drängte und die zu den verschiedensten kreativen Protestformen bereit waren – dass wir die zu ziemlich öden bürokratischen Tätigkeiten verdonnert haben, um eine Angebotsstruktur für jene aufzubauen, die weniger aktiv waren.
Und jetzt hat genau dieser Teil einen Schlag versetzt bekommen. Unsere Millionen Anhänger sind immer noch da; die Hunderttausende, die zu Spenden und Reposts bereit sind, ebenfalls. Eins draufgekriegt haben die Zigtausend, die zu Demonstrationen gehen, und die Tausend, die aktiv mitarbeiten.
Jenen, die bereit waren zu Demonstrationen zu gehen, hat man gesagt: Ihr werdet gleich alle im Verwaltungsarrest sitzen. Damit hat man das Risiko ihres Einsatzes um zwei Stufen verschärft, dazu waren sie nicht bereit. Und die Tausend, die [im Team] mitarbeiteten, bekamen zu hören: Ihr bekommt gleich alle eine Haftstrafe aufgebrummt. Also wurde auch das verschärft – auch dazu waren die Leute nicht bereit.
Somit haben sie [die russische Staatsmacht] uns durch die drastische Erhöhung des Risikos die Grundlage für unsere Struktur zerstört. Weswegen wir jetzt die Infrastruktur ins Internet verlegen.Durch die drastische Erhöhung des Risikos haben sie unsere Struktur zerstört
Wir wissen, dass die Unterstützung an der Basis nicht weg ist, das ist in Umfragen erfassbar. Wir müssen sie nur online neu aufbauen. Also, dafür sorgen, dass die Leute, die 15 Minuten täglich investieren wollen, [weiterhin] etwas Sinnvolles beitragen können.
Natürlich sinkt die Effektivität. Natürlich wird die Arbeit anders sein, aber im Kern bleibt alles gleich. Die fundamentalen Gründe für die Proteststimmung in Russland sind ja ganz offensichtlich immer noch da und werden nicht so schnell verschwinden.Putin kann zehn Personen einsperren lassen – davon wird aber das Sonnenblumenöl nicht billiger. Putin kann alle Räumlichkeiten, in denen jemals Nawalnys Team gearbeitet hat, mit Baggern zerstören. Und alle Hotels, in denen Nawalny je eingecheckt hat. Auch damit wird er die Korruption nicht besiegen. Ganz zu schweigen davon, dass [der Unmut darüber nicht sinkt, dass] Putin seit 22 Jahren im Amt ist.
Wir führen Umfragen durch und sehen: Die Unterstützung ist nicht zurückgegangen, dafür hat das Mitgefühl zugenommen.Sie sagen, Sie sind bereit, weiterhin dasselbe zu tun – wenn auch weniger effektiv und online. Bedeutet das, dass Sie die Grundhypothese beibehalten, dass diese ein bis zehn Millionen Anhänger von sich aus nicht bereit sind, das Risiko zu erhöhen und auf die Straße zu gehen? Sie glauben also nicht, dass die Stärke des Protestes ohne Ihr Zutun von selber zunimmt?
Lustigerweise hat Nawalny in einer seiner letzten Nachrichten aus Wladimir eine Metapher aus Alice im Spiegelland benutzt: dass man schnell rennen muss, um auf der Stelle zu bleiben – wobei er das Zitat fälschlicherweise [dem ersten Band] Alice im Wunderland zuschrieb. Am selben Tag kam auf Znak ein Interview mit mir heraus, in dem ich dieselbe Metapher benutzte. Wir hatten uns nicht abgesprochen, aber offenbar empfinden wir das sehr ähnlich. Genau so ist es: Wir rackern uns ab, wir rennen unglaublich schnell, nur damit wir auf der Stelle bleiben.
Wir rackern uns ab, wir rennen unglaublich schnell, nur um auf der Stelle zu bleiben
Das Risiko beim Straßenprotest ist um ein Vielfaches gestiegen. Niemand denkt mehr daran zurück, aber vor zehn Jahren war das Schlimmste, was auf einer nicht genehmigten Demonstration passieren konnte, 15 Tage Haft für Organisatoren und 500 Rubel [2011 rund 13 Euro – dek] Strafe für Teilnehmer. Irgendwelche Festnahmen (geschweige denn Haftstrafen). Schon allein Ausweiskontrollen schienen damals auf genehmigten Demonstrationen undenkbar. Und das vor nur zehn Jahren – in der fast guten alten Zeit.
Unsere Proteststärke und -energie ist in diesen zehn Jahren nicht gestiegen, aber auch nicht weniger geworden. Jetzt, wo die Teilnahme an einer Demo bis zu 300.000 Rubel [etwa 3.300 Euro – dek] kosten kann, wo 30 Tage Haft drohen, ein Strafverfahren, ein reales Risiko, seinen Ausbildungs-, Studien- oder Arbeitsplatz zu verlieren et cetera – sehen wir, dass die Leute trotzdem landesweit in [mit vorher] vergleichbarer Zahl demonstrieren gehen.
Unter diesen Bedingungen zu erreichen, dass Millionen Menschen auf die Straße gehen – das wäre wishful thinking
Alles, was wir unter diesen Bedingungen tun können, ist, schnell genug zu rennen, um an Ort und Stelle zu bleiben und das Entschlossenheitslevel der Menschen aufrechtzuerhalten. Aber unter diesen Bedingungen auch noch zu erreichen, dass Millionen Menschen auf die Straße gehen – das wäre Wishful Thinking.
Putin hat auf Lukaschenko [und die belarussischen Proteste 2020] geschaut und begriffen, dass es noch enorm viel Spielraum gibt, die Repressionen zu steigern. Er hat signalisiert, dass er auch bereit ist, diesen Spielraum zu nutzen – was natürlich eine unangenehme Überraschung ist. Jetzt wissen wir, dass unsere Bemühungen nicht auf einen großangelegten Straßenprotest abzielen können. Den nächsten Massenprotest zusammenzutrommeln hat derzeit, milde ausgedrückt, nicht oberste Priorität.
Putin hat auf Lukaschenko geschaut und begriffen, dass es noch enorm viel Spielraum gibt, die Repressionen zu steigern
Das heißt aber nicht, dass wir Straßenproteste ausschließen. Die Gesellschaft befindet sich in einem Zustand, in dem sie die Ungerechtigkeit des Geschehens sehr deutlich wahrnimmt. Und dieses Gefühl der Ungerechtigkeit wächst an: die Ursachen [der Proteststimmung] sind immer noch da. Daher kann es durchaus passieren, dass ganz von allein irgendein Schwarzer Schwan daherfliegt oder ein Goldener Hahn, der dem Zaren in den Kopf pickt, und das war’s. Aber darauf eine politische Strategie aufzubauen – das scheint mir unmöglich.
Früher war der Rhythmus so: ein Video als Trigger, der offline seine Fortsetzung findet. Okay, angenommen, ihr stützt euch nicht auf den Straßenprotest. Doch wie soll dann diese Koppelung laufen? Gleichzeitig wird klar – unmittelbar vor unserem Gespräch haben Sie bekannt gegeben, dass die Regionalbüros schließen –, dass es keine Infrastruktur für die Produktion [von investigativen Filmen] mehr gibt, aber Filme brauchen Produktion.
Bezüglich der Regionalbüros habe ich sehr deutlich gesagt: Wir lassen sie frei schwimmen, wir haben dieses Netz über vier Jahre aufgebaut, haben den Leuten etwas beigebracht, die Leute haben selbst etwas gelernt, haben sehr intensiv gearbeitet. Das Ergebnis ist eine absolut handlungsfähige politische Struktur, die zu selbständiger politischer Tätigkeit in der Lage ist. Und die infrastrukturelle Basis des Protests bleibt ja bestehen.
Aber Sie investieren sie in lokale Agenden. Im Grunde sagen Sie: Geht los und widmet euch dem lokalen Protest.
Sie waren sowieso mit lokalen Agenden befasst. Geschichten wie der Park in Jekaterinburg, Sergej Furgal und Kuschtau haben dem Kreml natürlich heftig Angst eingejagt.
Ich gehe davon aus, dass der Kreml das Netzwerk unserer Büros als größeres Problem und größere Bedrohung empfand als den Fonds für Korruptionsbekämpfung. Der FBK existierte einfach und veröffentlichte Studienergebnisse. Der Kreml war bis zuletzt der Meinung, dass das alles sowieso nur ein Internetphänomen ist.
Das Büronetzwerk war jedoch vor Ort aktiv, und während der Kreml Proteste in Moskau mit Gummiknüppeln bis zur Bewusstlosigkeit niederschlagen konnte, ging er mit regionalen Protesten immer viel milder um. Zum einen, weil er Angst hatte, dass der Protest im ganzen Land aufflackern und außer Kontrolle geraten könnte, zum anderen, weil in der Moskauer Bevölkerung die Konzentration der Silowiki viel höher ist als in Jekaterinburg, Ufa und dergleichen.
Unser Netz von Büros und Teams rief eine ungeheuer nervöse Reaktion hervor
Alexej Nawalny wurde vergiftet, als er in den Regionen unterwegs war. Und seine Beschattung begann, als er 2017 anfing, aktiv die Regionen aufzusuchen, um ein landesweites Netzwerk aufzubauen. Als er im Sommer 2020 neuerlich die Regionen bereiste, wurde die Bespitzelung wieder aufgenommen.
Dieses Netz von Regionalbüros und Teams rief eine ungeheuer nervöse Reaktion hervor, weil das die infrastrukturelle Basis ist. Das sind Leute, die Kompetenzen in sich tragen, die wissen, wie man einen Protest organisiert, wie man mit Freiwilligen arbeitet, wie man was am besten macht.
Na, und natürlich das Smart-Voting, die Regionalwahlen – Sachen, die manchmal gelangen, manchmal nicht, die aber in den Regionen besonders wehtaten.Natürlich haben sie [die Behörden] es sich prinzipiell zur politischen Aufgabe gemacht, unsere Struktur in den Regionen zu zerstören.
Ich glaube an die Theorie, dass der Entschluss, Alexej [Nawalny] mit Nowitschok zu vergiften, folgendermaßen gefasst wurde: Im Juli 2019 erging der politische Befehl, das Team zu zerstören. Damit wurde [der Chef des Ermittlungskomitees, Alexander] Bastrykin betraut. Bastrykin bildete eine Gruppe aus 141 Ermittlern in besonders wichtigen Angelegenheiten, die sich ans Werk machten, unsere Konten sperren und die Technik mitgehen ließen, bla, bla, bla.
Ein Jahr später sagte man ihm bei irgendeiner Rechenschaftslegung: „Alexander Iwanowitsch, sie haben doch vor einem Jahr einen Auftrag bekommen. Aber irgendwie arbeitet das Team immer noch. Schon wieder dieses Smart-Voting, schon wieder mischen sie sich mit dem Geld von CIA und Mossad in unsere tollen und ehrlichen Wahlen ein. Wie kommt es, dass Sie, Alexander Iwanowitsch, damit nicht fertig werden?“ Er so: „Mi-mi-mi, geben Sie mir noch drei Monate, dann.“ Da kommt irgendso ein Nikolaj Platonowitsch um die Ecke und sagt: „Wisst ihr was, ich habe da eine Idee. Mir scheint, es ist Zeit für Plan B – für radikalere Methoden, wenn Sie schon ein Jahr damit herumtun. Wir haben da eine Spezialabteilung, wo sie für solche Fälle spezielle Mittelchen brauen.“
Das ist natürlich eine dichterisch ausgeschmückte Rekonstruktion. Aber vom zeitlichen Ablauf und der Logik her erscheint sie mir plausibel.Von unseren 40 Regionalbüros werden etwa 30 versuchen, als gesellschaftlich-politische Organisationen zu funktionieren
Vor diesem Hintergrund wiederhole ich: Alle Medien haben jetzt zwar die Nachricht „Regionalbüros aufgelöst“ gepusht – doch das war nicht der Sinn meiner Mitteilung, sondern der, dass von unseren 40 Regionalbüros etwa 30 versuchen werden, als gesellschaftlich-politische Organisationen selbständig zu funktionieren. Manche werden das natürlich nicht schaffen.
Die Regionalbüros sind vielleicht eine gute Investition in lokale Agenden. Was das Smart-Voting betrifft, ist es ja kein Geheimnis: Dort, wo es funktioniert hat, waren die politischen Partner [von Nawalnys Team] die Kommunisten.
Nein. Ich als derjenige, der für das Smart-Voting zuständig ist, kann bestätigen, dass das nicht der Fall war. Es gab keine Absprachen im Sinne von „Lasst euch von uns unterstützen“ oder „Wir für euch und ihr für uns“.
Haben Sie nie mit den Kommunisten gesprochen?
Ich persönlich habe nie [mit ihnen] als Institution gesprochen. In den Regionen kommen ständig nicht nur Kommunisten zu uns, [sondern auch Mitglieder] von LDPR, SR, Jabloko und fragen: „Was müssen wir tun, um ins Smart-Voting zu kommen?“ Die hören immer dieselbe Antwort: „Steht alles auf der Website. Arbeiten Sie viel und gut. Werden Sie der beste Kandidat und der stärkste Opponent der Regierung in Ihrem Gebiet, und wir werden Sie unterstützen.“
Haben sich die Regionalteams am Verhandlungsprozess beteiligt, damit man einander nicht in die Quere kommt?
Ja. Für das Smart-Voting ist es schlecht, wenn in einem Wahlkreis ein starker Kommunist und ein starker Jablotschnik zusammentreffen. Und umgekehrt ist es gut, wenn ein starker Kommunist in dem einen Wahlkreis ist und ein starker Jablotschnik in einem anderen. Nachdem wir in diesem Prozess als unparteiische Vermittler auftreten, sind sie natürlich zu uns gekommen.Für das Smart-Voting ist es schlecht, wenn in einem Wahlkreis ein starker Kommunist und ein starker Jablotschnik zusammentreffen
So etwas ist in Sankt Petersburg passiert, in Jekaterinburg und in jenen Regionen, wo es eine erkleckliche Menge unverwüstbarer Charismatiker und strahlender Regionalpolitiker gibt. Wo es Gesprächsstoff und genug aufzuteilen gibt.
In 80 Prozent der Fälle ist die Aufgabe des Smart-Votings leider, wenigstens irgendwen zu wählen. Moskau nimmt hier natürlich eine Sonderstellung ein. Da herrscht Konkurrenz zwischen starken Politikern.
Wenn wir uns ansehen, wie viele Kandidaten im Smart-Voting formal zu einer Partei gehörten, wie die Kräfteverteilung zwischen politischen Parteien in Russland aussieht (ohne Einiges Russland), dann sind das rund 50 Prozent KPRF, 20 Prozent Sprawedliwaja Rossija, 20 Prozent LDPR und 10 Prozent Jabloko. Entsprechend sind auch die Wahlerfolge der Kandidaten im Smart-Voting verteilt.
Sie werden also das Smart-Voting fortsetzen. Und den Regionalbüros, die Sie jetzt frei schwimmen lassen, überlassen Sie die Entscheidung, wen sie unterstützen wollen?
Nein. Die Entscheidung über die Unterstützung von Kandidaten im Smart-Voting treffen wir immer ausschließlich in einem zentralen Analysezentrum. Bei aller Liebe zu den Regionalbüros hatten sie diesbezüglich nie ein Stimmrecht, unter anderem – bei allem Respekt –, weil Korruption ein Faktor ist. Wir lieben unsere Regionalbüros und vertrauen ihnen, aber auch Personen, denen ich bedingungslos vertraue, sind schon zu uns gekommen und haben erzählt: „Da hat mir einer drei Millionen Rubel für einen Platz im Smart-Voting angeboten.“ Das ist tatsächlich passiert, und nicht nur ein- oder zweimal. Ich kann nur raten, wie oft das vorgekommen sein mag, ohne dass wir davon erfahren haben.
Bei aller Liebe zu den Regionalbüros – sie hatten nie ein Stimmrecht, und ein Faktor dabei ist die Korruption
Damit sich keiner einschleichen kann, haben wir immer gesagt: „Leute, ihr habt Beratungsfunktion: Geht bitte durch die Wahlbezirke und berichtet uns, wer mehr Werbung hat, wer mehr Material verteilt.“ Man kann auch einfach in einem Mailing über die Datenbank des Smart-Votings die Unterstützer fragen, wessen Kampagne ihnen am meisten auffällt. Hauptsächlich stützen wir uns auf Analysen vergangener Wahlen.
Wie wird das dieses Jahr bei den Wahlen zur Staatsduma ablaufen? Das provisorische Zentralkomitee befindet sich im Ausland, es gibt Regionalbüros, die Ihnen ein Bild der Lage vor Ort vermitteln können, denen Sie aber vielleicht nicht hundertprozentig vertrauen. Und noch dazu wird sich die Wahl im September über drei Tage ziehen.
Wir vertrauen natürlich unseren Regionalbüros – die in Russland als keine Ahnung was für Organisationen gelten – in dem Punkt absolut, dass sie uns ein objektives Bild liefern, auf das wir uns sehr gerne stützen. Nur war die Information aus den Regionalbüros immer nur ein Teil des Bildes. Wir werden es aus verschiedenen Stückchen zusammensetzen.
Im Kontext der Staatsduma wird die Bedeutung von soziologischen Methoden [zur Bestimmung des Kandidaten, den das Smart-Voting unterstützt] viel höher sein. In einem kleinen Wahlkreis für den Stadtrat kann man ja keine sinnvollen Umfragen durchführen. Bei den Wahlen zur Staatsduma mit über 500.000 Wählern pro Wahlkreis in Großstädten aber können wir Aspekte aus Umfragen einbeziehen.Das ist eine neue Komponente des Smart-Votings, die wir früher nicht hatten, weil uns die Messgeräte fehlten, um in Bezirken mit zigtausenden Wählern Umfragen durchzuführen. Niemand hatte die. Und wer behauptet, sie zu haben, lügt einfach.
Also sind das die Komponenten des Smart-Votings: Eine Einschätzung der Lage durch das Team, Ihre eigenen Erhebungen in wichtigen Wahlkreisen und schließlich die gezielte Unterstützung einer von Ihnen bestimmten Person ?
Ja.
Aber es wird keine flächendeckende Wahlkampagne im ganzen Land geben? Wird es 225 Kandidaten im Smart-Voting geben?
Ja, die wird es geben. 2019 und 2020 haben wir rund 800 beziehungsweise 1100 Empfehlungen abgegeben. Jetzt geben wir rund 1500 Empfehlungen ab, weil weitere 225 Bezirke dazukommen.
Zurück zum 23. Januar [2021, als in Russland Demonstrationen gegen Nawalnys Festnahme stattfanden]. Was war der Plan?
Geplant und vorausgesehen haben wir ungefähr das, was auch passiert ist. Also, dass Alexej Nawalny am 17. Januar zurückkommt. Wir wussten, dass er höchstwahrscheinlich verhaftet wird und dass das mit einem schwerwiegenden Angriff auf unsere ganze Struktur einhergehen wird.
Aber hätten wir vorhersagen können, wie brutal das alles wird? Das nicht. Dass sie den Extremismusparagraphen bemühen werden – nein, das haben wir, ehrlich gesagt, nicht kommen sehen.
Wir sind immer noch da. Unsere Recherchen und unser Smart-Voting sind immer noch da. Und bald kommen noch ein paar neue Projekte dazu. Es ist schwer, ja. Haben wir gewusst, dass es schwer wird? Ja. Hätten wir eine andere Wahl gehabt? Nein. Darüber denke ich eigentlich nicht so viel nach.Weitere Themen
ZITAT #11: „Es gibt keinen Tiefpunkt, es ist der freie Fall ins Bodenlose“
„Einen einsperren, um Millionen einzuschüchtern“
„Absolut böse und absolute Gesetzlosigkeit“
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Podcast #4: „Auf Sklavenjagd“
In der rassistischen und menschenverachtenden Ideologie der Nazis galten die Menschen aus der Sowjetunion als „Untermenschen“. Antislawismus vermischte sich dabei mit Zynismus: Einige der rund drei Millionen verschleppten Zwangsarbeiter mussten Waffen herstellen, mit denen Menschen in ihrer Heimat getötet werden sollten.
Der Einsatz von sogenannten „Ostarbeitern“ in der deutschen Kriegswirtschaft ist Thema des Podcasts von ХЗ: Julia Boxler, Ani Menua und Helena Melikov befragen für dekoder die Historikerin Ksenja Holzmann zum Schicksal der zivilen Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion.
Zum Weiterlesen:
„Den Hass haben wir von den deutschen Soldaten gelernt“
Russlands Jugend und der Zweite Weltkrieg
Veröffentlicht am 07.05.2021
Weitere Themen
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„Das war nicht die übliche Stimme der Sieger“
Ein halbes Jahrhundert lang lag ein Erinnerungsschatten über den Schicksalen der zivilen Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion: In der deutschen Erinnerungskultur war dieses dunkle Kapitel der NS-Zeit kaum sichtbar. Auch in der Sowjetunion herrschte Schweigen über die tragischen Schicksale von fast drei Millionen Menschen.
In Deutschland konnten erst nach der Gründung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) die individuellen Entschädigungszahlungen an die zivilen Zwangsarbeiter am 30. Mai 2001 beginnen. Heute, 76 Jahre nach Kriegsende, sind einige von über 30.000 Zwangsarbeitslagern Gedenkorte. In den vergangenen Jahren kamen in Deutschland zahlreiche Publikationen heraus, auch die Zivilgesellschaft beschäftigt sich immer mehr mit dem Thema.
Auf Afisha zeichnet Memorial-Mitarbeiterin Ewelina Rudenko die Aufarbeitung in Russland nach – und schildert, wie diese eigentlich „aus Versehen“ begann.
dekoder zeigt Bilder und erzählt die Geschichten dahinter – in Zusammenarbeit mit Batenka. Memorial-Mitarbeiterin Irina Schtscherbakowa ordnet die Bilder ein und erklärt, warum viele Zwangsarbeiter über Jahrzehnte ihre Biografie verheimlichen mussten.
Iwan Sch., 16 Jahre alt. Weihnachtsfeier. Selb, 1942 / Foto © Archiv von Memorial International. Fond 21. Akte Nr. 212046
Ewelina Rudenko, Koordinatorin des Memorial-Projekts Digitalisierung des „Ostarbeiter“-Archivs
1990 erschien in der Zeitung Nedelja ein kurzer Artikel über „Ostarbeiter“. Darin hieß es, dass die Organisation Memorial die Entschädigungszahlungen an die Menschen übernehmen würde, die während des Großen Vaterländischen Krieges zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden waren. Der Artikel wurde in unzähligen Lokalzeitungen nachgedruckt. Ein paar Monate später hatte Memorial etwa 320.000 Briefe von ehemaligen „Ostarbeitern“ und ihren Verwandten erhalten. In der Hoffnung auf eine gerechte Wiedergutmachung und aus dem Wunsch heraus, ihre Geschichte zu teilen, schrieben die Menschen ausführliche Briefe, schickten Fotos und Dokumente von ihrer Zeit in Deutschland. So entstand die Sammlung von Dokumenten zur Geschichte der Zwangsarbeit, die Memorial International angelegt hat, durch einen glücklichen Zufall.
Als Geschichtsstudentin hat mich allein schon die Möglichkeit fasziniert, Fotos aus der Kriegszeit in Deutschland in den Händen zu halten. Aber noch viel beeindruckender waren die Erzählungen der „Ostarbeiter“ über den Krieg.
Denn das war nicht die übliche Stimme der Sieger (die uns aufgedrängt wird und die mit jedem Jahr lauter erklingt), sondern der Blick der Opfer, die man gezwungen hatte, sich selbst für Verräter und nicht für Opfer zu halten.
Das war nicht die übliche Stimme der Sieger
Dank der „Ostarbeiter“ habe ich zum ersten Mal ganz klar verstanden und gespürt, dass der Krieg keine unendliche Reihe von Schlachten und Siegen ist, sondern eine einzige riesige Tragödie, die Millionen Menschenleben zerrüttet und zerstört hat.
Nach der Lektüre all dieser Briefe und Erinnerungen kam mir die erschreckende Erkenntnis, wer die „Ostarbeiter“ eigentlich waren: Es waren überwiegend junge Frauen zwischen 17 und 18 Jahren, meistens aus Dörfern. Frauen, die möglicherweise diese Dörfer noch nie verlassen hatten, keine Großstädte kannten, noch nie Zug gefahren waren, wohl kaum je fotografiert worden sind. Und diesen jungen Frauen steht nun bevor, ins Hinterland des Feindes verschleppt zu werden und die Bomben zu produzieren, die auf ihre Heimatdörfer niedergehen würden. Sie würden sich inmitten der Faschisten wiederfinden, in der Fremde, ohne jegliche Sprachkenntnisse. Ihr erstes Foto wird also das Bild für den Ausweis (im Orig. dt. – Anm. d. Übers.) mit einer Kennziffer auf der Brust. Obendrein werden sie in Deutschland keinerlei Information darüber erhalten, was an der Front passiert, ob ihre Angehörigen noch leben, und vor allem, ob sie jemals wieder nach Hause zurückkehren werden. Das scheint mir einzigartig in der Geschichte zu sein, und ich warte nur darauf, dass ein Psychologe oder Volkskundler sich dieses Themas annimmt und ein Buch darüber schreibt.
„Die Fotografie wurde von der Haushälterin des Fabrikleiters in der Silvesternacht 1942/43 gemacht.“
Maria S., mit 19 verschleppt. Arbeitete in einer Fabrik in Rummelsburg / Foto © Archiv von Memorial International. Fond 21. Akte Nr. 201032Fast alle Mädchen haben selbsthergestelltes Rouge auf den Wangen. Im Archiv von Memorial International gibt es Dutzende von Geschichten über die Herstellung von Kosmetika aus improvisierten Materialien.
Alle jungen Frauen sind festlich gekleidet, einige von ihnen tragen Schmuck. Sie hatten kaum Möglichkeiten, ihre winzigen Gehälter auszugeben. Kleidung war teuer (obwohl es Ausnahmen gab – einige „Ostarbeiterinnen“ erwähnten den Kauf von Pullovern, die „den Juden abgenommen“ worden waren). So war billiger Schmuck die einzige Mode, die den Mädchen im Teenageralter zur Verfügung stand. Kleider wurden für gestellte Fotos ausgeliehen.
In der Beschreibung zum Foto erwähnt Maria, dass die Haushälterin ihnen Kuchen zur Neujahrsfeier geschenkt hatte. Die durchschnittliche Verpflegung der Zwangsarbeiter bestand aus Steckrübensuppe zweimal am Tag und 200 Gramm Brot mit verschiedenen Beimischungen. Den meisten dokumentierten Erinnerungen ist gemeinsam, dass die Menschen ständig Hunger hatten und Kartoffelschalen aus Küchenabfällen gestohlen haben. (Irina Schtscherbakowa)
Nikolaj Kirejew
1942 mit 16 Jahren aus der Oblast Orlow verschleppt. Arbeitete in Rüstungsfabriken in Berlin. Kam später, nach einem misslungenen Fluchtversuch, ins Konzentrationslager.
„[…] [An Wochentagen] mussten wir um fünf aufstehen, dann gabs Kawa, wie die Polen sagten. Kawa heißt Kaffee. Die Schüssel hast du immer bei dir – das war die wichtigste Ausrüstung, für den Fall, dass dir jemand wo was einschenkt. […] Und einen Laib Brot. […] Ein gewöhnliches, wenn du es anfasst, ist es, als wäre es aus Sägespänen, die zusammengepresst wurden. Nichts als Späne. Du isst es, und es scheint zu schmecken. Das war morgens. Sozusagen unser Frühstück. Ein Brot für fünf Leute […]. So groß wie ein Borodinski-Brot, oder sogar noch kleiner […]. Mittag gab es aus Kübeln. Sie nannten es Kohlrabi. Das gab es ständig. Kohlrabi ist sowas wie sehr fester Kohl. […] Zum Abendessen gab es gar nichts. Es gab nur zwei Arten von Mahlzeiten am Tag. Nein, manchmal gab es [zum Abendessen] Mehlsuppe. Also einfach nur aus Mehl. Sonst nichts, kein Fett.
Manchmal, an großen Feiertagen, gab es etwas … An Hitlers Geburtstag, am 20. April, war ich [im Spandauer Zwangsarbeitslager] in der Rauchstraße. Zur Feier des Tages gab man uns ein Stückchen Margarine, so groß wie eine Streichholzschachtel. Danach gab es … – davon hatten sie offenbar zu viele – Frösche. Die Frösche gingen sehr gut. Frösche gab es oft an Feiertagen. Die Schenkel und den Rumpf mit irgendeiner Marinade. Das war ein hervorragendes Essen. Ich habe immer versucht, einen zweiten und dritten Nachschlag zu bekommen, weil ich sie sehr gern aß. Das Hungergefühl verschwand nie. […] Dann gab es noch so rote Stiele. Manchmal so dick wie ein Arm. Was das für Stiele waren, weiß ich nicht. Aber die waren süß, mit solchen langen Fäden. Das war ein hervorragendes Essen. Aber vielleicht erschien mir das damals auch nur so […].“ (Quelle)
Wassili G., mit 16 verschleppt (auf dem Bild mit blauem Kugelschreiber gekennzeichnet). Neujahrsfeier. Ort unbekannt, Jahr nicht angegeben / Foto © Archiv von Memorial International. Fond 21. Akte Nr. 158013
Auf diesem gestellten Foto sind fast alle sitzenden Männer dem Fotografen zugewandt, die Menschen im Vordergrund schauen ins Objektiv, einer von ihnen isst. Während der Feiertage wurden in Kantinen oder anderen Gemeinschaftsräumen fast überall geschmückte Weihnachtsbäume aufgestellt – auch für Propagandafotos.
Abgekratzte Stellen sind charakteristisch für viele Fotos von ehemaligen „Ostarbeitern“. In der Regel wurden einzelne Motive nach dem Krieg entfernt, um die kompromittierenden Fotos nicht im Familienarchiv aufzubewahren. Dies betraf meistens Nazi-Symbole oder Aufnäher mit der Aufschrift „OST“. Nicht unüblich war es auch, Hitler-Portraits auf Fotos zu entfernen (in diesem Fall oben links). (Irina Schtscherbakowa)
Galina Schalankowa
1942 mit 17 aus der Oblast Sumskaja (Ukraine) verschleppt. Arbeitete im Lager an einer Chemiefabrik bei Wittenberg (Sachsen-Anhalt).
„In diesem Lager wurden alle, die sich etwas hatten zuschulden kommen lassen, sofort geschlagen und so weiter. […] Als ich mir also die zwei Finger abgehackt hatte, um nicht an der Maschine arbeiten zu müssen, wurde ich ins Labor versetzt, als Putzfrau. Da haben sie [die anderen Arbeiterinnen] gesagt: ‚Galja, bring doch einen Viertelliter Alkohol mit, bitte doch deine Chefin. Und dann feiern wir Neujahr.‘ Wenn sie mich drum bitten, kann ich doch nicht nein sagen, es sind ja meine Freundinnen. Ich hatte einen Mantel, […] im Rockschoß [vom Mantel habe] ich den Viertelliter versteckt.Und dann – nicht alle werden am Kontrollpunkt durchgelassen, [es heißt]: du, du und du, raus zur Kontrolle. Auch ich war eine von denen [die überprüft werden sollten]. […] Eine Frau hat mich durchsucht. […] Ich sagte: ‚Schnaps.‘ Und sie: ‚Hm, ein Viertelliter. Wozu hast du den genommen?‘ ‚Um Neujahr zu feiern‘, sage ich. ‚Die Chefin hat ihn mir gegeben, ich habe ihn nicht gestohlen. Ich habe sie gefragt. Frau Kulta, ich sehe sie noch heute vor mir. Ich hatte zu ihr gesagt: ‚Gib uns einen Viertelliter Alkohol, dann können wir es wenigstens feiern, das neue Jahr.‘
Also wurden wir zur Seite genommen. Da waren noch ein paar junge Männer, die mit irgendwas erwischt worden waren. Das wars, Hände hoch. Man brachte uns zur Gestapo. Und damit wir nicht mit leeren Händen liefen, bekamen alle irgendetwas zum Tragen, einen Stuhl, eine Kiste, einen Baumstamm. Damit auch alle sehen, dass du etwas angestellt hast, und damit du dich gleichzeitig nützlich machst. Wir kamen […] in den Verhörraum, dort wurde alles aufgeschrieben, wer, was, warum. Und dann ging es weiter zur Gestapo, dorthin, in die Baracke, in diese Baracke kamen wir […] unter die Pritschen. Wir waren drei junge Frauen. Die Männer kamen natürlich woanders hin. Drei Tage ohne Essen und Trinken. Wir waren froh, dass sie uns nicht mit den Schlagstöcken geprügelt haben. […] Das wars. […] Sie können sich vorstellen, was für einen Hunger wir hatten.“ (Quelle)
Maria S., mit 23 Jahren verschleppt. Neujahr. Erlangen, Jahreszahl fehlt / Foto © Archiv von Memorial International. Fond 21. Akte Nr. 1256
Dieses Foto zeigt, wie Propagandabilder aufgenommen wurden: Der Fotograf verwendet zwei Scheinwerfer, die auf das Zentrum der Aufnahme gerichtet sind. Dort steht eine gut gekleidete junge Frau mit einem „OST“-Kennzeichen. Sie lächelt in die Kamera und nimmt einen Teller Suppe aus den Händen einer ebenso gut gekleideten Köchin entgegen. Viele „Ostarbeiter“ berichten darüber, dass sie gezwungen worden sind, für Fotos zu lächeln. Die Gesichter von Personen, die nicht von Anleuchtgeräten angestrahlt werden, haben einen auffallend anderen Ausdruck als die Gesichter derjenigen, die im Propagandabild sind. (Irina Schtscherbakowa)
Irina Schtscherbakowa, Koordinatorin der Bildungsprojekte von Memorial, Historikerin, Mitverfasserin des Buchs Für immer gezeichnet
In Deutschland gab es viele verschiedene Lager: Arbeitslager, Straflager für Kriegsgefangene und Konzentrationslager (die härtesten von allen). Die Stellung der „Ostarbeiter“ war ein klein wenig besser als jene der KZ-Häftlinge. Allerdings hing alles davon ab, wo sie lebten und arbeiteten: War es ein großes Lager, das zu einer Rüstungsfabrik gehörte, brauchten sie eine Genehmigung, um in die Stadt gehen zu dürfen. War es ein Haushalt, den sie besorgten, durften sie ruhig rausgehen, um Aufgaben zu erledigen (beispielsweise die Kinder von der Schule abzuholen). Aber sie durften nicht alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, sondern nur bestimmte Strecken damit fahren. Bis 1944 mussten sie das Kennzeichen „OST“ tragen: Wurden sie ohne angetroffen, wurden sie bestraft.
Im Großen und Ganzen behandelte man sie wie unbezahlte Arbeitskräfte. Der Lohn, den sie für ihre Arbeit bekamen, war so mickrig, dass sie höchstens eine Flasche Limonade dafür hätten kaufen können.
Natürlich gab es auch Deutsche, die Mitleid mit den „Ostarbeitern“ hatten und ihnen heimlich Stullen in der Fabrik daließen. Doch ein engerer Kontakt war durch die deutschen Gesetze strengstens untersagt. Freundschaftliche und erst recht Liebesbeziehungen wurden verfolgt. Bestraft wurden vor allem die „Ostarbeiter“, aber manchmal trafen die Strafen auch Deutsche – insbesondere bei Liebesbeziehungen, denn diese galten als ein Verstoß gegen die Rassengesetze.
Nach dem Kriegsende sollten die „Ostarbeiter“ gemäß dem Abkommen von Jalta durch die Alliierten an die sowjetische Regierung ausgeliefert werden. Aber schon bald unterbreiteten die Amerikaner den „Ostarbeitern“ das Angebot, nicht in die sowjetische Besatzungszone zu gehen. Viele nahmen das Angebot an und blieben in den Lagern, die nun der amerikanischen Besatzungsmacht unterstanden. Diejenigen, die aber zurückkehrten, mussten eine Filtration durchlaufen. Wenn ihnen außer der Verschleppung nach Deutschland nichts vorgeworfen wurde, bekamen sie eine Bescheinigung. Damit konnten sie per Militärtransport in die Heimat zurückkehren. Einige – nicht sehr viele – wurden zu Zwangsarbeit und in die Arbeitsarmee geschickt. Mehrere Jahre mussten sie am Wiederaufbau von Zechen und Elektrizitätswerken mitarbeiten.
Der Vermerk, für die Deutschen gearbeitet zu haben, war ein Makel in den persönlichen Akten der Menschen. Ehemalige „Ostarbeiter“ durften nicht in den Großstädten (Moskau, Leningrad, Kiew) leben, keine höhere Bildungsanstalt besuchen, nicht dem Komsomol oder der Partei beitreten.
Ein kleiner Prozentsatz der „Ostarbeiter“ wurde verhaftet und noch zwei Jahre nach der Rückkehr repressiert. Nach Stalins Tod besserte sich die Lage ein wenig, trotzdem fühlten sich die ehemaligen „Ostarbeiter“ als Menschen zweiter Klasse. Ihnen wurde zwar nicht vorgeworfen, das Vaterland verraten zu haben – andernfalls wären mehr als zwei Millionen zurückgekehrte Menschen in sowjetischen Lagern gelandet. Doch im Alltag hing immerzu der Verdacht über ihnen, sie hätten für den Feind gearbeitet.Da sich die „Ostarbeiter“ ausgestoßen und stigmatisiert fühlten, verheimlichten viele nach Möglichkeit ihre Biografie. Über sie und ihr Schicksal wurde nicht geschrieben. Dies änderte sich erst Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre. Damals begann die deutsche Regierung mit den Entschädigungsleistungen.
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Frauen im Großen Vaterländischen Krieg
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Bystro #24: Wie wird der Tag des Sieges in Belarus gefeiert?
Am 9. Mai wird in Belarus wie in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken der Tag des Sieges begangen. Auch in Minsk wird mit einer Parade an das Ende des Großen Vaterländischen Krieges, beziehungsweise des Zweiten Weltkriegs in Europa, und an den Sieg über den Faschismus erinnert. Zu dem Feier- und Gedenktag gehört auch, dass Veteranen am 9. Mai kostenlos Telefonate über den staatlichen Dienstleister Beltelekom führen können. Wie aber hat sich die Erinnerungskultur zum Tag des Sieges in den Jahren seit der Unabhängigkeit der Republik Belarus gewandelt? Wird die junge Generation von den sowjetischen Mythen überhaupt noch erreicht? Ein Bystro von Historiker Alexey Bratochkin in acht Fragen und Antworten.
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1. Wie wird der Tag des Sieges aktuell in Belarus begangen und wie hat sich das seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 verändert?
In den Jahren der Unabhängigkeit hat sich der politische Kontext der Erinnerung verändert: Das Erinnern in den Familien, das individuelle Gedenken entfernt sich immer weiter von der offiziellen Version, es ist nuancierter geworden und längst nicht mehr schwarz-weiß, auch wenn die Idee vom Sieg über den Faschismus weitergetragen wird.
Das offizielle Erinnern ist endgültig zu einem Stereotyp geworden, das nicht auf Veränderung ausgerichtet ist. Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 2020 lief in allen belarussischen Staatsmedien das Projekt Belarus erinnert sich, dessen Analyse zu verstehen hilft, was diese Erinnerung ausmacht: Betont werden die heroische, idealisierte Selbstaufopferung und die Heldentaten der Soldaten und Partisanen auf der einen, und die Tragödie der zivilen Bevölkerung auf der anderen Seite. Alle anderen Themen werden in keiner Weise kritisch oder realistisch beleuchtet (beispielsweise die Themen Kollaboration, Alltag unter der Besatzung, Holocaust und jüdischer Widerstand oder Kriegsgewalt auf beiden Seiten).
Die Erinnerung an den Krieg steht grundsätzlich nicht mehr im Zentrum des offiziellen Projekts, eine kollektiven Identität zu erschaffen, wie es in den 1990er Jahren und früher der Fall war. Sie bildet lediglich den Hintergrund für die Versuche, den Autoritarismus und seine Praktiken zu legitimieren. Denken wir beispielsweise an die Militärparade in Minsk zum 9. Mai 2020 – auf dem Höhepunkt der Corona-Epidemie, die von der Staatsmacht ja mehr oder weniger ignoriert wurde.
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2. Sie nutzen den Begriff Zweiter Weltkrieg. Ist Großer Vaterländischer Krieg nicht mehr gebräuchlich in Belarus?
In Belarus wird zwar immer noch vorwiegend der Begriff „Großer Vaterländischer Krieg“ verwendet, aber er gerät zunehmend in die Kritik und ist Gegenstand von Diskussionen. Der Feiertag wird ja auch mittlerweile zum großen Teil von Menschen begangen, die lange nach Kriegsende geboren sind. Man kann es so sagen: Die Verwendung des Begriffs „Zweiter Weltkrieg“ ist typisch für diejenigen, die sich von der sowjetischen Erinnerungskultur distanzieren wollen oder, wie die jüngere Generation, die Geschichte des Krieges von vornherein außerhalb des sowjetischen Kontextes wahrnehmen, als eine Geschichte, an der viele Länder beteiligt waren.
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3. Wie nehmen jüngere Generationen, die die Sowjetunion nicht mehr bewusst erlebt haben, diesen Gedenktag überhaupt wahr?
Die sowjetische Interpretation der Geschichte des Krieges hat sich in den Jahren der Unabhängigkeit gewandelt. Mittlerweile haben wir es mit einem Hybrid aus dem sowjetischen Narrativ und den Versuchen der Staatsideologen zu tun, dieses Narrativ zu nationalisieren. Es wird nicht mehr die sowjetische Identität der Kämpfenden betont, sondern die belarussische. Gleichzeitig werden alle unangenehmen Fragen ausgeblendet.
Auf junge Menschen wirkt das alles wie ein überholtes Ritual. Sie wollen eine „Belebung“ des Gedenkens, persönliche Geschichten, Offenheit, ein Verständnis für die Schattenseiten des Krieges. Die Erinnerung muss in für sie verständlichen Medien präsentiert werden – Youtube, Instagram, digitalen Projekten und so weiter, mit der Möglichkeit zur Interaktion. Die Jugend will die Geschichte des Krieges „von unten“ sehen, als Erzählung einer persönlichen Erfahrung, nicht als Ansammlung stereotyper Propaganda-Parolen.
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4. Inwiefern widerspiegeln kritische Haltungen gegenüber den aktuellen Machthabern andere Auffassungen von diesem Feiertag?
Natürlich wird in Belarus über verschiedene Interpretationen des Krieges gesprochen. Manche sehen in der Verehrung des Sieges eine spezifische Fortsetzung: die Rückkehr zum Stalinismus und seiner Vorkriegsatmosphäre. Manchen liegt die Idee von den zwei totalitären Systemen näher – dem nationalsozialistischen und dem sowjetischen und vor diesem Hintergrund dann die nationale Tragödie.
Mainstream in unserer Gesellschaft ist aber, dem Krieg die entscheidende Rolle für die Geschichte des 20. Jahrhunderts zuzuschreiben, für die Geschichte von Belarus und die kollektive Identität. Gerade deshalb hat die Gesellschaft den Machthabern lange alle Manipulationen verziehen – denn sie waren populistisch und verstärkten die Vorstellung vom Alleinanspruch auf Kriegserinnerung. Heute haben Manipulationen an der kollektiven Erinnerung einen gegenteiligen Effekt – man assoziiert das Regime mit den Manipulationen und nicht mit dem Bedürfnis nach Identität.
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5. Gerade der Mythos der „Partisanenrepublik“ war lange mit der Identität von Belarus verbunden. Welche Bedeutung hat dieser Mythos heute noch?
Der Mythos ist tatsächlich erhalten, obwohl man schwer sagen kann, was wir mit dem Wort Partisanen überhaupt meinen. Zum Beispiel gab es während der Proteste sogenannte „Cyberpartisanen“, die die Internetseiten der staatlichen Behörden zu hacken versuchten. Oder wenn wir über die „Partisanen“-Taktik der Proteste sprechen.
Ich denke, wichtig sind hier weniger die Bezüge zum Zweiten Weltkrieg, obwohl es sie gibt (und die Partisanen-Bewegung ist in diesem Zusammenhang eines der komplexesten Themen), sondern vielmehr der Gedanke, dass „wir das schaffen“, die Idee, ein Subjekt zu sein, aktiv zu sein, zu handeln.
Ich denke außerdem, dass man schon lange aufgehört hat, das Wort „Republik“ im sowjetischen Sinne zu gebrauchen – als Terminus, der ein Teilgebiet der UdSSR beschreibt und nichts mit der politischen Bedeutung von res publica zu tun hat: einer gemeinsamen Sache, mit Solidarität, den Werten politischer Teilhabe.
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6. Zeigt sich in den aktuellen Protesten eine politische Haltung der Bevölkerung, die möglicherweise der offiziellen Erinnerung zum Tag des Sieges kritisch gegenübersteht?
Die Proteste begannen im Zusammenhang mit politischem Betrug, sie hatten nichts mit der Interpretation der Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu tun. Die erste Massendemo fand nach dem 9. August 2020 statt, rund um das Museum des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk. Erst später ging das Regime dazu über, die Demonstrierenden fast schon zu Faschisten zu erklären, die die heiligen Werte mit Füßen treten würden – und bei allen späteren Protesten wurde das Museum durch das Militär abgeriegelt. Es war das Regime, das die Erinnerung an den Krieg instrumentalisierte. So versuchen die Ideologen der Staatsmacht, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg für den Kampf gegen die politische Opposition zu instrumentalisieren (wie schon Mitte der 1990er Jahre), indem sie die Proteste von 2020 und ihre Symbolik mit dem Kollaborationismus zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in Verbindung bringen.
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7. Der Holocaust, der Belarus nahezu vollständig seiner jüdischen Bevölkerung beraubte, gehörte eigentlich nie zur offiziellen Erinnerungskultur zum Tag des Sieges. Gibt es dahingehend Wandlungsprozesse?
Ich sehe heute keine einheitliche Erinnerungskultur, die für alle gelten würde. In den staatlichen Medien spielt das Thema Holocaust während der Feierlichkeiten zum 9. Mai eine untergeordnete Rolle. Es gibt zwar noch andere Gedenktage, die dem Holocaust gewidmet sind, aber selbst dann wird nicht viel darüber geschrieben. Ich denke, dieses Jahr werden sich die Staatsmedien darauf konzentrieren, den Kollaborationismus der Kriegszeit mit den Protesten in Verbindung zu bringen. Aber viele haben kein Interesse an den staatlichen Medien, sie informieren sich stattdessen zum Beispiel in den sozialen Netzwerken. Dort sieht man viele Fotos, Familiengeschichten, darunter auch Erinnerungen an den Holocaust. Aber das ist die Mikroebene des Gedenkens.
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8. Gibt es Debatten darüber, wie ein Tag des Sieges in Zukunft begangen werden könnte?
Öffentlich wird das Thema in Belarus kaum diskutiert. Ich erinnere mich zum Beispiel aber an die Präsentation der Publikation Kriegsgedenken als Event: Der 9. Mai 2015 im postsozialistischen Europa, die sich zum 70. Jahrestag des Kriegsendes mit dieser Frage beschäftigte. Darin wurden für alle betroffenen Länder verschiedene Szenarien gezeichnet: Dass der Feiertag zu „einem von vielen“ werden oder im Zuge der zunehmenden politischen Instrumentalisierung des Kriegsgedenkens in Belarus und Russland mehr und mehr profanisiert werden wird. Ich denke, die Instrumentalisierung des Gedenkens könnte auch zu einer Reaktualisierung der Erinnerung führen und den gegenteiligen Effekt haben, dass es da noch Diskussionen geben wird. Der Einsatz von Militärtechnik beispielsweise während der Niederschlagung der Proteste in Minsk hat eine große Debatte darüber ausgelöst, inwiefern wir die Erfahrung der Gewalt in unserem Land historisch reflektiert haben, unter anderem auch die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs.
*Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.
Text: Alexey Bratochkin
Übersetzerin: Jennie Seitz
Veröffentlicht am 06.05.2021Weitere Themen
„Wir brauchen keine starken Anführer – wir brauchen eine starke Gesellschaft“
„Die Belarussen sind wirklich aufgewacht!“
Und jetzt kehren wir zum normalen Leben zurück?
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