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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Bilder vom Krieg #10

    Bilder vom Krieg #10

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Maxim Dondyuk

    Dieser Junge war eines der ersten Kinder, die Opfer der russischen Bombenangriffe auf Kyjiw wurden. Seine Eltern und seine Schwester kamen während eines Bombenangriffs ums Leben. Der Junge wurde schwer verwundet ins Kinderkrankenhaus gebracht. Da die Ärzte seinen Namen zunächst nicht kannten, führten sie den Patienten als „Unbekannter #1“ / Foto © Maxim Dondyuk, 28.02.2022, Kyjiw

    Maxim Dondyuk
    „Dieser Junge steht für tausende von Kindern, die getötet werden“

    [bilingbox]Es war die zweite Nacht, nachdem Russland seinen großflächigen Angriffskrieg begonnen hatte, als dieses Foto entstand. Es zeigt das erste Kind in Kyjiw, das Opfer der russischen Bombenangriffe wurde. Der Junge, sechs Jahre alt, geriet im Zentrum von Kyjiw unter Bombardement, er war zusammen mit seinem Vater, seiner Mutter und seiner Schwester im Auto. Seine gesamte Familie starb noch vor Ort. Der Junge wurde auf die Intensivstation gebracht. Er hatte keine Dokumente bei sich, da seine Eltern direkt in die Leichenhalle eines ganz anderen Krankenhauses gebracht worden waren. Keiner kannte den Namen des Jungen oder sein Alter, so nannte man ihn einfach „Unbekannter #1“. 

    Der Arzt wollte erst nicht, dass ich dieses Foto mache. Aber ich sagte: Wir müssen das zeigen. Wir müssen zeigen, was Russland tut. Sie töten nicht nur Soldaten in diesem Krieg, sondern auch Familien und Kinder. Dieser Junge steht für tausende von Kindern, die getötet werden. Als der Arzt die Decke abnahm, sah der Junge aus wie Christus. Es war so symbolisch. Erst nach ein paar Tagen teilten mir die Ärzte mit, dass er Semjon hieß und am Tag, nachdem ich das Foto gemacht hatte, verstorben war. Für mich zeigt dieses Bild das Gesicht des Krieges.

    Manchmal fragen mich Leute, warum ich mich entschieden habe, Kriegsfotograf zu sein. Die Wahrheit ist, dass ich keiner bin und auch nie einer sein wollte. Aber dies ist mein Land, und ich habe das Gefühl, es ist meine Pflicht, diesen historischen Moment einzufangen für die Gegenwart und für die Zukunft. Es ist sehr schwer, den Krieg zu dokumentieren, wenn er in deinem Land stattfindet, in deiner Stadt, wenn deine Freunde dabei ums Leben gekommen sind, wenn Russland deine Stadt eingenommen hat, wenn du all das siehst. Es ist völlig anders, als wenn du von einem anderen Land in einen Krieg kommst und dann wieder zurückkehrst.
    Du fühlst dich traurig, du spürst Aggression sogar gegenüber der ganzen Welt. Warum passiert uns das, warum macht irgendein großes Land einfach, was auch immer es möchte, und das nun schon seit fast einem Jahr. Und all dieser Schmerz, all diese Gefühle, sie wiegen sehr schwer, sie sind zerstörerisch. Ich lege meine Gefühle in die Fotografie. All diese Erfahrungen – Wut, Angst, Enttäuschung, Schmerz, Tränen, Freude. So werden Fotografien mit Leben gefüllt. Je mehr Gefühle du erfährst, desto stärker wird deine Kunst, sei es Fotografie, Malerei, Literatur oder Musik. Deswegen kann objektiver Fotojournalismus, der jede Subjektivität und jegliche Gefühle leugnet, sehr oft einfach langweilig sein – informativ, aber ohne emotionalen Aspekt.

    Meistens nutze ich zwei unterschiedliche Bildsprachen, um den Krieg abzubilden. Für mein persönliches Projekt, ein Buch oder Ausstellungen, verwende ich eine poetische, wenn man so will ästhetischere Bildsprache. So können die Menschen in das Bild eintauchen, eine längere Zeit darüber sinnieren. Ich möchte, dass sie nachdenken, sich etwas vorstellen, wahrnehmen. Denken Sie mal an Schlachtenbilder in Museen – die eignen sich nicht für schnelles Draufgucken. 
    Aber wenn ich für eine Zeitschrift arbeite, dann versuche ich zu schockieren. Denn die Leser haben nur eine Sekunde und ich versuche, einfach – BAMM, sie zu stoppen, zum Innehalten zu bewegen. Es soll wie ein Schrei sein, mittels der Farbe oder der Bildkomposition.~~~It was the second night after Russia started the full-scale invasion when I took this picture. It shows the first affected child in Kyiv from bomb attacks by Russia. He, a child 6 years old, fell under the shelling in the center of Kyiv, in the car with his father, mother, and sister. His whole family died right there. The boy was taken to intensive care. He was without documents since his parents were sent immediately to the morgue, to a completely different hospital. No one knew the boy’s name or his age, that’s why he was simply called the “Unknown #1”. First, the doctor didn’t want me to take this picture. But I said, we have to show this. We have to show what Russia is doing, killing not only soldiers but also families and children in this war. This boy stands for thousands of children being killed. When the doctor removed the blanket, the child looked like Christ. It was so symbolic. Only after a couple of days, the doctor told me, his name was Semyon, and he passed away the day after I took this picture. To me, this picture shows the face of war. 

    Sometimes people ask me why I decided to be a war photographer. The truth is I’m not and never intended to be. But this is my country now and I feel that this is my duty to capture this historical moment for the present and the future. It is very difficult to document the war when it happened in your country, in your city, when your friends died, when Russia captured your city, when you see all this. It’s completely different than when you come to war from another country and then return back. You feel sad, you even feel aggression towards the whole world, why this happened to us, why some big country is doing whatever it wants and has been doing it for almost a year now. And all this pain, all these emotions, they are very heavy, they are destructive. I put my emotions into photography. All that I experience – anger, fear, disappointment, pain, tears, joy. Thus, photographs are filled with life. The more you experience any feelings, the stronger your art, whether it be photography, paintings, literature, or music. That’s why very often objective photojournalism, which denies subjectivity, and emotions, can be simply boring, informative, but without an emotional aspect.

    Mostly I use two different visual languages covering the war. For my personal project, for the book or exhibitions, I use more poetic, aesthetic (if you want so) language, so people could immerse in the photograph, and contemplate it for a long period of time, I want them to think, to imagine, to perceive. Think of battle scenes in museums – these are not for a rush viewing. But working for a magazine, I try to shock because their readers have only 1 second and I try to just, boom, make them stop. It should be like screaming, with color or with some composure.[/bilingbox]

    Foto: Maxim Dondyuk
    Gesprächsprotokoll und Übersetzung aus dem Englischen: Tamina Kutscher
    Konzept und Bildredaktion: Andy Heller
    Veröffentlicht am 21.02.2023

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  • Bilder vom Krieg #9

    Bilder vom Krieg #9

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Sebastian Wells und Vsevolod Kazarin

    Links: Nach massiven Raketenangriffen auf die kritische Infrastruktur in der Ukraine kommt es im gesamten Land immer wieder zu Stromausfällen und Ausfällen der Wasserversorgung. Kyjiw, 24.11.2022. Rechts: Denys. Kyjiw, 04.12.2022. Fotos © Vsevolod Kazarin und Sebastian Wells/Ostkreuz

    SEBASTIAN WELLS
    „Es hat sich nicht richtig angefühlt, zu fotografieren, ohne viel über die ukrainische Kultur zu wissen“

    Seit meiner ersten Reise nach Kyjiw im April 2022 ist die Stadt wie zu einer zweiten Heimat für mich geworden. Es ging mir darum, die Ukraine und den Krieg besser zu verstehen und herauszufinden, welche Rolle ich als Fotograf in einer solchen Situation haben kann – dabei wollte ich auf keinen Fall in Kampfgebiete. Ich konnte viele Menschen kennenlernen und Freundschaften schließen. Zum Beispiel mit Vsevolod Kazarin, mit dem ich dieses Foto von Denys zusammen aufgenommen habe, und auch fast alle anderen Bilder, die in der Ukraine entstanden sind. Denys ist inzwischen 25 Jahre alt und kommt aus Donezk. 2016 floh er als Teenager aus der Stadt. Doch er wollte sie nicht sang- und klanglos verlassen, sagt er. Zusammen mit einem Freund, einer blauen und einer gelben Spraydose und einer Gesichtsmaske bewaffnet, lief er um 4 Uhr morgens zum Lenin-Denkmal im Stadtzentrum. Auf einem der am besten bewachten Orte der Stadt sprühten die beiden eine ukrainische Flagge auf den Sockel der großen Statue. Die beiden rannten zu einem Taxi, fuhren zum Bahnhof und erst nach Charkiw, dann nach Kyjiw. 

    „Wir waren naive Jugendliche“, sagt er dazu heute. „Erst im Nachhinein ist mir bewusst geworden, wie gefährlich das war.“ Sie filmten ihre Aktion, die ein YouTube-Hit wurde – was für Denys zweifelsohne harte Konsequenzen seitens der russischen Besatzungsverwaltung haben könnte, würde er jetzt nach Donezk zurückkehren. Dann war er ganz allein in Kyjiw – im Winter, ohne Geld, ohne Arbeit, ohne Netzwerk. Fünf Jahre brauchte er, um in der Hauptstadt anzukommen. Heute hat er einen Vintage-Laden und ein Tattoo-Studio im Zentrum von Kyjiw. Von seiner Mutter, die noch in Donezk wohnt, hört er, dass sie dort nur noch einmal in der Woche Wasser haben und dass fast keine Männer mehr arbeiten, weil die meisten im Militär sind – oder bereits an der Front gestorben.

    Während meiner Reisen nach Kyjiw habe ich nicht viel fotografiert, aber dafür umso mehr gelernt. Vor allem über die vielseitige Kunstgeschichte des Landes, die in den Breitengraden, in denen ich aufgewachsen bin, fast keine Rolle spielt – obwohl einst im selben Ostblock befindlich.

    Es hat sich oft nicht richtig angefühlt, den Alltag zu fotografieren, ohne viel über die ukrainische Kultur zu wissen. Aus der Zusammenarbeit mit Vsevolod ist ein Magazin entstanden: soлomiya. Wir wollten eine Publikation machen, die sowohl für Ukrainer*innen als auch für Menschen in mittel- und westeuropäischen Ländern interessant ist. Das verbindende Mittel dabei ist der Fokus auf junge Menschen und künstlerische Ausdrucksformen. Inzwischen machen wir ein Crowdfunding für die zweite Ausgabe. Ein positives Gefühl in einem ansonsten durch und durch grässlichen Krieg.

     

     

    SEBASTIAN WELLS
    Sebastian Wells ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Als Mitglied des Berliner Fotografenkollektivs Ostkreuz und Künstler der Galerie Springer. Er arbeitet im Auftrag und an eigenen Projekten als Dokumentarfotograf. Er studierte Fotografie an der Ostkreuzschule in Berlin, der FH Bielefeld und der KASK School of Arts in Gent.

    VSEVOLOD KAZARIN
    Vsevolod Kazarin ist ein junger Fotograf, der an künstlerischen, redaktionellen und kommerziellen Projekten arbeitet. Er wurde in der Region Luhansk geboren und wuchs in einem Vorort von Kyjiw auf, wo er derzeit lebt. Nach einem Bachelor-Abschluss in Fotografie an der Kyiv National University of Culture and Arts arbeitete er hauptsächlich in der Modefotografie

    GEMEINSAME AUSSTELLUNGEN 
    2022 Artist Talk and Group Exhibition, soлomiya № 1, Galerie Springer, Berlin
    2022 Group Exhibition, soлomiya № 1, Feldfünf Projekträume, Berlin


    Fotos: Sebastian Wells/Ostkreuz, Vsevolod Kazarin
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Veröffentlicht am 12.01.2023

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    Fototagebuch aus Kyjiw

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    Bilder vom Krieg #8

  • Boris Mikhailov – Foto-Chronist der Ukraine

    Boris Mikhailov – Foto-Chronist der Ukraine

    Eine umfassende Retrospektive des ukrainischen Fotografen Boris Mikhailov ist noch bis 15. Januar im Pariser Maison Européenne de la Photographie (MEP) zu sehen: Journal ukrainien – Ukrainian Diary umfasst 800 Fotografien. Mikhailov, der aus dem ostukrainischen Charkiw stammt, widmet diese Ausstellung der Ukraine und allen, „die unter dem heimtückischen und unerklärlichen Angriff auf unser Land leiden“. Kunstkritiker Anton Dolin hat sie für Meduza besucht. 
     

    Aus der Serie Luriki (Colored Soviet Portrait), 1971-85. Schwarz-Weiß-Fotografie, handcoloriert, 81 x 61 cm / © Boris Mikhaïlov, Collection Pinault / Courtesy Guido Costa Projects, Orlando Photo

    Heute, da alle Augen auf die Ereignisse in der Ukraine gerichtet sind, könnte man in der umfassenden Retrospektive des Fotografen Boris Mikhailov eine opportunistische Geste sehen. Doch der 84-jährige Charkiwer gilt längst – spätestens seit Anfang der 1990er Jahre – als lebender Klassiker und als ein Genie, das die Fotografie neu gedacht hat. Von allen Preisträgern des renommierten Hasselblad Foundation Awards (so etwas wie der Nobelpreis für Fotografie), stammt er als Einziger aus dem postsowjetischen Raum. Boris Mikhailov hat sein Leben lang die geltenden Regeln und Normen in Frage gestellt – erst die der Sowjetunion, und dann die der ganzen Welt.

    Ein Genie, das die Fotografie neu gedacht hat

    Mehr als ein halbes Jahrhundert hat Mikhailov in der UdSSR verbracht, dann ging er nach Deutschland, wo er auch heute noch lebt. Er bezeichnet sich jedoch ausschließlich als Ukrainer. Und wer würde ihm da widersprechen.

    Er dokumentierte den Zerfall der Sowjetunion und die ersten Jahrzehnte der ukrainischen Unabhängigkeit so schonungslos und poetisch wie kein anderer. Mikhailov fasst seine Bilder stets in Zyklen oder Serien zusammen: U Semli (Am Boden, 1991) ist inspiriert von Gorkis Na dne (dt. Am Boden bzw. Nachtasyl – Szenen aus der Tiefe). Sumerki (Dämmerung, 1993) wirkt wie durchdrungen von blauem Dunst. Das monumentale Promsona (dt. Industriegebiet, 2011) entstand im Donbass. Und Tschai, Kofe, Kaputschino (dt. Tee, Kaffee, Cappuccino, 2000–2010) ist eine scharfsichtige Chronik des postsowjetischen Chaos in seiner Heimatstadt Charkiw.

    Mikhailov hat sein Leben lang die geltenden Regeln und Normen in Frage gestellt – erst die der Sowjetunion, und dann die der ganzen Welt

    All diese Bilder sind noch bis 15. Januar 2023 in der Pariser Retrospektive zu sehen. Nach einem Besuch der Ausstellung scheint es, als könnte man die Funktionsweise der Ukraine in den vergangenen Jahrzehnten nur verstehen, wenn man sich Mikhailovs Aufnahmen anschaut – schonungslos und zärtlich zugleich.

    In der UdSSR dokumentierte Mikhailov unermüdlich die sapreschtschjonka – also alles, was verboten war (russ. sapret – Verbot). Weil man bei ihm Aktaufnahmen fand, verlor er seine Arbeit als Elektroingenieur. Er war immer darauf aus, das Unscheinbare, Ungeschönte – scheinbar Zufällige – aufzuspüren und sichtbar zu machen. In der Fotoserie Luriki (1971–1985) kolorierte und „verschönerte“ Mikhailov wiederum fremde Familienfotos. Und in SozArt (1975–1985) hübschte er auf diese Weise seine eigenen Reportagefotos von Demonstrationen und anderen offiziellen Veranstaltungen auf.

    Sehr eindrucksvoll ist die Krassnaja serija (dt. Rote Serie, 1968–1975), die die offiziöse Sowjetwelt als ein Sammelsurium von wunderlichen Sonderlingen und Monstern à la Hieronymus Bosch zeigt. So ist Mikhailov bereits in seinen frühen Arbeiten ohne viele Worte mit seinen Zeitgenossen in einen Dialog über Ästhetik und Zweck der Kunst getreten.

    Die Bruchstelle zwischen Sein und Bewusstsein spürt der Fotograf in der Serie Soljanyje osera (dt. Salzseen, 1986) auf. Sie zeigt Urlauber in der Gegend bei Slowjansk: Das Wasser des Stausees, in den die umliegenden Fabriken ihre giftigen Abfälle kippten, hielten die Menschen ganz aufrichtig für heilsam, seinem Schlamm schrieben sie Wunderqualitäten zu. Doch Mikhailovs Bandbreite erschöpft sich bei weitem nicht im grotesken Verlachen des einfachen Bürgers. Die Serie Tanzy (Tanz, 1978) dokumentiert eine Tanzveranstaltung im Charkiwer Stadtpark mit so viel Liebe und Ehrfurcht, dass man die müden, zerknitterten, vom Dauerstress zermürbten Helden dieser Bilder sofort umarmen möchte.

    Mikhailovs gesammeltes Werk umfasst auch Arbeiten, die den Ereignissen auf dem Maidan gewidmet sind. In der höchst beeindruckenden Serie Teatr wojennych deistwi. Akt II. Antrakt (dt. Kriegsschauplatz. 2. Akt. Pause, 2013–2014) wirkt es, als würde er die Tatsachen heranzoomen, ihnen einen neuen Maßstab verleihen.

    Die Pariser Ausstellung trägt nicht zufällig den Titel Ukrainisches Tagebuch: Ein eigener Saal ist Mikhailovs Fototagebuch gewidmet, das er schon sein ganzes Leben führt. Hier sind die Serien nicht chronologisch angeordnet – das liegt daran, dass viele der Bilder im Laufe von 20 bis 30 Jahren entstanden sind.

    Als könnte man die Funktionsweise der Ukraine in den vergangenen Jahrzehnten nur verstehen, wenn man sich Mikhailovs Aufnahmen anschaut – schonungslos und zärtlich zugleich

    In der Exposition mischt sich das Epische mit dem Lyrischen. Auf der einen Seite ist da der Zyklus Soljanyje osera, auf der anderen – der Krymski snobism (Snobismus auf der Krim, 1982), in dem der Künstler voller Selbstironie seine eigenen, ganz orthodox-sowjetischen Ferien am Meer zeigt. Auf der einen Seite das metaphysische Wjaskost (dt. Klebrigkeit, 1982), dessen Titel allein schon den Geist des Stillstands atmet, auf der anderen – das avangardistische Neokontschennaja dissertazija (dt. Unvollendete Dissertation, 1984), in dem Mikhailov eine unfertige wissenschaftliche Arbeit, die jemand weggeworfen hat, als Ready-Made benutzt und die Seitenränder mit wie zufälligen Fotos und philosophischen Kommentaren spickt.

    Ein eigener Raum ist der Skandal-Reihe Istorija bolesni (dt. Krankengeschichte, 1997–1998) gewidmet: Sie zeigt Portraitaufnahmen von Obdachlosen, die durch Mikhailovs Kameraobjektiv an die tragischen Helden von Caravaggio oder Rembrandt erinnern. Von manchen provokanten Arbeiten möchte man den Blick abwenden, aber es geht nicht – sie brennen sich augenblicklich ins Gedächtnis ein, verbleiben dort wie Narben. Die Fähigkeit, das Sakrale im Profanen zu sehen, das Ergreifende im Abstoßenden, das Schöne im Hässlichen – das ist es, woran man ein großes Talent erkennt.

    Die provokante Serie von Selbstportraits Ja ne Ja (dt. Ich bin nicht Ich, 1992), in der der Künstler nackt mit Dildos vor der Kamera posiert, ist im Stil eines Slapstick-Stummfilms gehalten. Oder die nach heutigem Maßstab noch gewagtere Serie Esli by ja byl nemzem (dt. Wenn ich Deutscher wäre, 1994): Mikhailov richtet die Kamera mit derselben bestechenden Ehrlichkeit und demselben vernichtenden Sarkasmus auf sich selbst wie auf seine Umgebung.

    Letzten Endes lässt sich das Subjektive nicht vom Objektiven trennen, deshalb dokumentiert ein wahrer Fotograf die Wirklichkeit immer in dem gleichen Maße, in dem er sie bricht. Hervorragend illustriert wird dieser Gedanke in der Dia-Show Wtscheraschni Buterbrod (dt. Butterbrot von gestern, 1960er–1970er Jahre), in dem „mangelhafte“, ausgemusterte Aufnahmen sich zum psychedelischen Soundtrack von Pink Floyd abwechseln und plötzlich eine unerwartete, oft frappierende Schönheit entfalten.

    Den Schlussakkord der Ausstellung bildet eine weitere Dia-Show: das prophetische Ispytanije smertju (dt. Prüfung durch Tod, 2014–2019), das von der modernistischen Architektur eines sowjetischen Krematoriums inspiriert ist.

    Die Ausstellung präsentiert die künstlerische Biografie des Fotografen als von einer Idee durchdrungen, die besonders heute wichtig und wertvoll ist: Mikhailov zeigt, wie komisch, verletzlich und unvollkommen der menschliche Körper, der Krankheit und Alter unterworfen ist, sein kann. Und doch ist er stärker als die vermeintliche Unerschütterlichkeit ideologischer Konstrukte und der Schönheitsideale, die sie propagieren.

    Die Bilder des Maidan fügen sich in diesen Gedanken gut ein: Sie handeln nicht von einem mystischen „Volk“, sondern von Menschen, die in der Lage sind, Trugbilder zu besiegen, allen voran den Mythos von der großartigen sowjetischen Vergangenheit. Mikhailov ist im Laufe seines langen Lebens Zeuge verschiedener Epochen geworden. Es bleibt zu hoffen, dass er bald das Ende des Krieges dokumentieren wird, der jetzt in seiner Heimat, der Ukraine, geführt wird.  

           

    Aus der Serie Luriki (Colored Soviet Portrait), 1971-85. Schwarz-Weiß-Fotografie, handcoloriert, 61 x 81 cm / © Boris Mikhaïlov, Collection Pinault / Courtesy Guido Costa Projects, Orlando Photo
    Aus der Serie Wtscheraschni Buterbrod, 1966-68. C-Print, 30 x 45 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie
    Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Wtscheraschni Buterbrod, 1966-68. C-Print, 30 x 45 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie
    Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Black Archive, 1968-1979. Schwarz-Weiß-Fotografie, 24 x 18 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn /
    Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Black Archive, 1968-1979. Schwarz-Weiß-Fotografie, 24 x 18 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn /
    Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Wjaskost, 1982. Schwarz-Weiß-Fotografie, Buntstifte, 30 x 18 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Tanzy, 1978. Silbergelatine-Abzug, 16,2 x 24,5 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Tanzy, 1978. Silbergelatine-Abzug, 16,2 x 24,5 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Krassnaja serija, 1968-75. C-Print, 45,5 x 30,5cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Erworben mit Hilfe des Art Fund (mit Unterstützung der Wolfson Foundation) und Konstantin Grigorishin, 2011
    Aus der Serie Krassnaja serija, 1968-75. C-Print, 45,5 x 30,5cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Erworben mit Hilfe des Art Fund (mit Unterstützung der Wolfson Foundation) und Konstantin Grigorishin, 2011
    Aus der Serie Krassnaja serija, 1968-75. C-Print, 45,5 x 30,5cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Erworben mit Hilfe des Art Fund (mit Unterstützung der Wolfson Foundation) und Konstantin Grigorishin, 2011
    Aus der Serie , 1991. Silbergelatine-Abzug, Sepia getönt, 11,5 x 29,5 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    National Hero, 1991. C-Print, 120 x 81cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Sumerki, 1993. C-Print, 66 x 132,9 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Sumerki, 1993. C-Print, 66 x 132,9 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Ja ne ja, 1992. Silberabzug, 30 x 20 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Krymski snobism, 1982. Silberabzug, Sepia getönt, 15 x 20 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Erworben durch Finanzierung des Russia and Eastern Europe Acquisitions Committee und des Photography Acquisitions Committee, 2016
    Aus der Serie Krymski snobism, 1982. Silberabzug, Sepia getönt, 20 x 15 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Erworben durch Finanzierung des Russia and Eastern Europe Acquisitions Committee und des Photography Acquisitions Committee, 2016
    Aus der Serie Krymski snobism, 1982. Silberabzug, Sepia getönt, 20 x 15 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Erworben durch Finanzierung des Russia and Eastern Europe Acquisitions Committee und des Photography Acquisitions Committee, 2016
    Aus der Serie « Salt Lake », 1986. C-Print, Sepia getönt, 75,5 x 104,5 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Soljanyje osera, 1986. C-Print, Sepia getönt, 75,5 x 104,5 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Tschai, Kofe, Kaputschino, 2000–2010. C-Print, 25,5 x 80 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Tschai, Kofe, Kaputschino, 2000–2010. C-Print, 25,5 x 80 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Teatr wojennych deistwi, 2013. C-Print / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Teatr wojennych deistwi, 2013. C-Print, 130 x 180 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Teatr wojennych deistwi, 2013. C-Print / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Istorija Bolesni, 1997–1998. C-Print, 172 x 119 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Serie Istorija Bolesni, 1997–1998. C-Print / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris
    Aus der Tagebuch-Serie, 1973–2016. Schwarz-Weiß-Fotografie, Buntstifte, 29,7 x 21 cm / © Boris Mikhaïlov, VG Bild-Kunst, Bonn / Courtesy Galerie Suzanne Tarasiève, Paris

    Original: Meduza
    Fotos: Boris Mikhailov
    Text: Anton Dolin
    Übersetzung: Jennie Seitz
    Bildredaktion: Andy Heller
    Veröffentlicht am: 01.12.2022

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    Fototagebuch aus Kyjiw

  • Bilder vom Krieg #8

    Bilder vom Krieg #8

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Anastasia Taylor-Lind

    Anna Dedowa, 75, am Grab ihres Sohnes, der sich versehentlich mit einer Handgranate getötet hat, die er in der Nähe seines Hauses in Optyne, einem Dorf in der Region Donezk, gefunden hatte. Dieser Besuch am Grab im Jahr 2019, der von einem dort ansässigen Aktivisten organisiert wurde, ist ein seltenes Ereignis für sie. Denn der Friedhof liegt zwischen Awdijiwka und Donezk und ist wegen der Kämpfe und Landminen kaum zugänglich. Opytne, Juli 2019 / Foto © Anastasia Taylor-Lind

    Anastasia Taylor-Lind
    „Diese Menschen haben auch ein Leben jenseits des Krieges“

    [bilingbox]Ich arbeite jetzt seit acht Jahren im Donbass, immer zusammen mit der Autorin Alisa Sopova, die aus der Stadt Donezk stammt. Wir haben uns 2014 in Swjatohirsk kennengelernt, als Alisa dort als Übersetzerin arbeitete. Mittlerweile lebt sie in den USA und promoviert in Anthropologie an der Princeton Universität.
    Ich bin die Autorin dieser Fotografie und im Grunde ist Alisa die Co-Autorin, da wir unsere Berichterstattung für das Projekt 5K from the frontline immer zusammen gemacht haben. Derzeit ist es im Imperial War Museum in Manchester ausgestellt und wird im Februar 2023 nach London wandern.

    Die letzten fünf Jahre haben wir immer wieder dieselben Familien und Gemeinden besucht, die manchmal nur 30 Meter von militärischen Stellungen entfernt lebten. Die meisten Menschen, die wir kennen, sind inzwischen von zu Hause geflohen und zu Binnenflüchtlingen geworden. Einige Männer sind zur Armee gegangen.

    Das Bild von Anna ist aus dem Jahr 2019. Es war ihr erster Besuch am Grab ihres Sohnes. Der Sohn hatte eine Granate in seinem Garten gefunden, sie aufgehoben und wurde getötet. Der Friedhof selbst liegt inmitten eines Minenfelds. Tatsächlich gelangt man nur über eine schlammige Straße und dann über ein schwer vermintes Feld nach Opytne.

    Ich habe mehrere Menschen fotografiert, die gekommen waren, um die Gräber zu besuchen und zu pflegen. Wir haben uns dann entschieden, uns auf die Geschichte von Anna zu konzentrieren. Typischerweise fängt Alisa an, eine Geschichte zu schreiben, dann zeige ich ihr die Fotos und dann kombinieren wir die Wörter und Fotos und publizieren sie in den Sozialen Medien unter dem Hashtag #5Kfromthefrontline.

    Wie immer bei kreativer Zusammenarbeit, ist die Urheberschaft von Text und Fotos eher fluide. Außerdem haben wir zwei Perspektiven: die Innensicht und die Außensicht.

    Ich lebe in einem Land, wo meine Familie seit einer Generation nicht direkt betroffen ist von Krieg. Mich interessiert sehr, wie wir Geschichten vom Krieg erzählen können auf eine Art, die Menschen bewegt, die das nie erlebt haben: Wie können wir Menschen helfen sich vorzustellen, wie es wäre, wenn Krieg heute hierher kommen würde, auf die Straße draußen vor meinem Fenster? Welche Dinge würde ich mitnehmen, wie würde auch mein Hund ins Auto passen? Zum Beispiel.

    Alisa dagegen kommt aus der Stadt Donezk, musste 2014 zu Beginn des Konflikts fliehen und lebt jetzt in einem anderen Land. Aus dieser Perspektive, treibt sie – und im Ergebnis auch mich – die Frage um, wie wir diese Menschen respektvoll und nicht als andersartig zeigen können? Sobald der Krieg irgendwo hinkommt, wird das Leben der Menschen ziemlich schnell unangenehm und hässlich, doch das heißt nicht, dass wir die Menschen so zeigen müssen. Sie sind nicht nur Opfer des Krieges, sondern auch Menschen mit einer Biographie und einem Leben jenseits des Krieges.

    Auch hinsichtlich unseres Publikums gibt es Dualität: Diese Bilder sollen von  Menschen betrachtet werden, die nicht wissen, was und wie Krieg ist. Aber wir wollen auch, dass die Menschen auf unseren Fotos diese Bilder sehen und sich darin wiedererkennen. 

    Fotografen können keine Kriege beenden. Aber natürlich spielen sie eine Rolle darin, besonders die Fotojournalisten. Letzten Monat war ich in einem Pressebüro in Charkiw und einer der Pressereferenten sagte mir, dass seit der russischen Invasion mehr als 7000 Presseakkreditierungen ausgegeben worden seien. Das ist nicht genug. Wir brauchen mehr als 7000 Journalisten, die die Geschichten erzählen, was in dem Land geschieht. So funktioniert das natürlich nicht – aber wenn man jede kleine Siedlung, die angegriffen wurde, nehmen und einen Fotografen, einen Schriftsteller und einen Fernsehjournalisten dorthin schicken würde, hätten wir nicht genug Journalisten. Es gibt so viele wichtige Geschichten zu dokumentieren – für die Nachrichten und als historische Dokumente.~~~„These are people with lives that extend beyond the events of war“

    I’ve been working in Donbas for eight years, always together with writer Alisa Sopova, who is herself from Donetsk city. We met in 2014 in Sviatohirsk back when Alisa was working as a translator. She now lives in the United States where she is finishing an anthropology PHD at Princeton University.

    I am the author of this photograph and Alisa is the co-author since we made all our reporting together for this project 5K from the frontline. It is currently exhibited at the Imperial War Museum in Manchester and touring to London in February 2023.
    Over the last five years we visited the same families and communities who lived sometimes as close as 50 meters from military positions. The largest battle in Europe since WW2 is currently taking place in Donbas. Most of the people we know have fled their homes and become IDPs. Some men have joined the military.  
    This picture of Anna is from 2019. It was the first time she’s visited her son’s grave. Her son found a grenade in his garden, picked it up, and was killed. And the graveyard itself lies in a minefield. In fact, you had to drive along a mud track, through a field that is heavily mined, in order to get to Opytne itself. 

    I photographed different people visiting and cleaning the graves, and we decided to focus on the story of Anna. Typically Alisa starts writing stories and then I show her the photographs and we match up these words and photographs to publish on social media with the hashtag #5Kfromthefrontline.

    As with all creative collaborations, in terms of authorship over the text and the photographs, there is some fluidity. And we have two perspectives: the insider and the outsider. 
    I live in a country where war hasn’t directly affected my family for one generation. And I am very interested in how we can tell war stories in a way that is engaging for people who’ve never experienced it. How we can help people imagine, what it might be like if war arrived here today, on the street outside my window? What of my things would I pick up and carry with me, how would I get the dog in the car too? for example.

    Whereas Alisa is from Donetsk city and had to flee at the start of the conflict in 2014 and now lives in another country. From that perspective, what she thinks very carefully about – and as a result, I do too – is how do we represent these people in a way that’s respectful and not othering? As soon as war arrives in a place, people’s lives become miserable and ugly pretty quickly, but that doesn’t mean we have to depict individuals in that way. They are not only victims of war, but also a person with a biography and a life that extends beyond the events of that war. 
    There’s also duality in terms of our audience: We want people who don’t know what war is like to see the pictures, but we also want the people in our photographs to see them and to recognize themselves in these images.

    Photographers can’t stop wars. But they certainly have a part to play in them, especially photojournalism. I was at a press office in Kharkiv last month and one of the press officers told me there have been more than 7000 journalist accreditations given out since the full scale Russian invasion. It’s not enough. We need more than 7000 journalists to tell the stories of what is happening in the country. I mean, of course, it doesn’t work like this but if you took every small settlement that had been attacked and assigned one photographer and one writer and one TV journalist to go there, we don’t have enough journalists. There are so many important stories to record – for the news and as historical documents.[/bilingbox]

    ANASTASIA TAYLOR-LIND

    ist eine britisch-schwedische Fotojournalistin, die über Frauen, Krieg und Gewalt berichtet. Sie fotografiert für das National Geographic Magazine, sie ist TED Fellow und Harvard Nieman Fellow 2016. Anastasia schreibt Gedichte über aktuelle Konflikte und über Erfahrungen, die sie nicht fotografieren kann. 

    BÜCHER UND AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL)
    UPCOMING  – Ukraine: Photographs from the frontline, IWM, London (ab 07.02.2023)
    ONGOING – Ukraine: Photographs from the frontline, IWM, Manchester (14.10.22-02.01.23)
    2022 – One Language [Gedichtband]
    2014 – MAIDAN – Portraits from the Black Square 

    PUBLIKATIONEN u.a. in National Geographic Magazine, Time, The New Yorker, The Wall Street Journal, The Guardian, Die Zeit.


    Foto: Anastasia Taylor-Lind
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Textprotokoll: dekoder-Redaktion
    Übersetzung aus dem Englischen: Friederike Meltendorf/dekoder
    Veröffentlicht am 20.10.2022

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  • „Die westlichen Linken verstehen nicht, was hier passiert“

    „Die westlichen Linken verstehen nicht, was hier passiert“

    Bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine galt Russland Teilen der Linken weltweit als globale Friedensmacht. Putin war in dieser Erzählung eine Art Fahnenträger des Kampfs gegen den US-amerikanischen Imperialismus und die NATO. Mit einem starken Staat und angeblich starken Gewerkschaftsbewegungen habe Russland demnach außerdem gegen den neoliberalen Mainstream und die Vormacht der globalen Konzerne gekämpft. Nicht selten wurde Russland so als ein Gegenentwurf zur imperialistischen, militaristischen und kapitalistischen Grundordnung des Westens verstanden.

    Mit dem 24. Februar 2022 scheint sich unter vielen linken Bewegungen weltweit ein Umdenken abzuzeichnen. Auch die deutsche Partei Die Linke hat den russischen Angriff auf die Ukraine „aufs Schärfste“ verurteilt. An dem klaren Nein zu Waffenlieferungen wird gerüttelt. Gleichzeitig fordern Bundestagsabgeordnete wie Klaus Ernst das Ende der Sanktionen, Sahra Wagenknecht wittert einen „beispiellosen Wirtschaftskrieg“ gegen Russland, während andere zu Verhandlungen aufrufen – ohne jedoch an Russland zu appellieren, seine Truppen zurückzuziehen.

    Viele Linke weltweit würden immer noch einem verzerrten Russland-Bild anhängen, kritisiert der ukrainische Sozialist Taras Bilous. Für den Territorialverteidiger ist klar, dass man dabei den „Einfluss der russischen Propaganda nicht überbewerten“ sollte, dass die Gründe dahinter komplexer sind. 

    Im Interview mit Meduza kritisiert Bilous Klischees über Russland und die Ukraine im Westen und ruft zu einem Kampf für eine „Demokratisierung der Weltordnung“ auf.

    In Russland weiß man ziemlich wenig darüber, wie die ukrainische Politik aufgebaut ist, normalerweise wird das Thema nur im Kontext „prorussisch – prowestlich“ diskutiert. Erklären Sie uns bitte, welchen Platz Sie und Sozialny Ruch [dt. „Soziale Bewegung“] darin einnehmen.

    Hier muss man zunächst sagen, dass es in der Ukraine genau wie in Russland eine systemische und eine nicht-systemische Politik gibt.

    Da ist einerseits die Politik, die im Parlament und im Fernsehen stattfindet – das sind Parteien, die von Oligarchen gesponsert werden. Dann gab es – und gibt es teilweise noch – die alten Linksparteien wie die KPU. Ob man sie links nennt oder nicht, ist ein Thema für sich, aber sie hatten in vergangenen Jahren überhaupt keinen Einfluss mehr. Sie haben ihre Wählerschaft schon vor dem Maidan und den Gesetzen zur Entkommunisierung verloren, und als sie dann noch die repressiven Gesetze von Janukowitsch unterstützten, wanderten auch die Mitglieder massenweise ab.

    Eine Ebene darunter gibt es die Zivilgesellschaft. Auch da gibt es Parteien, aber die haben sich von unten gebildet und schaffen es normalerweise nicht ins Parlament.

    Der realistischste Weg für Aktivisten, ins Parlament zu kommen, ist über Listen von Politikern wie Swjatoslaw Wakartschuk. Wir haben versucht, unsere Partei registrieren zu lassen, aber es stellte sich heraus, dass das mit unseren bürokratischen und finanziellen Ressourcen zu schwierig ist. Andererseits schaffen es die Parteien, die im Parlament sitzen, in der Regel nicht, die Leute auf der Straße zu mobilisieren. Wie zum Beispiel die Partei Batkiwschtschina von Julia Timoschenko, die einfach Fahnenträger engagierte und bezahlte Demos veranstaltete. Genau wie die Partei der Regionen und die ganzen anderen. Aktivistische Organisationen kommen zwar nicht in die Regierung, aber dafür sind sie imstande, von unten Druck auf sie auszuüben.

    Das ist wohl eine der schwerwiegendsten Fehlkalkulationen von Putins Leuten. Sie haben das Mobilisierungspotential der ukrainischen Gesellschaft stark unterschätzt

    Die russischen Polittechnologen, die die Wahlen in der Ukraine vor Ort beobachtet haben, dachten, sie hätten unsere Politik verstanden – zumindest die, die vor Selensky da war; seit seiner Präsidentschaft hat sich vieles verändert. Das ist wohl eine der schwerwiegendsten Fehlkalkulationen von Putins Leuten. Sie haben das Mobilisierungspotential der ukrainischen Gesellschaft stark unterschätzt, darunter das der Freiwilligen-Organisationen, die seit Beginn des Krieges [2014] gegründet wurden. Ja, ein Teil von ihnen ging aus bereits bestehenden zivilgesellschaftlichen Institutionen hervor, aber viele wurden quasi von Null auf von einfachen Menschen und regionalen Leadern aufgebaut, die davor überhaupt nichts mit Politik zu tun hatten. Das haben die russischen Polittechnologen nicht kapiert.

    Was genau machen Sie, oder besser gesagt, was haben Sie bis zum Krieg gemacht?

    Mein Linksaktivismus hat auf dem Maidan begonnen: Zwischen 2014 und 2019 war ich im Rahmen der Projekte Neuer Donbass und Gemeinsam bauen wir die Ukraine auf sowie mit anderen Freiwilligeninitiativen im Donbass unterwegs, beteiligte mich am Wiederaufbau von Schulen und anderen Gebäuden, die durch die Kampfhandlungen zerstört wurden, arbeitete mit Kindern. Und weil sich meine Tätigkeit mehr und mehr vom Aktivismus auf den redaktionellen Bereich verlagerte, habe ich angefangen, Artikel zum Thema Donbass zu schreiben. Zum Beispiel über den Luftangriff auf das regionale Verwaltungsgebäude der Oblast Luhansk – ein Thema, das in der ukrainischen Gesellschaft sehr kontrovers diskutiert wird; offiziell wurde dementiert, dass der Angriff von ukrainischer Seite erfolgt sein könnte. Dann gab es einen weiteren [Angriff] auf die Ortschaft Stanyzja Luhanska (bei dem zwölf Zivilisten getötet wurden – Anm. Meduza), für die in all den Jahren niemand die Verantwortung übernommen hat. Ich habe viel zum Thema der zivilen Opfer des Kriegs im Donbass auf beiden Seiten geschrieben.

    Der Donbass, meine Heimat, wird jetzt von niemand anderem als von Russland vernichtet

    Aber alles Kritikwürdige, was der ukrainische Staat im Donbass zu verantworten hat, verblasst vor dem Hintergrund dessen, was Russland gerade macht. Der Donbass, meine Heimat, wird jetzt von niemand anderem als von Russland vernichtet. Unter den heuchlerischen Rufen vom „Genozid an der Donbass-Bevölkerung“, mit denen der Einmarsch gerechtfertigt wurde, vernichtete die russische Armee Sewerodonezk, Popasna, Mariupol und all die anderen Städte im Donbass. Sie warfen den Ukrainern vor, die Minsker Vereinbarungen nicht zu erfüllen, und schwiegen über die eigenen Verstöße. Jetzt sagen sie, der Westen sei bereit, „bis zum letzten Ukrainer“ zu kämpfen, und mobilisieren selbst zwangsweise die Männer in der LNR/DNR, um sie als Kanonenfutter an die Front zu schicken.

    Alles Kritikwürdige, was der ukrainische Staat im Donbass zu verantworten hat, verblasst vor dem Hintergrund dessen, was Russland gerade macht

    Was unsere Organisation Sozialny Ruch [kurz: Sozruch – dek] angeht, so beschäftigen wir uns im weitesten Sinn mit sozialen Fragen. Der Leiter der Organisation Witali Dudin ist Jurist für Arbeitsrecht. Manche unserer Aktivisten arbeiten in Gewerkschaften. Ein paar Monate vor dem Einmarsch haben wir beispielsweise in Kyjiw eine Demo gegen die Preiserhöhung im öffentlichen Nahverkehr veranstaltet. Wenn wir nicht selbst etwas organisieren, arbeiten wir mit anderen Gruppierungen zusammen – wir unterstützen zum Beispiel Umwelt- oder feministische Initiativen und nehmen an den Märschen zum 8. März teil. Außerdem haben wir in Kyjiw Gedenkveranstaltungen für Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa durchgeführt.

    Auf einer dieser Veranstaltungen sind Sie mit einem Plakat erschienen, auf dem stand: „Löst das Asow-Regiment auf“.

    Daran erinnern sich die Leute bis heute. Ehrlich gesagt, wenn ich gewusst hätte, was dieses Jahr passiert, dann ich bin mir nicht sicher, ob ich das gemacht hätte. Das Asow-Regiment wurde 2014 von Leuten gegründet, die zumindest in der Vergangenheit neonazistische Ansichten vertreten hatten. Aber schon 2014 waren bei weitem nicht alle Asow-Kämpfer Neonazis, um so weniger in den Jahren danach, als die Führung gewechselt hatte und sich viele junge Leute einfach deshalb anschlossen, weil das eine der einsatzfähigsten Einheiten in der Ukraine war. Die russische Propaganda kann heute so viele Bilder von einzelnen Kämpfern mit [neonazistischen] Tattoos zeigen, wie sie will, aber zum Regiment gehören über tausend Soldaten, darunter sind Menschen mit ganz unterschiedlichen Ansichten.

    Was genau sind die Stereotype über die Ukraine, gegen die Sie ankämpfen?

    Im linken Milieu existiert eine ganze Palette von Meinungen – ungefähr von „alles furchtbar“ bis „finden wir ganz gut“. Es gibt Stalinisten – über die braucht man nicht zu reden, da ist alles klar. Obwohl es auch da ganz vernünftige gibt. Mich hat eine stalinistische Partei in Indien überrascht, die die russische Aggression gegen die Ukraine mithilfe von Stalin-Zitaten kritisiert hat.

    Aber für mich sind die Fälle wichtiger, in denen Menschen mit vermeintlich progressiven Ansichten, von denen man eigentlich Unterstützung oder wenigstens eine adäquate Position erwarten würde … zum Beispiel [Noam] Chomsky oder [Jeremy] Corbyn … Eine offene Unterstützung Russlands ist aber eine Randerscheinung, und wenn, dann findet man sie eher in Lateinamerika als im Westen. Im Westen trifft man öfter auf eine quasi neutrale Position – wir verurteilen den Krieg als solches, aber auch nicht mehr.

    Im linken Milieu existiert eine ganze Palette von Meinungen

    Das ist zum Beispiel die DiEM25, eine Organisation, die von Yanis Varoufakis ins Leben gerufen wurde. Oder die Progressive Internationale, die auf ihre Initiative hin gemeinsam mit einzelnen Mitgliedern des Teams von Bernie Sanders gegründet wurde. Als der Krieg losging, erklärten die polnische Linkspartei Razem [dt. „Gemeinsam“] und unsere Zeitschrift den Austritt aus dieser Vereinigung. Deren Position ist nämlich: Krieg ist sehr schlecht, wir rufen zu Verhandlungen und einem schnellstmöglichen Ende der Kampfhandlungen auf.

    Das nächste Level [linker Positionen] ist es, die russische Aggression offen zu verurteilen und einen Rückzug der Truppen bis an die Grenzen vor dem 24. Februar zu fordern, aber keine Waffenlieferungen [an die Ukraine] zu unterstützen. Das ist ja schön und gut, aber – was dann? Mit welchen Mitteln will man [diese Ziele] erreichen? Das ist die Position von Die Linke, aber die schwankt – [die Jugendorganisation] unterstützt die Waffenlieferungen bereits, obwohl die offizielle Position der Partei immer noch dagegen ist.

    Überhaupt sind die Stimmungen im linken Milieu stark abhängig vom jeweiligen Land. Die skandinavischen Linken haben sehr schnell die richtige Position eingenommen – sowohl die Sozialdemokraten als auch die Radikalen. Sie verhalten sich viel adäquater als die südeuropäischen Linken – Griechenland und Italien sind da ganz schlimm. Im deutschsprachigen Raum macht sich der Generationenkonflikt stark bemerkbar – wie man am Beispiel der Linkspartei sieht, in der die Jugend für die Waffenlieferungen ist; nicht ausnahmslos natürlich, aber bei der älteren Generation sieht es damit viel schlechter aus. In den englischsprachigen Ländern gibt es einen solchen Riss eher nicht.

    Die Stimmungen im linken Milieu sind stark abhängig vom jeweiligen Land

    Was die Stereotype angeht, zum Beispiel, dass der Maidan ein von den USA unterstützter rechter Putsch war, beinahe ein faschistischer Staatsstreich und dergleichen. Da fragt man sich, ob diese Leute überhaupt ein adäquates Bild von der Ukraine und von Russland haben. Manchen ist vielleicht klar, dass Russland ein kapitalistischer Staat mit einem reaktionären Regime ist, sie hegen aber unter dem Einfluss von Russia Today gewisse Illusionen, dass es in Russland angeblich eine starke Gewerkschaftsbewegung gebe. Na ja, und so Sachen halt.  

    In Diskussionen mit westlichen Linken höre ich oft das Argument, dass die NATO während des Kalten Krieges die Ultrarechten unterstützt und benutzt hätte. Aber der Kalte Krieg ist seit 30 Jahren vorbei, und gerade das Beispiel, dass sich die USA in Syrien mit den sozialistischen syrischen Kurden verbündet haben und nicht mit irgendwelchen anderen Kräften, zeigt meiner Meinung nach, wie weit sich die US-amerikanische Außenpolitik mittlerweile von der Logik des Kalten Kriegs entfernt hat. Gleichzeitig ignorieren diese Linken die Tatsache, dass es in den letzten Jahrzehnten vor allem Russland war, das die rechtsextremen Parteien in Europa unterstützt hat.   

    Dann kommen sie noch auf solche Ideen, dass das ukrainische Regime die Linken unterdrücken würde. Das ist ein Problem für sich – den westlichen Linken zu erklären, dass es, wenn sie Parteinamen wie Progressive Sozialistische Partei der Ukraine lesen, sich um etwas ganz anderes handelt, als sie erwarten würden. Diese Natalja Witrenko (Parteichefin der Progressiven Sozialistischen Partei der Ukraine) hat mit Alexander Dugin zusammengearbeitet, die beiden führten eine offen rassistische Wahlkampagne. Jedenfalls gingen alle Parteien mit vermeintlich linken Namen, die verboten wurden, in diese Richtung.  

    Diese Linken ignorieren die Tatsache, dass es in den letzten Jahrzehnten vor allem Russland war, das die rechtsextremen Parteien in Europa unterstützt hat

    Die westlichen Linken kritisieren an der Ukraine zum Beispiel oft den politischen Einfluss der Oligarchen. Aber was für praktische Schlüsse ziehen sie daraus? Ich weiß selbst sehr gut, dass in der Ukraine eine schlechte Regierung mit einer neoliberalen Politik an der Macht ist. Wir haben vor dem Krieg dagegen gekämpft, wir müssen auch jetzt dagegen kämpfen – etwa, wenn die Arbeitsrechte beschnitten werden sollen. Mir sind viele Defizite der ukrainischen Gesellschaft, der Staatsmacht und der Politik bewusst, aber das heißt ja nicht, dass man die Verteidigung gegen die russische Aggression nicht unterstützen soll. 

    Aber woher kommen diese Klischees? Ist das alles der Einfluss der russischen Propaganda, oder gibt es noch weitere Faktoren? Russia Today hat sich ja bekanntlich gezielt auf diese Gruppe konzentriert – viele ihrer Frontmänner waren linke Aktivisten, sie hatten etliche Medienprojekte wie Podcasts, die sich konkret an ein linkes Publikum im Westen richteten. 

    Ich glaube, man sollte den Einfluss der russischen Propaganda nicht überbewerten. Ein markantes Beispiel ist Slavoj Žižek. Bis vor Kurzem schrieb er auf Russia Today Texte über Edward Snowden usw. Nach dem 24. Februar hat er jede Zusammenarbeit mit RT eingestellt und nimmt jetzt durchaus sinnvolle Positionen [bezüglich der Ukraine – Anm. Meduza] ein. 

    Man sollte den Einfluss der russischen Propaganda nicht überbewerten

    Das Schlimmste, was die russische Propaganda anrichtet, ist, dass sie ein verzerrtes Bild der postsowjetischen Realität vermittelt. Dazu haben die westlichen Linken weder eigene Erfahrungen noch Informationsquellen oder ein Verständnis davon, was hier passiert. Und weil sie den Mainstream-Medien nicht vertrauen, landen sie oft bei der russischen Propaganda als Hauptinformationsquelle. 

    Doch die westlichen Linken brauchen kein Russia Today, um den amerikanischen Imperialismus, die Hegemonie, die unipolare Welt und die NATO abzulehnen. Sie haben genug eigene Gründe dafür. Die ältere Generation hat oft schon zur Zeit des Kalten Krieges an den Protesten gegen den Vietnamkrieg oder andere Operationen der USA teilgenommen, die jüngere hat sich angesichts des Irak-Kriegs formiert. Wobei viele die Idee einer multipolaren Welt ganz unkritisch sehen, anstatt sich zu überlegen, wie man die Weltordnung demokratisieren könnte. Für sie wird ihre NATO-Gegnerschaft einfach zu einem Teil ihrer Identität, statt dass sie ein konkretes politisches Problem angehen und im Rahmen einer linken Strategie zu lösen versuchen. Sogar die, die die Ukraine und Waffenlieferungen einhellig unterstützen, unterscheiden sich manchmal nur dadurch, dass sie für die Auflösung unterschiedlicher militärischer Allianzen eintreten, unter anderem der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS). 

    Na gut, angenommen, man löst die NATO auf und auch die OVKS, was ist dann eine Alternative in der internationalen Politik und wie verhindert man dann, dass die starken Staaten den schwächeren ihren Willen aufzwingen? Der Sicherheitsgarant der osteuropäischen Staaten ist ihre NATO-Mitgliedschaft, der von Armenien – seine Mitgliedschaft in der OVKS. Ich bin selbst kein Fan der NATO, ich finde, dass Militärbündnisse, in denen imperialistische Staaten dominieren, kein gutes Instrumentarium zur Aufrechterhaltung der weltweiten Sicherheit sind. Aber das heißt nicht, dass die NATO einfach irgendein globales Übel ist.   

    Wir brauchen keine multipolare Welt und keine Konfrontation zweier imperialistischer Blöcke. Wir müssen für eine allgemeine Demokratisierung der Weltordnung kämpfen

    Dahinter steckt meiner Vermutung nach ein Problem mit der geopolitischen Logik. Jemand hat mir zum Beispiel klipp und klar geschrieben, dass wir Russland als Gegengewicht zu den USA brauchen. In dieser Logik der Opposition wird aber eigentlich Putins Regime, solange es besteht, die NATO noch zusätzlich stärken, wie wir an den Folgen der Invasion in der Ukraine sehen. 

    Wir brauchen keine multipolare Welt und keine Konfrontation zweier imperialistischer Blöcke. Wir müssen für eine allgemeine Demokratisierung der Weltordnung kämpfen, und dafür kann man Widersprüche zwischen verschiedenen Ländern nutzen. Aber eine multipolare Welt, in der jeder imperialistische Staat seine Einflusssphäre hat und seine imperialistische Politik fährt – das ist eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Das kann uns wirklich gestohlen bleiben.    

    Eine der wichtigsten linken Forderungen in der internationalen Politik sollte eine Reform und Demokratisierung der UNO sein

    Diese Denkweise rührt wohl hauptsächlich daher, dass die Linken in den letzten Jahrzehnten auf dem absteigenden Ast waren, was nicht förderlich war für ihr politisches Denken und ihre Strategien. Das merkt man sogar an jenen, die [bezüglich der Ukraine] eine sinnvollere Position einnehmen. Sogar viele unserer Partner im Westen verschwenden mehr Zeit damit, die richtige Haltung zu finden und andere zu überzeugen, als sich zu überlegen, was man praktisch tun könnte, um auf die Situation Einfluss zu nehmen.  

    Zum Beispiel finde ich, eine der wichtigsten linken Forderungen in der internationalen Politik sollte eine Reform und Demokratisierung der UNO sein. Aber viele wollen das überhaupt nicht diskutieren, weil die UNO eben ein Gremium ist, in dem imperialistische Staaten dominieren. Tja, aber was ist die Alternative?

    Wie schätzen Sie das Potenzial der russischen Antikriegsbewegung ein? 

    Viele Ukrainer haben zu Beginn des Krieges gehofft, dass die russische Antikriegsbewegung etwas erreichen kann. Aber dann haben sie gesehen, dass stattdessen manche anfangen, gesellschaftliche Tendenzen in der Ukraine zu kritisieren – vor etwa einem Monat hat sich ein Schriftsteller darüber beschwert, dass die Ukrainer die russische Kultur abschaffen und Puschkin-Denkmäler stürzen (gemeint ist ein Kommentar von Leonid Bershidski in The Washington Post – Anm. Meduza). Aber mit so etwas sollte sich die russische Intelligenzija heute überhaupt nicht beschäftigen. So werden sie die Situation ganz bestimmt nicht zum Besseren wenden. Wenn sie Zugang zu westlichen Medien haben, sollten sie den lieber dazu nutzen, die westliche Öffentlichkeit von einer mutigeren und entschiedeneren Handlungsweise zu überzeugen. Wenn die Ukrainer Waffen fordern, ist das sowieso klar, was sonst, aber wenn die russische Opposition Waffen fordert, hat das einen ganz anderen Effekt.

    Viele Ukrainer haben zu Beginn des Krieges gehofft, dass die russische Antikriegsbewegung etwas erreichen kann

    Ich weiß natürlich, dass die politischen Perspektiven von jemandem, der sich so äußert, in Russland gleich Null sind. Doch seit dem 24. Februar hängen sämtliche Perspektiven einer Demokratisierung Russlands von der militärischen Niederlage Russlands ab und davon, wie schnell das passiert. Auch als Deutschland mit den Waffenlieferungen monatelang gezögert hat, waren es die Russen, die das hätten beschleunigen können. Ich weiß, dass es manche versucht haben, aber für die Ukrainer war das zu wenig. Das wäre wirklich notwendiger gewesen als Texte darüber, wie die Ukrainer Puschkin verunglimpfen. Der Diskurs, dass angeblich alle Russen gleich seien, gefällt mir überhaupt nicht, aber dass sogar bei Vertretern der russischen Opposition imperialistische Allüren durchschlagen – das stimmt eben auch. 

    Statt die Folgen des Kriegs zu beklagen, sollten wir lieber versuchen, das Problem an der Wurzel zu packen. Wer ukrainischen Flüchtlingen hilft, ist toll, keine Frage. Das ist eine sehr wichtige Arbeit, die irgendjemand machen muss, und wer sie macht, darf nicht einer zusätzlichen Gefahr ausgesetzt sein. Innerhalb der ganzen russischen Antikriegsbewegung ist für mich der Feministische Antimilitaristische Widerstand das positivste Beispiel, weil sie völlig frei sind von imperialistischen Komplexen aller Art. 

    Der Diskurs, dass angeblich alle Russen gleich seien, gefällt mir überhaupt nicht, aber dass sogar bei Vertretern der russischen Opposition imperialistische Allüren durchschlagen – das stimmt eben auch

    Andererseits verstehe ich, dass ihre Tätigkeit in Russland jetzt nicht sehr effektiv ist. Proteste können in Russland momentan nur die Zahlen der politischen Gefangenen erhöhen, der Nutzen ist überschaubar. Deswegen sollte die Frage, wie man sich unter konkreten Bedingungen verhält, lieber von denen beantwortet werden, die sich unter diesen Bedingungen befinden. Etwas anderes sind die Anarchisten, die auf den Eisenbahnschienen Sabotage betreiben. Ich weiß schon, dass es nicht viele sind, die sich zu solchen Aktionen entschließen, aber bislang ist das eine der besten Methoden, das Ende dieses Kriegs zu beschleunigen, weil das unmittelbar auf Russlands Kampffähigkeiten einwirkt. 

    Mir scheint, viele Russen, auch oppositionelle, begreifen noch nicht, dass die Ukraine nicht kapitulieren wird. Da geht es gar nicht um Selensky – der ist in diesem Punkt nur Erfüllungsgehilfe des Volkes. Nach dem, was Russland angerichtet hat, ist die absolute Mehrheit der Ukrainer gegen Zugeständnisse. Sie bereiten sich schon auf einen Winter ohne Gas und Strom vor. Dass die Fortsetzung des Krieges weitere Verluste bedeuten wird, ist allen klar, aber die Ukraine ist bereit, bis zum Sieg zu kämpfen.

    Viele Russen, auch oppositionelle, begreifen noch nicht, dass die Ukraine nicht kapitulieren wird

    Russland kann nicht siegen, und der einzige Grund, warum dieser Krieg weiter andauert, ist, dass da so ein erbärmlicher Zwerg in seinem Bunker nicht zugeben kann, dass er es mit dem Befehl zum Einmarsch in die Ukraine verbockt hat. Wenn Russland verliert, verliert er die Macht, und diesen Moment schiebt er hinaus, indem er sein Land in einen immer größeren Abgrund zieht. Je früher aber Russland seine Niederlage anerkennt und seine Truppen abzieht, desto besser ist es für die Russen.

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  • Bilder vom Krieg #7

    Bilder vom Krieg #7

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Julia Kochetova

    Das Länderkennzeichen UA eines von russischen Kalibr-Raketen zerstörten Autos in Winnyzja. „Es hatte zwei Meter vom Haus meiner Eltern geparkt”, schreibt die Fotografin. / Foto © Julia Kochetova, Winnyzja, Juli 2022
    Das Länderkennzeichen UA eines von russischen Kalibr-Raketen zerstörten Autos in Winnyzja. „Es hatte zwei Meter vom Haus meiner Eltern geparkt”, schreibt die Fotografin. / Foto © Julia Kochetova, Winnyzja, Juli 2022

    JULIA KOCHETOVA
    „Der Krieg hat ein konkretes Gesicht. Es kann nicht allgemein sein“

    [bilingbox]Ich war auf dem Weg in den Donbas, als ich auf Telegram von Explosionen in Winnyzja las. Ich rief meine Mutter an und sie sagte: „Alle Fenster sind zersprungen.“ Das war einer der dunkelsten Tage meines Lebens und eines der schwierigsten Gespräche. 27 Menschen auf dem Platz wurden von einer russischen Kalibr-Rakete getötet. Darunter waren drei Kinder.

    Wir fuhren neun Stunden, um aus Winnyzja zu berichten, und am Morgen nach dem Einschlag machte ich dieses Bild. Ich habe es zwei Meter vom Haus meiner Eltern entfernt aufgenommen. Das Auto hatte direkt daneben in der Wynnytschenka-Straße geparkt.

    Es war ein „close call“, wie wir Reporter zu sagen pflegen. Buchstäblich von zu Hause zu berichten – das ist keine leichte Aufgabe. Vielleicht empfindet ein Chirurg etwas Ähnliches, wenn er einen Verwandten operiert. Man muss in etwas hineinschneiden, das man liebt. 

    Das Ukraine-Länderkennzeichen inmitten lilafarbener Glassplitter im Auto – das erinnert an das, was wir als Nation empfinden: Tod, Ruinen, Zerstörung, Kämpfe, Verluste und Siege. Doch nichts konnte mein Land auslöschen. Selbst, wenn der Krieg so nah ist, selbst wenn er zu nah ist.

    Als Fotografin musst du scharf und ehrlich sein

    Als Fotografin musst du scharf und ehrlich sein – ich glaube nicht an Kunst ohne einen Autor oder eine Autorin, die dahinter steht; und ich glaube nicht an Kunst ohne Politik. Ich berichte als Ukrainerin aus der Kriegszone und das zeichnet mich aus: Mein Bild ist ein Foto, aufgenommen von dem Mädchen aus diesem Hof, neben dem vier Raketen heruntergekommen sind. Es kann nicht außerhalb meiner persönlichen Erfahrung liegen, es kann nicht gleichgültig sein, nicht nicht-subjektiv.

    Meine Kriegserfahrung ähnelt der Kriegserfahrung meines Landes. Ich habe erst von der Revolution berichtet, weil meine Kamera meine stärkste Waffe ist. Dann begann Russland seinen hybriden Krieg auf der Krim – ich habe über die Annexion berichtet. Dann marschierte Russland in den Donbas ein – ich begann darüber zu berichten. Russlands nächste offene Invasion folgte, und acht Jahre später packe ich wieder Objektive und Verbandspäckchen. Dazu gehören der Verlust mir nahestehender Personen, Kollegen, posttraumatische Zustände, wir sagen „bis bald“ ohne die Sicherheit, dass wir uns lebendig wiedersehen.

    Ich bin ein offener Mensch und teile intime Dinge – denn ich glaube, dass der Krieg ein konkretes Gesicht hat. Es kann nicht allgemein sein. Hinter Zahlen wie „10 Millionen Geflüchtete, 9000 in Kampf getötete ukrainische Soldaten, 383 getötete Kinder, 742 Verletzte“ stehen konkrete Menschen und ihre Geschichten. Du darfst die Geschichten der Menschen erzählen, die Grenze dessen, was du zeigen darfst, hängt davon ab, wer du bist.

    Meinen Visionen und mein professioneller Weg sind vom Krieg geformt

    Ich habe erlebt, dass sich Reporter in der Ukraine (meistens Ausländer) unangemessen verhielten, ohne Respekt meinem Volk gegenüber, was zu zusätzlichen Traumatisierungen führt – da kann ich nur schreien. Im Krieg musst du Schmerz und Tod respektvoll begegnen, speziell, wenn du die Erlaubnis hast, Zeuge zu sein und es zu zeigen.

    Kunst muss immer laut sein. Vor allem dann, wenn das Artilleriefeuer so laut ist.

    Nein, ich bin nicht interessiert und glaube nicht an Brücken zu Russland. Ich würde mir wünschen, diese Frage bliebe auf Jahrzehnte irrelevant, und Raschismus, koloniale Politik und die von den Russen begangenen Kriegsverbrechen würden jegliche Wege in die zivilisierte Welt kappen. Wir kämpfen und sterben für unsere Freiheit und auch für die der übrigen Welt.

    Früher habe ich Portraits fotografiert, jetzt fotografiere ich Beerdigungen

    Mein Leben hat sich stark verändert – früher habe ich Portraits fotografiert, jetzt fotografiere ich Beerdigungen. Das Motiv ist ein anderes, die Umstände, der Rhythmus und ich persönlich auch – ich war reich beschenkt und habe seit 2014 aufgrund des Krieges viel verloren. Meine Visionen und mein professioneller Weg sind vom Krieg geformt.

    Bedaure ich etwas? Nein, niemals, das ist mein Weg, das ist der Weg meines Landes und fotografieren und beschreiben sollten ihn Stimmen von hier. Ich bin froh, dass ich meine noch habe.~~~I was on the road to Donbas when I read about explosions in Vynnytsia on Telegram. I called my mom and she said: “All the windows are shattered“. One of the darkest days I had so far and one of the toughest talks. 27 people were killed on the square cause of the Russian “Kalibr” missile. Among them – 3 kids. We drove 9 hours to report from Vinnytsya and I took this picture the next morning after the hit. 

    This picture was made 2 meters from my parent’s home. The car was parked next to it on Vynnychenka Street.
    It was a “close call”, as we usually say among reporters. To report literally from your homeplace – it’s not an easy task. Maybe a surgeon feels something close to that while operating on a relative. You literally need to cut something you love. 

    This “UA” sign in a mess of violet glass fragments inside the car – reminds what we experience as a nation – death, ruins, destruction, fights, losses and victories – but nothing could erase my country. Even when war is so close, even when it’s too close. 

    As a photographer, you should stay sharp and honest – I don’t believe in art without the author behind it, and I don’t believe in the art without policy. I’m reporting from the war zone as a Ukrainian, and it highlights me. My picture is a photo made by the girl from this yard, next to which four missiles have fallen. It can’t be outside of my personal experience, it can’t be indifferent, and non-subjective. 

    My war experience is similar to the war experience of my country. I was covering revolution, cause my camera was the strongest weapon I have. Then Russia started the hybrid war in Crimea – I was covering the annexation. Then Russia invaded in Donbas – I started to report. Russia invaded openly again and 8 years after I’m packing my lenses and IFAK again.  All inclusive, unfortunately – losing the closest, colleagues, dealing with post-trauma, saying “see you later” without confidence that you will meet again alive. 

    I’m an open person and share intimate things – cause I believe that war has an exact face. It can’t be general, behind numbers – “10 millions refugees”, “9 thousands Ukrainian soldiers killed in action”, “383 kids killed, 742 wounded” – behind that – exact people and their stories. You are allowed to tell people’s stories, the boundaries depend on who you are. 
    I faced inappropriate behavior of reporters in Ukraine (mostly, foreigners), with additional traumatization and zero respect for my people – that’s something that I jelling about. In war, you should be respectful for pain and death, especially if you are allowed to witness it and share.

    Art should always stay loud. Especially if the artillery duel is so loud.

    No, I’m not interested and don’t believe in any bridges like that with Russia. I wish this question would be not relevant for decades and Rashism, colonial policy and war crimes committed by Russians cut any possible paths to the civilized world. We are fighting and dying for our freedom and for this world as well. 


    My life has changed a lot – I’ve photographed portraits before, and now I’m photographing funerals.
    The object has changed, the circumstances, the rhythm, and me personally – I was gifted and lost a lot because of this war since 2014. My vision and professional path are shaped via war. Do I have any regrets? No, never, that’s my way, that’s the way of my country and it should be written and photographed by a local voice. 
    I’m glad to still have mine.[/bilingbox]

    JULIA KOCHETOVA

    geboren 1993 in Winnyzja, aufgewachsen in Kyjiw, arbeitet als Fotojournalistin und Dokumentarfilmerin. Sie hat Journalismus in Kyjiw studiert und war Teilnehmerin der IDFAcademy (Niederlande).
    Seit dem 24. Februar 2022 führt sie auf Instagram ein visuelles Tagebuch, „weil ich wirklich ans Geschichtenerzählen aus erster Hand glaube“.
     
    AUSSTELLUNGEN (Auswahl)
     
    2022 – Gruppenausstellung URGENCY! Ukraine, Bronx Documentary Center, New York, USA
    2022 – Gruppenausstellung The Captured House, Brüssel, Berlin, Amsterdam, Paris, Rom
    2020 – Civilians, Veteran Hub, Kyjiw, Ukraine
    2019 – Femm in East, Invogue Art, Odessa, Ukraine
    2016 – 2017 Gruppenausstellung RAW: A History of Changes in Ukrainians and in the Ukrainian Armed Forces, Kyjiw, Paris, New York
    2015 – Gruppenausstellung Ukraine 24. War&Peace, Los Angeles, New York
    2015 – Gruppenausstellung Conflict zone: Ukraine, Chicago, USA
    2014 – Gruppenausstellung Maidan, Kyjiw, Ukraine
    2014 – Gruppenausstellung Together we are Ukraine, Washington DC, USA
    2014 – Gruppenausstellung Ukrainian Crisis, London, UK
     
    BÜCHER
     
    2017 – Voice of War
    2017 – RAW. Story of changes of Ukrainians and army, kuratiert von Yaroslav Hrytsak and Donald Weber

    PUBLIKATIONEN in internationalen Medien, darunter Vice News, Der Spiegel, Zeit, Bloomberg, Vanity Fair.
     


    Foto: ​​Julia Kochetova
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Übersetzung aus dem Englischen: Friederike Meltendorf
    Veröffentlicht am 16.09.2022

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  • „Auf dass wir niemals aufeinander schießen“

    „Auf dass wir niemals aufeinander schießen“

    Die Suworow-Militärschulen waren in der Sowjetunion zentrale Ausbildungseinrichtungen für künftige Soldaten und Offiziere der sowjetischen Armee. Sie existierten in zahlreichen Sowjetrepubliken, wo Schüler zwischen 14 und 18 Jahren aus wiederum verschiedenen Sowjetrepubliken zusammenkamen, zusammen lernten und lebten. Diese Internatsschulen haben auch in zahlreichen Ländern das Ende der Sowjetunion wie beispielsweise in Belarus oder Russland überlebt, wo sie bis heute für die militärische Ausbildung eine zentrale Rolle spielen.

    Auch im Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt, dürften zahlreiche Absolventen der Suworow-Schulen kämpfen – auf beiden Seiten der Front. Auf diesem Weg vermengt sich sowjetische Geschichte mit der Geschichte der Unabhängigkeitsbestrebung der Ukraine und der revanchistischen Politik in Russland unter Wladimir Putin. Die belarussische Journalistin Irina Chalip hat solch eine Geschichte für das russische Exil-Medium Novaya Gazeta Europe detailliert recherchiert und aufgeschrieben – es ist die tragische Geschichte von Alexej Gorobez und Oleg Makartschuk, die in einem Jahrgang an der Suworow-Militärschule in Minsk zur Zeit der späten Sowjetunion ausgebildet wurden. Jahrzehnte später sind sie nun als Oberste im aktuellen Angriffskrieg gefallen – einer auf Seiten der russischen Angreifer und Besatzer, der andere, weil er seine ukrainische Heimat verteidigt hat.  

    „Das Arschloch ist auf unser Land gekommen, um die Suworowzy [die Absolventen der Suworow-Schule – dek] und ihre Familien zu töten. Mich, meine Familie, Walera Shutschko, der gerade kämpft. Und Oleg Makartschuk haben sie schon umgebracht.“

    Das sagt Witali Tschalow über seinen gefallenen Kommilitonen von der Minsker Suworow-Militärschule, den Oberst der russischen Armee Alexej Gorobez. Die dritte Kompanie aus dem 34. Abschlussjahr an der Suworow-Militärschule – zwei aus dieser Kompanie sind im Juli in diesem Krieg ums Leben gekommen. Beide waren Oberst. Oleg Makartschuk, Chef des Waffen- und Logistikdienstes der ukrainischen Streitkräfte, starb am 14. Juli beim Raketenangriff auf Winnyzja. Alexej Gorobez, Kommandeur der 20. motorisierten Schützendivision der russischen Streitkräfte, starb am 12. Juli bei Cherson infolge eines HIMARS-Einschlags in einem Militärstützpunkt. Makartschuk starb auf eigenem Boden, Gorobez auf fremdem.

    Gleich nach ihrem Tod fanden Journalisten heraus, dass beide ein und derselben Suworow-Kompanie angehört hatten, nur verschiedenen Truppen, und zogen daraus den Schluss, dass die beiden Bekannte gewesen sein müssten. Nein, liebe Leute. Die waren keine Bekannten. Das nennt man ganz anders. Wenn zwei Heranwachsende in einer Kaserne leben, in der sich hundert Mann (die ganze Kompanie) 150 Quadratmeter teilen, wenn sie zusammen für den Dienst eingeteilt werden, wenn sie jeden Tag im selben Hörsaal sitzen, wenn sie im Trockenraum nachts zusammen Gitarre üben, wenn sie in Kolonne zum Frühsport und in die Kantine marschieren, wenn sie vor den Sommerferien die Kaserne schrubben und die Böden wachsen – dann sind sie alles, nur keine Bekannten.

    Meistens nennt man das Bruderschaft. Aber die ist nicht mit Makartschuks und Gorobez’ Tod im Juli gestorben. Sie wurde von der ersten Rakete am 24. Februar zerstört.

    „Wir waren als Kompanie immer zusammen“, sagt Witali Tschalow. „Die Kaserne misst 30 mal 40 Meter, und wir waren hundert Mann. Wir sind bis heute in Kontakt. Lesen Sie mal den Brief von Alexej Gorobez’ Mutter. Sie schreibt, dass er auf der Akademie des Generalstabs war, dass man ihm aber 13 Jahre lang den Dienstgrad eines Generals nicht zuerkannt hat. Also haben viele von uns Kommilitonen den Eindruck, dass Gorobez – um sich die Schulterklappen zu verdienen – in die Ukraine gekommen ist, um die Familien der Suworowzy zu töten. Einfach nur, um General zu werden, verstehen Sie? Ich weiß, dass er in Syrien und Tschetschenien gekämpft hat. Aber in die Ukraine ist er gekommen, um mich und meine Familie zu töten und die Familien der anderen Suworowzy. Viele von uns waren nicht mehr aktiv beim Militär und sind trotzdem in den Krieg gezogen, obwohl wir über 50 sind. Gorobez hat als Kommandeur der Division gewusst – muss es gewusst haben –, dass der Einmarsch in die Ukraine bevorsteht. Er ist bewusst auf uns losgegangen. Obwohl es einen einfachen Ausweg gegeben hätte. Er hätte ein Entlassungsgesuch einreichen und als Oberst in Pension gehen können. Seine Rente war gut. Aber er wollte General werden, indem er uns tötet. Da haben Sie die Kadetten-Bruderschaft.“

    Oleg Makartschuk über der Ziffer 9, Alexej Gorobez als Sechster von links oben / Foto © Archiv von Oleg Roshkow
    Oleg Makartschuk über der Ziffer 9, Alexej Gorobez als Sechster von links oben / Foto © Archiv von Oleg Roshkow

    Der 34. Abschlussjahrgang der Suworow-Militärschule ist einer der tragischsten, und nicht nur, weil zwei aus einer Kompanie auf verschiedenen Seiten der Frontlinie gefallen sind – der eine als Okkupant, der andere als Verteidiger seines Heimatlandes. Die 17-jährigen Absolventen waren nach ihrem Abschluss den verschiedenen Militärhochschulen der UdSSR zugeteilt worden. Die einen gingen nach Taschkent, die anderen nach Omsk oder nach Charkiw. Ein Jahr später gab es auf der Weltkarte gar keine UdSSR mehr, und die frisch ausgebildeten Offiziere wurden zu einer verlorenen Generation.

    Die Suworowzy Alexej Gorobez und Oleg Makartschuk gingen beide zum Studium nach Charkiw. Makartschuk auf die technische Hochschule der Luftstreitkräfte, Gorobez auf die Panzerakademie. Beide bekamen ihre Rangabzeichen als Oberst im Jahr 1994.

    „1994 hatten die Absolventen in der Ukraine noch die Wahl“, sagt Witali Tschalow. „Ich selbst war auf der Hochschule in Poltawa, meine Kommilitonen gingen [nach dem Abschluss – dek] nach Belarus, Tadschikistan, Russland oder Aserbaidshan. Viele blieben natürlich auch in der Ukraine. Auf der Abschlussfeier gab es noch den Trinkspruch: Auf dass wir niemals aufeinander schießen. 2014 hat diese Bruderschaft einen Riss bekommen, und am 24. Februar ist sie endgültig gestorben. 

    Gorobez ist nur ein Fall. Da gibt es zum Beispiel noch einen anderen Suworow-Abgänger, Sergej Rudskoi. Er ist bei den russischen Streitkräften Chef der Haupteinsatzverwaltung, der erste Stellvertretende des Generalstabschefs. Er ist Ukrainer, geboren in Mykolajiw. Sein Vater war ein Held der Sowjetunion, er war der Leiter unserer Suworow-Militärschule. Und sein Sohn organisiert jetzt die Spezialoperation in der Ukraine.“

    „Würden Sie Ihre ehemaligen Kameraden, die in der russischen Armee dienen, nicht gerne einmal treffen?“
    „Doch. Um ihnen eins in die Fresse zu geben.“

    Witali Tschalow ist direkt und geradezu grob. Aber er hat jedes Recht dazu. Er ist wieder im Dienst, genau wie Waleri Shutschko aus derselben Kompanie. Für sie war Alexej Gorobez seit dem 24. Februar nicht mehr der alte Kumpel, mit dem sie in der Kaserne Seite an Seite geschlafen haben, sondern ein Feind, ein Besatzer, ein Mistkerl. Genau wie ihre anderen ehemaligen Kadetten-Brüder, die jetzt die täglichen Militärschläge aus dem Generalstab leiten, die aus ihren Büros heraus Befehle an die Korps und Divisionen verteilen. Der Tod des Feindes ändert nichts an seinen Taten.

    „Im Jahr unseres Abschlusses ging der damalige Leiter der Akademie General Saizew gerade in den Ruhestand. Er ging mit den Worten: ‚Ich werde dafür sorgen, dass alle Jungs, die bei mir gelernt haben, gehen können, wohin sie wollen.‘“

    Alexej Gorobez erhielt sein Offiziersdiplom in der Ukraine. Warum er sich schließlich für die russische Armee entschied, weiß niemand. Oleg Roshkow, Absolvent der Akademie für Chiffrierwesen in Krasnodar, erzählt: „Ich weiß nicht, wie es an der Panzerschule war, aber bei uns lief es so: Als die Sowjetunion zerfiel, entstand in jedem unabhängigen Staat eine eigene Armee. Krasnodar liegt in Russland, also wurde uns gesagt: Wer in der russischen Armee bleiben will, muss einen Eid ablegen, ohne Eid wird man nicht zugelassen. Wer den Eid ablegte, bekam sofort ein viel höheres Stipendium. Ich weiß noch, wie die russischen Kadetten von diesem Geld Kühlschränke und Fernseher kauften. Und aus denen, die keinen Eid abgelegt hatten, wurde eine eigene Kompanie gebildet – die Nazmen-Kompanie, die Kompanie der nationalen Minderheiten. Sie bestand aus Ukrainern, Belarussen und zwei Usbeken. Unser Stipendium reichte gerade für Knöpfe und Nadeln zum Nähen. Also gingen wir, die Nazmeny, in unsere Länder zurück. Damals hatten die Kadetten, die eine andere Staatsangehörigkeit hatten, also die Wahl: In dem Land, in dem man studiert hat, einen Eid abzulegen und in dessen Armee zu bleiben oder in sein Herkunftsland zurückzugehen.“

    Aus jener 3. Suworow-Kompanie sind nicht viele beim Militär geblieben, nach Schätzungen der Absolventen selbst nur 20 bis 30 Prozent. Das letzte Treffen der Kompanie fand 2018 statt, anlässlich des Militärschul-Jubiläums. Makartschuk und Gorobez waren bei diesem Treffen nicht dabei. Bei den Minsker Suworowzy ist es nicht üblich, sich zu den runden Jubiläen des eigenen Abschlussjahres zu treffen, dafür kommen bei den Jubiläumsfeiern der Akademie alle Jahrgänge zusammen. Die in Minsk lebenden Absolventen bereiten den „Stützpunkt“ vor – mieten Wohnungen an, reservieren Restaurants und empfangen die Gäste. Aber gerade jene Absolventen, die beim Militär geblieben sind, kommen in der Regel nicht. Sie sind im Dienst, können nicht nach Belieben mehrere Tage verreisen, und auch die finanziellen Möglichkeiten sind geringer als bei denen, die in die Wirtschaft gegangen sind. Also saßen Makartschuk und Gorobez 2018 nicht an einem Tisch und tauschten in der Heimatkaserne keine Erinnerungen aus.

    Wir sind wirklich eine Generation des Zusammenbruchs

    Die Dritte Kompanie des 34. Jahrgangs der Minsker Suworow-Militärschule hatte wohl eine eigene, geschlossene Gruppe auf Social Media und beide – Alexej Gorobez und Oleg Makartschuk – waren Mitglieder. Meistens gratulierten sie sich nur zum Geburtstag. Zu Ereignissen, die die Welt oder zumindest den Kontinent erschütterten, äußerten sie sich nicht. Dann verstummten sie komplett. Überhaupt war die erste Erschütterung für die Kompanie, die in dieser Gruppe kommunizierte, das Jahr 2020 und nicht erst 2022.

    „Als auf der Website der Absolventen unserer Schule Gorobez’ Tod gemeldet wurde, kamen in der Gruppe sehr viele emotionale Reaktionen von Ukrainern, die kein Blatt vor den Mund nahmen. Und zwei Tage darauf erschien auf derselben Website die Nachricht von Oleg Makartschuks Tod. Alle waren schockiert. Wir bemühen uns um Zurückhaltung, aber nicht immer erfolgreich. 
    Die ersten Emotionen kochten 2020 hoch, zu Beginn der Proteste in Belarus. Seltsamerweise gab es 2014, als der Krieg im Donbass begann, keine großen Gefühlsausbrüche in unserer Gruppe. Hier und da kam mal was auf, aber nicht nennenswert. Und zum Jubiläum unserer Schule 2018 kamen die Ukrainer noch. Im August 2020 verließen dann erst mal jene die Gruppe, die die Proteste nicht unterstützten. Die Ukrainer sind emotional nicht so leicht aus der Bahn zu werfen, die haben sich das angesehen, ohne sich groß einzumischen. Und so ging es schlecht und recht dahin, bis zum Februar 2022. Im Februar sind dann komischerweise die Russen aus der Gruppe ausgestiegen, die ihre Regierung unterstützt haben. Da gab es von den Ukrainern, die aus Prinzip in der Gruppe blieben, einen Schwall von Emotionen. Sie versuchten, ihre russischen Kommilitonen zur Vernunft zu bringen, versuchten, die Wahrheit zu erzählen. Irgendwann gaben sie natürlich auf. Aber circa ein Drittel der Kompanie hat die Gruppe verlassen. Und jetzt haben wir in der Gruppe keine Russen mehr dabei, die für den Krieg sind. Wissen Sie, wir hatten einen Burschen aus der Kompanie in der Gruppe, der mit Gorobez befreundet war – Walera Shutschko, der jetzt auf der Seite der Ukraine kämpft.   
    Die haben nach der Suworow-Militärschule gemeinsam die Panzerausbildung in Charkiw gemacht. Walera hat gesagt, er hat mit ihm gesprochen und versucht, ihm die Augen zu öffnen. Wir sind wirklich eine Generation des Zusammenbruchs. Das ruiniert natürlich jeglichen Verstand. Wie kann man von Bruderschaft sprechen, wenn man gegeneinander Krieg führt? Gorobez hatte übrigens ukrainische Wurzeln – er war, glaube ich, einmal auf der Beerdigung seines Großvaters in Shytomyr. Vielleicht wollte er deshalb seine Ausbildung in Charkiw machen. Und seine Eltern leben überhaupt in Transnistrien. Er hat in Tschetschenien und in Syrien gekämpft. Womöglich wurde er einfach eingesetzt, wo Personalmangel war.“ 
     
    Alexej Gorobez’ Eltern wohnen in Tiraspol. Der Vater Nikolaj Gorobez ist Gemeinderatsvorsitzender der Stadt. Die Mutter Nina Gorobez veröffentlichte nach dem Tod ihres Sohnes auf der Website der Absolventen der Minsker Suworow-Militärschule einen Brief:

    „Danke an alle, die unseres Sohnes gedenken und ihm die letzte Ehre erweisen. Ein ehrlicher, anständiger, gerechter, unbestechlicher, kluger und zielstrebiger Mensch wie er, der seine Heimat und seinen Beruf so aufrichtig liebt, ist in der heutigen Zeit nicht leicht zu finden. Sein ganzes nicht immer leichtes Schicksal liegt in diesen Zeilen:

    Minsker Suworow-Militärschule; Hochschule für Panzer Charkiw; Dienst in Tiraspol nach dem Krieg; Dienst in Fernost; Juristische Hochschule Blagoweschtschensk; Allgemeine Frunse-Militärakademie; Dienst als Regimentskommandeur auf Stützpunkt 201 in Tadschikistan; Dienst in Dagestan und Tschetschenien; drei Einsätze in Syrien; Studium an der Generalstabsakademie, Abschluss mit Silbermedaille im Juni 2021.
    Seitdem bei der Division in Wolgograd.

    Sie sehen ja: Dieser Mann war an allen Brennpunkten im Einsatz. Dreimal wurde ihm von den Streitkräften die Ernennung zum General (Dienstgrad) versprochen, aber wie es so schön heißt: Es blieb alles beim Alten.
    Gorobez A. N. erhielt den Dienstgrad des Oberst mit 36 Jahren. Gibt es in der Führungsriege der Streitkräfte jemanden, der 13 Jahre lang denselben Dienstgrad führt? Weil wir in unserer Familie und Verwandtschaft kein Vitamin B, kein Geld im Überfluss und keine hohen Tiere haben. Und mein Sohn seine Erfolge aus eigener Kraft und mit dem eigenen Kopf erreicht hat. Verzeiht, das ist mein mütterlicher Schmerz und meine Verzweiflung über den Verlust eines echten Menschen, meines geliebten und liebenden Sohnes. Gott habe ihn selig, in ewiger Erinnerung. Und viele Herzen werden ihn in Erinnerung behalten – so viel Gutes hat er den Menschen getan!“ 

    So eine Bruderschaft kann man sich sonstwohin stecken – sie existiert nicht

    Zur Beerdigung von Oleg Makartschuk kamen seine Kommilitonen von der Suworow-Militärschule, die in der Ukraine leben und dienen. Sie sammelten Geld für seine Familie. Gorobez wurde ganz leise auf dem Soldatenfriedhof von Mytischtschi bei Moskau bestattet. Jetzt verbindet Makartschuk und Gorobez nur mehr die Rubrik Dritter Trinkspruch auf der Website der Absolventen der Minsker Suworow-Militärschule. (Da findet man übrigens auch Pawel Piwowarenko aus dem 36. Jahrgang, Held der Ukraine, der vor acht Jahren bei der Einkesselung von Ilowajsk umgekommen ist.) Im Leben hätte sie nichts mehr verbinden können – nicht die gemeinsame Kindheit, nicht die Kaserne, nicht die Schulzeit in derselben Stadt, nicht die Offiziers-Schulterklappen, die sie in Charkiw bekommen haben. Seit dem 24. Februar ist von der Bruderschaft der Kadetten nichts mehr übrig als der Dritte Trinkspruch. 

    Sogar der Beirat der Belarussischen Union der Suworow-Absolventen und Kadetten hat – obwohl außerhalb des Kriegsgebiets angesiedelt – zu bröckeln begonnen. Dem Beirat gehören Absolventen verschiedener Jahrgänge an, die Bälle, Sportfeste und Absolvententreffen organisieren und Beiträge und Spenden sammeln. „Ich war viele Jahre im Beirat“, sagt Alexander aus Minsk, Abschlussjahrgang 1995 (er bat uns um Anonymität), „aber im Februar bin ich ausgetreten. Ein paarmal habe ich mich nach dem 24. noch mit Kollegen ausgetauscht. Aber wissen Sie, denen, die den Krieg rechtfertigen, gebe ich nicht mehr die Hand. Mit Menschen, die diese Aggression unterstützen, habe ich nichts zu besprechen. Ein paar andere sind derselben Meinung wie ich. Aber die Beiratsleitung und ein Großteil der Mitglieder unterstützen diese Aggression. Und nicht nur zum Beirat habe ich den Kontakt abgebrochen – auch zu vielen meiner Kommilitonen, mit denen ich jahrelang befreundet war. So eine Bruderschaft kann man sich sonstwohin stecken. Sie existiert nicht.“ 

    Die Kadettenbruderschaft, an die viele dieser Jungen einmal geglaubt haben, war offenbar nichts weiter als ein sowjetisches Ideologem wie so vieles andere. Nach der UdSSR hielten sie die Absolventen noch aufrecht. Sie unterhielten Gruppen in sozialen Netzwerken, halfen einander, gratulierten einander zum Geburtstag. Am 24. Februar war das alles vorbei. Ja, sogar von der Alten Oper, in die sie kolonnenweise geführt wurden, ist längst nichts mehr übrig – seit dem Umbau sieht sie aus wie ein türkisches Hotel.

    Verblichen sind die Erinnerungen; was bleibt, ist die Rubrik Dritter Trinkspruch auf der Absolventenseite. Da ist leider Platz für alle. Für viele Kriege im Voraus.

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  • Wenn die Raketen fliegen – Fußball im Krieg

    Wenn die Raketen fliegen – Fußball im Krieg

    Als die erste Schockstarre nach Beginn des russischen Angriffskrieges überwunden war, fragte man sich in der Ukraine, wie es mit dem Fußball weitergehen könnte. Die Meisterschaften der Saison 2021/2022 wurden bekanntlich eingefroren. Die Entscheidung, den Ball trotz des Krieges wieder rollen zu lassen, begann im späten Frühjahr zu reifen. Die Entscheidung wurde auf höchster Ebene vorangetrieben. Wolodymyr Selensky sprach sich persönlich dafür aus, neue Meisterschaften anzusetzen. Am 23. und 24. August, dem Tag der Unabhängigkeit der Ukraine, ist es nun soweit, mit dem Start der höchsten Spielklasse des Landes.

    Allerdings gibt es viele Zweifel, Skeptiker und natürlich wichtige Fragen: Wie spielt man Fußball, wenn russische Raketen fliegen? Darf man in einem Krieg überhaupt Fußball spielen? Oder muss man sogar? Werden Fans zu den Spielen zugelassen? Was passiert, wenn es während des Spiels Luftalarm gibt? Haben die Vereine überhaupt noch genügend finanzielle Mittel, um das millionenschwere Fußballgeschäft aufrechtzuerhalten?

    All diesen Fragen und anderen widmet sich der ukrainische Sportjournalist Yuriy Konkevych in diesem Beitrag. Er erklärt, welche Debatten rund um den Wiederanpfiff geführt wurden und wie die Meisterschaft in der Zeit des Krieges sicher und reibungslos ablaufen soll. 

    Der Artikel entstand in einer Kooperation mit dem österreichischen Fußballmagazin ballesterer, in dessen September-Ausgabe eine kürzere Version dieses Beitrags erscheint. Er gehört zu unserer Reihe Platforma, in der russische, belarussische oder auch ukrainische Journalistinnen und Journalisten schreiben und Einblick in aktuelle Debatten und Entwicklungen zu osteuropäischen Themen liefern. Die Texte werden weitgehend von Journalistinnen und Journalisten geschrieben, die sich gezwungen sahen, aufgrund der Repressionen in ihren Ländern ins Exil zu gehen.

    РУССКАЯ ВЕРСИЯ

    Am 23. August beginnt – trotz allem – die neue Saison der Premjer Liha, der höchsten Spielklasse im ukrainischen Fußball. Die Spiele werden in den heimatlichen Stadien ausgetragen. Die Zusammensetzung der Liga wie auch der Teams wird allerdings eine andere sein. Und die Spielbedingungen wurden an die Realitäten des Krieges angepasst.

    „Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie wir spielen werden. An jedem Ort der Ukraine kann jederzeit eine Rakete einschlagen. Kann gut sein, dass du losläufst und es nicht in den Luftschutzkeller schaffst.“ Diese Bedenken des Fußballers Olexandr Kutscherenko sind berechtigt. Den ganzen Sommer saß er am Steuer eines Transporters und fuhr in den Osten der Ukraine, um humanitäre Hilfsgüter zu verteilen, die Freunde, Fans und Fußballer gesammelt haben. „Aber ohne Fußball geht es auch nicht. Ich habe zwei Träume: Dass die Saison losgeht, und dass wir die Besatzer aus unserem Land jagen“, ergänzt Kutscherenko.

    Der Trainer Juri Wernydub ist der gleichen Ansicht. Sein Team von Sheriff Tiraspol aus Moldau spielte am 24. Februar in der Europaliga gegen Braga in Portugal. Als er vom Kriegsbeginn erfuhr, packte er seine Sachen, fuhr in die Ukraine zurück und ging als Artillerist an die Front. Im Juni nahm er seine Arbeit als Trainer wieder auf, nun allerdings in der Ukraine.

    Spieler sammeln Geld, Fans kämpfen an der Front 

    Kutscherenko ist einer der wenigen Fußballer, die der Front und den zivilen Stellen nicht nur mit Geld helfen, sondern sich auch in die Bewegung der Ehrenamtlichen eingeklinkt haben. Selbst als sich sein Team von Inhulez Petrowe, einem Premjer Liha-Verein aus der Zentralukraine, auf die Saison vorbereitete, versuchte Olexsandr noch, der Armee zu helfen.

    Erst der Schock, dann wird gehandelt, so leben die Ukrainer seit dem 24. Februar. Den Fans hat gefallen, wie fast alle prominenten Fußballer auf den Krieg reagierten. Namhafte Legionäre von europäischen Spitzenklubs: Ruslan Malinowski von Atalanta Bergamo, Andrij Jarmolenko von West Ham United, Olexandr Sintschenko, der jetzt bei Arsenal London spielt, oder Roman Jaremtschuk von Benfica Lissabon, sie alle sammelten Millionen Euro für die Ukraine und die Armee.

    Fußballlegende Andrij Schewtschenko ist aktuell Botschafter der Präsidentenstiftung United24, die im Ausland Spenden sammelt. Dynamo Kyjiw und Schachtar Donezk haben Dutzende internationale Benefizspiele veranstaltet, um Geld für die Armee zu sammeln, und dabei gleichzeitig die Spieler der ukrainischen Nationalmannschaft für die Playoff-Qualifikationsspiele zur WM 2022 fitgemacht.

    Viele Ultras kämpfen seit dem 24. Februar an der Front, einige sind gefallen. Beim Benefizspiel von ehemaligen Spielern des FK Wolyn aus Luzk in der Westukraine, dem ersten Spiel überhaupt seit November 2021, waren im Block der Ultras nicht mal zehn Fans anwesend. Bei diesem Spiel wurden Gelder zum Kauf von Kampfdrohnen gesammelt.

    Am emotionalsten waren die Spiele der Nationalmannschaft im Ausland. Die Blau-Gelben konnten zwar Schottland bezwingen, scheiterten dann aber im Finale um den letzten Platz für das Teilnehmerfeld bei der der WM in Katar an Wales. Es folgten drei Spiele in der Nations League. Überall dominierten die Nationalfarben in den Stadien, ukrainische Lieder wurden gesungen, und die Fans reisten aus ganz Europa an.

    Das Juri Gagarin-Stadion in Tschernihiw, zerstört durch russische Raketen / Foto © Facebook/desnafc

    Angesichts dieser einmütigen Reaktion ist das Verhalten einiger ukrainischer Spieler, die in Russland geblieben sind, besonders auffällig. Iwan Ordez, ein ehemaliger Spieler von Schachtar Donezk, verlängerte seinen Vertrag bei Dynamo Moskau, nahm allerdings eine Leihoption beim deutschen Bundesligisten VfL Bochum in Anspruch. Der ukrainische Rekordnationalspieler Anatoli Tymoschtschuk (144 Einsätze) hat sich mit keinem Wort zum Krieg geäußert, lebt weiterhin in Sankt Petersburg und arbeitet dort für Zenit. Der U-19-Europameister Wytali Wyzenez wurde wegen „antiukrainischer“ Äußerungen beim ukrainischen Krywbas Krywyj Rih gefeuert; fand aber schnell einen neuen Arbeitsplatz beim russischen Erstligisten Arsenal Tula. Jaroslaw Rakyzkyj, der immer wieder aufgrund seines mangelnden Patriotismus kritisiert wurde (er hatte bei Spielen der Nationalmannschaft prinzipiell nicht die Hymne mitgesungen), packte einige Tage nach Kriegsbeginn seine Sachen und ging nach Russland.

    Spiele unter Bomben: unterbrochen wegen Luftalarms 

    Als der erste Schock überwunden war, fragte man sich in der Ukraine, wie es mit dem Fußball weitergehen soll. Die Profiligen in der Ukraine waren stets mit Geldern von Oligarchen verquickt, und angesichts der riesigen Zerstörungen und des finanziellen Zusammenbruchs weigerten sich viele Klubpräsidenten, ihre Mittel für Fußball auszugeben.

    Aufgrund ihrer zerstörten Heimspielstätten haben sich Desna Tschernihiw und der FK Mariupol aus der ukrainischen Premjer Liha zurückgezogen. In Mariupol haben die Russen Asowstal zerbombt, das Stahlwerk, das Rinat Achmetow gehörte, dem Eigentümer und Präsidenten des großen FK Schachtar Donezk.

    Aufgrund der finanziellen Probleme der Vereinsbesitzer oder der zerstörten Infrastruktur fehlen der zweit- und dritthöchsten ukrainischen Liga (dem Namen nach die Erste und Zweite Ukrainische Liga) 20 bis 30 Prozent der Klubs. Einige Besitzer erklärten, sie würden ihr Engagement im Profifußball aussetzen, aber den Jugendfußball weiter unterstützen. Nach dem Sieg im Krieg würde man eine Rückkehr der Professionellen Fußballliga (PFL) der Ukraine, die die Erste und Zweite Liga organisiert und verwaltet, oder der Ukrainischen Premjer Liha (UPL) ermöglichen.

    Die Meisterschaft 2021/22 wurde bekanntlich abgebrochen, der Meistertitel nicht vergeben Die Entscheidung über einen Wiederbeginn der Premjer Liha reifte Ende März 2022 heran, als die russische Armee aus dem Kyjiwer Umland und dem Norden der Ukraine vertrieben wurde. Ein Teil der Vereinsbesitzer, die an den europäischen Wettbewerben teilnehmen wollten, erhoben die Forderung, die Meisterschaft in Polen oder der Türkei auszutragen. Es gab auch Stimmen, die kein Verständnis dafür zeigten, dass für Fußball Geld ausgegeben wird, wo doch die Armee dringend die Mittel benötige. Der Präsident von Agrobisnes Wolotschysk aus der Zweiten Liga hat sein Team sogar aufgelöst – „bis zum Sieg“. Bis zu zehn Spieler und Mitarbeiter des Klubs dienen in den ukrainischen Streitkräften.

    Ihor Dedyschyn, Geschäftsführer Sport von Ruch Lwiw, ist da weniger kategorisch. Er verweist die Gegner eines „Fußballs unter Bomben“ auf die Erfahrungen in Kroatien. „Anfang der 1990er Jahre, als sich das Land im Krieg befand, haben sie dort vier Jahre Fußball gespielt. Das war ein Weg, Zusammenhalt zu zeigen, sein Land zu unterstützen, Kroatien moralisch zu stärken“, erklärte Dedyschyn.

    Präsident Wolodymyr Selensky bestand bei einem Treffen mit Andrij Pawelko, dem Chef des Ukrainischen Fußballverbands, darauf, dass die Meisterschaft ausschließlich aus patriotischen Motiven in der Ukraine veranstaltet werden solle. Er gab zu verstehen, dass er die massenhafte Abwanderung von Spielern – Männern im wehrfähigen Alter –, ins Ausland nicht dulden werde. Pawelko erklärte: „Wir haben darüber gesprochen, welche Kraft der Fußball hat, indem er den Menschen hilft, an die Zukunft zu denken. Daher haben wir gemeinsam mit dem Präsidenten beschlossen, dass wir im August die ukrainische Meisterschaft wieder aufnehmen werden.“

    Für den Saisonstart der Ukrainischen Premjer Liha (UPL) wurde ein symbolisches Datum gewählt: der 24. August, der Tag der Unabhängigkeit der Ukraine. In der Premjer Liha treten wie vor dem Krieg 16 Teams an. Der Klub Mynaj aus dem westukrainischen Ush‘horod, der eigentlich hätte absteigen müssen, zog eine Wild Card und blieb in der UPL, während die Ligaplätze von Desna Tschernihiw und FK Mariupol an Metalist Charkiw (das von dem Milliardär Olexandr Jaroslawskyj wiederbelebt wurde), und an Krywbas Krywyj Rih gingen, das von der Verwaltung und Firmen in Krywyj Rih unterstützt wird. Es ist die Geburtsstadt von Präsident Selensky.

    Doch der Beschluss zu spielen und in einem Land, das sich im Krieg befindet, den Ligabetrieb tatsächlich wieder aufzunehmen, sind zwei unterschiedliche Dinge: Das Stadion von Desna Tschernihiw etwa wurde bei Angriffen der russischen Armee getroffen, das Stadion von Metalist Charkiw erlebte eine Welle von Explosionen und auch in Stadien in der Nähe von Kyjiw (in Hostomel und Borodjanka) gab es einige Einschläge. Die Russen haben die Fußballarena in Mariupol zerbombt, in Bachmut und Wolnowacha sind alle Sportanlagen zerstört. Die Liste ließe sich lange fortführen.

    In zehn Stadien haben die Behörden nun einen Spielbetrieb ohne Zuschauer genehmigt, so in den relativ sicheren Gebieten Kyjiw, Lwiw und Transkarpatien; für die Spiele gelten besondere Sicherheitsauflagen. Alle Personen, die am Ligabetrieb beteiligt sind, werden vom Wehrdienst freigestellt. Die Spiele müssen in Stadien stattfinden, die sich höchstens 500 Meter von einem Luftschutzraum entfernt befinden. Pro Spiel werden höchstens 280 Zuschauer zugelassen. Im Fall eines Luftalarms wird das Spiel unterbrochen und alle begeben sich in den Luftschutzkeller. Hält der Luftalarm länger als 60 Minuten an, wird die Begegnung am nächsten Tag zu Ende gespielt. Ist der Alarm relativ schnell vorbei, bekommen die Mannschaften zehn Minuten, um sich wieder warmzumachen, bevor das Spiel fortgesetzt wird.

    Fußball in Kriegszeiten: mehr Chancen für junge Spieler

    Zum zweiten Mal nach 2014 haben im Sommer dieses Jahres sehr viele Ausländer die UPL verlassen. Nicht nur ausländische Spieler, sondern auch Ukrainer, die zu Kriegsbeginn in Trainingslagern im Ausland waren und nicht mehr zurückgekehrt sind. Wer Glück hatte, kam bei einem europäischen Klub unter. Andere gingen in Länder, die fußballerisch eher exotisch anmuten, in asiatische Staaten, nach Kanada oder Indien. Einige beschäftigen sich statt mit Fußball nun mit Kryptowährungen.

    Skeptiker sagen dem ukrainischen Fußball vor allem eines voraus: seinen Zusammenbruch. Optimisten sehen in der aktuellen Situation eine Chance, sie prognostizieren einen Aufschwung im Kinder- und Jugendbereich.

    Die Wahrheit liege wohl eher in der Mitte, sagt Jaroslaw Wyschnjak, der Trainer von Kolos Kowaliwka. Nach 2014 haben einige Vereine eine sehr starke Jugendarbeit aufgebaut. Viele junge Spieler sind in Vereinen der UPL Stammspieler geworden oder ins Ausland gegangen. Ein Beispiel ist der 18-jährige Jehor Jarmoljuk, der beim englischen Klub Brentford FC einen Vertrag für die Premier League erhielt. „Viele haben zwar die Ukraine verlassen“, meint Wyschnjak, „aber schauen Sie nur, was für Trainer geblieben sind: Juri Wernydub, Roman Hrygortschuk, Mircea Lucescu, Igor Jovićević, Wiktor Skrypnyk. Die wissen, wie man mit jungen Spielern arbeiten muss, deshalb wird es bald neue Spieler geben, auf die wir stolz sein können.“

    Wyschnjak ist Cheftrainer des FK Kolos aus dem Dorf Kowaliwka im Kyjiwer Gebiet. Das Team rangiert in der Premjer Liha im Mittelfeld. Experten schätzen, dass die Spiele von Kolos und sieben bis acht weiterer Vereine entscheidend dafür sein werden, wie sich das Fußballinteresse der Ukrainer in Zeiten des Krieges entwickelt. Die Qualität des Fußballs könnte nachlassen, daher rücken nicht Preise und das Niveau der Spieler in den Vordergrund, sondern die Entscheidungen von Trainern und Managern. „Die Gehälter sind erheblich zurückgegangen, die Nachfrage nach guten ukrainischen Spielern ist gestiegen, und die Manager mit der größten Weitsicht könnten zu dem Schluss kommen, dass man selbst in Kriegszeiten neue Spieler aufbauen kann, die nach dem Krieg Ablösesummen einbringen“, meint der Fußballkommentator Wiktor Wazko.

    Meisterschaft der Skandale

    Eine Eigenheit aus früheren Zeiten hat der ukrainische Fußball allerdings auch jetzt noch beibehalten: die Skandale.

    Im März richtete sich die Wut der Fans gegen die Brüder Ihor und Hrygori Surkis, die Bosse von Dynamo Kyjiw. Medien hatten berichtet, dass sie 17 Millionen US-Dollar, eine russische Staatsangehörige und zwei Männer im wehrfähigen Alter mit dem Kleinbus außer Landes gebracht hatten. Hrygori Surkis kam daraufhin zurück, allerdings nur, um seine Uhrensammlung abzuholen.

    Im Sommer sorgte dann Schachtar Donezk Aufregung: Anstelle des Italieners Roberto De Zerbi übernahm der Kroate Igor Jovićević das Team, obwohl letzterer zuvor mehrfach seine Treue gegenüber Dnipro-1 verkündet hatte. Zusätzlich entschied sich Schachtar, gegen die FIFA vors Sportgericht zu ziehen, um 50 Millionen Euro Entschädigung einzufordern. Der Grund seien die neuen Transferregeln für die UPL: Die FIFA hatte es nach dem 24. Februar ausländischen Spielern in der UPL erlaubt, die Verträge mit ihren Klubs auszusetzen und auch mitten in der Saison den Verein zu wechseln. Das war ein Schlag für jene Vereine, die vor allem auf ausländische Spieler setzen, zu denen eben auch Schachtar gehört. Der Verein aus Donezk hatte im Februar 14 Ausländer unter Vertrag, von denen er sich nun trennen musste und dabei erhebliche Geldsummen verlor. „Wir hatten keine Zeit, die Spieler zu verkaufen. Die potenziellen Käufer und auch die Agenten der Spieler mussten einfach nur den 30. Juni abwarten, um keine Ablöse an den Verein zahlen zu müssen“, erklärt Serhij Palkin, Generaldirektor von Schachtar, den Grund für die Klage.

    Der neue Mannschaftsbus von Schachtar Donezk / Foto ©  facebook.com/fcshakhtar
    Der neue Mannschaftsbus von Schachtar Donezk / Foto © facebook.com/fcshakhtar

    All diese Herausforderungen, die der Krieg mit sich bringt, könnten den ukrainischen Fußball um Jahrzehnte zurückwerfen. Dringender denn je ist jetzt eine schnelle Reaktion des Ukrainischen Fußballverbands (UAF) gefragt. Dem steht seit 2015 Andrij Pawelko vor. Er übernahm das Amt unter dem Eindruck unzufriedener Fans, die forderten, den Fußball zu reformieren, die Korruption zu beseitigen und den Einfluss der Oligarchen einzuhegen. 

    Stattdessen ist es Pawelko gelungen, vor allem seine Macht zu zementieren. Neben der Leitung des ukrainischen Fußballs hatte er lange auch den Vorsitz im Haushaltsausschuss des Parlaments inne, und zwar für die Partei von Ex-Präsident Petro Poroschenko. In dieser Zeit hat er die Vorsitzenden der Fußball-Regionalverbände abgesetzt und dort seine Vertrauten installiert. Nach dem Sieg von Wolodymyr Selenskyj zeigte er sich auch dem neuen Präsidenten gegenüber loyal.

    Am 5. März sollte ein neuer Präsident des ukrainischen Verbandes gewählt werden, doch wegen der Kriegsereignisse wurde der Verbandskongress abgesagt. Eine spannende Wahl war eh nicht zu erwarten: einen Gegenkandidaten zu Pawelko gab es nicht. Aufgrund einer Satzungsänderung ist für eine außerordentliche Neuwahl des Verbandspräsidenten oder die Nominierung eines Kandidaten eine Zweidrittelmehrheit der Teilnehmer erforderlich. Die ist derzeit schlicht unrealistisch.

    „Pawelko ist unser Lukaschenko“, scherzt der ukrainische Journalist Michail Sliwakowskyj. Sein Kollege Roberto Morales ist überzeugt, dass Pawelko deshalb eine Wiederwahl braucht, damit er im Exekutivkomitee der UEFA bleiben kann. Wenn er bis Dezember nicht wiedergewählt wird, könnte er seinen Posten verlieren.

    Unterdessen nutzt Russland den Fußball, um seine imperialen Ideen zu verfolgen. Im Juli sprach Odes Bajsultanow, stellvertretender Sportminister Russlands, über Pläne, einen Ligawettbewerb mit Vereinen von der besetzten Halbinsel Krim, aus den sogenannten Volksrepubliken im Donbass, den besetzten Teilen der Gebiete Cherson und Saporishshja sowie aus Abchasien und Südossetien zu veranstalten. Den Russen ist klar, dass sie sich damit weitere Sanktionen der UEFA einhandeln könnten, daher wird diese Sonderliga für „befreundete Republiken“ in einem Format angekündigt, das keine russische Beteiligung vorsieht. Die Liga soll 2023 starten, doch zuvor haben sie mit dem Widerstand der ukrainischen Armee zu rechnen.

    Autor: Yuriy Konkevych
    Übersetzer: Hartmut Schröder
    Veröffentlicht am: 23.08.2022

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  • Bilder vom Krieg #6

    Bilder vom Krieg #6

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Lisa Bukreyeva

     

    „Wo du auch hinschaust – überall Einschusslöcher. Überall“, schreibt Lisa Bukreyeva auf Instagram. Ukraine, Juli 2022 / Foto © Lisa Bukreyeva
    „Wo du auch hinschaust – überall Einschusslöcher. Überall“, schreibt Lisa Bukreyeva auf Instagram. Ukraine, Juli 2022 / Foto © Lisa Bukreyeva

     

    Lisa Bukreyeva
    „Krieg ändert alles“

    [bilingbox]Krieg ändert alles. Er berührt alles, was du gewohnt bist und kennst. Die Stadt ändert sich, als würden ihr Zähne wachsen. Ich habe mein ganzes Leben in Kyjiw gelebt, doch hat es niemals so desolat und aggressiv gewirkt. Viele Kontrollposten, Gräben, Panzersperren und Sandsäcke. Überall. Ich spürte, dass Kyjiw bereit war zum Kampf.

    Krieg ist die schrecklichste Erscheinungsform des Menschseins. Kein Film, kein Buch, kein Foto kann den Schrecken dessen vermitteln, was da geschieht. Selbst ein Mensch, der es erlebt, ist sich nicht des gesamten Schmerzes bewusst, denn es ist unmöglich, damit zu leben. Doch ich denke, eine Künstlerin kann und sollte darüber sprechen, meine Arbeit ist dokumentarisch, aber auch emotional.
    Gleichzeitig denke ich, dass Fotografie Herzen berühren kann. Haben Sie Fotos aus Butscha oder Mariupol oder Asowstal gesehen? Jedes Mal, wenn ich die Namen dieser Städte ausspreche, habe ich diese Bilder vor Augen. Brauchen wir ein solches Foto? Ganz, ganz sicher. Das Mindeste, was es schafft: Es fängt ein, wie fragil die Menschlichkeit ist.

    In jedem Fall ist Fotografie subjektiv. Wir können diesen Krieg auf einer politischen Ebene gewinnen, doch wir werden ihn nie in den Köpfen der Russen gewinnen. Sie werden weiter nach einem Genozid lechzen. Daher ist eine Brücke zwischen unseren Kulturen unmöglich. Und es gab nie eine. Die Ukrainer sind immer zu dieser Freundschaft gezwungen worden, unsere Identität und Kultur wurden dabei ausradiert.

    Seit Beginn von Russlands Großinvasion bin ich in Kyjiw. Und bin immer noch hier. Ich glaube, meine Erfahrung gleicht der anderer Ukrainer. Es ist ein grenzenloser Schmerz und Schrecken. Die Zeit steht still. Es ist immer noch der 24. Februar, der 25. Februar beginnt erst, wenn der letzte russische Soldat unser Land verlassen hat.

    Es ist auch nicht einfach zu fotografieren, denn hinter jedem Einschussloch in einer Mauer, einem Zaun oder einem Fenster verbirgt sich Tragik. Dann triffst du Menschen, die die Besatzung überlebt haben, du unterhältst dich mit ihnen, und in ihren Augen spiegelt sich der gesamte Horror dessen, was sie durchgemacht haben.~~~War changes everything. It touches absolutely everything you are used to. The city is changing, it’s like his teeth are growing. I’ve lived my whole life in Kyiv, but he’s never looked so desolate and aggressive. Many checkpoints, trenches, anti-tank hedgehogs and sandbags. They were literally everywhere. It felt like Kyiv was ready to fight.

    War is the most terrible manifestation of humanity. No film, book or photograph can convey the horror of what is happening. Even the person living in it is not fully aware of all this pain, because it is impossible to live with it. But I think an artist can and should talk about it, and my work is documentary, but it’s also emotional. 
    At the same time I believe that the photograph is capable of breaking hearts. Have you seen pictures from Bucha or Mariupol, Azovstal? Every time I say the names of these cities I have before my eyes these shots. Do we need such a photo? Absolutely sure. At the very least, it encapsulates how fragile humanity is. 

    In any case, photography is subjective. We can win this war at the political level, but we will never win it in the minds of the Russians. They will still be hungry for genocide. So no bridges between our cultures are possible. And they never existed. Ukrainians have always been forced into this friendship, while erasing our identity and culture. 

    Since the beginning of Russia’s full-scale invasion, I have been in Kiev. And I’m still here. I think my experience is similar to other Ukrainians. It’s endless pain and horror. Time has stopped for us, we still have the 24th of February, and the 25th will come when the last Russian soldier leaves our land.

    It’s not easy to take pictures either, because behind every bullet hole in the fence or window is tragedy. Then you meet the people who survived the occupation, you talk to them, and all the horror they’ve been through is reflected in their eyes.[/bilingbox]

    LISA BUKREYEVA

    geboren 1993, lebt und arbeitet seit 2019 als Fotografin in Kyjiw

    AUSZEICHNUNGEN

    2021 Italian Street Photography festival |finalist
    2021 BIAŁYSTOK INTERPHOTO FESTIVAL | Gewinnerin der Kategorie Street Art Photo 
    2021 PEP New Talents | shortlist
    2022 Baku Street Photography festival 

    AUSSTELLUNGEN 

    2022 Nulid Gallery, Island
    2022 PEP, Kommunale Galerie, Berlin
    2021 BIAŁYSTOK INTERPHOTO FESTIVAL
    2020 ICP Concerned, New York, USA
    2019 Kyiv Photo Fair, Ukraine

    VERÖFFENTLICHUNGEN u. a. in The New York Magazine, Der Spiegel, Die Zeit, Blind, Bird In Flight u.v.m.

    BÜCHER

    2021 ICP Concerned. Global Images for Global Crisis
    2021 Ukraine XYZ


    Foto: ​​Lisa Bukreyeva
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Übersetzung aus dem Englischen: Friederike Meltendorf
    Veröffentlicht am 27.07.2022

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    Bilder vom Krieg #5

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Igor Chekachkov

    Marina, Kostja und Wlad kommen aus Kyjiw, zu dritt leben sie nun in einem Wohnheim in Lwiw, Juni 2022 / Foto © Igor Chekachkov
    Marina, Kostja und Wlad kommen aus Kyjiw, zu dritt leben sie nun in einem Wohnheim in Lwiw, Juni 2022 / Foto © Igor Chekachkov

    IGOR CHEKACHKOV
    „Was macht das Gefühl von Zuhause aus – und was passiert, wenn man dieses Gefühl verliert?“ 

    [bilingbox]Als russland [sic!] die Ukraine überfiel, war ich gezwungen, meine Heimatstadt Charkiw zu verlassen. Ich bin nach Lwiw gegangen und habe ziemlich bald damit begonnen, das Leben der vertriebenen Menschen zu dokumentieren. Das Thema interessiert mich, weil ich jetzt selbst ein Vertriebener bin. Und indem ich Menschen fotografiere, die ihr Zuhause verlassen haben, hinterfrage ich auch meine eigene Position und meine Gefühle.

    Dieses Foto habe ich in einem Wohnheim aufgenommen, in dem Vertriebene leben. Marina, Kostja und Wlad sind Freunde aus Kyjiw. Sie haben gemeinsam Film studiert und sind zu Beginn der Invasion nach Lwiw gezogen. Jetzt leben sie zusammen in einem kleinen Zimmer in einem Wohnheim.

    Vor etwa zehn Jahren habe ich in Charkiw an der Fotoserie Daily Lives gearbeitet, die zeigt, wie Menschen zusammenleben und sich gemeinsame Räume teilen. Diese Serie setze ich heute in einem ganz anderen Kontext fort – ich dokumentiere, wie Menschen, die gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen, in Notunterkünften zusammenleben. Als ich Charkiw gerade verlassen hatte, lebte ich in einem Haus in der Nähe von Lwiw mit etwa 20 anderen Vertriebenen zusammen. Dann zog ich an einen anderen Ort, und wir waren nur noch zu sechst. Diese Erfahrung machte mich neugierig darauf, wie andere Vertriebene zusammenleben.

    Ich versuche, die Grenzen der Dokumentarfotografie zu erweitern und neue Formen der Darstellung des Krieges zu finden. Dokumentar- und Pressefotografen leisten eine großartige Arbeit, aber es gibt viele von ihnen auf der ganzen Welt. Deshalb möchte ich experimentieren und mich auf persönlichere Themen konzentrieren. Ich habe das Gefühl, dass ich noch mehr Zeit brauche, um darüber nachzudenken, was gerade passiert, was ich damit machen kann und was dabei die Rolle des Fotografen ist. 

    Mit meiner Fotografie frage ich, was das Gefühl von Zuhause, von Heimat ausmacht und was passiert, wenn Menschen dieses Gefühl verlieren. Wie Werte sich wandeln, wenn wir mit etwas so Schrecklichem konfrontiert sind, wie sich unsere Persönlichkeit verändert. Das sind die Fragen, die ich mir selbst stelle, und auch den Menschen, die ich fotografiere.

    Kann Kunst eine Brücke bauen zwischen der Ukraine und russland? Ich hatte immer das Gefühl, dass Kunst der beste Weg ist, um Brücken zwischen Kulturen zu bauen, aber jetzt bin ich nicht mehr so optimistisch. russland hat so viele Dinge getan, um Hass in ukrainischen Herzen zu säen, und die Ukrainer werden für eine ganze Weile keine Brücken zu russland bauen wollen. Jedenfalls kann ich mir das nicht vorstellen, solange russland weiterhin die Ukraine angreift. Die Menschen, die uns angegriffen haben, sind von der Kunst nicht berührt; die, die es doch sind, würden nicht in ein anderes Land einfallen. Deswegen denke ich, dass wir Künstler nicht viel tun können. Die Kunstwerke werden nie von Kreml-Politikern oder russischen Soldaten gesehen werden. Aber ich hoffe, dass Kunst – und Fotografie im Besonderen – helfen kann, eine solche Katastrophe in Zukunft zu verhindern.~~~When russia invaded Ukraine, I was forced to leave my hometown Kharkiv to western Ukraine. I’ve settled down in Lviv and shortly I started documenting displaced people. I am interested in this subject because now I am a displaced person myself, and by photographing people who left their homes I am also questioning my position and my feelings.

    This photograph was taken in the dorm, which is inhabited by displaced people. Marina, Kostya and Vlad are friends from Kyiv. They were studying cinematography together and moved to Lviv at the beginning of the invasion. Now they live together in a small room in the dorm. 

    About 10 years ago I was working on a “Daily Lives” series in Kharkiv, depicting how people live together and share common spaces. Now I continue this series in a very different context — I document how people who were forced to leave their homes and live together in shelters. When I just left Kharkiv I was living in a house not far from Lviv with about 20 other displaced. Then I moved to another place and there were just six of us. This experience made me interested in how other displaced people live together.

    I am trying to push the boundaries of documentary photography and searching for new forms of depicting the war. Documentary and news photographers are doing a great job, but there are plenty of them from all over the world and that’s why I want to experiment and focus on more personal topics. I feel that I still need more time to reflect on what is going on, what I can do with it and what is the role of the photographer now. 

    With my photography I am questioning what is the feeling of home and what happens when people lose it. How values change when we face something so dreadful and how it changes our personality. These are the questions I ask myself, as well as the people I photograph. 

    Can art build bridges between Ukraine and russia? I always felt that art is the best way to build bridges between cultures, but now I am not so optimistic. russia did so many things to plant hate in Ukrainians hearts and Ukrainians will not want to build bridges with russia for quite a while. At least I can’t imagine this happening while russia continues to attack Ukraine. People, who attacked us, are not touched by art; the ones who are will not invade another country. This is why I don’t think we (artists) can do much. The work of art will never be seen by Kremlin politicians or russian soldiers. But I hope that art, and photography in particular, can help to prevent this kind of disaster in the future.[/bilingbox]

    IGOR CHEKACHKOV

    1989 in Charkiw/Ukraine geboren. Begann 2008 zunächst als Fotojournalist zu arbeiten und fand schließlich zur Arbeit als künstlerischer Fotograf. 

    AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL)

    2022 – Maison de la Photographie, Lille
    2021 – Interphoto Festival, Białystok
    2021 – Mystetskyi Arsenal, Kyjiw
    2019 – Dongsung Market Art Project in Daegu/Südkorea
    2019 – Einzelausstellung während des Hybrid-Kunstfestivals, Madrid
    2019 – CEPA Gallery, Buffalo, New York
    2018 – EEP Berlin
    2017 – Fotofestival Odessa/Batumi

    PUBLIKATIONEN
    u.a. in British Journal of Photography, Bird in Flight, P3 uvm.


    Foto: Igor Chekachkov
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Übersetzung aus dem Englischen: dekoder
    Veröffentlicht am 13.07.2022

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