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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Bystro #24: Wie wird der Tag des Sieges in Belarus gefeiert?

    Bystro #24: Wie wird der Tag des Sieges in Belarus gefeiert?

    Am 9. Mai wird in Belarus wie in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken der Tag des Sieges begangen. Auch in Minsk wird mit einer Parade an das Ende des Großen Vaterländischen Krieges, beziehungsweise des Zweiten Weltkriegs in Europa, und an den Sieg über den Faschismus erinnert. Zu dem Feier- und Gedenktag gehört auch, dass Veteranen am 9. Mai kostenlos Telefonate über den staatlichen Dienstleister Beltelekom führen können. Wie aber hat sich die Erinnerungskultur zum Tag des Sieges in den Jahren seit der Unabhängigkeit der Republik Belarus gewandelt? Wird die junge Generation von den sowjetischen Mythen überhaupt noch erreicht? Ein Bystro von Historiker Alexey Bratochkin in acht Fragen und Antworten.

    1. 1. Wie wird der Tag des Sieges aktuell in Belarus begangen und wie hat sich das seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 verändert?

      In den Jahren der Unabhängigkeit hat sich der politische Kontext der Erinnerung verändert: Das Erinnern in den Familien, das individuelle Gedenken entfernt sich immer weiter von der offiziellen Version, es ist nuancierter geworden und längst nicht mehr schwarz-weiß, auch wenn die Idee vom Sieg über den Faschismus weitergetragen wird.

      Das offizielle Erinnern ist endgültig zu einem Stereotyp geworden, das nicht auf Veränderung ausgerichtet ist. Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 2020 lief in allen belarussischen Staatsmedien das Projekt Belarus erinnert sich, dessen Analyse zu verstehen hilft, was diese Erinnerung ausmacht: Betont werden die heroische, idealisierte Selbstaufopferung und die Heldentaten der Soldaten und Partisanen auf der einen, und die Tragödie der zivilen Bevölkerung auf der anderen Seite. Alle anderen Themen werden in keiner Weise kritisch oder realistisch beleuchtet (beispielsweise die Themen Kollaboration, Alltag unter der Besatzung, Holocaust und jüdischer Widerstand oder Kriegsgewalt auf beiden Seiten). 

      Die Erinnerung an den Krieg steht grundsätzlich nicht mehr im Zentrum des offiziellen Projekts, eine kollektiven Identität zu erschaffen, wie es in den 1990er Jahren und früher der Fall war. Sie bildet lediglich den Hintergrund für die Versuche, den Autoritarismus und seine Praktiken zu legitimieren. Denken wir beispielsweise an die Militärparade in Minsk zum 9. Mai 2020 – auf dem Höhepunkt der Corona-Epidemie, die von der Staatsmacht ja mehr oder weniger ignoriert wurde.

    2. 2. Sie nutzen den Begriff Zweiter Weltkrieg. Ist Großer Vaterländischer Krieg nicht mehr gebräuchlich in Belarus?

      In Belarus wird zwar immer noch vorwiegend der Begriff „Großer Vaterländischer Krieg“ verwendet, aber er gerät zunehmend in die Kritik und ist Gegenstand von Diskussionen. Der Feiertag wird ja auch mittlerweile zum großen Teil von Menschen begangen, die lange nach Kriegsende geboren sind. Man kann es so sagen: Die Verwendung des Begriffs „Zweiter Weltkrieg“ ist typisch für diejenigen, die sich von der sowjetischen Erinnerungskultur distanzieren wollen oder, wie die jüngere Generation, die Geschichte des Krieges von vornherein außerhalb des sowjetischen Kontextes wahrnehmen, als eine Geschichte, an der viele Länder beteiligt waren. 

    3. 3. Wie nehmen jüngere Generationen, die die Sowjetunion nicht mehr bewusst erlebt haben, diesen Gedenktag überhaupt wahr?

      Die sowjetische Interpretation der Geschichte des Krieges hat sich in den Jahren der Unabhängigkeit gewandelt. Mittlerweile haben wir es mit einem Hybrid aus dem sowjetischen Narrativ und den Versuchen der Staatsideologen zu tun, dieses Narrativ zu nationalisieren. Es wird nicht mehr die sowjetische Identität der Kämpfenden betont, sondern die belarussische. Gleichzeitig werden alle unangenehmen Fragen ausgeblendet.

      Auf junge Menschen wirkt das alles wie ein überholtes Ritual. Sie wollen eine „Belebung“ des Gedenkens, persönliche Geschichten, Offenheit, ein Verständnis für die Schattenseiten des Krieges. Die Erinnerung muss in für sie verständlichen Medien präsentiert werden – Youtube, Instagram, digitalen Projekten und so weiter, mit der Möglichkeit zur Interaktion. Die Jugend will die Geschichte des Krieges „von unten“ sehen, als Erzählung einer persönlichen Erfahrung, nicht als Ansammlung stereotyper Propaganda-Parolen.

    4. 4. Inwiefern widerspiegeln kritische Haltungen gegenüber den aktuellen Machthabern andere Auffassungen von diesem Feiertag?

      Natürlich wird in Belarus über verschiedene Interpretationen des Krieges gesprochen. Manche sehen in der Verehrung des Sieges eine spezifische Fortsetzung: die Rückkehr zum Stalinismus und seiner Vorkriegsatmosphäre. Manchen liegt die Idee von den zwei totalitären Systemen näher – dem nationalsozialistischen und dem sowjetischen und vor diesem Hintergrund dann die nationale Tragödie. 

      Mainstream in unserer Gesellschaft ist aber, dem Krieg die entscheidende Rolle für die Geschichte des 20. Jahrhunderts zuzuschreiben, für die Geschichte von Belarus und die kollektive Identität. Gerade deshalb hat die Gesellschaft den Machthabern lange alle Manipulationen verziehen – denn sie waren populistisch und verstärkten die Vorstellung vom Alleinanspruch auf Kriegserinnerung. Heute haben Manipulationen an der kollektiven Erinnerung einen gegenteiligen Effekt – man assoziiert das Regime mit den Manipulationen und nicht mit dem Bedürfnis nach Identität.

    5. 5. Gerade der Mythos der „Partisanenrepublik“ war lange mit der Identität von Belarus verbunden. Welche Bedeutung hat dieser Mythos heute noch?

      Der Mythos ist tatsächlich erhalten, obwohl man schwer sagen kann, was wir mit dem Wort Partisanen überhaupt meinen. Zum Beispiel gab es während der Proteste sogenannte „Cyberpartisanen“, die die Internetseiten der staatlichen Behörden zu hacken versuchten. Oder wenn wir über die „Partisanen“-Taktik der Proteste sprechen. 

      Ich denke, wichtig sind hier weniger die Bezüge zum Zweiten Weltkrieg, obwohl es sie gibt (und die Partisanen-Bewegung ist in diesem Zusammenhang eines der komplexesten Themen), sondern vielmehr der Gedanke, dass „wir das schaffen“, die Idee, ein Subjekt zu sein, aktiv zu sein, zu handeln. 

      Ich denke außerdem, dass man schon lange aufgehört hat, das Wort „Republik“ im sowjetischen Sinne zu gebrauchen – als Terminus, der ein Teilgebiet der UdSSR beschreibt und nichts mit der politischen Bedeutung von res publica zu tun hat: einer gemeinsamen Sache, mit Solidarität, den Werten politischer Teilhabe.

    6. 6. Zeigt sich in den aktuellen Protesten eine politische Haltung der Bevölkerung, die möglicherweise der offiziellen Erinnerung zum Tag des Sieges kritisch gegenübersteht?

      Die Proteste begannen im Zusammenhang mit politischem Betrug, sie hatten nichts mit der Interpretation der Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu tun. Die erste Massendemo fand nach dem 9. August 2020 statt, rund um das Museum des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk. Erst später ging das Regime dazu über, die Demonstrierenden fast schon zu Faschisten zu erklären, die die heiligen Werte mit Füßen treten würden – und bei allen späteren Protesten wurde das Museum durch das Militär abgeriegelt. Es war das Regime, das die Erinnerung an den Krieg instrumentalisierte. So versuchen die Ideologen der Staatsmacht, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg für den Kampf gegen die politische Opposition zu instrumentalisieren (wie schon Mitte der 1990er Jahre), indem sie die Proteste von 2020 und ihre Symbolik mit dem Kollaborationismus zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in Verbindung bringen. 

    7. 7. Der Holocaust, der Belarus nahezu vollständig seiner jüdischen Bevölkerung beraubte, gehörte eigentlich nie zur offiziellen Erinnerungskultur zum Tag des Sieges. Gibt es dahingehend Wandlungsprozesse?

      Ich sehe heute keine einheitliche Erinnerungskultur, die für alle gelten würde. In den staatlichen Medien spielt das Thema Holocaust während der Feierlichkeiten zum 9. Mai eine untergeordnete Rolle. Es gibt zwar noch andere Gedenktage, die dem Holocaust gewidmet sind, aber selbst dann wird nicht viel darüber geschrieben. Ich denke, dieses Jahr werden sich die Staatsmedien darauf konzentrieren, den Kollaborationismus der Kriegszeit mit den Protesten in Verbindung zu bringen. Aber viele haben kein Interesse an den staatlichen Medien, sie informieren sich stattdessen zum Beispiel in den sozialen Netzwerken. Dort sieht man viele Fotos, Familiengeschichten, darunter auch Erinnerungen an den Holocaust. Aber das ist die Mikroebene des Gedenkens.

    8. 8. Gibt es Debatten darüber, wie ein Tag des Sieges in Zukunft begangen werden könnte?

      Öffentlich wird das Thema in Belarus kaum diskutiert. Ich erinnere mich zum Beispiel aber an die Präsentation der Publikation Kriegsgedenken als Event: Der 9. Mai 2015 im postsozialistischen Europa, die sich zum 70. Jahrestag des Kriegsendes mit dieser Frage beschäftigte. Darin wurden für alle betroffenen Länder verschiedene Szenarien gezeichnet: Dass der Feiertag zu „einem von vielen“ werden oder im Zuge der zunehmenden politischen Instrumentalisierung des Kriegsgedenkens in Belarus und Russland mehr und mehr profanisiert werden wird. Ich denke, die Instrumentalisierung des Gedenkens könnte auch zu einer Reaktualisierung der Erinnerung führen und den gegenteiligen Effekt haben, dass es da noch Diskussionen geben wird. Der Einsatz von Militärtechnik beispielsweise während der Niederschlagung der Proteste in Minsk hat eine große Debatte darüber ausgelöst, inwiefern wir die Erfahrung der Gewalt in unserem Land historisch reflektiert haben, unter anderem auch die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs.

    *Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.

    Text: Alexey Bratochkin
    Übersetzerin: Jennie Seitz
    Veröffentlicht am 06.05.2021

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  • Lukaschenkos Büchse der Pandora

    Lukaschenkos Büchse der Pandora

    Eine der wichtigsten Entscheidungen seiner gesamten Amtszeit – so nannte Alexander Lukaschenko am 17. April eine Neuerung, die er eine Woche später verkündet hat: Sollte dem Präsidenten etwas zustoßen, soll seine Macht einem neuen Dekret zufolge an den belarussischen Sicherheitsrat übertragen werden. 

    Ebenfalls am 17. April hatten der belarussische KGB und der russische FSB verkündet, ein angeblich geplantes Attentat auf Lukaschenko vereitelt zu haben. Dem Politologen Alexander Feduta und zwei weiteren Männern wird vorgeworfen, einen Umsturz in Belarus geplant zu haben. Lukaschenko vermutet dabei eine Beteiligung amerikanischer Geheimdienste. Auch Putin erwähnte den Fall in seiner Rede zur Lage der Nation. Im belarussischen Staatsfernsehen sprach ein ehemaliger KGB-Mitarbeiter sogar von einer geplanten Invasion aus Litauen, mit Geländefahrzeugen und Maschinengewehren. 

    Fürchtet Lukaschenko ernsthaft um sein Leben? Während der genaue Wortlaut des Dekrets noch nicht bekannt ist, wird derzeit viel spekuliert, was es damit auf sich hat: Eine Art Lebensversicherung für Lukaschenko, wie Iryna Chalip in der Novaya Gazeta meint? Oder handelt es sich womöglich um Vorbereitungen auf einen Machttransfer nach kasachischem Szenario, wie Artyom Shraibman auf Telegram vermutet?

    Für den belarussischen Politologen Waleri Karbalewitsch ist das Dekret vor allem eins: verfassungswidrig und damit hochgefährlich. Ein Kommentar auf SN Plus
     

    Bei einem Subbotnik am 17. April macht Alexander Lukaschenko eine große Ankündigung – es gehe um eine der wichtigsten Entscheidungen seiner Regierungszeit / Foto © president.gov.by
    Bei einem Subbotnik am 17. April macht Alexander Lukaschenko eine große Ankündigung – es gehe um eine der wichtigsten Entscheidungen seiner Regierungszeit / Foto © president.gov.by

    Was unmittelbar ins Auge springt, ist der absolut verfassungswidrige Charakter dieser Entscheidung. Schließlich schreibt die geltende Verfassung genau vor: Wenn der Präsident seine Verpflichtungen nicht erfüllen kann, werden seine Vollmachten an den Premierminister übergeben. Das ist alles klar und deutlich.

    Ein präsidiales Dekret kann nicht die Verfassung ersetzen, das ist nicht rechtmäßig. Außerdem möchte ich daran erinnern, dass Abschnitte der Verfassung, die die Tätigkeit der Regierungsorgane regeln, nur mit einem Volksentscheid beschlossen werden können und nicht anders.

    Selbst in Monarchien kann der Monarch nicht einfach nach eigenem Gutdünken entscheiden, wer nach seinem Abgang auf dem Thron sitzen soll. Es gibt ein Gesetz zur Regelung der Thronfolge. 

    Demnach ist das geplante Dekret mit einem solchen Inhalt ein Sabotageakt an der Verfassung. Erstmals seit 1996 beabsichtigt Lukaschenko derart klar und offensichtlich die Verfassung zu verletzen. Da im Sicherheitsrat die Silowiki überwiegen, schlägt Lukaschenko quasi vor, den Militärs die Macht zu übertragen. Damit würde eine Struktur zum höchsten Regierungsorgan, die von niemandem gewählt und von der Verfassung nicht vorgesehen ist. 

    Sabotageakt an der Verfassung

    Unter diesen außergewöhnlichen Umständen wird besonders deutlich, dass im Land ein Regime der persönlichen Macht herrscht, ein personalisiertes Regime. Gewichtige Entscheidungen über den Staatsapparat trifft ein einzelner Mensch, ausgehend von seinen persönlichen Interessen. Alle weiteren staatlichen Organe sind reine Dekoration. Niemand kann Lukaschenko sagen, er breche die Verfassung. Weder das Verfassungsgericht, noch die Staatsanwaltschaft, noch die zwei Kammern der Nationalversammlung würden wohl auf irgendeine Weise auf den offensichtlich verfassungswidrigen Sabotageakt reagieren. 

    Es stellt sich natürlich die Frage: Warum so plötzlich? Warum wollte Lukaschenko nicht auf die neue Verfassung warten (das Referendum ist für Anfang 2022 angesetzt), um diese Neuerung darin festzuschreiben, warum ändert er das Regierungssystem stattdessen mit solchen Sondermethoden? 

    Es stellt sich natürlich die Frage: Warum so plötzlich?

    Allem Anschein nach glaubt Lukaschenko wirklich an diesen Verschwörungsmythos und leidet an einer traumatischen Störung. Es sagt etwas über seinen Geisteszustand aus, dass ihn sogar die Karikatur eines Umsturzes zu hektischem Handeln bewegt, zu verzweifeltem Herumzerren an diversen Regierungshebeln, um die Situation unter Kontrolle zu halten. Einen Menschen, der sich in einem solchen Zustand befindet, kann man leicht manipulieren – was der KGB offenbar auch tut.

    All das passiert zu einem Zeitpunkt, wo sich scheinbar alles beruhigt hatte: Die Hauptgefahr für das Regime ist gebannt, der Protest auf ein Minimum heruntergefahren, die Regierung hat die Situation im Lande unter Kontrolle und nichts zu fürchten. Lukaschenko sieht das jedoch anders, wie sich zeigt. Er lebt jeden Tag in Erwartung eines Anschlags auf seine Machtstellung. Nur in so einem Zustand kann man sich solche Dekrete ausdenken. Mit dieser Entscheidung zeigt Lukaschenko, dass die politische Krise im Land noch nicht überwunden ist, auch wenn die Staatsmedien seit Monaten den Sieg verkünden. Aber Sieger verhalten sich anders.

    Verzweifeltes Herumzerren an diversen Regierungshebeln

    Sollte Lukaschenko dem aktuellen Premierminister (Roman Golowtschenko) misstrauen, dann müsste er, so könnte man meinen, einen anderen ernennen, dem er vertraut. Aber nein. Lukaschenko setzt mehr Hoffnung auf ein Kollektivorgan (den Sicherheitsrat) als auf eine konkrete Person. Schon früher hat er mehrfach behauptet, dass man seinem Nachfolger nicht so viel Macht übertragen darf, dass man die Vollmachten des Präsidenten unbedingt auf mehrere Zweige der Staatsgewalt aufteilen muss. Hier gilt die gleiche Logik.

    Doch hier ergibt sich noch ein Problem. Mit dem geplanten Dekret demonstriert Lukaschenko, dass die Verfassung an Geltungskraft verliert. Und wenn das so ist, dann besteht – „wenn es morgen keinen Lukaschenko mehr gibt“ – eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die politischen Prozesse unkontrolliert und außerhalb des rechtlichen Rahmens ablaufen werden. Warum geht Lukaschenko davon aus, dass im Sicherheitsrat Entscheidungen per Abstimmung und nicht durch Gewalt getroffen werden? Wenn es kein Gesetz gibt, ist alles erlaubt. Mit dem Verfassungsbruch öffnet Lukaschenko die Büchse der Pandora, und entlässt einen gefährlichen Geist aus der Flasche.

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  • Keine Nischen mehr

    Keine Nischen mehr

    Der Alltag in Belarus ist weiterhin von Festnahmen und Gerichtsurteilen geprägt. Mittlerweile gibt es 359 politische Gefangene, es wurden infolge der Proteste seit dem 9. August 2020 über 3000 Strafprozesse in die Wege geleitet. Zudem sind die Machthaber um Alexander Lukaschenko bedacht, durch schärfere Gesetze und Verordnungen jegliche Protest- und Kritikmöglichkeit zu bekämpfen und die Berichterstattung über Protestaktionen und Repressionen durch den Staat zu erschweren. Das Parlament hat kürzlich eine Erweiterung und Verschärfung der Extremismus-Gesetze beschlossen. Auch der Sender Euronews wurde in Belarus blockiert.

    Was passiert mit dem Alltag, mit dem Leben, wenn man in einem politischen System lebt, dass die eigene Entfaltungsmöglichkeit immer mehr einschränkt? Der belarussische Schriftsteller Viktor Martinowitsch lotet diese Fragen in einem Beitrag für die Internetseite des Kulturprojektes Budzma aus, veröffentlicht wurde der Text schließlich auch auf der Seite des belarussischen Mediums Nasha Niva.

    Zeiten wie diese habe ich noch nicht erlebt. 

    Dabei dachte ich, ich hätte schon alles mitgemacht und wäre von Anfang an dabei gewesen.

    Bislang hatten die unsicheren Kantonisten durchgehalten, weil es immer noch irgendwo eine Nische gab. 

    Wenn sie die Leute wegen der Kundgebungen in Kurapaty einbuchteten, konntest du noch zum Michalok-Konzert im Gorki-Park gehen. Wenn sie dann auch noch Michalok und Kulinkowitsch verboten (das hatten wir schon mal), gingst du eben in eine Kunstausstellung, die dich daran erinnerte, dass da noch jede Menge Andersdenkende waren wie du. 

    Zeiten wie diese habe ich noch nicht erlebt

    Ich weiß noch, wie erstaunt ich war, als ich bei einer Lesung in Deutschland vorsichtig gefragt wurde, ob wir, die Bewohner aus dem Land des Glücks, eigentlich einfach so für Reisen durch den Eisernen Vorhang kämen. Damals fand ich, die Deutschen würden übertreiben. 

    Es war ja nicht alles schlecht.

    Ich weiß noch, wie ich erklärte, ein Buch könne man ja im 21. Jahrhundert nicht mehr komplett verbieten, ein starker Text bezwinge jedes Verbot. 

    Und jetzt stehen wir hier. 

    In einer Welt von Texten, die als extremistisch eingestuft werden. 

    In einer Welt von Kunstausstellungen mit unpolitischen Themen (Medizin und Ärzte, come on!), die geschlossen werden, nicht von der Kommission zur Bekämpfung von Pornografie, sonst wäre es ja noch Kunst, sondern vom Ministerium für Katastrophenschutz. 

    Noch vor einem Jahr betete jeder Theaterregisseur, jede Organisatorin einer Kulturveranstaltung und jeder Schriftsteller vor einer Signierstunde: „Hoffentlich kommt jemand, hoffentlich kommt jemand.“

    Denn Zuschauer, Publikum, Leserinnen waren wählerisch angesichts des reichhaltigen kulturellen Angebots und kamen nicht zu jedem. 

    Auch jetzt wird gebetet. 

    Nur anders. 

    Nämlich: „Hoffentlich kommt keiner.“ 

    Gemeint sind damit natürlich nicht Zuschauer, Publikum und Leserinnen. 

    Es gibt praktisch keine künstlerischen Aktivitäten mehr, die nicht mit einem blauen Kleinbus mit getönten Scheiben enden. 

    Und vor allem lässt sich unmöglich vorhersagen, wo, an welchem Punkt, das Signal gegeben wird.

    Da denkst du, du bist Künstler. Oder Eigentümer einer Kultureinrichtung. Wo ist da der Grund zu Verhaftung? Der Anlass für ein Strafverfahren? 

    Es ist wie in dem bekannten Spruch: Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, weil ich kein Kommunist war. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, weil ich kein Gewerkschafter war. Als sie mich geholt haben, war niemand mehr da, der für mich hätte sprechen können. 

    Zum ersten Mal gibt es keine Nischen mehr. 

    Was immer du tust – es gibt keine Sicherheitsgarantie. Wenn du in Krewa Masleniza gefeiert hast, hast du immer noch die Chance, dass sie später nicht mal ein Strafverfahren gegen dich einleiten.

    Nur will niemand mehr riskieren, das auszuprobieren. 

    Was immer du tust – es gibt keine Sicherheitsgarantie

    Die aktivsten Leute sind gegangen. Das sind so viele, dass ich kürzlich gemerkt habe: Inzwischen sind wirklich sämtliche belarussischen Bands, die ich jahrelang im Auto gehört habe (Nizkiz gab es damals noch nicht, sorry), im Ausland. Die letzten Verbliebenen haben versucht sich zu bewegen, als hätte sich die Lage nicht geändert. Doch sie sind schnell an ihre Grenzen gestoßen. 

    Niemand ist mehr unschuldig. 

    Es ist ganz offensichtlich: Sie wollen ganze Tätigkeitsbereiche „mit einem glühenden Eisen ausbrennen“. Da kannst du tschechische Autos oder Nivea-Creme verkaufen, das allgemeine Verbotsregime wird auch dich erreichen. Es ist nur eine Frage der Zeit. 

    Nach der nächsten lauten Unterredung. Die selbst jene erstarren lässt, die das Ganze ausführen sollen. 

    Das allgemeine Verbotsregime wird auch dich erreichen. Es ist nur eine Frage der Zeit

    Musiker sind schuld, weil sie die falschen Lieder singen. 

    Sportlerinnen sind schuld, weil sie die falschen Aufrufe gestartet haben. 

    Werbeleute sind schuld, weil sie den falschen Leuten Platz einräumen. 

    Händler sind schuld, weil sie angeblich nicht mit belarussischen Waren handeln (stimmt das denn)? 

    Journalistinnen sind schuld, weil sie in diesem Land schon immer schuld sind

    Sogar Theaterleute sind schuld! Theaterleute, hört ihr?! Überall, auf der ganzen Welt sind Theaterleute seit Shakespeares Zeiten noch nie für etwas verantwortlich gewesen. Höchstens dafür, dass niemand über ihre Scherze lachte. Und jetzt haben sie sich der Illoyalität schuldig gemacht. 

    Und müssen ausgemerzt werden. 

    Du, eine freie, selbstbewusste Person, die nichts als einen guten Lime-Coffee möchte, bist nur ein einziges falsches Wort von einem feuchten, vergitterten Keller entfernt. 

    Eine einzige Tat, die vor einem Jahr noch niemand wahrgenommen hätte.

    Das Leben hier wird zum Tanz über dem Abgrund. 

    Und erfordert viel Mut. 

    Jeder neue Morgen ist eine Herausforderung: Bist du noch Mensch? Bist du noch frei? 

    Alles ist verboten, selbst Reportagen über die Aktivitäten auf den Straßen. 

    Es ist verboten, am falschen Tag vor die Tür zu gehen. 

    Du hast Gleichgesinnte angehupt? Du hast gute Chancen, den Führerschein zu verlieren. 

    Und ich denke Folgendes. 

    Die Nischen.

    Die von früher.

    Die gab es nicht aus Gutmütigkeit. 

    Denn das Sowjetsystem kannte keine Gutmütigkeit. Und die jetzt, die haben einfach alles aus den früheren, totalitäreren, aber auch wesentlich durchdachteren Zeiten übernommen.

    Und die Typen von früher mit ihren Hornbrillen und aufgedunsenen Gesichtern waren komischerweise davon ausgegangen, dass der Pöbel (also Menschen wie du und ich) doch ein Ventil braucht, um seinen ästhetischen Dampf ablassen zu können. Sie haben keinen Krieg geführt, sie wollten einfach ewig regieren. Und sie taten alles dafür, diese Herrschaft zu ermöglichen. 

    Deshalb gab es in der UdSSR auch die Schestidesjatniki. Wosnessenski, Wyssozki, das Taganka-Theater, Mark Sacharow, Andrej Tarkowski, Andrej Sacharow, Ales Adamowitsch, Uladsimir Karatkewitsch.

    Was jetzt geschieht, ist der Versuch, das Atmen zu verbieten. 

    An ein derartiges Experiment haben sich nicht einmal die großen, müden Vorgänger herangewagt, die das Fundament jener Angst gelegt haben, die hier nun wieder alles beherrschen soll. 

    Waren das denn Idioten?

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    Bystro #23: Hat der Protest Belarus bereits verändert?

  • Bystro #23: Hat der Protest Belarus bereits verändert?

    Bystro #23: Hat der Protest Belarus bereits verändert?

    Seit dem 9. August 2020 protestieren die Belarussen gegen Machthaber Alexander Lukaschenko. Sie fordern die Durchsetzung ihrer Grundrechte und Neuwahlen. Was war der Auslöser für die historischen Proteste? Warum hat die autokratische Staatsführung derart Vertrauen in der Gesellschaft eingebüßt? Wie gespalten ist das Land? Welche Rolle spielen Russland und die EU für die Haltung der Belarussen?

    Félix Krawatzek ist diesen Fragen zusammen mit anderen Wissenschaftlern in einer Studie für das Zentrum für Osteuropa und internationale Studien (ZOiS) auf den Grund gegangen. Im Bystro liefert er Antworten auf sieben wichtige Fragen.

    1. 1. Man sagt, dass der Wahlbetrug bei der Präsidentschaftswahl ein wesentlicher Antreiber für die Proteste war. Bestärkt die Umfrage diesen Eindruck?

      Der eklatante Wahlbetrug war der unmittelbar entscheidendste Faktor für die Massenproteste. Aber bereits im Vorfeld der Wahl fand eine breite gesellschaftliche Mobilisierung statt, die sich quer durch die Altersgruppen und Regionen des Landes zog. Diese Unterstützung – beispielsweise in Form von solidarischen „Menschenketten“ – galt insbesondere den unabhängigen potentiellen Präsidentschaftskandidaten: Viktor Babariko und Waleri Zepkalo. Beide galten als aussichtsreiche Kandidaten, wurden aber von der Wahlkommission Mitte Juli nicht zur Wahl zugelassen. Nach dieser massiv kritisierten Entscheidung wandelten sich die kleineren Märsche und Versammlungen zu Massenveranstaltungen für die einzige unabhängige Kandidatin, Swetlana Tichanowskaja, und ihre beiden Unterstützerinnen: Veronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa.
      Die Umfrage verdeutlicht zudem die Wichtigkeit der exzessiven Polizeigewalt für die Teilnahme an den Protesten. Menschen gingen verstärkt auf die Straße, weil sie von der Gewalt schockiert waren. In unserer Umfrage geben annähernd 80 Prozent der Protestierenden dies als Grund an. 

    2. 2. Wie geschlossen stehen die Belarussen hinter den Protesten, und wie hoch ist der Anteil derjenigen, die nach wie vor die Machthaber unterstützen?

      Die Einschätzung der Proteste ist vielfältig. Die Umfrage verdeutlicht jedoch, dass es die Protestbewegung nicht geschafft hat, die breite gesellschaftliche Frustration über das Regime hinter sich zu vereinen. 29 Prozent der von uns befragten Belarussen geben zwar an, dass sie vollständig mit den Protesten übereinstimmen. 20 Prozent sagen aber auch, dass sie dies überhaupt nicht tun. Weitere 19 Prozent sind unschlüssig und geben an, dass sie nicht wissen, wie sie auf diese Frage antworten sollen. Einigkeit gibt es hingegen darüber, dass die Proteste weiterhin gewaltfrei bleiben sollen. 
      Das Vertrauen in die Institutionen, nicht nur in den Präsidenten, war Ende 2020 ausgesprochen gering. Etwas mehr als 40 Prozent der von uns befragten Menschen haben gar kein Vertrauen, weitere 15 Prozent eher kein Vertrauen in den Präsidenten und 18 Prozent beantworten diese Frage nicht. Diese Zahlen sehen für andere staatliche Institutionen recht ähnlich aus. Man kann davon ausgehen, dass knapp 30 Prozent der Bevölkerung den Machthaber weiter unterstützen.

    3. 3. Lukaschenko genoss bei einer Mehrheit der Bevölkerung über viele Jahre großes Vertrauen. Warum war das so? 

      Der Rückhalt für den Präsidenten lässt sich aufgrund der unklaren Datenlage eigentlich nicht verlässlich ermitteln. Die ritualisierten Wahlsiege mit 80 Prozent bilden die öffentliche Meinung nicht ab. Aber auch die tatsächliche Beliebtheit der Oppositionskandidaten der vergangenen Jahrzehnte ist unklar. Größere Proteste folgten bereits auf frühere Präsidentschaftswahlen (2001, 2006 und insbesondere 2010) und sind ein Indiz dafür, dass die Unterstützung für den Staatsapparat seit einiger Zeit auf tönernen Füßen stand. 
      Durch eine Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche versuchte man, den Rückhalt für den Präsidenten sicherzustellen. Und das Regime hat eine gewisse Weitsicht im Umgang mit potentiellen Herausforderungen unter Beweis gestellt – früher als in Russland schikanierte Belarus unabhängige NGOs oder versuchte, jugendlichem Missmut durch eine loyale Jugendorganisation den Wind aus den Segeln zu nehmen.
      Darüber hinaus gab es keine glaubhafte und öffentlich wahrnehmbare politische Opposition – es fehlt an unabhängigen Parteien und bis 2020 auch an charismatischen Gegenkandidaten, die die weitgefächerte Frustration mit dem Präsidenten hinter sich vereinen konnten. Stattdessen konnte Lukaschenko vermeintliche Erfolge im wirtschaftlichen und sozialen Bereich auf seinem Konto verbuchen und mit einer Rhetorik der Stabilität und Warnungen vor Chaos Teile des Landes hinter sich vereinen.

    4. 4. Was hat dazu geführt, dass die Belarussen ihr Vertrauen in die Staatsführung verloren und sich letztlich von den staatlichen Institutionen entfremdet haben?

      Ein ganz wichtiger Katalysator, ein externer Schock für das System, war die gravierende Auswirkung der Covid-19-Pandemie und der gesellschaftliche Missmut, wie mit dieser umgegangen wurde. Eine von uns im Juni 2020 durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass knapp die Hälfte der jungen Menschen die offizielle Politik der Regierung, keinerlei Einschränkungen als Antwort auf die Pandemie einzuführen, ablehnten. Menschen verloren also bereits vor der Wahl massiv an Vertrauen in die Staatsmacht. Der Umgang mit Covid-19 verdeutlichte einem breiten Teil der Bevölkerung, dass sich der belarussische Gesellschaftsvertrag auflöste.
      Darüber hinaus ist die Situation 2020 besonders, da die Menschen in den Selbstorganisationsprojekten im Zuge der Pandemie bereits die gemeinsame Erfahrung der Mobilisierung machten und so vor der Wahl ein Gefühl dafür hatten, wie weit verbreitet der Missmut über den Amtsinhaber war. Bei früheren Wahlen dagegen konnten die Menschen durch die annähernd perfekte Kontrolle der Medien kaum einschätzen, wie die tatsächliche Stimmungslage war. Auch mit der rapiden Verbreitung der sozialen Medien hatte man 2020 jedoch ein anderes Gefühl für die gesellschaftliche Stimmung. Das erste vom Staat verkündete Ergebnis am 9. August 2020 stand dann in einem massiven Missverhältnis zu den eigenen Erwartungen. In unserer Umfrage geben 65 Prozent an, dass die Wahl ihrer Meinung nach gefälscht war.

    5. 5. Lässt sich etwas über eine Veränderung von gesellschaftlichen Werten im Zuge der Proteste sagen?

      Im Augenblick lässt sich beispielsweise feststellen, dass es ein neues Selbstbewusstsein dafür gibt, dass man eine belarussische Nation ist: Es hat sich eine Art gesellschaftliches „wir“ entwickelt. Durch die Proteste wurde dieses Gefühl sicherlich bestärkt; was sich besonders in dem symbolischen Kampf um die weiß-rot-weiße Fahne zeigt. Protestierende begreifen die Farben als Ausdruck belarussischer Identität, wohingegen der Amtsinhaber sie aus der Öffentlichkeit verbannen möchte und als faschistisches Symbol der Kollaboration diffamiert.
      Darüber hinaus sind Menschen, die an Protesten teilgenommen haben, eher pro-demokratisch eingestellt und haben eine Präferenz für marktwirtschaftliche Ideen, also wie beispielsweise Wettbewerb oder wirtschaftliche Chancengleichheit. 
      Von einem Wandel durch Proteste zu sprechen wäre jedoch verfrüht. Zudem bleibt es fraglich, wohin sich das gegenwärtige Momentum entwickelt. Die traumatisierende Erfahrung von Gewalt kann auch dazu führen, dass sich 2020 als Warnsignal in den Köpfen der Menschen verankert, was dann eher ein Hindernis für eine zukünftige Mobilisierung darstellt.

    6. 6. Es heißt ja immer, der Protest sei nicht geopolitisch ausgerichtet. Welche Rolle aber spielen die EU und Russland in der Haltung der Belarussen?

      Insbesondere junge Menschen wenden sich von Russland ab und Europa zu. Unsere Umfragen zeigen, dass in der Altersgruppe der 18–34-Jährigen mehr als die Hälfte der Meinung ist, dass engere Beziehungen mit der EU erstrebenswert sind, selbst wenn dadurch Beziehungen zu Russland leiden würden. In der allgemeinen Bevölkerung sind knapp 40 Prozent dieser Meinung. Protestteilnehmer sind besonders pro-europäisch eingestellt. Ein knappes Viertel der von uns Befragten hofft, dass die EU in Zukunft die Visavorschriften erleichtert.
      Gleichzeitig ist klar, dass die engen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verbindungen zwischen Belarus und Russland fortbestehen bleiben sollen. Russisch ist die den öffentlichen und privaten Alltag dominierende Sprache, selbst wenn knapp 28 Prozent der Befragten angeben, dass sie gerne mehr Belarussisch sprechen würden. Darüber hinaus findet die Idee eines russisch-belarussischen Einheitsstaates kaum Unterstützung in der allgemeinen Bevölkerung – bei uns befürworten dies nur knapp sieben Prozent der Befragten.

    7. 7. Mit welchen Herausforderungen hat man zu kämpfen, wenn man eine Umfrage in einem autoritären Land und dazu unter schwierigen politischen Bedingungen durchführt?

      Bei einer solchen Umfrage gibt es praktische und inhaltliche Herausforderungen.
      Rein praktische Schwierigkeiten wurden durch Covid-19 verstärkt, denn mit der Pandemie ist es unmöglich geworden, persönliche (face-to-face) Umfragen durchzuführen. In Belarus kommt noch hinzu, dass Telefonate systematisch abgehört werden. Mit Telefonumfragen würde man die Teilnehmer also gefährden. In Folge der zunehmenden Repressionen seit Dezember 2020 bleiben online-Umfragen die einzige Möglichkeit, um an Daten zu gelangen. Diese haben den Vorteil, dass sie die Anonymität der Befragten schützen und somit auch kritische Fragen ermöglichen.
      Rein praktisch ist das größte Problem, dass man wenig Vergleichswerte und somit Orientierung für eigene Fragen hat. Darüber hinaus ist die Formulierung der Fragen in autoritären Kontexten kniffelig. Eigene Ideen können nicht direkt in eine Frage übertragen werden, da diese mitunter mit der Lebenswelt der Befragten nichts zu tun hat und man unmotivierte Antworten erhält. Schlussendlich gilt es in der Analyse, gerade in einem autoritären Kontext, ein besonderes Augenmerk auf die Option „möchte nicht antworten“ zu haben. Sie könnte ein Hinweis auf eine mögliche Selbstzensur sein.

    *Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.

    Text: Félix Krawatzek
    Veröffentlicht am 13.04.2021

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    Im Dschungel der Entmenschlichung

    Die Beleidigung von Oppositionellen durch staatliche Medien sowie durch den Staatschef persönlich hat in Belarus Tradition. Bereits in früheren Jahren nannte Alexander Lukaschenko, dessen Machtinstrument eine gelenkte Staatswirtschaft ist, private Unternehmer „von Läusen befallene Flöhe“. Seit dem Beginn der Proteste am 9. August 2020 greifen staatliche Medien wieder verstärkt auf diffamierende Tiervergleiche zurück. Am 21. März 2021 sorgte einmal mehr Grigori Asarjonok für einen Skandal, der in seiner TV-Sendung bekannte Oppositionelle als Ratten bezeichnete. Asarjonok gehört zu den bekanntesten Moderatoren in den Staatsmedien. Im Fernsehen präsentiert er nicht selten einen Galgenstrick in Verbindung mit Fotos von führenden Oppositionellen wie Swetlana Tichanowskaja oder Pawel Latuschko. 

    Die belarussische Journalisteninitiative mediaIQ gibt in einem Stück für das Medium The Village Belarus Einblicke in das verbale und illustrative Diffamierungsarsenal, das staatliche Medien gegen die Demokratiebewegung verwenden.

    Grigori Asarjonoks neuester Beitrag über „Volksverräter“ wurde am 21. März ausgestrahlt; es ging um den ehemaligen belarussischen Botschafter in der Slowakei Igor Leschtschenja. Am Schluss der Sendung rief der Moderator die Zuschauer auf: „Glaubt nicht an die Reue der Ratten, für ihre Beteuerungen werden wir teuer bezahlen.“ Daraufhin bekamen die Zuschauer eine Videomontage gezeigt: links im Bild – Aufnahmen von Ratten, rechts – Bilder der ehemaligen BT-Moderatoren Jewgeni Perlin und Denis Dudinski, von Igor Leschtschenja (er wurde gleich zwei Mal gezeigt), der Schwimmerin Alexandra Gerassimenja, Swetlana Tichanowskaja, Pawel Latuschko und Olga Karatsch. Untermalt war die Videosequenz mit einem Lied über Ratten, die „in Schlösser in Übersee fliehen“.

    Entmenschlichung der einen und Vergöttlichung der anderen

    Das ist Dehumanisierung – ein Verfahren, bei dem „Fremde“ mit Tieren oder sonstigen Wesen („Unmenschen“, „Parasiten“, „Watniki“) verglichen werden, das heißt sie werden für Propaganda- und Manipulationszwecke entmenschlicht. Demgegenüber steht die Vergöttlichung des „Eigenen“ oder seiner Handlungen – so hat zum Beispiel der CTV-Moderator Jewgeni Pustowoi Lukaschenko mit Moses verglichen. 

    Die Methode der Dehumanisierung wird von den belarussischen Staatsmedien gerne verwendet, um Protestierende und Lukaschenko-Gegner zu diskreditieren. Besonders beliebt ist sie bei dem CTV-Moderator Grigori Asarjonok. Am 12. Oktober vergangenen Jahres wandte er sich mit folgenden Worten an die Demonstranten: „In der Herde oder im Internet seid ihr mutig, aber ihr werdet fliehen wie feige Schakale.“

    Am 24. Oktober sagte Asarjonok in seiner Sendung Geheime Triebfedern der Politik – 2020 zu dem Politologen Andrej Lasutkin, er würde einem Insektenforscher gleichen, und erklärte: „Sie beschäftigen sich schon lange mit diesen Käfern, Spinnen, Raupen, Schmetterlingen und anderen Gliedertieren, die man die belarussische Opposition nennt.“

    Politologen als Spezialisten für Getier

    Wenige Tage später, am 28. Oktober, kommentierte Asarjonok die Solidaritätsaktionen im Nationalen Opern- und Balletttheater und der Belarussischen Staatlichen Philharmonie: „Die Provokateure tun alles, damit die Menschen nicht mehr in Ruhe eine Vorstellung  genießen können. Sie trampeln mit ihren dreckigen Füßen und Seelen in die Theater, Ausstellungen und Kinos. Iwan Bunin hatte fürwahr recht, als er sagte: ‚Eines der auffälligsten Erkennungsmerkmale einer Revolution ist die ungezügelte Gier nach Spiel, Verstellung, Pose, Schaubude. Im Menschen erwacht der Affe.‘ Aber wir werden diesen Affen zurückdrängen, mit einem hübschen Lied und den Spezialmitteln des Innenministeriums.“

    Hier verschleiert die Entmenschlichung Gewalt, denn es ist psychologisch einfacher, Gewalt gegen Tiere als die gegen Menschen zu rechtfertigen.

    In der Sendung Geheime Triebfedern der Politik – 2.0 vom 13. Februar 2021 nahm Asarjonok die gerade abgehaltene Allbelarussische Volksversammlung zum Anlass, die „Feinde“ zu dehumanisieren:

    „Unsere Feinde haben sie gehasst (die Vollversammlung – Anm. mediaIQ). Haben die Delegierten verleumdet, eingeschüchtert und gelogen. Haben ihre persönlichen Daten veröffentlicht und mit Rache gedroht. Haben angekündigt, erneut Menschen auf die Straßen zu bringen. Doch bei dem Versuch, uns zu spalten, haben sie sich gegenseitig zerfleischt, die Schlangen und Ratten, Spinnen und Kröten.“

    Hier sind ein paar Beispiele für Dehumanisierung aus anderen staatlichen Medien:

    Dressierte Hunde mit Muttis Smartphone

    Am 1. September 2020 verglich der TV-Sender Belarus 1 die Studenten, die an diesem Tag auf die Straße gingen, mit dressierten Hunden, die über „von Muttis Geld gekaufte Smartphones Befehle erhalten: gib Laut, Pfötchen, sitz oder lauf.“

    Auch Andrej Mukowostschik, Kolumnist der Zeitung SB. Belarus segodnja, griff in seinen Beiträgen wiederholt zur Methode der Dehumanisierung. So bezeichnete er die Gegner des Regimes als „Schreihähne“, „tollwütige Ratten“, „Aasgeier“ oder „Aasfresser“ und weibliche Demonstrantinnen als „Herde von aggressiven, blökenden und (oft einsamen) Blauziegen“. In seiner jüngsten Kolumne schreibt er: „Ihr seid Bander-logen, ihr seid einfach Fleisch. Hände weg von dem, was andere aufgebaut haben.“ 

    Bandar-log heißt der Stamm der verstoßenen Affen in Kiplings Dschungelbuch.   

    Und hier eine Karikatur aus SB. Belarus segodnja:

    „Der Frauentag bei den Blauziegen / Der Herbst hat uns verblödet / Liebe belarussische Frauen! Es ist kein Geheimnis – ihr seid verschieden. Und anstatt nun Lobeshymnen anzustimmen, wie wundervoll, schön, klug und stark ihr doch in der Mehrzahl seid, möchte ich heute lieber über die Ausnahmen sprechen.“ Im Bild ist der Name Olga Karatsch eingeblendet sowie das Logo des Youtube-Kanals Ein Land zum Leben.

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    Der Tag der Freiheit, der am 25. März zu Ehren der Ausrufung der Belarussischen Volksrepublik im Jahr 1918 begangen wurde, war für die Opposition nicht der erhoffte Aufbruch in eine zweite große Protestwelle. Die belarussischen Machthaber hatten vor allem in Minsk massiv polizeiliches und militärisches Gerät und Sicherheitskräfte aufgefahren. Den ganzen Tag über sowie an den Folgetagen kam es im ganzen Land zu Hausdurchsuchungen bei NGOs und Medien und zu Festnahmen. Am 25. und 26. März waren es laut der Menschenrechtsorganisation Viasna 96 über 200 Menschen, am 27. sogar 247

    Der Journalist Alexander Klaskowski liefert in seiner aktuellen Analyse für das belarussische Medienportal Naviny.by Gründe für den ausgebliebenen großen Protest. Dabei kommt er auch zu der Feststellung, dass das System Lukaschenko trotz der Machtdemonstration zum Tag der Freiheit ziemlich ausgelaugt wirke.

    Direkt am Tag der Freiheit, am 25. März, gab es eine Reihe lokaler Aktionen – verhaftet wurden laut Angaben des Innenministeriums mehr als 200 Menschen. Für Samstag, den 27. März, sprechen zu dem Zeitpunkt, wo diese Zeilen geschrieben werden, Bürgerrechtler von knapp 190 Verhaftungen, darunter eine Vielzahl von Journalisten.

    Die Pressesprecherin des Innenministeriums Olga Tschemodanowa berichtete in ihrem Telegram-Kanal unter der Überschrift Die Protestbewegung in Belarus geht gen Null, dass es „in keiner Region des Landes eine nicht genehmigte Massenveranstaltung gab“. Nur in Minsk seien „vereinzelte Gruppen mit nicht offiziell registrierter Symbolik gesehen worden, ein paar Demonstranten wurden zur Klärung in Polizeireviere gebracht.“

    Tatsächlich – trotz der Aufrufe an die Belarussen in einigen Telegram-Kanälen und von Pawel Latuschko, einem Anführer der politischen Opposition, auf die Straße zu gehen – ist weder am 25. noch am 27. März ein fulminanter Start des heißen Frühlings gelungen. Diejenigen, die am Samstag versuchten, zum Treffpunkt vorzudringen, wurden präventiv festgenommen. Viele kreisten in der Nähe vom [im Laufe des Tages über Telegram bekannt gegebenen Treffpunkt – dek] Platz Bangalor und sorgten dafür, nicht erkannt zu werden.

    Die Machthaber hatten sich vor dem Tag der Freiheit gefürchtet. Die Sicherheitskräfte wurden intensiv vorbereitet. Die Richter schmiedeten in den vergangenen Wochen demonstrativ harte Urteile gegen Protestteilnehmer vom letzten Jahr. Angekündigt wurde auch eine Verschärfung der Strafgesetzgebung. Am 25. und 27. März war die Hauptstadt überflutet von Menschen in Uniform, Zivilpolizisten, Wasserwerfern, Gefängnistransportern und anderem technischen Gerät. Das zeigte Wirkung.

    Warum sind die Belarussen lieber zu Hause geblieben?

    Und nun, wo klar ist, dass die Situation ohne besondere Exzesse unter Kontrolle gehalten werden konnte, atmet da ein Alexander Lukaschenko erleichtert auf? Denn nach außen wirkt es ja so, als hätte er die Proteste erstickt. Ja, mit harten Methoden, viele Belarussen sind wütend, er ist heftig zerstritten mit dem demokratischen Teil der Welt – aber er hat sie erstickt. Oder nicht ganz?

    „Zu sagen, dass alles erstickt, gesäubert und zum Schweigen gebracht wurde, wäre falsch“, meint der Politikexperte Juri Drakochrust. Gegenüber Naviny.by betonte er, dass vom 25. bis 27. März unterschiedliche Demonstrationsformen zu beobachten gewesen seien: Feuerwerk, aus dem Fenster gehängte weiß-rot-weiße Flaggen, lokale Hofaktionen, „und manch einer hat auch versucht, auf den Bangalor zu kommen“.

    Wobei der Experte unterstreicht, dass der Tag der Freiheit bislang immer ein Höhepunkt der Protestaktionen war. Dass es dieses Mal so bescheiden ablief, lässt folgende „Trendprognose“ zu: „Wahrscheinlich wird der ganze Frühling so.“

    Wobei man festhalten muss: Im vorigen Jahr hatte fast niemand vorhergesehen, dass es im August solch heftige Proteste geben würde.
    Warum sind die Belarussen jetzt lieber zu Hause geblieben? Drakochrust sieht hierfür hauptsächlich zwei Gründe. Erstens haben die Machthaber ihnen Angst eingejagt und zweitens setze der Müdigkeitsfaktor ein: „Ein derartiger gesellschaftlicher Aufbruch, ein solcher Drive lässt sich auf diesem Niveau nicht ewig aufrechterhalten.“ Nach einer derartig heftigen Flut wie vergangenes Jahr, komm jetzt erstmal politische Ebbe, so Drakochrust. 

    Gewalt ist die Stütze des Systems

    Allem Anschein nach zu urteilen, habe Lukaschenko die Situation unter Kontrolle gebracht. Aktuell sei seine Macht durch das Volk nicht bedroht, so der Politikexperte des Zentrums Strategie in Minsk Waleri Karbalewitsch. Der denkt ebenfalls, dass die Proteste im aktuellen Frühling kaum mit denen im vergangenen Jahr zu vergleichen sein werden.

    Gleichzeitig, meint der Politologe, passe die gängige Metapher vom Moorbrand gut auf die heutige Situation in Belarus: Oben ist kein Feuer zu sehen, aber unten in der Tiefe lodert es.

    „Die Proteststimmung ist nirgendwohin verschwunden. Die Lage hat sich für Lukaschenko eklatant verändert, ihm ist klar, dass nicht die Gesellschaft seine Stütze ist, sondern die rohe Gewalt. Und das ist sein Problem“, meint Karbalewitsch.

    Speziell in den anstehenden Wahl- und Abstimmungskampagnen 2021 und 2022 sieht er eine Gefahr für das Regime. Nach Ansicht von Drakochrust könnten nicht nur diese Kampagnen einen neuerlichen Ausbruch der Protestaktivität hervorrufen, sondern auch wirtschaftliche Misserfolge der Regierung.

    Ferner, so der Experte, sei es schwer einzuschätzen, „wie schwerwiegend der Schock war, den die Staatsmacht im vergangenen Jahr erfahren hat, und wie brüchig und schwach das System heute ist.“ Man dürfe auch nicht vergessen, dass es während der Perestroika nicht so aussah, dass „das Volk revoltiert und die Macht der Kommunisten abgeschüttelt“ habe – das sowjetische System sei „quasi an jeder Stelle von innen heraus zerfallen.“ 

    Der Experte schließt nicht aus, dass die Ereignisse des vergangenen Jahres das System Lukaschenko enorm unterminiert und ins Wanken gebracht haben und „zum Vorspiel von dessen weiterer Destruktion“ geworden seien. Der Zusammenbruch könne unerwartet kommen, angestoßen beispielsweise durch wirtschaftliche Missstände.

    Drakochrust zieht eine Parallele zu den russischen Revolutionen: 1905 haben selbst die heftigen Kämpfe in der Krasnaja Presnja den Aufständischen nicht zum Sieg verholfen, während 1917 Brotkrawalle in Petrograd zur Abdankung des Zaren geführt haben.

    Der Machtapparat hat keine Antworten

    Lukaschenko hat bis spätestens Anfang 2022 ein Referendum zur neuen Verfassung versprochen. Die Volksabstimmung wird womöglich mit Regionalwahlen verknüpft und im Dezember durchgeführt, vor den Neujahrsfeierlichkeiten. Das bedeutet, dass die Abstimmungskampagne bereits im Herbst startet.

    Dann wird Lukaschenko vor einem Dilemma stehen: Falls er die Kampagne im brutalen Stil führt, werden die Legitimität der neuen Verfassung minimal, der Konflikt mit dem Westen verschärft und härtere Sanktionen wahrscheinlich. Falls er die Daumenschrauben lockert und dem Volk zumindest minimale Freiheiten in der Vorwahlzeit garantiert, dann könnte das System derart erschüttert werden, dass es aus den Fugen gerät. Eine gute Lösung gibt es für den Führer des politischen Regimes hier nicht.

    Auch in der Wirtschaft wird es keine guten Lösungen geben bei dem altmodischen, staatszentralistischen Ansatz, den Lukaschenko predigt. Wenn sie einfach Geld drucken, um den Staatssektor zu retten und die Haushaltslöcher zu stopfen (und diese geniale Idee scheint zu erstarken), dann wird ein großer Knall ähnlich dem von 2011 mit seiner enormen Devaluation und Hyperinflation sehr wahrscheinlich. So oder so wird die Wirtschaft ohne Reformen stagnieren oder schrumpfen.

    Schließlich ist auch der repressive Hammer eine riskante Methode. Eine über das Maß gespannte Sprungfeder kann plötzlich losschießen.
    Der Protest ist vorerst notdürftig niedergetreten. Aber auf die Fragen, die die Gesellschaft im vergangenen Jahr äußerst scharf gestellt hat, hat Lukaschenko keine Antworten. Das Regime wirkte noch nie so ausgelaugt wie jetzt. Genau so ausgelaugt war das sowjetische System in den 1980er Jahren – und sein Ende war bloß eine Frage der Zeit.

    Eine andere Sache ist, dass nach dem alten Sowok nicht das Paradies kam. Auch der Zerfall des Lukaschenko-Regimes bedeutet nicht, dass gleich die lichte Zukunft anbricht. Doch damit nicht genug, denn diese Perspektive birgt in sich ernsthafte Risiken, darunter auch eine russische Expansion. Aber das ist ein anderes Thema. 

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    Über sechs Millionen Mal wurde der Film bereits geschaut. Die Rede ist von Solotoje dno (dt. Goldgrube) des belarussischen Aktivisten und Journalisten Stepan Putilo, der mit seinem Telegram-Kanal Nexta die Proteste in Belarus seit dem 9. August 2020 begleitet und geprägt hat. In dem Film, der in seiner Machart an die Videos von Alexej Nawalny erinnert, verfolgen Putilo und sein Team Spuren der systematischen Korruption im Hause Lukaschenko. Es geht um Luxus-Immobilien, dunkle Geschäfte und teure Autos. Man kann ihn als Versuch deuten, den Mythos von Lukaschenko als Antikorruptionskämpfer und ehrlichen Mann aus dem Volk zu zerstören. 

    Zudem zeigt er, wie Aktivisten und Oppositionelle bemüht sind, Lukaschenko und seinen weiterhin rigide agierenden Machtapparat mit unterschiedlichen Mitteln unter Druck zu setzen und aus den Angeln zu heben. Dass die Machtvertikale in Belarus alles andere als stabil zu sein scheint, demonstrieren auch die Ämterrochaden der vergangenen Wochen. Zeigt das System möglicherweise Nervosität? 

    Am morgigen Donnerstag, dem 25. März, begeht die Opposition den traditionellen Tag der Freiheit, den Dsen Woli. Eine offizielle Demonstration in Minsk wird es nicht geben. Die Autoritäten haben eine Genehmigung abgelehnt. Stattdessen kam es in diesen Tagen im ganzen Land zu zahlreichen Festnahmen. So wurden alle 35 Teilnehmer eines belarussischen Sprachkurses inhaftiert. Auch das sind Zeichen dafür, dass Lukaschenko die Opposition sehr ernst nimmt.

    Der Politologe Waleri Karbalewitsch demonstriert in seiner aktuellen Analyse für Swobodnyje nowosti Plus, dass der Machtapparat gegen Attacken nicht so immun ist, wie es manchmal scheint.

    Der Mythos der Unbestechlichkeit

    Es ist nicht so, dass in diesem Film irgendwelche sensationellen Fakten präsentiert werden, von denen niemand etwas wusste. Einem politikinteressierten Publikum ist fast alles, was darin gezeigt wird, schon lange bekannt. Die unabhängigen Medien haben viel über Korruption berichtet.

    Allerdings haben sich im vergangenen Jahr viele Belarussen in die Politik eingeschaltet, die sich früher nicht dafür interessiert haben. Und für diese Menschen ist der Inhalt des Films eine Entdeckung. Für sie sind die weißen Flecken der belarussischen Politik nun zu schwarzen mutiert.

    Doch das Problem der Korruption weist bei uns eine Besonderheit auf. In Russland hat sich Alexej Nawalny mit dem Thema Korruption in der Politik einen Namen gemacht. In Belarus hingegen stand das Problem bis heute nur am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Protestwelle seit dem 9. August 2020 wurde nicht durch Korruption ausgelöst, sondern durch ganz andere Dinge.

    Korruption gilt in Belarus als etwas ganz Eigenes, weil es Lukaschenko gelungen ist, der Öffentlichkeit ein mythenhaftes System der belarussischen Gesellschaft und seiner eigenen Gestalt zu verkaufen. Es heißt, dieses Modell biete keinen fruchtbaren Boden für Korruption, denn hier habe man einen Staat ohne Reiche errichtet, eine Gesellschaft der sozialen Gleichheit. Angeblich hätte der volksnahe, ehrliche Präsident in Belarus nicht zugelassen, dass das Volksgut zerhackstückt wird; die Konzerne seien in staatlicher Hand geblieben – nicht die Oligarchen hätten sie sich einverleibt wie in Russland oder der Ukraine. Korruption ist im öffentlichen Bewusstsein in erster Linie an Privatisierung gekoppelt. Und Lukaschenko lässt regelmäßig hiesige Oligarchen einsperren; das hat dem einfachen Volk gefallen.

    Diesem Konstrukt, auf dem Lukaschenkos Image aufgebaut ist, versetzte Putilos Film einen Schlag. Es hat sich gezeigt, dass eine Person mit grenzenloser Macht das Volksgut uneingeschränkt für sich nutzen kann, wenn es keine Kontrolle seitens der Gesellschaft gibt. 

    Die Machthaber haben ihre moralische Autorität bereits mit der Präsidentschaftswahl und den darauf folgenden Ereignissen eingebüßt. Der Film ist gewissermaßen ein weiterer Nagel im Sarg. Er hilft zu zeigen, dass die Korruptionsimmunität des belarussischen Gesellschaftsmodells ein Mythos ist. Und der, der seinem Status nach das moralische Vorbild des Regimes sein sollte, entpuppt sich als Symbol seiner moralischen Krise. Der Film erklärt in gewisser Hinsicht, warum Lukaschenko so sehr an der Macht festhält.

    Ein spezieller Fonds für den Präsidenten

    Als Lukaschenko am 13. März nach der Teilnahme am Minsker Langlauf auf die Fragen der Journalisten antwortete, versuchte er sich zu rechtfertigen. Das gelang ihm nur mäßig. Es fiel ihm nichts Besseres ein, als zum wiederholten Mal an sein verblasstes Image vom ehrlichen Politiker zu erinnern: „Das Schlimmste für mich wäre, euch zu enttäuschen. Ich werde nie etwas sagen und dann etwas anderes tun […], das schwöre ich euch.“ Doch dieses Propaganda-Klischee zieht längst nicht mehr. Und was anderes hat er nicht zu bieten. Die Antwort auf die Frage, wozu ein einzelner Mensch so viele Residenzen braucht (im Film ist die Rede von 18), ist Lukaschenko letztlich schuldig geblieben. Schlimmer noch, er hat die zentrale Idee des Films – die Korrumpiertheit des Regimes – faktisch bestätigt. Seine Skianzüge bekommt er demnach von dem Unternehmer Sergej Teterin geschenkt.

    Aber noch wichtiger ist, dass Lukaschenko zugegeben hat, eine sogenannte eiserne Reserve zu haben, die sich über die Jahre akkumuliert, für den Notfall: „Das Geld, das ich zum Beispiel jetzt in der Pandemie verwende – Boni für Ärzte, den Kauf von dringenden Medikamenten und Ähnliches –, dieses Geld ist nicht im Budget vorgesehen.“

    Die Rede ist von einem besonderen Präsidentenfonds, den Lukaschenko ganz zu Beginn seiner Tätigkeit eingerichtet hat. Dieser Fonds ist in keinem Gesetz vorgesehen und wird vom Präsidenten persönlich verwaltet. Das veranlasste die Presse seinerzeit, über zwei belarussische Budgets zu schreiben – einem Staatsbudget und einem Präsidentenbudget. Aus welchen Quellen sich dieser Fonds speist, ist ungewiss. Unabhängige Medien vermuten, dass das Geld vor allem aus den breit angelegten kommerziellen Tätigkeiten des Präsidialamts stammt. In all den Jahren seit der Gründung des Fonds gab es keinerlei Informationen, keinerlei Rechenschaft über die Verwendung des Geldes oder seiner Menge. Es gab auch keine unabhängige Kontrolle über die Ausgaben.

    In der Vergangenheit sah sich Lukaschenko unter dem Druck der Kritik und unangenehmen Fragen der Presse mehrfach gezwungen, die Existenz eines Schattenbudgets öffentlich einzuräumen. Zum letzten Mal wurde der Fonds während der Präsidentschaftswahl 2006 erwähnt. Damals hatte der Präsidentschaftskandidat Alexander Kosulin ihm vorgeworfen, Gelder aus Waffengeschäften veruntreut zu haben, und gefragt: „Wo ist das Geld, Sascha?“

    Jetzt hat Lukaschenko faktisch zugegeben, dass der außerbudgetäre Präsidentenfonds nach wie vor existiert. Und er darin immer noch keinen Korruptionsaspekt sieht. Lukaschenko ist davon überzeugt, dass er das Recht hat, frei über mithilfe von Staatsstrukturen eingenommene Ressourcen zu verfügen, ohne vor jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Und wenn er daraus Mittel für die Bedürfnisse der Gesellschaft entnimmt (wie jetzt, um das Gesundheitssystem zu unterstützen), dann betrachtet er das als Ausdruck seiner Großherzigkeit und Humanität.

    Vertiefung der internationalen Isolation

    Genau zu derselben Zeit musste Lukaschenko einräumen, dass sich das Land in internationaler Isolation befindet. Er stellte fest, dass man bereits beginne, Belarus an allen Fronten zu bedrängen, und erklärte: „Beachten Sie meine Worte: Wir haben keine Freunde in der Welt.“

    So hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Rücktritt Alexander Lukaschenkos von seinem Posten als Chef des belarussischen Nationalen Olympischen Komitees (NOK) nicht gebührend gewürdigt und die Wahl seines Sohnes Viktor Lukaschenko als seinen Nachfolger nicht akzeptiert. Seinen Worten zufolge forderte das IOC stattdessen, nicht nur den Präsidenten selbst, sondern auch seinen Sohn sowie den Chef des belarussischen Eishockey-Verbands Dimitri Baskow aus dem Nationalen Olympischen Komitee auszuschließen. Das Internationale Olympische Komitee wollte offenbar keine Zugeständnisse an das offizielle Minsk machen und schlug den vorgeschlagenen Kompromiss aus. Das ist eine weitere internationale Niederlage für die Lukaschenko-Familie.

    Gleichzeitig kam es zu Reibereien mit dem Eurovision Song Contest. Die Europäische Rundfunkunion erklärte, dass das Lied Ja nautschu tebja [dt. Ich werde dich lehren – dek], mit dem die belarussische Band Galasy ZMesta das Land beim Wettbewerb vertreten sollte, gegen ihre Regeln verstoße, weil darin politische Motive erkennbar seien. Es besteht die Möglichkeit, dass unser Land von der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen wird.

    Das Regime verpuppt sich

    Das Regime reagierte auf diese Angriffe mit einer Verschärfung des Kampfes gegen seine Opponenten, mit der Mobilisierung von Ressourcen sowie der Säuberung des Staatsapparats. Außerdem mit einem künstlich provozierten diplomatischen Konflikt mit den polnischen Nachbarn.

    Als am 11. März Kaderpositionen im Sicherheitsbereich neu besetzt wurden, setzte Lukaschenko neue Akzente bei den Aufgaben der Armee. Aus seinen Worten ist zu schließen, dass die Hauptbedrohung für den Staat jetzt weniger von außen als von innen ausgeht. Folglich muss sich die Armee auf den Kampf gegen den inneren Feind konzentrieren.

    Damit fand die Neuverteilung der Schlüsselposten im Sicherheitsapparat ihren Abschluss, die mit dem Beginn der politischen Krise eingesetzt hatte: Nach dem 9. August 2020 hatte Lukaschenko den Posten des Vorsitzenden des KGB, des Vorsitzenden des Komitees für Staatskontrolle, des Innenministers, des Generalstaatsanwalts, des Vorsitzenden des Zollkomitees und des Vorsitzenden des Staatlichen Komitees für Gerichtsgutachten neu besetzt. Der Staatssekretär des Sicherheitsrates wurde zweimal ausgewechselt. Und am 11. März wurden dann schließlich der Vorsitzende des Ermittlungsungskomitees und der Minister für Katastrophenschutz neu ernannt.

    Bemerkenswerterweise gab es bei den Führungsposten der anderen Ministerien und Behörden seit dem Regierungswechsel im Juni letzten Jahres praktisch keine Veränderungen, die bleiben unangetastet. Das alles deutet darauf hin, dass innerhalb der Sicherheitsstrukturen etwas heimlich gärt. Lukaschenko zweifelt an deren Loyalität und wirbelt deshalb wie wahnsinnig die Führungsetagen durch.

    Die Entlassung des Ermittlungskomiteevorsitzenden Iwan Noskewitsch aus dem Amt war absehbar. Medienberichten zufolge hieß es, dass dieser Bereich Lukaschenko am wenigsten Loyalität zollt. Aus dem Zentralapparat des Komitees waren schon zahlreiche Mitarbeiter entlassen worden. Es wundert deshalb eher, dass Iwan Noskewitsch bis jetzt auf seinem Posten saß.

    Sehr bezeichnend ist, dass zum neuen Vorsitzenden des Ermittlungskomitees Dimitri Gora ernannt wurde, der zuvor 26 Jahre lang beim KGB war. Immer häufiger besetzen Generäle des Komitees für Staatssicherheit Schlüsselposten im Staatsapparat.

    Genauso bezeichnend ist, dass der ehemalige Polizeichef der Region Grodno Wadim Sinjawski zum neuen Minister für Katastrophenschutz ernannt wurde. Also niemand aus den Reihen des Katastrophenschutzministeriums selbst, sondern jemand aus einer anderen Sicherheitsbehörde. Vielleicht soll der Katastrophenschutz so mehr für den Kampf gegen Proteste geschärft werden als gegen Feuersbrünste.

    Das Regime verpuppt sich, es wird immer verschlossener, monolithischer und reagiert auf jeden Impuls von außen mit Aggression.

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    Zitat #10: „Lukaschenko kapiert nicht, wie massiv er die Belarussen verprellt hat“

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    „Wer gehen will, geht leise.“ So sagte es ein ehemaliger Mitarbeiter der Truppen des Inneren in Belarus. Der hatte seinen Dienst infolge der massiven Repressionen und Polizeigewalt gegen die Demonstranten aufgekündigt, die seit dem 9. August 2020 gegen die belarussischen Machthaber protestieren. Mitarbeiter der Silowiki-Strukturen gehören zu den wichtigsten Stützen des Apparats von Alexander Lukaschenko, der auch aktuell immer noch mit massiven Repressionen gegen jeglichen Widerstand vorgeht. Allerdings berichten Medien und andere Kanäle immer wieder, dass die Unzufriedenheit bei den Silowiki extrem hoch sei. Auch Andrej Ostapowitsch verließ bereits im August 2020 seinen Dienst als Mitarbeiter des Ermittlungskomitees. „Mir wurde klar, dass ich da nicht mehr arbeiten kann“, sagte er in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur. „Auch Untätigkeit wäre Mittäterschaft.“ In Polen gründete er schließlich die Initiative BYPOL, eine Vereinigung für ehemalige Mitarbeiter von Strafverfolgungsbehörden, die mittlerweile zu einem der bekanntesten und aktivsten Akteure der Opposition avanciert ist.

    Wer aber steht noch hinter BYPOL? Wie arbeitet die Initiative? Woher erhält sie ihre Informationen? Was waren die bis dato größten Scoops von BYPOL? Das Medienportal tut.by hat sich das Projekt genauer angeschaut und dafür auch Mitarbeiter von BYPOL interviewt.  

    Vor einem halben Jahr war Andrej Ostapowitsch noch Beamter einer Bezirksabteilung der Ermittlungsbehörde in Minsk. Er nahm damals selbst an Protestaktionen teil, ahnte aber nicht, dass er eine Initiative ehemaliger Silowiki gründen würde, die in mühseliger Kleinarbeit Informationen über diejenigen sammelt, die Belarussen verhaften, prügeln und sogar töten, wenn sie mit dem Regime nicht einverstanden sind. Genau das macht jetzt BYPOL; außerdem bietet die Initiative aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern der Sicherheitskräfte Hilfe an. Das Innenministerium bezeichnet die von BYPOL bereitgestellten Informationen meistens als Fake.         

    Anfang März veröffentlichte BYPOL die Abschiedsrede des damaligen Innenministers Juri Karajew anlässlich seines Ausscheidens aus dem Amt [Ende Oktober 2020 – dek]. Davor hatte BYPOL die Ergebnisse seiner Recherchen zum Geschehen am 11. November 2020 auf dem Platz des Wandels publiziert sowie eine Rede des jetzigen stellvertretenden Innenministers Nikolaj Karpenkow und andere Audioaufzeichnungen, die viel Aufsehen erregten. 

    tut.by berichtet im Folgenden, wer hinter BYPOL steht und wie die Initiative funktioniert.     

    Was ist BYPOL, und wie ist das Projekt entstanden?

    Die Initiative BYPOL wurde von ehemaligen Mitarbeitern der Ermittlungsbehörde und des Innenministeriums gegründet. Sie treten gegen Alexander Lukaschenkos Politik auf, sammeln Daten zu Gesetzesübertretungen von Silowiki und appellieren an diese, auf die andere Seite zu wechseln. Ende August 2020 schrieb Andrej Ostapowitsch, ein Beamter in einer der Bezirksabteilungen der Ermittlungsbehörde in Minsk, seinen Entlassungsantrag. Darin stand, dass er das Vorgehen der Staatsmacht, die friedliche Demonstranten vertreibe und verprügle, nicht unterstütze und er zu neuen, ehrlichen und gerechten Wahlen aufrufe. Daraufhin begannen Ermittlungen gegen ihn, und er beschloss, Belarus zu verlassen.
           
    In Polen gründete Ostapowitsch eine Initiative für Silowiki, die mit der Vorgehensweise des belarussischen Regimes nicht einverstanden sind. Als erste beteiligten sich Igor Loban, ehemaliger Ermittler in besonders wichtigen Fällen an der Ermittlungsbehörde der Region Hrodna, Wladimir Schigar, ehemaliger Fahndungsbeamter der Kriminalpolizei in Masyr, und Matwej Kupreitschik, leitender Ermittlungsbeamter an der Minsker Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Drogen- und Menschenhandel, an der Initiative. Im Oktober wurde bei einem Treffen mit Swetlana Tichanowskaja die Gründung von BYPOL bekanntgegeben.  

    Wie viele Menschen sind an dem Projekt beteiligt, und was sind seine zentralen Aufgaben?

    Die Initiative legt nur die Daten von drei ehemaligen Silowiki offen, die wir bereits genannt haben (im März wurde bekannt, dass Ostapowitsch das Team verlassen hat). Die Namen weiterer Mitglieder werden unter Verschluss gehalten, um Verschwörungen vorzubeugen. 

    „Derzeit hat BYPOL gut und gern mehrere hundert Mitglieder“, sagen Vertreter der Initiative. „Auch sehr viele Zivilpersonen kommen auf uns zu und leisten enorme Unterstützung.“ 

    Der Hauptsitz von BYPOL befindet sich in Warschau, aber auch in anderen polnischen Städten und EU-Ländern gibt es Büros, in denen ehemalige Strafverfolgungsbeamte und Aktivisten (meist über den Telegram-Kanal des Projekts) eingehende Daten zu Gesetzesübertretungen im Strafverfolgungssystem bearbeiten. Mitglieder von BYPOL helfen ehemaligen Silowiki, das Land zu verlassen, wenn ihnen Gefahr droht – solche Fälle gab es rund 30. Wobei BYPOL anmerkt, dass es eine Initiative und keine Stiftung ist und entlassenen Beamten keine finanzielle Hilfe anbieten kann. 

    „Im Gegenteil, wir ermutigen Strafvollzugsbeamte, die mit uns einer Meinung sind, mit uns zusammenzuarbeiten, ohne ihre Strukturen zu verlassen. Wie man sieht, bringt das Ergebnisse“, heißt es bei BYPOL. 

    So erhält BYPOL Informationen über Vorgänge im System sowohl von aktiven als auch von ehemaligen Silowiki. Manche Daten findet man in Datenbanken – dabei bekommt BYPOL Hilfe von IT-Fachleuten. Informationen kommen auch von anderen zivilgesellschaftlichen Projekten, etwa von 23-34.net, wenn es um Verwaltungsarrest von Protestierenden geht oder um Informationen von Gesetzesübertretungen der Silowiki aus dem Einheitlichen Verbrechensregister EKRP.

    Die Daten von Polizeimitarbeitern, die an Verbrechen beteiligt waren, gibt BYPOL (über Swetlana Tichanowskajas Büro) an die EU weiter in der Erwartung, dass das nicht nur zu persönlichen Sanktionen führt, sondern auch zu einem Lieferstopp für Spezialausrüstungen der belarussischen Sicherheitskräfte. 
         
    Im Februar initiierte Tichanowskaja auf Basis von BYPOL die Gründung eines Situationsanalysezentrums für folgende Aufgaben:

    – strategische und taktische Planung der Wiederherstellung von Recht und Ordnung in Belarus;
    – Sammlung und Auswertung von aktuellen und relevanten Informationen unter anderem über Protestaktionen in Belarus;
    – Koordinierung von Projekten aktiver Gruppen, Initiativen und Organisationen;
    – Beratung und Unterstützung für aktivistische Vereinigungen zur Gewährleistung ihrer Sicherheit;
    – Einbeziehung von und Austausch mit aktiven Sicherheits- und Strafverfolgungsbeamten;
    – Neutralisierung von Bedrohungen gegen die Unabhängigkeit von Belarus.
     
    Sein Budget legt BYPOL nicht offen. Den Kauf von Technik für die Arbeit am Projekt haben im Ausland lebende Belarussen und der Solidaritätsfonds Bysol finanziell unterstützt. Vertreter der Initiative, die öffentlich über ihre Tätigkeit berichten, haben um politisches Asyl ersucht.    

    Warum kündigen Beamte ihren Dienst, und gibt es viele solcher Fälle?

    Der Höhepunkt der Kündigungen sei Sommer/Herbst 2020 gewesen, aber das bedeute nicht, dass der Prozess zum Stillstand gekommen sei, heißt es bei BYPOL.  

    „Die Unterbesetzung, die im Innenministerium jetzt rund zehn Prozent beträgt, ist längst nicht mehr auszugleichen“, schätzen BYPOL-Vertreter die Lage ein. „Die verbleibenden Mitarbeiter sind einer extremen Belastung ausgesetzt. Zu Spezialeinheiten wie der OMON werden Grundwehrdienstleistende angeworben, die gerade erst die Schule und eineinhalb Jahre Armee hinter sich haben – und dann sollen sie gleich in einer Eliteeinheit kämpfen. In letzter Zeit machen Silowiki, die ihren Dienst quittieren, das nicht öffentlich, weil jetzt eine öffentliche Kündigung aus den Spezialeinheiten garantiert zu einer Verfolgung führt. Der Gründer von BYPOL, Andrej Ostapowitsch, musste nach Russland fliehen, wo er vom FSB festgenommen wurde. Andrej gelang die Flucht in den Wald, wo er sich vor seinen Verfolgern verstecken und anschließend nach Polen absetzen konnte. Auch nach den restlichen öffentlichen Vertretern von BYPOL wird derzeit gefahndet. 
    Aus dem geleakten Gespräch über Roman Bondarenko geht hervor, dass Roman seinen Dienst in der Militäreinheit 3214 erwähnt hatte
    (eine Spezialeinheit der Truppen des Innenministeriums – Anm. tut.by), bevor er in dem Kleinbus verprügelt wurde.“ 

    Ein weiteres Beispiel ist der Fall des ehemaligen Polizisten Dimitri Kulakowski, der wegen Beleidigung eines ihm unbekannten Polizeibediensteten zu zwei Jahren „Chemie“, einer Art Hausarrest mit Arbeitsauflagen, verurteilt wurde. Während seiner Verwaltungsstrafe im Untersuchungsgefängnis Okrestina war er unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt und schluckte aus Protest Gegenstände aus Metall. Vor Gericht sagte Kulakowski:

    „Ich glaube, das Strafverfahren gegen mich wurde fingiert, weil ich aus Überzeugung meinen Job im Innenministerium gekündigt habe. Bis zum 18. August 2020 war ich Chef der kriminalpolizeilichen Abteilung des Bezirks Sawodksi. Nach den Geschehnissen im August war mir klar, dass ich aus moralischen Gründen nicht weiterarbeiten kann. Ich brachte meine Haltung offen zum Ausdruck, im September habe ich ein Foto gepostet (von einer Polizeiuniform vor einer Müllkippe – Anm. tut.by). Ich nehme an, dass Mitarbeiter des internen Sicherheitsdienstes mir eine Lektion erteilen und die verbleibenden Kollegen abschrecken wollten, dass ihnen im Fall einer Kündigung dasselbe passieren würde – so kam es zu meinem Verfahren. Ich war 27 Tage eingesperrt (in Untersuchungshaft – Anm. tut.by), sie forderten ein Geständnis von mir, dass ich versucht hätte, Informationen über Polizeibeamte zu verkaufen, ich verweigerte. Die Haftbedingungen waren unmenschlich, 25 Tage Kerker ohne Medikamente und medizinische Versorgung.“  

    Wie verifiziert BYPOL Informationen über Gesetzesverstöße der Silowiki?

    Die Vertreter der Initiative sagen, dass sie die Informationsquellen nicht offenlegen, da damit oft eine Gefährdung der Sicherheit jener Personen einhergeht, die das Material zur Verfügung gestellt haben. 

    „Gleichzeitig ist uns unser Ruf sehr wichtig, daher legen wir großen Wert auf Faktencheck. Das Einheitliche Verbrechensregister ist ein effektives Mittel. Anhand der Rückmeldungen bewerten wir das Projekt positiv, es verdient das Vertrauen aktiver Sicherheitskräfte. Interessanterweise fragen viele aktive Polizeibeamte bei uns nach, ob sie auch nicht im nächsten Update des Einheitlichen Verbrechensregisters erscheinen.“

    BYPOL ist nicht für die totale Auflösung der Sicherheitskräfte, sondern vertritt die Meinung, dass nur jene Vollzugsbeamte entlassen werden sollen, die Straftaten begangen haben. Die bestehenden Offiziersversammlungen sollen von Gewerkschaften abgelöst werden, die tatsächlich die Rechte der Mitarbeiter vertreten.   
     
    „Die Dokumentation der Verbrechen und die Identifikation der Täter haben einen enormen Einfluss auf die Stimmung innerhalb des Systems“, meint BYPOL. „Wobei man dazusagen muss, dass allein die Dokumentation der Verbrechen noch keine Wunderpille ist und nicht zu Veränderungen führt. Erst zusammen mit unseren anderen Aktivitäten und dem Engagement der Zivilgesellschaft führt sie zum gewünschten Ergebnis.“   

    Was war das Aufsehenerregendste, was BYPOL aufgedeckt hat? Und wie hat das Innenministerium darauf reagiert?

    BYPOL wird nicht nur von einfachen, sondern auch hochrangigen Mitarbeitern der Strafvollzugsorgane kontaktiert. So ist die Initiative an die Aufzeichnung eines Gesprächs gekommen, in dem ein Mann mit einer Stimme wie der Ex-Innenminister Juri Karajew über Sergej Tichanowski sagt, dieser sei „gefährlicher als alle diese Babarikos“ und man müsse ihn „für lange Zeit wegsperren“. Allerdings wird in der Aufzeichnung der Name Tichanowski nicht genannt. Formulierungen, dass „er, dieser Lump, in Russland viel Schlimmeres gesehen hat“ (bekanntlich arbeitete Tichanowski in Russland) und dann „zurückkam und anfing: Wir bringen diese Macht ins Wanken“, lassen darauf schließen, dass die Rede von Tichanowski ist.
     
    In einer weiteren bedeutsamen Aufnahme, die von BYPOL veröffentlicht wurde, sagt eine Stimme, die wie der heutige stellvertretende Innenminister Nikolaj Karpenkow klingt (damals Chef der Abteilung für die Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption), dass Alexander Taraikowski durch ein Gummigeschoss gestorben sei, das ihm „in die Brust flog“ (ursprünglich hatte das MWD erklärt, Taraikowski sei durch die Explosion eines selbstgebauten Sprengsatzes ums Leben gekommen, den er in den Händen gehalten habe). In der Aufnahme geht es auch darum, dass die belarussischen Silowiki mit russischen Jarygina-Pistolen ausgestattet worden seien und wie man mit Protestierenden umgehen solle. Es wird betont, dass „das Staatsoberhaupt uns beim Einsatz von Waffen von allen Seiten deckt“.          

    „Wie der Präsident gesagt hat: Wenn einer auf euch zurennt, wenn  einer euch angeht, greift zur Waffe, also, zu einer nichtletalen. Und dann aus nächster Nähe: in die Beine, in den Bauch, in die Eier. Damit ihm, wenn er wieder zu sich kommt, klar ist, was er angerichtet hat. Tut ihm einfach irgendwas an, macht ihn zum Krüppel, verstümmelt ihn, bringt ihn um. Zielt ihm direkt auf die Stirn, direkt ins Gesicht, mitten rein, dass er nie mehr wieder so wird wie vorher. Kann auch sein, dass er wiederbelebt wird, auch gut. Es fehlt ihm halt dann das halbe Hirn, na, geschieht ihm schon recht. Weil im Grunde alle, die jetzt auf die Straßen gehen und sich an diesem Schienenkrieg beteiligen, weil die, die die Fahrbahnen blockieren, Polizisten angreifen, Molotow-Cocktails werfen – weil das Terroristen sind. Solche brauchen wir nicht in unserem Land.“ 

    In derselben Aufnahme erklingt auch die Idee von den Lagern:

    „Ein Lager, also, keines für Kriegsgefangene, auch kein Internierungslager, sondern ein Lager für besondere Aufrührer, zur Aussonderung. Und dann ein Stacheldraht rundherum. In zwei Bereiche teilen: eine Etage für die Heizkammer, eine Etage für die Speisung, und dass sie arbeiten. Dort sollten sie eingesperrt werden, bis sich alles beruhigt hat.“
    Eine unabhängige phonoskopische Expertise hat übrigens bestätigt, dass die Stimme in der Aufnahme tatsächlich Nikolaj Karpenkow gehört, einen Kommentar von ihm persönlich bekam tut.by nicht.

    Außerdem hat BYPOL eigene Recherchen zu Roman Bondarenkos Tod veröffentlicht. Da sind die Namen der Beteiligten an der Schlägerei am Platz des Wandels angeführt und was die Beamten der Polizeidienststelle Zentralny, auf die Roman gebracht wurde, dem Rettungsdienst mitteilten und auch, dass Bondarenko nicht alkoholisiert war.

    Die häufigste Reaktion des Innenministeriums auf Informationen von BYPOL ist, dass es sie als Fälschungen abtut. Nur in einem Fall hat die Polizei Untersuchungen angekündigt – zu einem Video aus der Polizeidienststelle des Bezirks Frunsenski, wo am 12. August 2020 bei Protesten Festgenommene verprügelt wurden. Einige der Festgenommenen haben sich selbst wiedererkannt. 
    „Zu dieser Videoaufzeichnung, wo Beamte der Bezirkspolizei Frunsenski die Häftlinge nicht sehr gut behandeln, wird eine Untersuchung durchgeführt“, sagte der erste Stellvertreter des Innenministers, Juri Nasarenko. „Die Anordnung des Ministers ist erfolgt. Je nach Ergebnis der Untersuchungen werden entsprechende Schlüsse gezogen.“
    Seitdem sind mehr als zwei Monate vergangen, über die Ergebnisse der Untersuchung ist nichts bekannt.  

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  • Abseits der Norm

    Abseits der Norm

    Wie ist es, im System des autoritären Staatschefs Alexander Lukaschenko aufzuwachsen? Welche Ängste, Träume und Hoffnungen haben junge Menschen in Belarus? Die Fotografin Julia Autz (geb. 1988) ist während ihres Studiums für insgesamt sechs Monate in das Land gereist um Belarussinnen und Belarussen im Alter von 15 bis 29 Jahren zu begleiten. Sie stellte ihnen die Frage, was sie von der Zukunft erwarten. Ihre Bilder sind zwischen 2017 und 2019 entstanden, vor der Präsidentschaftswahl im Jahr 2020 und den darauf folgenden Protesten

    Die gebürtige Heidelbergerin beschäftigte sich in ihrer fotografischen Arbeit schon oft mit jungen Menschen. In der Fotoserie While I was waiting stehen junge Belarussinnen und Belarussen im Fokus, die nach Individualität streben: Aktivisten, Künstler, Musiker. Ihre Portraits zeigen sehr intime Momente, häufig aufgenommen in den Wohnungen der Protagonisten. Sie sind ein Rückzugsort, wo sich die jungen Belarussen selbst verwirklichen und dem öffentlichen Raum entfliehen können. 

    РУССКАЯ ВЕРСИЯ

    links Dasha, 2018, Belarus │rechts Ulyana, 2018 im Zentrum von Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    links Dasha, 2018, Belarus │rechts Ulyana, 2018 im Zentrum von Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz

    dekoder: While I was waiting – warum haben Sie diesen Titel für Ihr Fotoprojekt gewählt? 

    Julia Autz: So ein Titel ist ja immer schwierig zu finden. Ich habe bei dem Projekt diese Resignation, diesen Stillstand fotografiert, dieses Warten. Die jungen Menschen sitzen da, schauen aus dem Fenster, ziehen sich zurück in die eigenen vier Wände, konzentrieren sich auf das eigene Leben. Sie sind ja in Belarus häufig von dem abgekoppelt, was um sie herum passiert, eben weil der Staat und die Gesellschaft wenig Raum für Selbstentfaltung einräumen. Ich habe dann auch Interviews zu den aktuellen Protesten geführt, unter anderem mit einem Punk, der sagte: „I have been waiting all my life for these protests.“ Die Aussage fand ich passend, weil sie eine Anspielung auf die aktuelle Situation ist und gleichzeitig die Lebenssituation der Menschen vor den Protesten einordnet, eben das Warten und Hoffen auf einen möglichen Wandel.

    Viele Bilder wurden in den Wohnungen der Protagonisten gemacht. Da sind sehr private Momente dabei. War es einfach, so nah an die Jugendlichen heranzukommen? 

    Genau das war mir echt wichtig. Ich wollte diesen Kontrast zeigen, zwischen Innen und Außen. Im öffentlichen Raum müssen sich die Menschen anpassen und nur im Privaten können sie ihre Identität ausleben. Durch eine Bekannte kam ich in Kontakt zu vielen jungen Menschen in Minsk. Ich musste mich schon ein bisschen rantasten, aber irgendwann hat das ganz gut geklappt, weil ich die Leute immer besser kennengelernt habe. Wir haben auch zusammen gefeiert. Immer wenn ich zurück nach Belarus gegangen bin, habe ich sie wieder getroffen und neue Fotos gemacht. Diese Annäherung war also auch ein längerer Prozess.

    Sie haben für das Projekt Menschen mit einer starken Individualität gesucht, unter anderem politische Aktivisten. Was heißt es in einem Land wie Belarus „anders“ zu sein? 

    Es kommt halt sehr drauf an, wo man lebt. Ob in der Provinz oder in Minsk, wo es viele Leute gibt, die bunte Haare oder Tattoos haben. Aber klar, die Gesellschaft ist im Großen und Ganzen sehr konservativ. Es ist schon schwierig, als Andersdenkender oder Andersaussehender seinen Platz zu finden. Anfangs habe ich viele Leute aus der LGBT-Szene fotografiert, Musiker, Künstler, Aktivisten. Aber ich wollte den Kreis dann erweitern, weil ich begriff, dass besonders das Unpolitische in Belarus sehr interessant ist, eben weil der Staat der Gesellschaft das Politische ja in gewisser Weise austreibt. Wer sich politisch engagiert, der bekommt halt irgendwann Probleme.  

    Seit August 2020 hat die belarussische Gesellschaft ja eindrücklich demonstriert, dass sie sich einen Wandel wünscht. Was hatten die jungen Menschen, die Sie getroffen haben, für Hoffnungen in Bezug auf einen Wandel? 

    Viele, die ich fotografiert habe, hatten schon wirklich aufgegeben und keine Hoffnung mehr. Einige haben das Land im Zuge der Proteste bereits verlassen. Es gab auch solche, die optimistisch waren. Aber der Großteil der Leute war sehr resignativ. Klar – wenn sich seit 27 Jahren nichts verändert. 

    Wenn Jugendliche in Deutschland über die Zukunft sprechen, sind da oft ganz viele Pläne: Traumjob, Reisen und so weiter. Selbstverwirklichung ist dabei ein wichtiges Thema. Was bedeutet „Zukunft“ für Jugendliche in Belarus?

    Viele, die ich getroffen habe, haben sehr deutlich im „Hier und Jetzt“ gelebt. Zukunftspläne kann man ja nur machen, wenn man an eine Zukunft glaubt, die für einen lebenswert ist. Zudem ist es nicht so einfach, wenn man in Belarus studiert. An den Unis wird man ja nicht wirklich zu freiem Denken ermutigt. Deshalb wollten viele das Land verlassen, auch um woanders zu studieren und vielleicht irgendwann wieder nach Belarus zurückzukehren. 

    Die Fotos stammen aus der Zeit vor den Protesten. Wissen Sie, was die Proteste bei den jungen Menschen, die Sie fotografierten, verändert haben? 

    Zu den meisten Leuten habe ich noch Kontakt. Anfangs waren sie noch sehr hoffnungsvoll, euphorisch und sind auch auf die Straße gegangen – als es noch die Massendemonstrationen gab. Viele sind auch im Gefängnis gelandet. Dass auch die ältere Generation auf die Straße gegangen ist, das war für viele junge Leute sicher auch motivierend. Auch, dass nicht nur ein paar Künstler und Intellektuelle gegen Lukaschenko sind, sondern sehr viele verschiedene Berufs- und Altersgruppen. Die Solidarität unter all diesen Menschen ist enorm. Nach so vielen Monaten der Proteste und der Repressionen durch den Staat verlieren viele zusehends die Hoffnung. Aber vielleicht werden die Proteste bald wieder größer und vor allem: sichtbarer.

    Minsk, 2019, Belarus / Foto © Julia Autz
    Minsk, 2019, Belarus / Foto © Julia Autz

     

    Vika und Nastya, 2018, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    Vika und Nastya, 2018, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    Minsk, 2019, Belarus / Foto © Julia Autz
    Minsk, 2019, Belarus / Foto © Julia Autz
    Igor, 2019, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    Igor, 2019, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
     links Maryna, 2017, Minsk, Belarus │rechts Kristina, 2019, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    links Maryna, 2017, Minsk, Belarus │rechts Kristina, 2019, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    Winter 2019, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    Winter 2019, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    links Dasha, 2019, Minsk, Belarus │ rechts Liza, 2018, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    links Dasha, 2019, Minsk, Belarus │ rechts Liza, 2018, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    links Yan und Yaro bei sich zuhause in Moglew, 2017, Belarus │Ignat in ihrer Wohnung, 2018, Belarus / Foto © Julia Autz
    links Yan und Yaro bei sich zuhause in Moglew, 2017, Belarus │Ignat in ihrer Wohnung, 2018, Belarus / Foto © Julia Autz
    Minsk, 2019, Belarus / Foto © Julia Autz
    Minsk, 2019, Belarus / Foto © Julia Autz
    links Marta, 2018, Minsk, Belarus │rechts Slava, Winter 2017 im Studentenwohnheim, Belarus / Foto © Julia Autz
    links Marta, 2018, Minsk, Belarus │rechts Slava, Winter 2017 im Studentenwohnheim, Belarus / Foto © Julia Autz
    Winter 2017, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    Winter 2017, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    Alina und Jenia auf ihrem Dach, 2018, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz
    Alina und Jenia auf ihrem Dach, 2018, Minsk, Belarus / Foto © Julia Autz

    Fotos: Julia Autz
    Bildredaktion: Andy Heller
    Interview: dekoder-Redaktion
    Veröffentlicht am 21.04.2021

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    «Пока я ждал(a)». Белорусская серия фотографа Юлии Аутц

  • Warten auf den Tag der Freiheit

    Warten auf den Tag der Freiheit

    Am 22. Februar 2021 hatten sich Alexander Lukaschenko und sein russischer Kollege Wladimir Putin in der Nähe von Sotschi getroffen. Es war das zweite Treffen nach dem Beginn der historischen Protestwelle im August 2020 in Belarus. Beim ersten Treffen im September hatte Putin am Schwarzen Meer seine Unterstützung für Lukaschenko mit einem 1,5 Milliarden US-Dollar-Kredit untermauert. Diesmal ging es weniger um Geld, Gas und Kredite als wohl mehr um die Symbolik des Treffens, wie Kommentatoren urteilten: Zwei Autokraten präsentierten sich als Einheit im Kampf gegen die Proteste und potentielle demokratische Bewegungen in ihren jeweiligen Ländern. 

    Dass die belarussisch-russischen Beziehungen in der Vergangenheit immer wieder von großen Schwierigkeiten und wenig Harmonie geprägt waren, beschreibt die Wissenschaftlerin Nadja Douglas in der Gnose zum Thema.

    Lukaschenko befürchtet indes, dass die Proteste am 25. März, dem Tag der Freiheit, wieder im großen Stil ausbrechen könnten. Die Opposition hat eine Demonstration für diesen Tag angekündigt. Und der KGB-Chef Iwan Tertel will bereits Hinweise auf Destabilisierungspläne ausgemacht haben. Entsprechend ist zu erwarten, dass der Machtapparat weiter gezielt gegen jeglichen Widerstand vorgehen wird. Auch für diese Gangart diente das Treffen in Sotschi als Rückversicherung.

    In ihrem Beitrag für die Novaya Gazeta geht die bekannte belarussische Journalistin Irina Chalip der nicht ganz neuen Zweckharmonie zwischen den beiden Autokraten auf den Grund.

    An dem Tag, als  Putin und Lukaschenko in Sotschi fürstlich zu Mittag speisten, warf sich in Gomel der sechzehnjährige Nikita Solotarjow gegen die Gitterstäbe seines Käfigs im Gerichtssaal und schrie: „Lasst mich hier raus!“. Nikita wird wegen Vorbereitung von Massenunruhen zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. Er hat Epilepsie.

    Verhaftet wurde Nikita Solotarjow im August 2020. „Papa, sie schlagen mich jeden Tag!“, sagte er zu seinem Vater, der bei den Verhören als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen dabei war. Nikita beklagte, man würde ihm seine Tabletten nicht geben, und einmal soll der Aufseher auf seine Bitte um Medikamente geantwortet haben: „Du bist ein Politischer und wirst verrecken!“

    Seit Beginn der Proteste in Belarus sind 200 Tage vergangen, und auf den ersten Blick scheint es, als wären die Proteste vorbei. Viele Menschen sind wegen Corona in Quarantäne. Andere verbringen ihre Zeit vor Gericht: Im Zuge der Proteste wurden an die zweitausend Strafverfahren eingeleitet.

    Die Belarussen sind zu einem Langstreckenlauf angetreten

    Die Gerichtsverhandlungen laufen seit Dezember. In vielen belarussischen Städten kommen Menschen zu den Gerichten, um die Angeklagten zu unterstützen: den minderjährigen Nikita, die Journalistinnen von Belsat, den Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko sowie Hunderte andere Protestteilnehmer, Journalisten, Administratoren von Telegram-Kanälen, Blogger und Unternehmer. Die Menschen bringen Sachen in die Gefängnisse und stehen in den Postämtern Schlange, um Päckchen, Telegramme oder Geld in die U-Haft zu schicken. Abends oder früh morgens gehen sie mit Flaggen raus zu lokalen Protestaktionen in ihren Vierteln und in den Hinterhöfen. Es ist natürlich dunkel. Und unheimlich. Manchmal scheint es, als sei die Morgendämmerung eine Erfindung der Autoren utopischer Romane.

    Die Partisanenaktionen in den Hinterhöfen sind natürlich keine hunderttausendköpfigen Märsche durch die Innenstadt von Minsk. Und die Lage in Belarus ist heute schwieriger denn je. Aber auf keinen Fall hoffnungslos. Im Gegensatz zu der von Lukaschenko, die ist praktisch hoffnungslos. Die Belarussen sind zu einem Langstreckenlauf angetreten, und er aus Gewohnheit zu einem 100-Meter-Sprint. Lukaschenko hat seine Kräfte falsch eingeteilt, und jetzt bleibt ihm nur noch, nach Sotschi zu fliegen und zu hoffen – wenn nicht auf Hilfe, dann wenigstens auf ein freundliches Wort.

    Noch vor einem Jahr waren die Treffen zwischen Lukaschenko und Putin Anlass für Diskussionen und akribische Analysen von Wortwahl und Gestik („er hat zweimal geguckt, und einmal hat er ‚kommen Sie rein, es zieht‘ gesagt“), sie schürten Ängste auf der einen und Hoffnung auf der anderen Seite. In Belarus kümmern die Treffen und Dialoge des Selbsternannten mit dem Nullgesetzten jetzt niemanden mehr. Gut, sie haben sich getroffen und umarmt. Getrunken und gegessen, auf Skiern gestanden. Aber das war‘s auch schon.

    Sie haben jetzt ihre eigenen Gesprächsthemen, die für die Belarussen nicht mehr interessant sind, weil es nichts mehr zu besprechen gibt außer Repressalien. Lukaschenko und Putin können Erfahrungen austauschen; sie können sich Gedanken machen, ob man Kinder schon jetzt einbuchtet oder noch abwartet, bis sie erwachsen sind; sie können über das Strafmaß für Andersdenkende beratschlagen und ob man ohne Folter auskommt oder doch lieber zu den langerprobten Methoden des Herausprügelns von Geständnissen greift. Putin und Lukaschenko verbindet heute mehr denn je. Die Integrationspläne beider Staaten, Öl- und Gaspreise, frühere Auseinandersetzungen – all das ist in den Hintergrund gerückt und hängt an unsichtbaren Schnüren, die aus dem Zuschauerraum nicht zu sehen sind. Jetzt ist der Moment der wahren Einigkeit gekommen. Es könnte der Beginn einer engen Männerfreundschaft werden, aber auch ihr Ende – Essen unter Freunden können sehr unterschiedlich ausgehen, da können Sie jeden Kellner fragen. Aber im Moment wirken Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko wie zwei alte Freunde, zwei Gleichgesinnte, die zusammen auf der Bank vor der Hütte sitzen, den Sonnenuntergang betrachten, und über den Lauf der Welt sinnieren.

    Abrechnung mit Andersdenkenden

    Man muss nur die Bilder des jüngsten Treffens in Sotschi mit älteren vergleichen: vor einem, zwei, fünf Jahren. Damals waren das noch zwei völlig unterschiedliche Menschen: Der fast gleich einer Würgeschlange ruhige Putin, der am Haupteingang einen Bittsteller empfängt. Und Lukaschenko, der sich dem Anführer von derartigem Kaliber anbiedert. Der eine genervt, weil er gezwungen ist den anderen zu empfangen, mit dem im selben Raum zu sein und Ebenbürtigkeit vorzutäuschen ihm sichtlich Unbehagen bereitet. Der andere voll Hass, weil er gezwungen ist, Freundlichkeit gepaart mit Gehorsam zu mimen und angesichts des Spotts der Kremlbelegschaft Fassung zu bewahren, der es erlaubt und sogar ausdrücklich empfohlen ist, über die politische Mesalliance zu scherzen.

    Und jetzt tun sie beide gleichermaßen so, als wäre in ihren Ländern alles stabil, lügen einander und der Außenwelt im gleichen Tonfall etwas vor, stellen sich gleichermaßen blind und beharren darauf, dass man sie zu Hause respektiert und wählt. Sogar die Kleiderwahl ist fast identisch – im Stil der sowjetischen Landbevölkerung der 1950er Jahre

    Im Grunde haben sie schon lange und jeder auf seine Art auf diese Nähe zugesteuert. Der eine Teilnehmer des Sotschi-Treffens stellte seine Legitimität durch hartnäckiges Nullierungsmanagement in Frage. Der zweite erstickte die Opposition bereits im Keim. Aber in diesem Winter trafen sich ihre Wege an einem Scheidepunkt. An diesem Punkt steht die massenhafte Abrechnung mit Andersdenkenden, willkürliche Verhaftungen und Prozesse, Gewalt gegen Kinder, Drohungen gegen ihre Eltern, Folter und Mord. Vielleicht sieht genau so der Bifurkationspunkt aus.

    Übrigens ist Lukaschenko schon ein paar Tage vor dem offiziellen Treffen mit seinem Verbündeten nach Sotschi geflogen – in seinen wohlverdienten Skiurlaub. Am Tag seiner Abreise wurde in Belarus der Prozess gegen die Journalistin Katerina Borissewitsch und den Arzt Artjom Sorokin aufgenommen (weil sie die Wahrheit über die null Promille im Blut des ermordeten Roman Bondarenko ans Tageslicht gebracht haben), wurde ein Dutzend weiterer Protestteilnehmer in Straflager und den offenen Vollzug geschickt, wurde gegen Viktor Babariko eine ellenlange Anklageschrift verlesen, wurde Maria Kolesnikowas Anwältin Ljudmilla Kasak die Lizenz entzogen, wurde die Haftstrafe von Pawel Sewerinzew, der seit dem 7. Juni in U-Haft sitzt, verlängert und wurde der am 11. August in Brest getötete Gennadi Schutow postum des Widerstands gegen die Staatsgewalt schuldig gesprochen. Das ist die Realität, in der die Belarussen heute leben.

    Kann man den Menschen vorwerfen, dass sie ihren Protest in die Hinterhöfe verlegt haben und im Partisanenformat fortsetzen? Nein, natürlich nicht. Kann man behaupten, dass Lukaschenko aufgibt und morgen abtritt? Ich würde gerne ja sagen, aber – nein. Kann man davon sprechen, dass die Proteste verloren sind und die Menschen nicht mehr zu Hunderttausenden auf die Straßen gehen werden? Nein, nein und noch dreimal nein.

    Am 25. März beginnt der Frühling

    Natürlich werden sie wieder auf die Straße gehen. Diese Winterpause war notwendig. Erstens wegen der zweiten Corona-Welle, die man zu Hause aussitzen musste, sich schützen. Zweitens hat das Ausmaß der Verluste die Menschen eine Zeitlang buchstäblich betäubt: Hunderte, die für lange Zeit durch Folter außer Gefecht gesetzt wurden, Tausende, die wegen Strafverfahren in Untersuchungshaft mussten, Zehntausende, die das Land verlassen haben. 

    Aber die Stimmung in der Gesellschaft zeigt, dass die Belarussen den Frühling kaum erwarten können. Und das Datum für den Beginn der Frühlingsproteste steht bereits fest: der 25. März – Tag der Freiheit, Jahrestag der Gründung der Unabhängigen Volksrepublik Belarus. Der unabhängige belarussische Staat wurde 1918 im deutsch besetzten Minsk ausgerufen und existierte bis Dezember, als die sowjetischen Truppen in Belarus einmarschierten. An diesem Tag gehen die Belarussen immer auf die Straße, auch wenn sie die restlichen 364 Tage zu Hause bleiben. Und immer mit weiß-rot-weißen Fahnen. 

    Genau dieser 25. März ist jetzt Gesprächsthema Nummer eins: bei den abendlichen, zur Tradition gewordenen Spaziergängen mit der Nachbarschaft, in der Schlange beim Postamt, im Bus und in den sozialen Netzwerken. Die Belarussen warten auf den Tag der Freiheit. Und es ist ihnen völlig egal, was die beiden neuen Busenfreunde irgendwo in Sotschi zu Mittag hatten.

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