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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Jeder, der der Ukraine irgendwie helfen kann, sollte es tun“

    „Jeder, der der Ukraine irgendwie helfen kann, sollte es tun“

    Seit Wochen befürchtet die ukrainische Führung, Alexander Lukaschenko könnte eigene Truppen in den Krieg entsenden und zusammen mit Russland eine zweite Front eröffnen. Am 3. Juli, dem Tag der Unabhängigkeit, erklärte der belarussische Machthaber in einer Rede zum Feiertag in deutlich aggressiver Rhetorik: „Wir sind das einzige Land, das die Russen in diesem Kampf unterstützt. Diejenigen, die uns Vorwürfe machen: Wussten Sie nicht, dass wir ein enges Bündnis mit der Russischen Föderation haben? Dass wir praktisch schon eine gemeinsame Armee haben …? Wir waren und werden mit dem brüderlichen Russland zusammen sein. Unsere Teilnahme an der Spezialoperation wurde von mir vor langer Zeit beschlossen.“

    Belarussische Medien berichten aktuell von Einberufungsbescheiden, die verstärkt in Belarus verschickt würden. Am vergangenen Wochenende begann das ukrainische Militär, die Grenzregion zur Ukraine zu verminen. Entsprechend hitzig wird in Medien und sozialen Medien über die Rolle von Lukaschenko und der belarussischen Gesellschaft im Angriffskrieg des Kreml gegen die Ukraine debattiert. Das ukrainische Online-Portal Ewropeiskaja Prawda kritisiert in einem Leitartikel die zweideutige Politik der ukrainischen Führung, die bis heute nicht die Beziehungen zu Lukaschenko abgebrochen, lange auf den intensiven Handel zwischen beiden Ländern gesetzt habe und immer noch zögerlich sei, einen intensiveren Dialog mit der belarussischen Opposition zu führen. So heißt es in dem Text: „Ja, Tichanowskaja ist nach wie vor eine unerfahrene Politikerin, aber sie ist für den Rest der Welt zu einem Symbol der belarussischen Opposition geworden, und Kiew ignoriert sie demonstrativ.“ Abseits der offiziellen politischen Beziehungen organisieren Belarussen in vielen Ländern Hilfs- und Solidaritätsaktionen für die Ukraine, Freiwillige kämpfen auf Seiten der Ukraine im Krieg, schon die Maidan-Proteste wurden von vielen Belarussen vor Ort unterstützt, sie zogen damals auch in den Krieg in der Ostukraine.

    Für das belarussische Online-Medium Reform.by beschäftigt sich auch der Journalist Igor Lenkewitsch mit den ukrainisch-belarussischen Beziehungen. Er plädiert dafür, mit kühlem Kopf auf die gegenwärtigen Herausforderungen zu reagieren und den Schwerpunkt der Beziehungen auf eine untere Ebene, nämlich auf die der Gesellschaften beider Länder, zu verlegen.

    Die Beziehungen zwischen den Staatsführungen von Belarus und der Ukraine sind verworren. Kiew erkennt Alexander Lukaschenko offiziell nicht als rechtmäßig gewählten Präsidenten an; und von Swetlana Tichanowskaja wurde in der Ukraine eine Vertretung eröffnet. Zugleich hat sich der ukrainische Regierungschef Wolodymyr Selensky mit Tichanowskaja noch nicht getroffen, während der Kontakt zu Lukaschenko anscheinend weiterhin besteht – wenn auch „sehr begrenzt“. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba berichtet, die Kommunikation zwischen Kiew und Minsk sei „amtlich-nüchtern“, der Kontakt bleibe aber eingeschränkt. Doch immerhin bestehen diese Kontakte. Und ungeachtet des Vorwurfs, dass Belarus sich an der russischen Aggression beteiligt, halten Belarus und die Ukraine ihre diplomatischen Beziehungen aufrecht. 

    Wolodymyr Selensky zufolge hat Lukaschenko mit gewissen Signalen zu verstehen gegeben, dass er keine Kontrolle über die Aktionen der russischen Truppen habe. Lukaschenko selbst aber gab zur feierlichen Zusammenkunft am Vorabend des Tags der Unabhängigkeit bekannt, dass ukrainisches Getreide künftig über Belarus transportiert werden soll. Die Belarussische Eisenbahn hat für diesen Gütertransport bereits eine Vorauszahlung erhalten, was ohne Kontakte auf höchster Ebene unmöglich gewesen wäre. Parallel dazu besteht ein Kontakt zu den belarussischen demokratischen Kräften. Tichanowskajas Vertretung in Kiew ist aktiv, sie soll Beziehungen zur ukrainischen Regierung aufbauen und die Interessen der Belarussen in der Ukraine schützen. Noch vor dem Krieg, im Sommer 2021, hatte Swetlana Tichanowskaja gesagt, sie und ihre Mitarbeiter seien „mit den Vertretern der ukrainischen Regierung im Gespräch“. „Mit Herrn Kuleba habe ich ein Mal online gesprochen, und vorgestern sind Herr Selensky und ich uns bei einer Veranstaltung in Litauen begegnet [gemeint war die Internationale Konferenz zu Reformen in der Ukraine, die am 7. Juli 2021 in Vilnius stattfand – Anm. von Reform.by]. „Offizielle Treffen gab es noch nicht“, erklärte Swetlana Tichanowskaja damals. Bis heute fand allerdings noch kein offizielles Treffen zwischen Swetlana Tichanowskaja und Wolodymyr Selensky statt. Man könnte meinen, die ukrainische Regierung bemüht sich, die demokratisch gewählte Regierungschefin von Belarus zu ignorieren.

    Lukaschenko hat wahrscheinlich keinerlei Kontrolle über die russischen Streitkräfte auf seinem Territorium

    Die ukrainische Führung kann man da verstehen. Vertritt man in der Ukraine gegenwärtig auch die Ansicht, die belarussische Armee sei ineffizient und im Falle einer Einmischung bloß Kanonenfutter, so gibt es dennoch wenig Interesse an einer zusätzlichen Frontlinie an der belarussischen Grenze. Denn das würde einen schweren Schlag für die Ukraine bedeuten, die gezwungen ist, den konzentrierten Vorstoß russischer Truppen im Osten abzuwehren.

    Bislang sieht es so aus, als könne auch Lukaschenko keine zweite Front gebrauchen. Er hat genug eigene Probleme mit seiner Legitimität, hat wahrscheinlich keinerlei Kontrolle über die russischen Streitkräfte auf seinem Territorium. Außerdem ist die Mehrheit der Belarussen jüngsten Umfragen zufolge gegen eine direkte Beteiligung unseres Landes am russisch-ukrainischen Krieg.

    Aber das heißt nicht, dass die Ukraine vom Norden her in vollkommener Sicherheit ist. Lukaschenko könnte der belarussischen Armee gut und gerne den Angriffsbefehl erteilen, sollte sich beispielsweise eine Niederlage der Ukraine abzeichnen. Dessen ist man sich auch in Kiew bewusst und hält sich in Bezug auf die belarussische Armee an eine vorsichtige Formulierung: „stellt derzeit keine Bedrohung dar“. In dieser Form sind die belarussisch-ukrainischen Beziehungen seit Kriegsbeginn erstarrt. Das offizielle Minsk gibt weiterhin „Signale“, und Selensky erkennt Tichanowskaja weiterhin nicht an. Denn bei einer Anerkennung wäre Kiew nolens-volens gezwungen, den zustande gekommenen Status quo dieser Beziehungen zu ändern. 

    Es ist nicht auszuschließen, dass zwischen Kiew und dem Minsker Regime geheime Absprachen bestehen. Allein schon, um unnötige Provokationen zu vermeiden. Aber auch wirtschaftliche Interessen sollte man nicht außer Acht lassen. Vor dem Krieg war Belarus ein wichtiger Handelspartner für die Ukraine. Zudem sind einige hochrangige Vertreter des ukrainischen Establishments eng mit mit unserem Land verbunden gewesen: Ukrainische Medien berichteten, David Arachamija, der Fraktionschef von Sluha Narodu und spätere Vertreter der ukrainischen Delegation bei den Verhandlungen mit der Russischen Föderation, stünde mit einigen Unternehmen in Verbindung, welche wiederum in Stromlieferungen aus Belarus in die Ukraine involviert seien. Davon ist nichts bestätigt, aber in Zeiten von Krieg und Sanktionen tauchen nicht wenige bequeme und lukrative „Grauzonen“ für alle Beteiligten auf. 

    Im Netz schlagen indes immer wieder Hasswellen hoch. Nur um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Der ukrainische Journalist Wachtang Kipiani fordert von Belarus Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen für die Beteiligung am Krieg. Ein anderer verlangt von den Belarussen eine öffentliche Verurteilung des Krieges, Massenproteste und Sabotageakte im Landesinneren (angeblich gebe es diese bislang nicht, behauptet diese Person). Es geht sogar so weit, dass einige Kommentatoren von den Belarussen erwarten, die Panzer mit bloßen Händen aufzuhalten und sich an deren Ketten zu Hackfleisch verarbeiten zu lassen. Die himmelschreiende Dummheit dieser Forderungen irritiert die Verfasser dabei nicht – aber die objektive Wirklichkeit war in der „schwarzen“ PR noch nie gefragt. Die Initiatoren solcher Endlosvorwürfe kaprizieren sich darauf, mit allen Mitteln zu beweisen, es gäbe keinen Unterschied zwischen Lukaschenko und dem Rest der Belarussen. Systematisch ziehen sie in Zweifel, dass sich Belarussen und ihre Vertreterin Swetlana Tichanowskaja gegen den Krieg aussprechen. Auch anonyme Kommentatoren versuchen mit beneidenswerter Beharrlichkeit nachzuweisen, dass es diesen Unterschied zwischen Lukaschenko und den Belarussen nicht gebe.

    Dem Hass muss man ruhig begegnen. Und rational

    All diese Hasswellen erinnern an gut geplante PR-Aktionen. Vielleicht lädt die gegenwärtige Situation in den politischen Beziehungen manche Leute dazu ein, einen Keil zwischen die Ukrainer und die Belarussen zu treiben. Aber eigentlich ist es nicht wichtig, wer dahintersteckt – Moskau oder bestimmte Kräfte in Kiew oder Minsk. Wichtig ist nur unsere Reaktion. Dem Hass muss man ruhig begegnen. Und rational. Es ist besser, die heutigen belarussisch-ukrainischen Beziehungen, mindestens mal an der Basis, ohne einen Überschuss an Emotion zu betrachten – und ohne gegenseitige Vorwürfe, man sei nicht radikal oder empathisch genug in Anbetracht der Tragödie des jeweils anderen. Jeder, der der Ukraine irgendwie helfen kann, sollte es tun, ohne Dankbarkeit oder Anerkennung zu erwarten. 

    Was Tichanowskajas Vertretung angeht, so sollten sich sie und ihr Team der Koalition gegen Putin anschließen und mit allen Mitteln zum Sieg der Ukraine beitragen. Die belarussisch-ukrainischen Beziehung wird man sowieso von neuem aufbauen müssen. Aber erst nach dem Sieg.

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    Im Schienenkrieg gegen Putin

    Seit Beginn des Angriffskrieges, den Russland gegen die Ukraine führt, kam es in Belarus zu zahlreichen Sabotageakten an Eisenbahnstrecken, über die russisches Militärgerät transportiert wurde. Für seine Invasion nutzt der Kreml auch den belarussischen Staat als Aufmarschgebiet, was nur möglich war, weil sich Alexander Lukaschenko vor allem in den vergangenen zwei Jahren in eine fatale Abhängigkeit verstrickt hat. Auch in Russland kam es seit März zu zahlreichen Anschlägen auf die Infrastruktur der dortigen Eisenbahn.
    Wer steckte hinter den Sabotageakten an den Bahnstrecken in Belarus? Handelte es sich um vereinzelte Akte des Widerstands oder gar um eine konzertierte Aktion? Wie gehen die belarussischen Machthaber um Alexander Lukaschenko gegen die sogenannten Eisenbahn-Partisanen vor, die offenbar eine Art Schienenkrieg führen?
    Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich die belarussische Journalistin Anja Perowa in einem Recherchestück für das russische Online-Medium Meduza.

    „Im Frühjahr wurde bei mir eine Hausdurchsuchung durchgeführt: Zunächst habe ich gar nicht verstanden, warum. Aber dann haben mir die Beamten erklärt, ich sei Zeugin in einem Prozess nach Paragraf 309. Dahinter verbirgt sich ‚mutwillige Beschädigung von Verkehrsmitteln und -wegen‘“, erzählt Natalja, eine Belarussin, deren Namen wir auf ihren Wunsch geändert haben. Natalja lebt in einer Stadt mit einem großen Eisenbahnknotenpunkt, auch ihren Wohnort nennen wir auf ihren Wunsch hin nicht, um sie nicht zu gefährden. 

    Natalja wurde zu den Sabotageaktionen im Bahnverkehr verhört, anschließend wurden ihre technischen Geräte konfisziert. Mehrere Stunden verbrachte sie auf dem Polizeirevier, dann ließ man sie gehen. Warum sie in dem Fall als Zeugin geführt wird, weiß sie bis heute nicht. „Vielleicht war ich an einem Tag der Sabotageakte irgendwo in der Nähe und man hat mich über mein Mobiltelefon geortet“, vermutet sie. 

    Nach den ersten aufsehenerregenden Sabotageaktionen gab das belarussische Ermittlungskomitee Anfang März bekannt, dass Untersuchungen „der Terroranschläge im Schienenverkehr“ eingeleitet wurden. Die Behörde erklärte, die Partisanen verfolgten mit ihren Sabotageakten das Ziel „Katastrophen zu verursachen und Menschen zu töten“. Es folgten massenweise Hausdurchsuchungen in den Städten, wo es Sabotageakte gab. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Wjasna betraf das die Städte Dsershinsk, Baranowitschi, Stolbzy – die drei Städte bilden Eisenbahnknotenpunkte auf dem Weg von Moskau nach Brest.

    Laut Wjasna wurden in Zusammenhang mit den Sabotageaktionen bis Mitte Juni mindestens elf Personen festgenommen. Sie werden beschuldigt, einen „Terroranschlag“ verübt zu haben. Sie alle befinden sich derzeit in verschiedenen Haftanstalten. Menschenrechtsorganisationen stufen sie als politische Gefangene ein. Sie alle werden nach Paragraf 289 angeklagt: „Verübter Terroranschlag“. Die Höchststrafe dafür ist in Belarus die Todesstrafe. Am 18. Mai 2022 hat Lukaschenko außerdem Änderungen im Strafgesetzbuch unterzeichnet. Seitdem steht auch auf „Versuchten Terroranschlag“ die Todesstrafe. Die belarussische Staatsanwaltschaft habe bereits Anfang März ein Verfahren eingeleitet, so der Staatsanwalt Andrej Schwed. Die Sache sei noch nicht vor Gericht, aber die Ermittlungen liefen. 

    Der erste Angriff auf die Belarussische Eisenbahn ereignete sich noch vor dem Krieg: Am 24. Januar, als die russische Armee zu den Truppenmanövern Sojusnaja reschimost nach Belarus kam. Aus dem Telegram-Kanal der Gesellschaft der belarussischen Eisenbahner geht hervor, dass etwa 200 Züge (je 50 Waggons) mit militärischem Gerät von Russland nach Belarus losgeschickt wurden. In dem Kanal heißt es auch, das sei eine beispiellos hohe Zahl; so seien im September letzten Jahres innerhalb eines Monats 29 Militärzüge für die gemeinsamen Truppenübungen Zapad 2021 nach Belarus verlegt worden. 

    Bis zum Frühjahr sollen es mehr als 80 Sabotageakte gewesen sein

    Über den Angriff am 24. Januar berichtete die belarussische Initiative Cyberpartisanen. Sie hat sich zu diesem auch bekannt. Mitglieder der Bewegung behaupten, sie hätten das System der automatischen Fahrplanerstellung und das System der elektronischen Datenverarbeitung lahmgelegt. Am selben Tag gab auch die Belarussische Eisenbahn bekannt, dass Online-Tickets aufgrund einer technischen Störung nicht gebucht werden könnten. Das System war zwei Wochen lang außer Betrieb, Tickets wurden nur am Schalter verkauft und mussten vom Bahnpersonal per Hand ausgestellt werden.

    „Damit wollten wir demonstrieren, dass die Belarussen mit der Präsenz der russischen Armee in ihrem Land nicht einverstanden sind“, erklärt die Sprecherin der Cyberpartisanen Juliana Schmetowez gegenüber Meduza. Sie sagt auch, die Störungen im Ticketverkauf seien nicht von den Hackern beabsichtigt gewesen. „Wir versuchen die Bereiche, die Normalbürger betreffen, möglichst wenig zu tangieren“, sagt sie. Die Cyberpartisanen würden sich oft gegen Angriffe entscheiden, wenn sich „die Konsequenzen nicht vollständig kalkulieren lassen“. 

    Am fünften Kriegstag gab es die ersten Offline-Angriffe. In dem Telegram-Kanal der Gesellschaft der belarussischen Eisenbahner tauchten Informationen über einen in Brand gesetzten Schaltschrank, einer Anlage zur Steuerung des Bahnbetriebs, nahe der Station Stolbzy in der Oblast Minsk auf. Die Folgen waren ein gestörtes Signal- und Weichensystem. Noch am selben Tag gab die Gesellschaft bekannt, dass auch in der Oblast Gomel auf dem Streckenabschnitt Ostankowitschi – Sherd ein Schaltschrank abgebrannt sei. Die Belarussische Eisenbahn gab zu diesen Vorfällen keinen offiziellen Kommentar ab. 

    Am 2. März kündigten die Cyberpartisanen einen Angriff auf das Verwaltungszentrum des Gütertransports der Belarussischen Eisenbahn an. Ein ehemaliger Bahnmitarbeiter äußerte sich dazu anonym gegenüber Meduza:

    „Jede Störung der Bahn-Software führt zu einer Störung des Fahrplans. Beispielsweise wird für jeden Gütertransport ein sogenannter Wagenzettel in einem speziellen Programm erstellt – das ist ein Dokument mit technischen und Verwaltungsdetails, das die gesamte Fahrt mitgeführt wird. Darin steht, wie viele Waggons ein Zug hat, ihre Nummern, welche Güter transportiert werden und deren Gewicht, wer Absender und wer Empfänger ist … kurzum, da steht alles drin. Und das für 50 bis 60 Waggons, stellen Sie sich das einmal vor. Bevor es Computer gab, wurden solche Wagenzettel von Hand ausgefüllt und dem Lokführer mitgegeben. Ohne diese Unterlagen dürfen die Züge nicht losfahren. Wenn das System gestört ist, muss das alles von Hand gemacht werden, stellen Sie sich einmal vor, wie lange das dauert, all diese Unterlagen von Hand zu schreiben und zu kopieren. Hinzu kommt ja auch, dass diese Abläufe längst automatisiert sind und die Stellen von Menschen, die das machen könnten, längst gestrichen wurden.“

    Darauf waren die Sabotageakte nicht beschränkt: Am 14. März, so die Information in eben jenem Telegram-Kanal, wurde in der Oblast Brest eine Signallampe außer Betrieb gesetzt, am 16. März wurde auf dem Streckenabschnitt Farinowo-Sagatje in der Oblast Witebsk ein Schaltschrank in Brand gesetzt, in der Nacht zum 25. März zwei Schaltschränke nahe Borissow, und am 28. März ein Relais-Schaltschrank unweit der Station Babino im Kreis Bobruisk.

    Laut dem belarussischen Innenministerium kam es bis Anfang April zu insgesamt über 80 Sabotageakten am belarussischen Schienennetz. Seitdem gibt es keine Meldungen über weitere Aktionen, weder von der belarussischen Opposition noch von den staatlichen Behörden.

    Eisenbahner helfen mit internen Informationen

    Sergej Woitechowitsch war vor zwei Jahren noch ein Arbeiter im Minsker Bahnbetriebswerk, einer Wartungsanlage der Belarussischen Eisenbahn. Nach den Präsidentschaftswahlen 2020 gründete er den Telegram-Chat der Gemeinschaft der belarussischen Eisenbahner, damit sich die Arbeiter vernetzen und ihre Interessen vertreten können. Immer mehr Arbeiter fügten ihre Kollegen hinzu und die Gruppe wuchs auf etwa 6000 Mitglieder. Später entstand noch ein gleichnamiger Kanal mit Nachrichtenmeldungen. Dort wurden Unterlagen veröffentlicht, die für dienstliche Zwecke bestimmt waren.

    Anfang 2021 wurde Igor Kozlowski stellvertretender Leiter der Belarussischen Eisenbahn. Nach Angaben der offiziellen Webseite „ist er für den Zivilschutz der Unternehmen der Belarussischen Eisenbahn zuständig“. Informationen zu seinem beruflichen Werdegang finden sich auf der Seite keine. Die Cyberpartisanen haben die Datenbank AIS Pasport gehackt und herausgefunden, dass Kozlowski von 1995 bis 2020 KGB-Mitarbeiter war.

    Schon im September 2021 wurde der Telegram-Kanal Live. Gemeinschaft der belarussischen Eisenbahner von der Regierung als „extremistisch“ eingestuft. [Kanal-Admin – dek.] Sergej Woitechowitsch glaubt, dass es direkt, nachdem im Juli der neue Chef aus dem KGB seinen Posten bei der Belarussischen Eisenbahn antrat, zu dieser Einstufung kam. Woitechowitsch hatte Belarus bereits im Mai 2021 verlassen, weil er verfolgt wurde (man ließ ihn wissen, die Sicherheitsbehörden hätten sich seiner bereits „angenommen“). Im Frühling 2022 erklärte der KGB Woitechowitschs Chat der Gemeinschaft der belarussischen Eisenbahner endgültig zu einer „extremistischen Vereinigung“ und verbot damit jegliche Aktivitäten in Belarus. 

    Am 30. März 2022 erschienen in regierungsfreundlichen Telegram-Kanälen sogenannte Reuevideos von festgenommenen Eisenbahnmitarbeitern. Darin erzählen sie, wann sie Telegram installiert und den als extremistisch eingestuften Kanal der Gesellschaft der belarussischen Eisenbahner abonniert hätten. Die Festgenommenen sagen auch, sie hätten sich von dem Kanal abgemeldet, sobald sie dort „Aufrufe zu destruktiven Aktivitäten“ gesehen hätten.

    Letztlich seien die meisten von ihnen freigelassen worden, sagt Woitechowitsch mit Verweis auf private Quellen. Manche sind noch als Verdächtige in dem Prozess gelistet, gegen andere wurden administrative Verfahren eingeleitet, weil die Sicherheitskräfte „bei der Gelegenheit“ gleich noch Abonnements anderer als extremistisch eingestufter Kanäle und Chats bei ihnen gefunden hatten. „Die Sicherheitskräfte schmeißen ab und zu spezielle Links zur Deanonymisierung in die Chats – damit finden sie die Leute“, erklärt Woitechowitsch.

    „Um einen Schaltschrank anzuzünden, braucht man Fachwissen – die Eisenbahner stellen den Partisanen Information zur Verfügung. Das ist es, womit sie im Wesentlichen helfen“, sagt Woitechowitsch. Mitglieder der Gemeinschaft der Eisenbahner würden mit einigen oppositionellen Organisationen zusammenarbeiten: den Cyberpartisanen, ByPol und dem „Peramoha“-Plan. Sie alle erhielten von den Eisenbahnern Informationen über die Zugrouten.

    Auch die Sprecherin der Cyberpartisanen Schmetowez bestätigt, dass die Gemeinschaft der Eisenbahner ihnen Informationen liefert, wie eine Sabotageaktion durchgeführt werden kann. Erklärtes Ziel der Partisanen sei es, den Transport von militärischem Gerät und Treibstoff aus Russland in die Ukraine zu behindern. „Auf dem Luftweg lässt sich so eine große Menge Kraftstoff nicht transportieren – der ist zu schwer. Auf der Straße auch nicht – das Fassungsvermögen reicht nicht. Das wichtigste Ziel der Cyberpartisanen ist es, das Vorankommen der Züge zumindest zu verlangsamen, und so den Ukrainern Zeit zu verschaffen“, so Schmetowez. 

    Seit 2021 sind die Cyberpartisanen auch Teil der Bewegung Supraziu, die von der belarussischen Regierung als extremistisch eingestuft wurde. Die Cyberpartisanen bekennen sich zum Hack der Datenbanken des Innenministeriums während der belarussischen Proteste 2020, zu den Hacks und den DDoS-Angriffen auf staatliche Webseiten von 2020 bis 2022 und auch zum gegenwärtigen Angriff auf die Belarussische Eisenbahn. Juliana Schmetowez berichtet: 

    „Uns war klar, wie das russische Militär das Schienennetz nutzen könnte. Schon letztes Jahr hat die Organisation Tschorny bussel, die auch zu Supraziu gehört, ihre ersten Aktionen an der Schiene durchgeführt. Um nicht zu sehr ins Detail zu gehen, sage ich nur: Es wurde an bestimmten Stellen Stacheldraht ausgelegt, um das Vorankommen der Züge zu verzögern. Das gefährdete keine Menschenleben, aber das Vorankommen, auch der Güterzüge, wurde eben verzögert.“ Schmetowez fügt außerdem noch hinzu, wenn man keinen offenen Widerstand leisten könne, dann seien solche Partisanenaktionen immer noch die einzigen Mittel für den Kampf gegen das Regime. 

    „Offenbar hatten sie Angst vor radikaleren Aktionen“

    In der Nacht vom 1. zum 2. März brachte der Belarusse Sergej Glebko in Stolbzy seine drei Kinder ins Bett, anschließend trank er mit seiner Frau Jekaterina „Schnaps und machte sich dann zu den Gleisen in seiner Stadt auf“. Dort zündete er ein paar Baumstämme an, die er aufs Gleis gelegt hatte, und filmte das mit seinem Mobiltelefon. Diese Szene lässt sich anhand des Protokolls aus dem Innenministerium rekonstruieren. Die Behörde veröffentlichte ein „Reuevideo“, in dem Glebko seine Tat gesteht. Man sieht, dass er geschlagen wurde, er hat frische Wunden auf der Nase und an der Stirn. 

    „Ich hab übertrieben viel Telegram-Kanäle geschaut und war dagegen – ich wollte meinen Beistand [mit den oppositionell eingestellten Eisenbahnern] irgendwie ausdrücken, deswegen habe ich die Baumstämme angezündet“, sagt Glebko. Er ist nach Paragraf 289 Strafgesetzbuch [„Terroranschlag“] angeklagt. Derzeit befindet er sich im Untersuchungsgefängnis Nr. 1 in Minsk und wartet auf den Prozess, ihm droht die Todesstrafe – alles hängt davon ab, welcher Teil von Paragraf 289 bei ihm zur Anwendung kommt. Bislang ist das noch nicht bekannt. 

    „Die Spezialaktionen, die die Eisenbahn lahmlegen, [die Leute,] die nachts verschiedene Anschläge durchführen – das gehört alles zum Testlauf des Peramoha-Plans“, sagte Alexandra Logwinowa, die Außenbeauftragte von Swetlana Tichanowskajas Team bei einer Pressekonferenz am 8. März 2022. Laut der offiziellen Webseite des Plans wurde er von ByPol auf Tichanowskajas Anweisung hin erstellt. 

    ByPol gab die Gründung des Peramoha-Plans genau ein Jahr nach den Präsidentschaftswahlen 2020 bekannt. Derzeit sollen etwa 200.000 Menschen daran beteiligt sein. Ein Sprecher des Peramoha-Plans erklärt: „Der Plan umfasst verschiedene Aktionen, unter anderem Blockaden der Infrastruktur. Die Aktionen an der Eisenbahn wurden von Mitgliedern des Plans durchgeführt. Aber [Sergej Glebkos] Aktion mit den brennenden Baumstämmen ist nicht von uns – das war eine lokale Initiative. Wir halten sie für wenig effektiv und gefährlich.“

    Laut dem Peramoha-Sprecher fuhren nach dem 5. März 2022 fast eine Woche keine russischen Züge durch Belarus: „Offenbar hatten sie Angst vor radikaleren Aktionen.“ Er sagt gegenüber Meduza außerdem, dass die Änderungen des Strafgesetzbuchs, welche die Todesstrafe für einen versuchten Terroranschlag festgeschrieben haben, die Menschen nicht einschüchtern würden: „Die Gruppen, die bereit waren, unter den heutigen Bedingungen aktiv zu sein, sind geblieben.“

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    Wie der Krieg Belarus verändern wird

    Zum sechsten Mal seit Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine haben sich Alexander Lukaschenko und Kremlchef Wladimir Putin am vergangenen Wochenende getroffen. Im Gegenzug für seine Loyalität – Lukaschenko beschwor mit lodernden Worten die angebliche Gefahr, die von der NATO ausgehe – soll der belarussische Machthaber in den nächsten Jahren ein enormes Rüstungspaket erhalten, unter anderem das Raketensystem Iskander-M, das mit Atomwaffen bestückt werden kann. Der politische Analyst Alexander Klaskowski kommentierte das Treffen wie folgt:  „Lukaschenko, der dem Kreml jahrelang versprochen hat, dass sich die Belarussen den Panzern der NATO entgegenwerfen würden, ist sicherlich nicht begeistert von der Aussicht auf eine echte Auseinandersetzung mit den Ukrainern oder dem nordatlantischen Bündnis. Doch die Schlinge der katastrophalen Abhängigkeit von Moskau sitzt ihm im Nacken.“

    Weil es immer wieder Befürchtungen und Hinweise dafür gibt, dass Lukaschenko sich doch noch mit eigenen Truppen an dem Krieg beteiligen könnte, wandte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky in einer Ansprache direkt an die belarussische Bevölkerung. Er warnte die Belarussen davor, sich in den Krieg hineinziehen zu lassen.

    Die Abhängigkeit von Russland, die Lukaschenko im Zuge der Proteste in seinem Land auf fatale Art und Weise ausgebaut hat, hat Belarus jetzt schon eine unheilvolle Rolle in dem Krieg beschert. Auch vergangenes Wochenende wurden russische Raketen von belarussischem Staatsgebiet und aus dem belarussischen Luftraum in Richtung Ukraine abgeschossen. 

    Was aber bedeuten der Krieg und die Rolle Russlands dabei für die belarussische Gesellschaft, die im Sommer 2020 so eindrucksvoll begonnen hatte, sich von ihren autoritären Strukturen emanzipieren zu wollen? Wie wirkt sich die aktuelle Situation möglicherweise auf die belarussische Identität aus, die in vielfacher Hinsicht mit russischen Implikationen verwoben ist? In einer Analyse für das Medium Nasha Niva geht der Politologe Pjotr Rudkowski, akademischer Direktor des Belarusian Institute for Strategic Studies, diesen Fragen auf den Grund.

    Sehen wir uns die Bedeutung des Ausdrucks „nach Russland“ [gemeint hier im Sinne von post Russland – dek] näher an. Sogar im für Russland schlimmsten Szenario (Niederlage im Krieg gegen die Ukraine und Verlust der Krim) wird Russland als Staat weiterbestehen. Mit welchem Staatssystem und in welcher politischen Machtkonstellation – das steht auf einem anderen Blatt. 

    Doch auch wenn der Krieg für Russland denkbar gut ausgeht – es behält die Krim und entreißt der Ukraine drei, vier Oblaste – wird es aus diesem Krieg extrem geschwächt und ohne Aussicht auf baldige Genesung hervorgehen. Das Land wird sich in einer Wirtschaftskrise befinden, von der internationalen Arena isoliert, ohne verlässliche Bündnispartner – nicht einmal in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) oder in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) – und mit angeschlagenem militärischen Image. 

    Dazu kommt der innere Faktor. Man sollte Berichten über 70 bis 75 Prozent Unterstützung der „Spezialoperation“ und über 80 Prozent Vertrauen in Putin unter der Bevölkerung Russlands nicht zu viel Bedeutung beimessen. Diese Zahlen sind zwar teilweise überzeugend, aber nur, was die Gegenwart betrifft. Der Krim-Effekt hielt drei Jahre lang an, dann ließ er nach. Und das, obwohl die damalige Spezialoperation a) unblutig, b) schnell erledigt und c) effektiv war. Die heutige Spezialoperation ist jedoch a) ein blutiger Krieg, zieht sich b) schrecklich in die Länge und ist c) ineffektiv. Hier wird der „patriotische“ Aufschwung viel schneller wieder verpuffen. Multipliziert mit der Wirtschaftskrise wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit zur sozialen Instabilität führen.  

    Insofern wird Russland nach diesem Krieg „nicht mehr es selbst“ sein. Es wird ein Land sein, das die nächsten Jahre vor allem damit zu tun haben wird, zu überleben und nicht auseinanderzufallen. Es wird nicht mehr das Russland sein, das wir die letzten zwei Jahrzehnte kannten.    

    Der kanadische Politologe Seva Gunitskiy veröffentlichte vor ein paar Jahren eine Studie, in der er Faktoren analysierte, die in den letzten zwei Jahrhunderten bei Systemtransformationen eine Rolle spielten. Der Autor zeigte, dass die größten Transformationen stattfinden, wenn sich auch die globale Hegemonie strukturell verändert. Am eindrucksvollsten sah man das nach den zwei Weltkriegen sowie beim Zerfall der Sowjetunion

    Es gibt noch einen anderen Kontext von Transformationen – nämlich regionale Umbrüche, die sich viral verbreiten. Ein Beispiel hierfür ist der Arabische Frühling 2010 bis 2012, als durch rund 20 Länder einer Region eine Welle von Protesten mit unterschiedlichen Folgen rollte. 

    In der Zeit der Proteste in Belarus 2020 gab es weder Veränderungen in der globalen Hegemonie noch eine virale Welle in der Region. Diese Art von Prozessen nennt Gunitskiy „emulativ-horizontale“ Transformationen. Sie verlaufen langsam und dauern lange, dafür ist das Ergebnis – wenn es denn erreicht wird – ziemlich beständig. Ein Beispiel dafür ist die Demokratisierung in Portugal, Spanien oder Griechenland in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. 

    Es kann passieren, dass ein Prozess in einem Kontext beginnt und in einem anderen fortdauert. In Polen fanden die Proteste 1980/81 genauso wie in Belarus 2020 in einer Situation statt, in der die globale Hegemonie stabil war und die Region nicht von einer viralen Welle ergriffen wurde. Doch ihre Fortsetzung – in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre – erfolgte bereits vor dem Hintergrund eines geschwächten Hegemons: der Sowjetunion. Diesmal führten die Proteste zu Veränderungen des Systems: Im Juni 1989 gab es freie Wahlen [in Polen – dek], die kommunistische Autokratie wurde von einer repräsentativen Demokratie abgelöst. 

    Vieles weist darauf hin, dass die nächste Folge der belarussischen Proteste vor dem Hintergrund eines geschwächten lokalen Hegemons – Russlands – beginnen wird. Das garantiert noch keinen Erfolg, erhöht jedoch die Chance darauf um ein Vielfaches.   

    Bruch mit dem autoritären Status quo

    Wenn die Menschen in alten Zeiten schnell ein Haus bauen mussten, dann verwendeten sie das Material, das gerade am besten verfügbar war. Das konnte eine Höhle sein, ein Baum, Steine oder sogar Tierhäute. 

    Identität wird meistens auf ähnliche Weise geformt. Eine aktive und langfristige „Suche nach Identität“ passiert nie in der Masse, das ist etwas für sehr motivierte Menschen, die sich die Zeit dafür nehmen können. Die Antwort auf Fragen wie „Wer bin ich? Wer sind wir?“ wird in der Regel aus schnell greifbaren Materialien modelliert: aus der dominanten Sprache im jeweiligen Umfeld und Vorstellungen über ihren Status, aus bestehenden religiösen Traditionen, aus Schulbüchern entnommenen Meinungen über die historische Rolle bestimmter Länder, aus medialen Einflüssen etc. 

    In Belarus gibt es einen wichtigen Teil der Gesellschaft, auch wenn er in der Minderheit ist: Menschen, die sich aktiv für Geschichte und Sprache interessieren und ihre Zeit in den Aufbau einer starken nationalen Identität investieren. Bei allem Respekt für diese Minderheit ist es aber auch nicht verwunderlich oder gar befremdlich, dass die Mehrheit entweder nicht so motiviert ist oder einfach nicht genug Zeit und Energie dafür hat. Die Mehrheit legt ihrer Identität Elemente zugrunde, die am leichtesten verfügbar sind. 

    Für etliche Generationen von Belarussen waren diese „greifbaren“, am schnellsten verfügbaren Materialien die russische Sprache, die Geschichte Russlands und/oder der UdSSR, russisches Kino, Musik und Sport, sowie ihre Wahrnehmung vom großen Einfluss Russlands in der modernen Welt. Je mehr sie sich an das Leben im unabhängigen Belarus gewöhnten, desto mehr legte sich über die russische sprachlich-kulturelle Identität eine belarussisch-etatistische Identität, die mit einer staatsbürgerlichen Zugehörigkeit zur Republik Belarus einhergeht. Für eine Analyse der Faktoren und Merkmale dieses Umstandes ist hier kein Platz, daher beschränken wir uns darauf, die Gesetzmäßigkeiten zu benennen, kraft derer die Zugehörigkeit zum russischen Sprach- und Kulturraum für viele Belarussen teilweise identitätsstiftend war und immer noch ist. Nicht einmal die Proteste von 2020 haben das wesentlich verändert.  

    Der Krieg in der Ukraine führt wahrscheinlich zu einem Bruch in der Identität der Belarussen. Zum ersten Mal haben wir es mit einem internationalen Konflikt zu tun, in dem nur eine Minderheit von Belarussen Russland unterstützt und die Zahl seiner Kritiker höher ist als die Zahl der Befürworter. Im Georgienkrieg oder bei der Annexion der Krim war die absolute Mehrheit der Belarussen auf der Seite Russlands (der Identitäts-Faktor kam zum Tragen). Zusätzliche Bedeutung erhält diese Wendung dadurch, dass in früheren Phasen dieses Konflikts Lukaschenkos Medien keine Unterstützung für Russland signalisiert und sich manchmal sogar Kritik erlaubt haben. Jetzt agiert die offizielle Propaganda zwar im Interesse des Kreml, doch die Verteilung von Unterstützern und Kritikern der „Spezialoperation“ ist vergleichbar mit ihrer Verteilung innerhalb der bulgarischen Gesellschaft.  

    Der Faktor der russozentrischen Identität der Belarussen verliert seine Wirkung. Russlands international gefestigtes Image als Aggressor und das Durchsickern von Informationen über Kriegsverbrechen der Russen in die belarussische Gesellschaft werden den Bruch in der Identität noch vorantreiben. Zwar wird die Verwendung der russischen Sprache kaum abnehmen, doch Russlands Image wird sich im belarussischen Weltbild radikal verändern.   

    ***
    Für den Aufschwung 2020 haben Tausende Belarussen mit ihrem Leben, ihrer Gesundheit oder ihrer Freiheit bezahlt. 2022 haben für die Verteidigung ihres Landes gegen den Aggressor Zigtausende Ukrainer ihr Leben oder ihre Gesundheit verloren. Das ist der schmerzhafte Aspekt dieser Vorgänge. Neben dem Gedenken der gefallenen Helden und der Solidarität mit den Leidtragenden ist jedoch auch ein anderer Aspekt zu beachten:

    Russland wird als Stabilisator des belarussischen Status quo immer schwächer. Sowohl als Hegemon, als auch als Teil der Identität der Belarussen. Wie Gunitskiys Forschungsarbeit gezeigt hat, erhöht eine solche Schwächung maßgeblich die Chance auf einen Bruch des autoritären Status quo.  

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    „Diese Regime werden alle untergehen”

    „Die Strafverfolgungsbehörden schweigen bis heute und tun so, als wäre es unmöglich, die genauen Umstände von Romans Tod aufzuklären oder die Täter zu finden.” Das sagt Olga Kutscherenko im Interview mit dem belarussischen Online-Medium Salidarnasc/Gazeta.by, das wir in deutscher Übersetzung veröffentlichen. 

    Kutscherenko ist die Cousine von Roman Bondarenko, der am 11. November 2020 von einer Gruppe maskierter Männer in einem Minsker Hinterhof, dem sogenannten Platz des Wandels, zusammengeschlagen wurde und am folgenden Tag seinen Verletzungen erlag. Bondarenko wurde 31 Jahre alt und für die belarussische Protestbewegung des Jahres 2020 zum Symbol des unbändigen Freiheitswillens.

    Der Totschlag ist bis heute nicht aufgeklärt. Im Februar 2021 wurde zwar ein Strafverfahren eingeleitet, aber im September desselben Jahres wieder eingestellt, weil man – die Behörden – keine Tatverdächtigen finden könne. Allerdings hatten belarussische Medien erdrückende Hinweise dafür zusammengetragen, dass der Chef des belarussischen Eishockey-Verbandes Dimitri Baskow am Tatort gewesen sein soll, als Bondarenko attackiert wurde. Außerdem der frühere Kickboxer Dmitri Schakuta. Beide unterliegen wegen mutmaßlicher Verwicklung in den Überfall verschiedener internationaler Sanktionen.
    Nach Bondarenkos Tod war die tut.by-Journalistin Katerina Borissewitsch festgenommen und in einem Strafverfahren zu sechs Monaten Haft verurteilt worden. Die Behörden hatten verbreiten lassen, dass Bondarenko betrunken gewesen sei. Borisewitsch interviewte den behandelnden Arzt, der die Unterstellung entkräftete. 

    Zu Bondarenkos Beerdigung in Minsk kamen Tausende, um ihre Anteilnahme und Trauer zu demonstrieren. In einem sehr persönlichen Interview mit Salidarnasc/Gazeta.by spricht seine Cousine Olga Kutscherenko, die mittlerweile in Polen lebt, über viele offene Fragen, über Erinnerungen an ihren Cousin, über seine Mutter, die Lage in der Heimat Belarus und den Krieg in der Ukraine.

    Salidarnasc: Sie haben einmal gesagt, Roman Bondarenkos Sachen seien seiner Mutter Jelena Sergejewna auch nach einem Jahr noch nicht ausgehändigt worden.

    Olga Kutscherenko: Jedenfalls nicht alle. Soweit ich weiß, nur der Ausweis, seine Uhr, fünf Rubel und ein Ladegerät, das ihm gar nicht gehörte – er hatte ein brandneues iPhone, aber da war einfach nur ein altes Kabel ohne Ladeblock.
    Seine Sachen wurden im Krankenhaus gestohlen, genau wie die Auflistung der persönlichen Gegenstände. Auch Romans Kleidung und seine Wohnungsschlüssel sind nicht aufgetaucht.

    Wird Ihre Familie und seine Mutter von jemandem bedroht?

    Nein, aber es gibt keine Garantie dafür, dass das so bleibt. Jeder kann sehen, was jetzt im Land passiert. Damals, direkt nach Romas Tod, als man uns seinen Leichnam lange nicht aushändigen wollte, kamen sie zu meiner Mutter, Romas Tante, auf die Arbeit und sagten zu ihr: Sie verstehen doch, wenn die Beerdigung an einem Wochentag stattfindet, ist das eine Sache, aber am Wochenende – das wäre was anderes. Dabei waren das Leute vom städtischen Gesundheitsamt, die weder mit Roma noch mit uns irgendetwas zu tun hatten.

    Roman Bondarenko und seine Cousine Olga Kutscherenko in Teenagerjahren / Foto © privat
    Roman Bondarenko und seine Cousine Olga Kutscherenko in Teenagerjahren / Foto © privat

    Haben Sie damit gerechnet, dass so viele Menschen Anteil an Romans Tod nehmen würden, dass es geradezu eine Welle auslöst?

    Nein, das haben wir nicht erwartet. Ich weiß noch, wie ich an dem Tag, an dem er starb, spät abends durch die Stadt fuhr und überall, entlang der Straße, an den Haltestellen, vor den Häusern, in allen Fenstern Kerzen brannten. Ich habe anfangs gar nicht verstanden, dass die Menschen auf diese Weise mit uns zusammen trauern. Erst danach habe ich auf Telegram von den Aktionen erfahren.

    Den stärksten Eindruck haben bei mir die Ereignisse vom 15. November hinterlassen, als die Menschen Blumen in unserem Hof niederlegten und dafür brutal zusammengeschlagen wurden. Aber sie kamen trotzdem, auch später zur Beerdigung – obwohl man sie in Angst versetzt hatte. Das hat mich sehr stolz auf die Belarussen gemacht, auf ihren Mut.

    Wie geht es Jelena Sergejewna, Romans Mutter?

    Sie bekommt Unterstützung von sehr vielen wundervollen Belarussen. Natürlich auch von ihrer Familie. Wir versuchen, ihr zu helfen. Sie ist sehr tapfer, sucht weiterhin nach Interesse am Leben und lässt den Kopf nicht hängen.

    Tante Lena ist oft auf dem Friedhof und erzählt, dass viele Menschen an Romans Grab kommen. Sie bringen Blumen und kleine Geschenke, zum Zeichen, dass sie an ihn denken. So sehr die Staatsmacht auch versucht, alle einzuschüchtern, sie kann nicht verhindern, dass die Menschen  nachdenken und verstehen, was passiert.

    Für unsere Familie ist es wichtig, dass Romas Name nicht in den Schmutz gezogen wird, dass er nicht als „Säufer und Unruhestifter“ verunglimpft wird. Uns ist wichtig, dass er als der Mensch in Erinnerung bleibt, der er wirklich war. Und natürlich wollen wir, dass die Täter bestraft werden.

    Es ist schrecklich, was Russland da tut, und auch, dass die offizielle Führung in Belarus das unterstützt

    Warum haben Sie Belarus verlassen?

    Nicht, weil mir jemand gedroht hätte. Mein Mann lebt und arbeitet seit anderthalb Jahren in Polen. Meine Tochter und ich besuchten ihn gerade, als der Krieg ausbrach, und wir beschlossen eine Weile zu bleiben.

    Hier konnte ich endlich wieder etwas an meine Arbeit denken. Ich bin Designerin, aber nach 2020 war ich in einer Zwangspause: Erst die Proteste, dann Romas Tod. Das hat mich alles aus der Bahn geworfen.

    Und noch bevor wir richtig zu uns kommen konnten, begann dieser Krieg. So langsam sehe ich mir den Markt genauer an, sehe, dass ich hier eine Perspektive habe.

    Was empfinden Sie angesichts der Ereignisse in der Ukraine?

    Wie alle vernünftig denkenden Menschen machen wir uns Sorgen. Es ist schrecklich, was Russland da tut, und auch, dass die offizielle Führung in Belarus das unterstützt. Ich weiß nicht, ob sie begreifen, dass das auf jeden Fall Konsequenzen haben wird. Ob die belarussischen Offiziere und Soldaten das verstehen, von deren möglicher Beteiligung am Krieg ständig die Rede ist.

    Natürlich wird die Ukraine siegen, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber der Schock saß sehr tief. Ich habe Freunde in der Ukraine, Freunde in Belarus, die wegen der Ereignisse bei uns in die Ukraine geflohen waren und nun wieder fliehen mussten, als der Krieg begann. In den ersten Tagen hat eine Freundin bei uns gewohnt, die sich aus Irpen gerettet hat. Das ist alles so schrecklich.

    Auch dass die Menschen wegen ihrer Nationalität diskriminiert werden, bereitet mir Sorgen, die Stimmungen hier in Europa. Als die Belarussen in den ersten Tagen ihre Autos versteckt haben, damit man sie nicht beschädigt. Als russischsprachige Kinder in der Schule beleidigt wurden.

    Nicht alle Ukrainer wissen, dass die Belarussen, die derzeit in Europa sind, die Ukraine von ganzem Herzen unterstützen. Ich wünsche mir sehr, dass sie das verstehen. 

    Doch ich treffe auch hier viele Menschen, die nicht nur über die Ereignisse in der Ukraine, sondern auch in Belarus Bescheid wissen. Erst gestern hatte ich ein erstaunliches Gespräch mit einem Taxifahrer, einem Usbeken. Als er erfuhr, dass ich aus Belarus komme, erzählte er mir vom Usurpator Lukaschenko, den Repressionen in Belarus und dass die Belarussen nicht in der Ukraine kämpfen wollen.

    Verfolgen Sie die Ereignisse in Belarus?

    Sicher. Ich betrachte das, was gerade passiert, als niederträchtige Rache einer kleinen Gruppe von Menschen am ganzen Volk. Ich glaube, das kommt daher, dass sie sich in eine vollkommen ausweglose Situation gebracht haben.

    Diese Gesetze, die sie erlassen, die nicht enden wollenden Repressionen – das zermürbt natürlich einerseits die Menschen, aber gleichzeitig erschwert das auch die Position der Staatsmacht. Sie reiten sich immer tiefer rein.

    Wie bewerten Sie heute die Ereignisse von 2020? Manche werfen uns vor, dass wir es nicht zu Ende gebracht hätten.

    Ich glaube, jede Nation hat ihren Weg, ihre Mentalität. Für die Belarussen steht das Leben der Menschen an erster Stelle. Ja, wir leiden immer noch, wir sind immer noch Repressionen ausgesetzt, aber dafür haben wir nicht so viele Todesopfer davongetragen.

    Ich denke, wenn wir zu den Waffen gegriffen hätten, hätte es viel mehr Tote gegeben. Womöglich wäre auch ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Aber auf so etwas waren die Belarussen nicht aus, wir wollten zeigen, dass wir mit dem Wahlergebnis nicht einverstanden sind und dass wir die Mehrheit stellen

    Ich glaube, es war richtig, dass wir nicht zu den Waffen gegriffen haben. Und es gibt auch generell keine Gebrauchsanweisung, wie man sich in so einer Situation zu verhalten hat.

    Niemand außer uns selbst kann über die Zukunft von Belarus entscheiden

    Jetzt, nach fast zwei Jahren, glauben Sie, dass wir uns von der lichten Zukunft, von der wir alle träumen, entfernen oder uns ihr – im Gegenteil – nähern?

    Ich glaube, wir nähern ihr uns. Nur auf Umwegen. Im Moment sind die äußeren Umstände sehr bestimmend, also die Ereignisse in der Ukraine.

    Ich weiß nicht, ob das Regime in Russland schneller fällt als das in Belarus, wie lange es durchhalten und dem belarussischen Regime dazu verhelfen wird, an der Macht zu bleiben. Aber es ist vollkommen offensichtlich, dass sie alle untergehen werden und wir uns in entgegengesetzter Richtung nach oben bewegen.

    Anders kann es überhaupt nicht sein. Ich bin generell Optimistin und habe nie auch nur eine Minute lang daran gezweifelt, dass wir es schaffen werden. Ich glaube fest an das belarussische Volk und sein Potential.

    Hängt die Zukunft von Belarus von den Ereignissen in der Ukraine ab?

    Wir sind ja die unmittelbaren Nachbarn. Und entsprechend sind wir voneinander abhängig. Natürlich hängt vieles von dem Sieg der Ukraine ab, aber nicht alles. Ich glaube, niemand außer uns selbst kann über die Zukunft von Belarus entscheiden. Weder Europa noch die USA – niemand wird uns den Sieg auf dem Silbertablett präsentieren.

    Aber ich glaube, dass uns das Beispiel der Ukraine sehr anspornt, und es ist durchaus denkbar, dass die Belarussen – falls sich die Dinge entsprechend entwickeln und sie zur Waffe greifen müssen – dass sie das in erster Linie tun würden, um sich und ihre Kinder zu verteidigen

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  • Erziehung zur Ergebenheit

    Erziehung zur Ergebenheit

    Die Repressionen in Belarus gehen ungebremst weiter: Journalisten, Aktivisten und normale Bürger werden weiterhin festgenommen, auch immer noch für ihre Teilnahme an den Protesten im Zuge des 9. August 2020. Auch das Unternehmen tut.by Media, einst das größte Nachrichtenportal des Landes, wurde von einem Gericht als „extremistische Vereinigung“ eingestuft. Wie schon in den Jahren zuvor gerät die dissidente Kultur wieder einmal ins Blickfeld der Silowiki. Mitte Mai wurde die Buchhandlung Knihauka des Januschkewitsch-Verlages in Minsk durchsucht, der Verleger Andrej Januschkewitsch festgenommen und zu zehn Tagen Haft verurteilt. Am Tag der Eröffnung hatte sich die staatliche Propaganda auf den neuen Buchladen eingeschossen. Ljudmila Gladkaja von der Staatszeitung SB. Belarus segodnja und andere Propagandisten waren zur Eröffnung erschienen. Sie beklagte vor laufender Kamera, dass die Behörden die Eröffnung der Buchhandlung überhaupt erlaubt hätten: „Wenn sich 2020 wiederholt, werdet ihr euch fragen, wie das nur passieren konnte.“ 

    Auch der Roman Die Hunde Europas des Schriftstellers Alhierd Bacharevič wurde als „extremistisch“ und staatsfeindlich eingestuft. Bacharevičs Bücher werden von Januschkewitsch verlegt. Erst kürzlich tauchte zudem eine Liste im Internet auf, die vom Kulturrat in Belarus stammen sollte. Darauf die Namen von 33 Autoren und Autorinnen – darunter die von Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, von Schriftsteller Viktor Martinowitsch oder dem Philosophen Valentin Akudowitsch. Deren Bücher, so die mutmaßliche Anweisung der Behörden, sollten aus den Schulbibliotheken landesweit verbannt werden.

    Machthaber Alexander Lukaschenko ist in vielerlei Hinsicht ein Sowjetnostalgiker, gerade hinsichtlich seiner Vorstellung einer eingehegten Kultur, die dem Staat dienen soll, und eines Bildungs- und Erziehungssystems, das loyale Diener für den autoritären Staat hervorbringen soll. Entsprechend gibt es an den Bildungseinrichtungen des Landes sogenannte Ideologie-Beamte, die dafür sorgen, dass sich keine nonkonformistischen und kritischen Haltungen unter Schülern und Studenten breit machen. Außerdem existiert die staatliche Jugendorganisation BRSM, deren Mitglieder an Paraden und anderen Propagandaaktivitäten mitwirken und Vergünstigungen für das Studium erhalten. 

    In mehreren Artikeln beschäftigt sich der Journalist Alexander Klaskowski mit Lukaschenkos Wunsch, das Bildungssystem nach seinen Vorstellungen umzubauen. „Die traurige Ironie besteht darin”, schreibt er in einem Beitrag, „dass das Regime gegenwärtig Bereiche wahrer nationaler Kultur zerstört, die Geschichte aus Gründen politischer Opportunität einseitig interpretiert, die staatliche Souveränität zunehmend bedroht und die Menschen ihrer wahren Staatsbürgerschaft und ihres nationalen Geistes beraubt. Sie wollen die Menschen zu gehorsamen Robotern machen.” 

    Wie realistisch aber ist Lukaschenkos Plan eines gleichgeschalteten Bildungssystems, das ausschließlich ergebene Bürger hervorbringt? Damit setzt sich Klaskowski in einer Analyse für das Online-Portal Naviny auseinander.

    Lukaschenkos Treffen mit Pionier-Aktivisten am 20. Mai war gewissermaßen ein rituelles und von PR-Überlegungen diktiert: Es sollte der hundertste Jahrestag der Pionierbewegung begangen werden. Zudem war es ein günstiger Moment, den menschlichen Führer zu spielen, den Freund der Kinder. Lukaschenko äußerte sich dabei zu programmatischen Dingen, die ihn tatsächlich bewegen.

    Lukaschenko ist wegen der Loyalität der jungen Generation offensichtlich beunruhigt. Der friedliche Aufstand von 2020, bei dem viele junge Menschen in den Kolonnen mit den weiß-rot-weißen Flaggen marschierten, hat bei Lukaschenko Eindruck hinterlassen.

    Ein Versuch, die kommunistische Matrix einzusetzen

    Bei dem Treffen mit den Pionieren erklärte Lukaschenko, dass es „an der Zeit ist, mit dem Ausbau der Arbeit der Pionierorganisation und unserer gesamten Jugendorganisation ernst zu machen. Das größte Manko besteht darin, dass die Pioniere und die Pionierorganisation nur schwach an die Jugendorganisation, den BRSM [den Belarussischen Republiks-Jugendverband – dek], angebunden sind, und dass die BRSMler nicht besonders an eurem [dem Prionierleben – dek] Leben interessiert sind. Bei uns galt eisern: Die Komsomolzen sind der ältere Bruder. Die organisieren und nehmen einen an die Hand. Das heißt: Aus den Pionieren erwächst eine neue Generation von Jugendlichen“.

    Im Grunde träumt Lukaschenko mit seiner unweigerlichen Nostalgie nach der „lichten Vergangenheit“ davon, ein System wiederaufleben zu lassen, das „Sowjetmenschen großzieht“, und das in kommunistischer Zeit damit schon im Kindergarten begann: Portraits von Großvater Lenin, Verse über den Feiertag des Großen Oktober, das Rote Banner usw. Erst wurde man bei den Oktjabrjata aufgenommen, dann bei den Pionieren, beim Komsomol und schließlich wurden die mit dem stärksten Bewusstsein Parteimitglieder. Es war ein Fließband intensiver Indoktrination.

    Doch in der UdSSR basierte das alles auf einer ausgefeilten Ideologie, die in den Köpfen mitunter durchaus Wirkung zeigte. Der Sieg über Hitlerdeutschland, der erste Satellit im All, der Flug von Juri Gagarin, das alles hat viele geradezu beflügelt und dazu gebracht, an die „fortschrittlichste aller Gesellschaftsordnungen“ zu glauben.

    Allerdings hat auch diese Ideologie den Realitätstest nicht bestanden, als das System vor sich hin rottete und bei den Massen keinen Enthusiasmus mehr entfachte. Viele wurden nur deshalb Komsomolzen, um auf die Hochschule zu gelangen, Karriere zu machen oder einfach um nicht als schwarzes Schaf dazustehen. In der Endphase der Sowjetunion traten die Leute massenweise (und oft demonstrativ) aus dem Komsomol und der KPdSU aus.
    Abschließend ein handfestes Beispiel wie aus dem Lehrbuch: Von den Dutzenden Millionen Kommunisten und Komsomolzen ist keiner aus Protest auf die Straße gegangen, als durch das Belowescher Abkommen im Dezember 1991 das Ende der UdSSR besiegelt wurde. Als das System ein moralisches Fiasko erlebte und sich vollkommen selbst diskreditiert hatte, fand sich niemand, der bereit gewesen wäre, es bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. 

    Noch etwas ist zu beachten: Lukaschenko will nicht einmal eine eigene Partei gründen, um seine eifernden Anhänger zu formieren. Zu sehr hat er das System auf sich zugeschnitten. In dieser Hinsicht waren selbst die Kommunisten flexibler.

    Halt die Füße still und sei gehorsam – das ist die ganze Ideologie 

    Lukaschenkos Gegner haben ihn 2020 mit einem Meme zum Thema 3 Prozent Rückhalt gedisst, was ihn sehr geärgert hat. Und mittlerweile sprechen die Oppositionsführer oft in einem vereinfachten Paradigma vom „Volk gegen Regime“. In Wirklichkeit ist das Stimmungsbild in der Gesellschaft natürlich sehr viel komplexer. Unabhängigen Meinungsforschungsinstituten zufolge besteht die Anhängerschaft Lukaschenkos ungefähr aus 20 bis 30 Prozent der Wahlberechtigten. Doch dürften dieser Bevölkerungsschicht nur wenige leidenschaftliche Anhänger zu finden sein, die zu Opfern bereit wären.

    Die Menschen sind aus verschiedenen Gründen also der Ansicht, dass Veränderungen schlimmer wären als die gegenwärtige Lage der Dinge. Doch bei der massenweisen Indoktrinierung, bei der Erziehung von „wahrhaften Patrioten“, wie es die Führung gern nennt, gibt es große Probleme.

    Lukaschenko verfügt aus Prinzip über keine Ideologie, was er mehrfach öffentlich zugegeben hat. Daher wird der Bevölkerungsmasse eine primitive Loyalität aufgenötigt: Halt die Füße still, halt den Mund und tu, was man dir sagt.

    Diese Loyalität kann jedoch zutiefst vorgetäuscht sein, und insgeheim oft mit der Faust in der Hosentasche. Lukaschenko scheint das selbst zu spüren. Bei einem weiteren Personalkarussell am 13. Mai sprach Lukaschenko über die Stimmung in der Gesellschaft und betonte, dass es „genug Menschen gibt, die nicht einfach nur etwas anderes denken (denken ist ja nicht verboten), sondern auf den geeigneten Moment warten“. Wohlgemerkt: Es geht um den Moment eines Regimewechsels.

    Im August 2020, als das Regime wankte, haben sich die regimefreundlichen Organisationen nicht sonderlich ins Zeug gelegt. Lukaschenko hat rückblickend mehrfach geklagt, dass viele Funktionäre sich seinerzeit „in Mauselöchern verkrochen“ hätten.

    Für die Masse der Durchschnittsbürger ist die Mitgliedschaft in Organisationen wie dem Gewerkschaftsbund oder dem Jugendverband BRSM reine Formsache. Damit es keine Scherereien oder Schwierigkeiten mit den Vorgesetzten gibt. Die Hoffnung, dass diese „Säulen der Zivilgesellschaft“, als die Lukaschenko sie hinzustellen versucht, ihm in einer schweren Stunde Rückhalt bieten, ist illusorisch.

    Ein Informationsmonopol lässt sich nicht mehr durchsetzen

    Bei dem Treffen mit den Pionieren versprach Lukaschenko eine Geschichtsstunde für Schüler und Studierende im Minsker Museum des Großen Vaterländischen Krieges. Außerdem „befürwortete [er] die Aktivitäten von Pionieren und jungen Menschen zur Wahrung der historischen Erinnerung, unter anderem an die Heldentaten des Volkes und einzelner Helden in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges“. Und er unterstützte die Initiative zur Schaffung der Fernsehsendung „Erinnerung des Herzens“.

    Mit dem Kult um den Großen Vaterländischen Krieg versucht die belarussische Führung offensichtlich, das Fehlen einer in sich geschlossenen ideologischen Doktrin zu kompensieren. Bezeichnend ist, dass versucht wird, den Begriff „Zweiter Weltkrieg“ zu vermeiden. Sonst würden ja Dinge wie die sowjetisch-hitlerdeutsche Parade 1939 in Brest hochkommen, was sich nicht mit der offiziellen manichäisch elitären Mythologie vertragen würde.

    Die belarussische Regierung kopiert hier in vielem Russland. Der Unterschied ist jedoch, dass sich dort die Instrumentalisierung des Themas Großer Vaterländischer Krieg und Sieg stark mit dem in der Gesellschaft weit verbreiteten imperialen Denken und den gekränkten Großmachtambitionen verbindet (wir wurden erniedrigt, aber wir „können es wiederholen“). Die Belarussen haben eine andere Mentalität. Hier lautet das Leitmotiv: „Nie wieder!“

    Durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine ist das staatliche Geschwätz der belarussischen Führung über den vergangenen Krieg („wir haben für unsere Friedfertigkeit büßen müssen“ usw.) besonders unglaubwürdig geworden: Schließlich haben wir de facto den Überfall auf ein Nachbarland mit den revanchistischen Parolen des Kreml unterstützt!
    Die Dienst-Rhetorik zur historischen Erinnerung (die einseitig und unbefriedigend interpretiert wird) wird für Lukaschenko kaum die doktrinäre Leere füllen oder zu einem starken Mobilisierungsfaktor werden können.

    Es ist sogar so, dass das derzeitige Regime gar keine echte politische Mobilisierung oder ein wahrhaftiges bürgerliches Engagement benötigt; mehr noch: Diese wären für das Regime gefährlich. Also wird sich in der Praxis banale Unterwürfigkeit breit machen.

    Einen aufrichtigen Glauben an die Vorteile der im Land geschaffenen Ordnung (der zu gewissen Zeiten vielen Sowjetbürgern hinter dem eisernen Vorhang eigen war) wird die belarussische Regierung ihrer Gesellschaft nicht aufnötigen können. Unter anderem, weil es selbst mit immer heftigeren Verboten (die irrwitzig angewachsene Liste „extremistischer Materialien“, die Sperrung nicht genehmer Internetseiten usw.) heute unmöglich ist, ein Informationsmonopol herzustellen. Besonders, wenn es um junge Menschen geht, die permanent an ihren Geräten hängen (worüber sich Lukaschenko ebenfalls beklagte).

    Durch die Totalitarisierung des Staates können andere junge Köpfe zweifellos verkrüppelt werden. Doch insgesamt ist die Hoffnung der hohen Führung, der heranwachsenden Generation massenhaft das Hirn zu waschen und sie für das Regime gefügig zu machen, zum Scheitern verurteilt

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  • Bystro #37: Ist das „Genozid-Gesetz“ in Belarus Geschichtsklitterung?

    Bystro #37: Ist das „Genozid-Gesetz“ in Belarus Geschichtsklitterung?

    Belarus und seine Bevölkerung haben im Zweiten Weltkrieg immens gelitten: unter der Nazi-Besatzung zwischen 1941 und 1944, dem Holocaust, der Vernichtungspolitik und der sogenannten Partisanenbekämpfung sowie unter den Schlachten selbst. Insgesamt gab es auf dem Territorium der damaligen BSSR mehr als zwei Millionen Opfer. Ein Gesetz, das der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Anfang 2022 unterschrieben hat, stellt die Leugnung des „Völkermordes am belarussischen Volk“ nun unter Strafe – es drohen bis zu fünf Jahre Haft, bei Wiederholung bis zu zehn. „Die Umsetzung des Gesetzes wird dazu beitragen“, verlautbarte die staatliche Nachrichtenagentur Belta, „dass die Ergebnisse des Großen Vaterländischen Krieges nicht mehr verfälscht werden und der Zusammenhalt der belarussischen Gesellschaft gewahrt bleibt.“ 

    Was hat es mit dem Vorhaben auf sich? Schon im Vorfeld ist um das umstrittene Gesetz unter Historikern eine Debatte entbrannt. Was wird überhaupt unter dem „belarussischen Volk“ verstanden? Ist dieses weitreichende Gesetz selbst ein Versuch, Geschichte zu verfälschen? Geht es um echte Aufarbeitung oder darum, Geschichte zu instrumentalisieren und abweichende Meinungen im Keim zu unterdrücken? 

    Diese und andere Fragen beantwortet der belarussische Historiker Alexander Friedman in einem Bystro.

    1. Am 5. Januar 2022 hat Alexander Lukaschenko das Gesetz „Über den Völkermord am belarussischen Volk“ unterzeichnet. Worum geht es darin genau?

    In diesem Gesetz wird die offizielle Sicht der belarussischen Führung auf den Zweiten Weltkrieg und die NS-Verbrechen auf dem Territorium von Belarus formuliert. Damit wurde politisch beschlossen, diese Verbrechen zum „Genozid am belarussischen Volk“ zu erklären. Die Verabschiedung des Gesetzes wurde von langer Hand vorbereitet und kam nicht überraschend. Der Zweite Weltkrieg ist sowohl in Putins Russland als auch in Lukaschenkos Belarus ein historisches Schlüsselthema und wird seit Langem für politische, ideologische und propagandistische Zwecke instrumentalisiert. In der aktuellen Situation – nach den Protesten gegen das Lukaschenko-Regime im Jahr 2020 und mit Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine – dient es dazu, die Bevölkerung in der Konfrontation mit den USA und der EU um die Diktatoren zu scharen.  
    Das Gesetz hat repressiven Charakter und zwingt der Gesellschaft ein Narrativ auf, das seit der Sowjetzeit bekannt ist und jetzt an die Bedürfnisse der Lukaschenko-Diktatur angepasst wurde, als verzerrtes Schwarz-Weiß-Bild der Welt: hier das „Gute“ – die UdSSR und ihr geistiges Erbe in Gestalt der Russisch-Belarussischen Union –, dort das „Böse“ – die Nazis und der „kollektive Westen“ als ihr geistiges Erbe. Im Großen Vaterländischen Krieg, so heißt es, hat das Böse versucht, das Gute zu vernichten und im 21. Jahrhundert wiederholt sich nun die Geschichte.

     

    2. Was wird im Gesetz unter der Bezeichnung „belarussisches Volk“ verstanden?

    Bei der Ausarbeitung des Gesetzes hat das Lukaschenko-Regime drei Formulierungen verwendet: Genozid „am belarussischen Volk“, „am Volk von Belarus“ und sogar: „an den Völkern von Belarus“. Die beiden letzten, neutraleren Versionen sind verworfen worden, weil beschlossen wurde, den Akzent auf das „belarussische Volk“ zu legen und praktisch die gesamte Bevölkerung der Vorkriegs-BSSR, die in ethnischer, religiöser und sprachlicher Hinsicht sehr vielfältig war, darin aufgehen zu lassen. Dieser Begriff wird den verschiedenen Opfergruppen, die es gab, auch sonst nicht gerecht: den ermordeten Juden im Holocaust und den Getöteten in der Zivilbevölkerung, den Gefallenen an der Front oder den Opfern aus dem Feldzug der Nazis gegen die Partisanenbewegung, um nur einige zu nennen.
    Das Gesetz wurde ganz bewusst so gestaltet, um der Bevölkerung von Belarus das Verständnis des Begriffs zu erleichtern und dem „Genozid am belarussischen Volk“ durch eine höhere Opferzahl mehr Gewicht zu verleihen. Der Begriff „Genozid“ allein reicht Lukaschenko und seinem Umfeld nicht aus. Er braucht maximale Verlustzahlen, um die belarussische Bevölkerung und die Weltgemeinschaft zu beeindrucken. Auch den Entschädigungsforderungen, die voraussichtlich an Deutschland auf Grundlage des neuen Gesetzes gestellt werden, soll dieser Begriff zusätzliches Gewicht verleihen. 
     

    3. Auf welchen Zeitraum zielen das Gesetz und somit das Verständnis der Begriffswahl „am belarussischen Volk“ denn genau ab?

    Das Gesetz bezieht sich auf den Zeitraum von 1941 bis 1951. Sowjetische Verbrechen im westlichen Belarus werden dabei aus ideologischen Gründen ausgeklammert. Außerdem wird die Nachkriegszeit bewusst einbezogen, um die damaligen polnisch-belarussischen Konflikte zum Thema zu machen. Schließlich gehört Polen in den Propaganda-Narrativen des Regimes heute zu den westlichen Staaten, die 2020 der offiziellen Erzählung nach über die Proteste einen Putsch gegen das Lukaschenko-Regime initiieren wollten. 
    In dem Gesetz werden alle Bürger der Sowjetunion, die sich im genannten Zeitraum auf dem Territorium von Belarus aufgehalten haben, zum „belarussischen Volk“ gezählt und dabei nivelliert, darunter auch Juden und Roma und auch Zuwanderer aus anderen Sowjetrepubliken. Im November 2021 hat Lukaschenko in einem Interview mit der BBC erklärt, Belarussen und Juden hätten während des Krieges das größte Leid erfahren. Aus seinen Worten geht klar hervor, dass er jüdische Menschen nicht als Teil des belarussischen Volkes ansieht; er zieht bewusst eine Grenze zwischen den Juden in Belarus und den Belarussen. Das Widersprüchliche daran: Das hindert ihn nicht, die jüdischen Opfer zu Opfern des „Genozids am belarussischen Volk“ zu erklären. Das Lukaschenko-Regime braucht zur Rechtfertigung die größte Zahl an Opfern, die irgend denkbar ist.
     

    4. In Bezug auf den Holocaust wird also die sowjetische Tradition der Legendenerzählung zum „Großen Vaterländischen Krieg“ übernommen?

    Der Einfluss der sowjetischen Tradition ist ganz offensichtlich. Die belarussische Führung war es seit jeher gewohnt, jüdische Menschen als solche weder zu erwähnen noch wahrzunehmen und verfolgt im Wesentlichen weiterhin diesen Kurs. Zu Sowjetzeiten wurde die Herkunft der jüdischen Opfer vertuscht, indem sie als „(friedliche) sowjetische Bürger“ bezeichnet wurden. Jetzt werden sie zum „belarussischen Volk“ erklärt.
    In der sowjetischen Erinnerungskultur kam der Holocaust nur am Rand vor. Und in der postsowjetischen Zeit galt er in Belarus als „jüdisches“ Thema. Die jüdischen Opfer galten als „unsere“, aber ihr Schicksal wurde als Tragödie der „anderen“ betrachtet. Nun hat man sich der jüdischen Opfer „erinnert“ – aber nicht mit Blick auf ihre Herkunft, sondern um sie im „belarussischen Volk“ aufgehen zu lassen. 
    Auf die Juden als solche besinnt sich das Lukaschenko-Regime nur, wenn es Israel oder den USA Avancen machen will. Die Verschwörungstheoretiker in den herrschenden Kreisen von Belarus glauben offenbar, dass die (westliche) Welt von Juden beherrscht werde und sie dieser vermeintlichen „Tatsache“ Rechnung tragen müssten.
     

    5. Ist diese Form des Antisemitismus ein fester Bestandteil in der Propaganda Lukaschenkos?

    In Belarus ist die Meinung verbreitet, es gebe dort praktisch keinen Antisemitismus und dass es ihn auch nie gegeben habe. Das stimmt natürlich nicht. Die Geschichte des Antisemitismus in Belarus ist noch sehr wenig erforscht.
    Und obwohl es nur noch wenige Juden im Land gibt, scheut die staatliche Propaganda nicht vor Antisemitismus zurück. Er taucht auf, sobald oppositionelle Journalisten und Intellektuelle oder ukrainische und westliche Politiker mit jüdischen Wurzeln das Regime attackieren. Dabei ist der Einfluss antisemitischer Narrative aus Russland in Belarus ziemlich stark zu spüren. Lukaschenko selbst hat keine Hemmungen, sich – offen oder verdeckt – antisemitisch zu äußern. Ein Beispiel dafür: Als Wolodymyr Selensky Russlands Angriff auf die Ukraine mit dem Angriff Nazideutschlands auf die UdSSR verglich, sagte Lukaschenko, der ukrainische Präsident, „der seiner Nationalität nach Jude ist“, solle sich bei diesem Thema „bedeckt halten und schweigen“ und behauptete, Belarussen seien bei der Verteidigung von Juden in der Ukraine und in Belarus gefallen.
    Für Lukaschenko ist Selensky also in erster Linie ein „Jude“, der nicht das Recht hat, über die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs zu sprechen und den Belarussen noch dankbar dafür sein muss, dass sie sein Volk vor dem Genozid der Nazis gerettet hätten. 

     

    6. Es gab seit 2020 auch zahlreiche Repressionen gegen Historiker und Wissenschaftler. Steht dieses  Vorgehen im Zusammenhang mit diesem Gesetz?

    Das Lukaschenko-Regime braucht eigentlich keine speziellen Gesetze, um Historiker und Wissenschaftler zu verfolgen. Mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz wird allerdings tatsächlich ein neuer Straftatbestand geschaffen: die öffentliche Leugnung des „Genozids am belarussischen Volk“. Es drohen bis zu zehn Jahre Haft. 
    Es kann und wird höchstwahrscheinlich sowohl gegen Wissenschaftler als auch gegen den Normalbürger verwendet werden. Man darf sich da nichts vormachen. Es gab schließlich auch schon Anklagen wegen „Rehabilitierung des Nationalsozialismus“, wie beispielsweise gegen den belarussischen Journalisten Andrzej Poczobut von der polnischen Gazeta Wyborcza, der sich seit April 2021 in Haft befindet.

     

    7. Wie reagiert die im Land verbliebene Wissenschaft auf das Gesetz?

    Als über das Gesetz beraten wurde, gab es tatsächlich Diskussionen, allerdings außerhalb von Belarus. Schon vorher hatten es Historiker – besonders die, die sich mit Stalins Verbrechen und den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs befassten –, in der Ära Lukaschenko schwer und waren immer Repressionen ausgesetzt. Jetzt bleiben den Experten für Kriegsgeschichte, die sich noch in Belarus befinden, im Grunde noch vier Optionen: Sie können sich den neuen Begriff zu eigen machen und propagieren, sei es aus Überzeugung oder aus Opportunismus; sie können ihren Forschungsschwerpunkt auf weniger brisante Themen verlagern; sie können ihren Beruf aufgeben oder das Land verlassen. Offene Kritik an dem aufgezwungenen Begriff kann schwerwiegende Folgen bis hin zu Gefängnisstrafen nach sich ziehen. 

    8. Mit dem Gesetz geht es also alles andere als um Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen? 

    Die Erforschung und Aufarbeitung der Kriegsereignisse – einschließlich eines so schwierigen Themas wie der Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den NS-Verbrechen gegen die Juden – kann das Anliegen einer demokratischen Gesellschaft sein, die Wesen, Ausmaß, Ursachen und Folgen der Gräueltaten begreifen möchte. Eine solche Gesellschaft will historische Erfahrungen nutzen, um sich weiterzuentwickeln. Das diktatorische Regime Lukaschenkos hat dieses Anliegen nicht und kann es auch gar nicht haben. Auf offizieller Ebene behandelt man die Geschichte in Belarus lieber nach dem Grundsatz „Geschichte ist in die Vergangenheit gekippte Politik“, es geht um die angesprochene Instrumentalisierung. Und in dieser Hinsicht nutzt Lukaschenko Geschichte auch, um seinen Machterhalt zu sichern. Das neue Gesetz dient dazu, Dissens schon im Ansatz zu verhindern, die eigenen Vorstellungen von der Vergangenheit durchzusetzen und damit die Position des Regimes zu festigen.

     

    *Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.

    Text: Alexander Friedmann 
    Übersetzer: Anselm Bühling
    Veröffentlicht am: 18. Mai 2022

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    Der Flug des schwarzen Schwans

    „Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht erwartet, dass sich die Operation derart hinziehen würde.“ Das sagte Alexander Lukaschenko in einem Gespräch mit der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP in Bezug auf den Krieg, den Russland bereits seit dem 24. Februar gegen die Ukraine führt. Bevor der Kreml seine Truppen aus dem Norden des Landes in den Donbass und in den Süden der Ukraine verlagert hat, war der Krieg bekanntlich auch von belarussischem Staatsgebiet aus geführt worden. Die Monitoring-Gruppe Belaruski Hajun will herausgefunden haben, dass russische Truppen allein von Belarus aus über 630 Raketen in Richtung Ukraine abgeschossen hätten.

    Seit Wochen scheint der belarussische Machthaber eine zweigleisige Strategie gegenüber seinem Kollegen Wladimir Putin zu verfolgen: In der Öffentlichkeit unterstützt er den Krieg Russlands mit hehren Worten der Loyalität. So auch am Tag des Sieges, als Lukaschenko sagte, dass die Belarussen kein Recht hätten, Russland nicht zu unterstützen. Zudem bediente er das vom Kreml gesetzte Narrativ, indem er behauptete, der Westen würde den Nazismus in der Ukraine befördern. Immer häufiger aber mischen sich auch Töne der Kritik und der Distanzierung in Lukaschenkos Reden, was auf die schwierige innenpolitische Lage für den Langzeitautokraten hinweisen könnte. Ebenso auf den Versuch, sich neuen politischen Handlungsraum gegenüber Russland verschaffen zu wollen. Denn einige Belarussen bekunden ihren Unmut gegenüber der Unterstützung des Krieges durch zahlreiche Sabotageakte an den Eisenbahnstrecken in Belarus, was im Volksmund in Bezug auf den Partisanenmythos des Zweiten Weltkrieges bereits Schienenkrieg genannt wird.

    Was hat Lukaschenko vor? Wie steht es überhaupt um seine Unterstützung in der belarussischen Gesellschaft? Fürchtet sich der Autokrat vor einer Proteststimmung, die trotz scharfer Repressionen neu aufkeimen könnte? Der belarussische Politikanalyst Waleri Karbalewitsch versucht in einem Beitrag für das Online-Portal SN Plus Antworten auf diese und andere drängende Fragen zu finden. 

    Viel wurde darüber geschrieben, dass Lukaschenko versucht, seinen außenpolitischen Kurs von 2014 bis 2020 zu wiederholen. Dass er Russlands Krieg gegen die Ukraine und Moskaus Konflikt mit dem Westen nutzen will, um die Beziehung zu den USA und zur EU aufzutauen. Genauso ist anzunehmen, dass Lukaschenko während dieses neuen russisch-ukrainischen Krieges intuitiv versucht, die acht Jahre alte Erfahrung in Bezug auf die gesellschaftliche Stimmung zu nutzen.

    Noch 2014, als der russisch-ukrainische Konflikt begann, hatten unabhängige Meinungsforscher festgestellt, dass zwei Drittel der belarussischen Bevölkerung Russland unterstützen. Die Mehrheit der Belarussen hatte also eine stärkere prorussische Haltung als das offizielle Minsk, das Kurs auf eine (wenn auch nur bedingte) Neutralität nahm. Diese Situation war für die Machthaber sogar ein wenig unbequem, weil es Moskau zusätzliche Hebel zur Einflussnahme auf Belarus an die Hand gab. 
    2020 hat Lukaschenko die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit verloren. Sämtliche unabhängige Experten erklärten einhellig, dass er die Situation nicht ändern kann und bis zum Ende seiner Herrschaft lediglich der Repräsentant einer Minderheit bleiben wird.

    Stimmung in der belarussischen Gesellschaft anders als 2014

    Doch jetzt kam der „schwarze Schwan“ angeflogen: Russlands Krieg gegen die Ukraine, bei dem sich Moskau belarussisches Territorium zunutze machte. Dieses Ereignis hatte vorwiegend negative Folgen für das herrschende Regime: Es wurde zum Mit-Aggressor, es gab neue und härtere Wirtschaftssanktionen und es herrscht Antikriegsstimmung im Land und anderes mehr.

    Möglicherweise hat die aktive politische Unterstützung Lukaschenkos für Russland bei diesem Krieg neben den bekannten Faktoren (der starken Abhängigkeit vom Kreml) auch einen anderen Sinn. Lukaschenko hatte wohl gemeint, dass die Bevölkerung in Belarus – ganz wie 2014 – Russland auch in dem jetzigen Krieg unterstützen würde, dass also die prorussische Stimmung der Bevölkerungsmehrheit und die absolut prorussische Position der Staatsführung im Einklang stehen würden. Und dass Lukaschenko erstmals seit 2020 die Unterstützung der Mehrheit erhalten und der gesellschaftliche Rückhalt breiter wird. Dass er wieder „Präsident des Volkes“ wird, nicht länger ein „Präsident der OMON“. Sprich: Der Krieg würde das Regime legitimieren. Und die Opposition, die die Ukraine aktiv unterstützte, würde erneut marginalisiert und sich wie vor 2020 in einem Ghetto wiederfinden.

    Haben sich diese Hoffnungen erfüllt? Was sagt die Meinungsforschung?

    Laut den soziologischen Daten von Professor Andrej Wardomazki geben nur 24 Prozent der Belarussen Russland die Schuld an dem Krieg, und 52 Prozent meinen, dass die Ukraine und der Westen daran Schuld seien. Es scheint, als hätte Lukaschenko bekommen, was er wollte.

    Wobei die 52 Prozent auch nicht die zwei Drittel von 2014 sind. Und es wird noch interessanter: Es stellt sich heraus, dass nicht 52 Prozent, sondern nur 43 Prozent einen realen Krieg von Russland gegen die Ukraine unterstützen. Und 62 Prozent sprachen sich dagegen aus, dass die Russen belarussisches Territorium für den Angriff auf die Ukraine nutzen.

    Krieg in der Ukraine bringt Lukaschenko kaum politisches Kapital

    Das bedeutet, dass es Lukaschenko nicht gelungen ist, eine überzeugende gesellschaftliche Unterstützung für seine Position zum Krieg in der Ukraine zu erreichen. Ich glaube kaum, dass ihm eine Fortsetzung der Kriegshandlungen zusätzliches politisches Kapital einbringen wird.

    Eine andere Sache ist, dass der Krieg in der Ukraine neue Spaltungen in der Gesellschaft zutage förderte. Wie sich zeigte, hegt ein gewisser Teil der auf Proteste ausgerichteten Community prorussische Sympathien. Das bedeutet, dass nicht alle, die gegen Lukaschenko sind, demokratischen Werten anhängen. Das wurde schon 2020 klar. Aber die derzeitige Tragödie in der Ukraine hat diese Stimmungen an die Oberfläche gespült.
    Lukaschenko hat auf der Sitzung vom 19. April bekanntermaßen verkündet, den Kurs der politischen Repressionen zu verstärken. Dazu gehörte der Schritt, die repressive Gesetzgebung zu verschärfen.

    Mit Androhung der Todesstrafe gegen innere Feinde

    Am 27. April verabschiedete das belarussische Repräsentantenhaus einen Gesetzesentwurf, der für „den Versuch, einen terroristischen Akt zu verüben“ die Todesstrafe vorsieht. Hier muss man betonen, dass diese Gesetzesneuerungen im beschleunigten Verfahren durchgesetzt werden: Die Gesetzesvorlage zur Änderung des Strafgesetzbuches wurde bereits in zweiter Lesung angenommen.

    Bemerkenswert ist, dass die Todesstrafe nicht für den terroristischen Akt selbst, sondern schon für einen Versuch vorgesehen ist. Da der Begriff des Terrorismus in Belarus von der Obrigkeit sehr breit ausgelegt wird, lässt er sich mit jedweder oppositioneller Betätigung in Verbindung bringen. Hierzu gehört insbesondere die Teilnahme an Protestaktionen. Beispielsweise wurden gegen die Politiker Pawel Latuschko und Swetlana Tichanowskaja Anschuldigungen aufgrund von „Terrorismus“-Paragraphen erhoben. 

    Das Repräsentantenhaus verabschiedete darüber hinaus ein Gesetz, das es den Truppen des Innenministeriums erlaubt, zur Unterdrückung von „Massenunruhen“ großkalibrige Waffen einzusetzen. Friedliche Protestaktionen gelten in Belarus bekanntlich als „Massenunruhen“.

    Die Urteile in den „politischen Verfahren“, bei denen die Opposition Haftstrafen zwischen 10 und 18 Jahre erhielt, werden bereits als „stalinistisch“ bezeichnet. Solche Urteile ergingen gegen Bürger der UdSSR in den 1930er und 1950er Jahren. Wir können in Belarus jetzt vom Aufkommen einer „stalinistischen Gesetzgebung“ sprechen. Das Land kehrt konsequent in jene finsteren Zeiten zurück.

    Protest-Stimmung und Sabotageakte 

    Logischerweise stellt sich die Frage: Warum so plötzlich? Die Massenproteste sind zerschlagen. Es scheint keinerlei äußerlich sichtbare Bedrohungen für das herrschende Regime zu geben. Warum also so eine Hektik, den Druck auf die Silowiki zu erhöhen, solche drakonischen Gesetze zu verabschieden?

    Ich denke, neben dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb sieht die Staatsführung eine Zunahme radikaler Stimmung im protestbereiten Teil der Gesellschaft. Das zeigt sich in den Sozialen Netzwerken. Es wird diskutiert, ob die friedlichen Proteste 2020 nicht ein Fehler waren und man nicht entschlossener hätte vorgehen sollen. Auch die Sabotageakte an Eisenbahnstrecken und die Aktivität der Cyberpartisanen lassen die Machthaber zu stärkeren Repressionen greifen. Angst hat schließlich große Augen.

    Wenn aber die Kommunikation mit der Gesellschaft einzig und allein darin besteht, die Daumenschrauben immer fester anzuziehen, dann hat dieses soziale Modell keine Zukunft. Man raubt diesem Land jede Perspektive, wenn man im 21. Jahrhundert mitten in Europa ein Nordkorea errichtet.

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  • Yes Future No Future – erfahrungen nichtlinearer ansichten

    Yes Future No Future – erfahrungen nichtlinearer ansichten

    Maxim Shbankou, 1958 in Minsk geboren, hat sich unter anderem mit seinen scharfen und scharfsinnigen Polemiken als Kulturkritiker und -forscher einen Namen in seiner Heimat Belarus gemacht. Zudem ist er einer der Organisatoren des Filmfestivals Bulbamovie, das zwischen 2011 und 2015 in Warschau veranstaltet wurde. In einem Essay voller popkultureller Reminiszenzen, den Shbankou für unser Projekt Spurensuche in der Zukunft geschrieben hat, vollzieht er den geistigen und kulturellen Aufbruch des unabhängigen Belarus nach, den er sich als junger Mensch in der Sowjetunion ersehnt hatte. Ein Aufbruch, der aber häufig konträr zu dominierenden politischen Entwicklungen und erzkonservativen Geisteshaltungen verlief. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und einer Radikalisierung des politischen Systems in Belarus ergründet er, was das Versprechen der Zukunft überhaupt noch wert ist und bedeuten kann:  „Hier gibt es nicht nur keine Zukunft. Hier gibt es nicht einmal eine wirkliche Gegenwart.“

    Русская Версия

    „Knoten der Hoffnung” / Illustration © Tosla
    „Knoten der Hoffnung” / Illustration © Tosla

    Die Zeitrechnung endete 2020 und George Orwell verging vor Neid. Die Endzeitliteratur wurde vom belarussischen Nachrichtenstream auf den Müll verfrachtet. Gleichzeitig schwanden auch alle anderen Gruselschriften – vom Prozess über Einladung zur Enthauptung bis hin zum Archipel GULag. Das Happy End verreckte, der Himmel voller Diamanten erwies sich als schwarzes Loch. Nirgends konnte man hinschauen. Nirgends konnte man abschreiben. Alle Partituren zurück auf Null. Meme der Saison: Bleib stehen! Hab Angst! Alle auf Stopp. Alles auf Stopp. Nein, die Erde dreht sich weiter. Kaffeepausen laut Plan. Und da Winter ist, wird wahrscheinlich auch wieder Sommer. Nur werden an diesem Bahnhof keine Fahrkarten nach Morgen mehr verkauft. Ob es je welche gab, ist unklar. Vielleicht liegt es daran, dass es gar kein Bahnhof ist. Bloß eine Eisbude neben einem Provinzzirkuszelt.

    Wenn ich darüber nachdenke, dann hatte ich niemals eine Zukunft. Wobei – niemals. Das halbe Leben auf jeden Fall. Was sagten sie uns immer? „Schau, wenn du mal groß bist …“ Und dann? Nichts. Dann bist du eben groß. Als ich klein war, verfrachteten sie mich in den Kindergarten, man musste lange fahren, mein Physiker-Vater kam immer zu spät ins Institut. Später die Schule, ich laufe auf die Kreuzung, stürze mit dem Knie aufs Eis, es tut weh, da kommt ein schwarzes Auto. Bremst gerade noch. Uff. Noch mal heil davon gekommen. Ich schaffe es noch zum Unterrichtsbeginn. Weiter – höher. Neue Kurse. Alles fremd. Wozu? Weil es so sein muss. Zwei Jahre Wehrdienst. Uni. Dissertation (war langweilig, daher brauchte ich nur die Hälfte der Zeit). Professur. Hochzeit. All sowas eben.

    Die Zukunft schufen andere: die kommunistischen Zombies von den Paradenporträts, die Chefs in spitzen Schuhen und glänzenden Anzügen, die kühnen Baumeister, die das alte Minsk komplett auskämmten, und die Kulturschmuggler, die pünktlich frische Dosen Rock’n’Roll-Gift ins kommunistische Paradies schmuggelten. Kurz gesagt alle, die wenigstens ein bisschen Einfluss hatten und den globalen Rahmen auf den eigenen Eifer zuschnitten. Sicherlich nicht ich – ein Statist in Jeans in einem Theaterstück unter fremder Regie. Ein frischer Ziegelstein in einer Mauer ungewissen Zwecks. Vielleicht Supermarkt, vielleicht Mausoleum.

    Ich habe die Zukunft nicht bestellt, die Zukunft hat mich bestellt. Und es blieben nur drei Möglichkeiten: sich als Bahnschwelle unter diesen Zug legen, vor der Lok herrennen oder an den Rand zu treten. Für jeden Bewohner des Sowjetreichs der späten 1970er Jahre war in der Zone fremder Geräusche und transzendenter Signale, im Bereich der Kultur, die bis an den Rand gefüllt war mit Produkten der Lebensaktivität ausländischer Programmierer, eine Form der Präsenz normal, in der an erster Stelle und unvermeidlich der Pioniereid stand. Dann folgte – das Anderssein des Teenagers. Und schließlich für die dreistesten – die reife und bewusste Abkehr. Praktiken der Selbstidentifikation außerhalb des Systems. Aus der Trias Sex, Drugs and Rock’n’Roll lag das erste noch im Dunkeln, das zweite war unerreichbar. Dafür haute die dritte Komponente mit voller Wucht rein.

    An die Stelle des „Zeit, voran!“ unter rotem Banner – schon damals völlig entleert vom Heldenpathos der Anfangszeit und eingetauscht gegen gestammelte Gesänge von hohen Tribünen – trat die private kulturelle Gestaltung: Welche helle Zukunft bitteschön sollte da sein? Welcher Kommunismus? Welche Subbotniks? Die Zeit drehte und kurvte herum. Sie zerstob zu den Tracks von Led Zeppelin und den Mantren der Doors. Der einzig wichtige Tagesplan war das Programm des polnischen Radiosenders. Wo seit ihrem Erscheinen Tag für Tag die komplette Pink-Floyd-Platte The Dark Side of the Moon lief. 

    Im Land des feierlichen Auf-der-Stelle-Tretens war uns ein kulturelles Plateau zugeteilt, auf dem alles mit Verspätung ankam. Aber doch, oh Wunder, genau rechtzeitig. Lennon und McCartney begann ich vom Ende an zu hören: mit der Kollage  des Weißen Albums und dem Grand Finale Abbey Road. Sobald wir die Tonbandkopien in die Hände bekamen, ging es los. Und so lief es weiter. Eine gebundene Fotokopie der Nowy-Mir-Ausgabe von Meister und Margarita fand ich auf einer Parkbank im Stadtzentrum. Ein exzellenter Platz, um den teuflischen Kater mit der Browning lieben zu lernen. Meine weißen T-Shirts färbte ich in einer Schüssel in der Küche, zu einem Knoten verschnürt – wie die britischen Hippies in der zerfledderten Zeitschrift Anglia

    Während die irren Planer uns Perspektiven formten, lebten wir in unserem selbstgemachten Heute. Das reichte uns vollkommen zum Glück.

    Hier, in diesem Standbild des Welpendunstes gab es kein Gefühl des Kontrollverlustes. Denn es gab überhaupt keine Kontrolle. Von der Komsomol-Versammlung liefen wir direkt zu den strawberry fields. Dort blieben wir und fingen Käfer und pafften Pusteblumen. Ausflippen im abgekoppelten Waggon.

    Wir erwarteten keine Siege, weil der Sieg schon in unseren zotteligen Köpfchen stattfand. Die schwache Selbstidentifikation sprengte jeden Wunsch, Prozesse zu leiten und in Fünfjahresplänen zu denken. Wichtiger war herauszufinden, was da auf der neuesten Kassette der Stones stand – Family oder Country Joe? Und wer hatte sich eigentlich diesen Jungen namens Bananan ausgedacht?

    Die Manöver der Staatspitze und das Lächeln vom Mausoleum beherrschten die ersten Spalten der Zeitungen. Letztlich bedeuteten sie aber nicht mehr als die Stunde Morgengymnastik im Radioprogramm. Selbst als Gorbatschow kam. Die Perestroika klang wie eine idiotische Rochade der Regierung. Plus die eingeschalteten Abgeordnetenmikrofone in unserem grenzenlosen Neubaugebiet. Die Zeit gewann nicht an Tempo. Sie gaben einfach Solschenizyn zurück, gaben Brodsky heraus und tauschten in Karabach Sowjetmief gegen Bleikugeln. 

    Die Volksfronten? Sie kämpften für ein schlecht retuschiertes Gestern und ein trübes Heute. Eigentlich wie ihre Gegner auch. Der Unterschied lag in der Farbe der Flaggen und dem Heldenportfolio. Wieder keine Zukunft. Es war unklar, wer aufrief und unklar, wozu. In diesen Film wollte ich nicht: Ich hatte schon meinen eigenen. Die Choreografie der Reformierer und der Konservierer erschien wie ein Kampf der Papierdrachen, während ich Jimi Hendrix hörte.

    Und was kam dann? Dann kam das Gestern. Immer dasselbe, nur dass anstelle des rotgebannerten sowjetischen Morgen das belarussische Kolchosen-Retro zu uns kam. Das, was sich heute aktiv als polizeilich-militärischer Triumph hervortut.

    Die große Zeit blieb nicht stehen, sondern begann ihren eigenen Schwanz zu jagen wie ein beklopptes Kätzchen. Erst kamen die Demonstranten. Dann die Gefangenentransporter. Dann wurden Kredite verteilt und die Zinsen wucherten. Danach wieder Demonstranten. Und noch mehr Gefangenentransporter. Und fünfzehn Tage für einen Repost. Und dann durfte selbst die Kartoffel das Land nicht mehr verlassen. Und in der Ukraine sind wieder „Nazis“.

    Damals aber, an der Jahrhundertwende, war in der netten Kulturwelt alles greller und bunter. Wir durchforsteten die Archive und studierten das Verpasste. Der Eiserne Vorhang hatte sich irgendwohin verzogen. Die Zensur war eingetrocknet. Für Rock’n’Roll wurde man nicht mehr verhaftet. Europa kam näher, die Grenzen wurden transparenter. Die Bohème bekam britische Journale, schwarze Jeans und polnische Platten. Vor diesem Hintergrund des popkulturellen Glücks war es den abgesonderten aktiven Bürgern noch gleichgültiger, wohin die Machtspitze uns manövrierte. Gleichgültig und unverändert unklar.

    Die Bewegung im Stil der lässigen beautiful People blieb die beste Technik des psychischen Wohlbefindens und ein sicherer Selbstschutz vor den weiteren Mobilisierungen. Die minimalen Karriereoptionen und null Einflussmöglichkeiten auf die bestehende Ordnung wurden vollständig kompensiert durch die Absage des Staates, sich in deine persönlichen Pläne einzumischen. Man konnte weiterhin als Dekor leben, da immer mehr Dekor hinzukam. Der Lebensraum deiner Transitträume erstreckte sich von Porto bis Stockholm.
    Doch hier geht es wieder nicht um die Zukunft. Nicht ums Morgen. Denn all dieser Jazz ertönte hier und jetzt. In unseren unteren Etagen.
    Und wer weiß, was die da oben rauchten? Und ob dort überhaupt noch jemand am Leben war?

    Man kann das leicht als stagnierenden Stupor oder nationale Depression betrachten. Als abgekartetes Spiel der sozialen Stabilität: „Ihr lasst nichts anbrennen – wir üben keinen Druck aus.“ Doch ich würde eine solche Ordnung eher als kulturelle Gleichgültigkeit bezeichnen. Als flackernde Präsenz einzelner Piratensender dort, wo Störsender nicht hin reichen. 
    Ja, das ist ein Spiel mit Metaphern, aber keine verbale Effekthascherei. Einfach nur der Versuch Bedeutungsnuancen mit Wortkonstruktionen zu erfassen. Der hybride Zustand kulturellen Tauchens mit Übergang zum emotionalen Strudel. 

    Dabei haben auch Sinnbrüche einen Sinn. Und in parallelen Sphären findet sich manchmal Licht. So hatte auch unsere nach dem grenzwertigen Präsidenten benannte Provinzdiktatur ihre samtene Periode. Irgendwo in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts ergab sich eine inoffizielle Parität zweier Unabhängigkeiten – derjenigen der Basis und derjenigen der Spitze. Die stille Anerkennung der gegenseitigen Unvereinbarkeit des Old-School-Regimes und der neuen kreativen Klasse. Wir können so gut ohneeinander, dass wir einander nicht auf die Mokassins treten. 
    Nahe, aber nicht zusammen. Eine scheinbar integrierte Nation. Bis zum ersten Protest. Bis zur ersten Verhaftung.

    Es war eine wunderbare Welt an der Welt vorbei. Ein choreografierter, ineinandergreifender Übergang von Hochtechnologie und Machtbalett. Hi-Tech-Dancing im Affenhaus. Die Außerirdischen sind schon angekommen und lassen sich bereitwillig als Minderheit und rein dekorative Rasse halten. 

    No News from Belarus / Foto  © Alexander Komarov, 2010
    No News from Belarus / Foto © Alexander Komarov, 2010

    No News from Belarus – wie ein belarussischer Künstler melancholisch konstatierte. Wieder Sowjetunion, nur durchtrainiert. Zwei ausgebremste Realitäten – den administrativen Wahnsinn und das kreative Hub – nähten Staatssicherheit und Venediger Biennale periodisch aneinander. 
    Auf die Schnelle. Situativ. Notdürftig. Thema hinbiegen und Problem abhaken, solange niemandem Leid zugefügt werden musste.

    Was geschah im stürmischen Jahr 2020? Bruch der Konventionen. Die oberste Etage krachte unter Schreien, Schimpfen und Schüssen runter. Wahrscheinlich bildeten sie sich ein, dass der Keller den Umsturz angezettelt hatte, um zum Penthouse zu werden. Vielleicht war es an einem gewissen Punkt auch so. Wirklich, wie kann man nicht das Penthouse sein wollen? Das wollen doch alle.

    Der aufgebrachten Vertikale der trüben Macht waren zwei einfache Ideen nicht zugänglich. Erstens: Es gibt nichts Schlechtes an der Horizontalen. Und zweitens: Der größte Feind der Vertikalen ist die Vertikale selbst. Eine aggressive Gopnik-Band hat die Führung des Landes ruiniert, schuld aber sollten die sein, die Mandarinen schälen oder einfach das Kinderzimmer neu tapezieren wollten.
    In der Folge wurde nicht darüber gestritten, wo man leben wollte, sondern mit wem man sein will. Alles ist ganz einfach: Sie können uns nicht vergeben, dass wir ohne sie zurechtkommen. 

    Die Kolchos-Elite wird von ihrer eigenen Geistesarmut, ihrer aggressiven Selbstverliebtheit und der völligen Phantasielosigkeit erstickt. Daher der Wille, alles zurückzudrehen. Wo es noch verständlich war. Aufzeigen, dass die horizontalen Menschen ein statistischer Fehler sind. Alles, was in diesen unglücklichen, vom Fernseher ramponierten Köpfen ankommt: „Sie lieben uns nicht, weil sie gekauft wurden“. Hier gibt es nicht nur keine Zukunft. Hier gibt es nicht einmal eine wirkliche Gegenwart.

    Worin liegt also der Sinn einer belarussischen Perspektive? Darin, dass hier keine für alle gültige Version entstanden ist. Die Nation lebt dauerhaft im dauerhaften Ungleichtakt. Tür an Tür, aber in verschiedene Richtungen.

    Fast wie die Konstellation in Berlin: S-Bahn versus U-Bahn. Verkehr auf verschiedenen Ebenen. Oben der Versuch zu regieren – eine (scheinbar) pragmatische Polit-Choreografie und/oder ein hysterischer Tanz kriegspropagandistischen Vokabulars. Unten – das private Mosaik aus Bruchstücken des vergangenen Lebens. 
    Die Züge fahren nicht nur auf verschiedenen Ebenen. Sie fahren in verschiedene Richtungen und mit unterschiedlichen Passagierzahlen. Es gibt grundsätzlich nie einen Zug für alle. Auch die Waggons sind verschieden. Und dabei geht es nicht um besser oder schlechter. Es sind verschiedene Systeme von Organismen. Verschiedene Lebensformen. Wie Fische und Kaninchen. 
    Die Zukunft wächst gleichzeitig in alle Richtungen. Es kann nie nur eine geben. Zum Glück. 

    Und nun kommt das Wichtigste: Die Zukunft gibt es nicht deshalb, weil jemand sie besser als ein anderer erdacht hat. Sie ist kein Plan und kein Szenario. Sie ist ein gegebener Verlauf jenseits toter Konzepte. Ein anderes Leben, das keine Angst hat sich zu verändern. Die natürliche Erfahrung eines vorübergehenden Bewohners instabiler sozialer Verschiebungen. Ihr Sinn ist die Unschärfe der Route und ein nicht offensichtlicher Bedeutungshorizont. Der Zustand der offenen Suche und der permanenten Degustation von Optionen.

    Sie kann nicht regiert werden, und sie hat keinen Chef. Sie ist eine unumkehrbare Abfolge von Dias und ein permanentes Upgrade von Inspirationsquellen und Energieressourcen. Die echte Zukunft killt unsere Illusionen. Und sie gelingt niemals hundertprozentig. Die Zukunft ist der Anstieg von Problemen und Katastrophen. Ein Training am Komplizierten. Oder Dramedy Non-Stop.    

    Die Zukunft gibt es nicht, weil sie schon da ist. Und unser allgemeines Theater bleibt Theater, nur kann man die Show jetzt anschauen, ohne die Angst kotzen zu müssen. Was rettet? Wir haben das Recht auf eine Stimme, Bewegungsfreiheit und Zutritt zur Bühne. Was stört? Genau dasselbe.
    Gut daran – regelmäßiger Spielerwechsel, die Freiheit abzuhauen, der Effekt der Mitleidenschaft und die ständige Wahl der Helden der Saison. Schlecht ist, dass ständig jemand den Einsatz verpasst, in den Saal platzt, die Rolle verwechselt und scharf drauf ist rumzuballern.

    Heute lebt jeder sein Morgen – so gut er kann – für sich. Die Nation ist keine Paradeabordnung, sondern einfach ein gut ausgestattetes Feld für gemeinsamen Jazz. Statt einer verängstigten Kaserne – ein zerfranster Stapel bunter Identitäten. Postkino. Telegram-Style für die posttotalitäre Gesellschaft.
    Apokryphen sind unvermeidlich. Mutationen erwünscht. Dezentralisierung garantiert.

    Das totalitäre Theater brennt – aber im Großen und Ganzen gibt es niemanden, der ihm nachweinen würde. Außer Feuerwehrleuten, Platzanweiserinnen und Jongleuren ballistischer Raketen.
    Die Matrix ist zerlegt. Die Kreativität ist geblieben. Sie haben nichts mehr miteinander zu schaffen.

    Stellt euch die Titanic vor, deren Decks wie ein Strandhaus im Hurricane auseinanderfliegen. Welche gemeinsame Zukunft sollten sie haben? Sie haben nichts gemeinsam: Ozean, Sturm, Eisberg. Und eine absolut vorhersehbare Scheiße. Deren Fahrplan wiederum für jedes Deck ein anderer ist. Die Bedeutung dieser Zukunftsversion liegt am Ende einer gemeinsamen Route und eines gemeinsamen Märchens. Und auch im gemeinsamen Unglauben an Märchen und Märchenerzähler. Nein, die Bullshit User werden bleiben. Aber die Realität wird sie schnell korrigieren.

    Sie kommt auf Putins Panzern angefahren und bringt die nächste Brigade derer, die mit einer ausgedachten Vergangenheit vergiftet wurden. Um sie in kalten ukrainischen Feldern zu vergraben. Oder sie führt dich in der Geschützpause raus zum Rauchen. Damit du die Sterne am Himmel zählst – Gold auf Blau. Und dich freust, dass du die Morgendämmerung noch erlebst.

    Was eint? Was verbindet uns alle in diesen Erschießungsstürmen? Keine neue Ganzheit, sondern ein neuer Schwall von Brüchen. Die Stabilität der Instabilität. Wir sind schon morgen. Weiter zu denken ist unmöglich.

    Die Bewohner der Gegenwart wurden in eine unerwartete, katastrophal schöne Konstellation geworfen – Flüchtlinge und politische Gefangene, Schützen und Poeten, Performer und Cyber-Partisanen, IT-Jedi und Straßencellisten, rebellische Gastronomen und Underground-Künstler – sie alle werden nicht durch ein neues Zirkuszelt gerettet, sondern durch seine glänzende Abwesenheit.
    Zeit für aufrechten Aufbau und messerscharfe Wahl. Die Möglichkeit für seltsame Reime und spontane Konsonanzen. Ein mosaikhaftes Draußen. Raum der situativen Kollaborationen. Logik der Easy Riders.

    Nächster Orientierungspunkt? Zugluft und Mangel als Zone des persönlichen Antriebs und der privaten Obsessionen verstehen und lieben.
    Der grundlegende Sinn? Kontrolle über die eigene private Situation. Einrichtung der Selbstbestimmung. Der persönlichen – also der öffentlichen.
    „Imagine there’s no heaven …“ Der bebrillte Beatle Johnny-John wusste, was er sagen sollte. 
    Es ist einfacher, in einen leeren Himmel zu fliegen.

    Wie also existieren? Leben nach der verbrannten Show. Sich schärfen für eine neue Welt. Schusswaffen und Messer verbinden. Asche kosten. Hülsen aufsammeln und Matrizen begraben.
    Es gibt keine Kanons, es gibt einen Baukasten der Bedeutungen. Einen Garten sich gabelnder Pfade. Jeder ist sein eigener Borges. Jeder ist sein eigener Buddha.
    Danke, Chaos. Die Ordnung tötet sich selbst.

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  • Einigkeit der Uneinigen

    Einigkeit der Uneinigen

    In den Fernen Osten zog es Alexander Lukaschenko in der vergangenen Woche. Der belarussische Machthaber besuchte die Hafenstadt Wladiwostok und traf in der Oblast Amur seinen russischen Kollegen Wladimir Putin. Der Ort des Zusammentreffens: der Östliche Weltraumbahnhof (russ. Kosmodrom Wostotschny), der dort seit vielen Jahren rund 8000 Kilometer von Moskau entfernt entsteht. Während Putin sich in Bezug auf den von Russland entfachten Angriffskrieg gegen die Ukraine siegesgewiss gab, stand ihm Lukaschenko bei. Er erklärte das Massaker von Butscha zur „psychologischen Spezialoperation der Briten“.

    Der Politikanalytiker Waleri Karbalewitsch sieht in der demonstrativen und „ultraloyalen“ Unterstützungsrhetorik den Versuch, Lukaschenkos Haltung zu verschleiern, „dass er nicht bereit ist, belarussische Truppen in die Ukraine zu schicken“. Der Krieg des Kreml ist in der belarussischen Gesellschaft extrem unpopulär, was sich unter anderem durch die Sabotageakte an den Eisenbahnstrecken des Landes zeigt. Zudem bedroht die langfristige Stationierung russischer Truppen auf belarussischem Staatsgebiet nicht nur die Souveränität des Landes, sondern womöglich auch die Macht Lukaschenkos selbst. 

    Kann es also sein, dass Lukaschenko in seiner scheinbar ausweglosen Lage versucht, auf mehreren Ebenen zu agieren, um sich neue Handlungsspielräume zu erschließen? Entsprechend breit wurde auch ein Brief von Wladimir Makei diskutiert. Der belarussische Außenminister hatte sich, ebenfalls in der vergangenen Woche, an die Europäische Union gewandt, mit dem Vorschlag, den Dialog wiederherzustellen, der seit den Repressionen und Eskalationen Lukaschenkos gegen die Protestbewegung und seiner Rolle im Krieg gegen die Ukraine aufgekündigt worden war. Man würde sich, so Makei sinngemäß, auch nicht weiter in den Krieg hineinziehen lassen. Offensichtlich macht sich Lukaschenko Gedanken darum, inwieweit er seine außenpolitischen Fähigkeiten wiederherstellen kann. Auch für den Fall, dass Putin den Krieg verliert. Zudem plagen ihn zweifelsohne die Folgen der Sanktionen für die belarussische Wirtschaft und in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit Russland, das selbst scharf sanktioniert wird, diese Folgen abfedern kann und will, und vor allem: zu welchem Preis. 

    Lukaschenko und Putin, deren Verhältnis trotz der aktuellen demonstrativen Einigkeit in der Vergangenheit alles andere als unkompliziert war, haben im November 2021 eine weitere Integration von Belarus in den sogenannten Unionsstaat beschlossen. Wäre dessen Vollendung und Belarus´ endgültige Inkorporation in die Russische Föderation eine für die beiden Sowjetnostalgiker vorstellbare Option? Auf was zielen Lukaschenkos verwirrende und scheinbar widersprüchliche Taktikspiele möglicherweise ab? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der belarussische Journalist Alexander Klaskowski in einer Analyse für das belarussische Online-Medium Naviny.

    Alexander Lukaschenko thematisiert plötzlich eine mögliche Eingliederung der Republik Belarus in Russland, die er folgendermaßen kommentiert: „Putin und ich werden ja nicht so dumm sein, mit alten Methoden vorzugehen. Ich sage euch, wir werden eine solche Einheit zweier unabhängiger Staaten schaffen, dass sie von uns was lernen werden. Lernen werden sie von uns! Wie man Sanktionen überwindet und so weiter.“

    Diese hochtrabende Tirade ließ Lukaschenko am 13. April in Wladiwostok bei einem Treffen mit dem Gouverneur der Region Primorje vom Stapel. Es sah nicht so aus, als würde ihn jemand dazu zwingen – dieses Thema scheint ihn einfach zu beschäftigen. Und seine Worte „Putin und ich werden ja nicht so dumm sein“ lassen sich dekodieren als „ich hoffe, Putin ist nicht so dumm“.     

    Das politische Lavieren als Strategie

    Zwischen den beiden postsowjetischen Staatsoberhäuptern hat nie echtes Vertrauen geherrscht. Viele Beobachter sind der Meinung, Putin sei schon allein dadurch, dass er überraschend Russlands Präsident wurde, dem ambitionierten Ex-Direktor der Sowchose in Schklou in die Quere gekommen, der davon geträumt hatte, in Boris Jelzins Fußstapfen zu treten. 

    Heute erinnert sich kaum mehr jemand an den Konflikt, der 2002 zwischen Lukaschenko und Putin hochkochte. Damals trieb der Kremlchef die Frage der Eingliederung der Republik Belarus in Russland auf die Spitze. „Nicht einmal Lenin und Stalin sind auf die Idee gekommen, Belarus zu zerschlagen und es der RSFSR anzuschließen“, empörte sich damals der belarussische Präsident, der den souveränen Absolutismus zu schätzen gelernt und es sich in seiner Allmacht bereits bequem gemacht hatte.    

    Es folgte eine Zeit der Beziehungsschwierigkeiten, in der Lukaschenko mal Lobeshymnen auf Russland sang, um an billige Ressourcen zu kommen, mal Russlands imperialistische Allüren anprangerte, um das eigene Herrschaftsrecht in der ehemaligen Sowjetrepublik zu behaupten.   
    Hin und wieder gelang es ihm, zu lavieren und mit dem Westen geopolitische Spielchen zu spielen. Eine richtige Annäherung an den Westen schaffte das belarussische Staatsoberhaupt allerdings nie, weil es ein auf seiner persönlichen Macht basierendes antidemokratisches Regime errichtet hatte.   

    Eine vollwertige Marktwirtschaft hingegen hat Lukaschenko nie errichtet. Während er behauptete, räuberische Reformen zu vermeiden, ging es ihm in Wirklichkeit nur darum, die staatliche (sprich, seine persönliche) Kontrolle über die materielle Basis nicht zu verlieren. Die ineffektive staatliche Wirtschaft erforderte aber permanent russisches Doping, sodass sich Lukaschenko bei allen Reibereien nie wirklich von Moskau lösen konnte.      

    Abhängigkeit jenseits der roten Linie 

    Eine Zeitlang – erinnern wir uns an die fetten Jahre der ersten Hälfte der 2000er – gelang dem belarussischen Staatschef der Tausch von, „Öl gegen Küsse“, und im Gegenzug gab er das Versprechen, sich vor die berüchtigten NATO-Panzer zu werfen. 

    Doch danach erhob sich das Imperium von den Knien und begann, für jedes verfütterte Vitamin reale Zugeständnisse einzufordern. Der Gipfel war im Dezember 2018 das berühmte Ultimatum von Dimitri Medwedew, damals Premierminister der Russischen Föderation: entweder „tiefgreifende Integration“, oder ihr könnt die spendablen Zuschüsse vergessen. Und wieder empörte sich Lukaschenko: „Uns zu erpressen, uns beugen zu wollen, uns das Knie auf die Brust zu drücken ist zwecklos.“     

    Und um der Falle zu entgehen, ließ er 2019 die Unterzeichnung der sogenannten Roadmaps für die Vertiefung der Integration platzen.  

    Doch die Ereignisse des Jahres 2020 – die Proteste gegen die  gefälschten Wahlen und ihre brutale Niederschlagung – trieben den belarussischen Staatschef, der seine frühere Legitimität eingebüßt hatte, in eine solche Abhängigkeit von Moskau, dass er seinen alten Stolz begraben musste. 

    Lukaschenko unterschrieb 28 Bündnisprogramme (modifizierte Roadmaps der „vertieften Integration“) und ließ auf belarussischem Territorium russische Truppen stationieren, die am 24. Februar in der Ukraine einfielen. Das belarussische Staatsoberhaupt, das zuvor Kiew versprochen hatte, von seinem Land aus werde es keine Angriffe geben, fand sich in einer erbärmlichen Lage wieder: In den Augen der Ukrainer, des Westens und eines beträchtlichen Teils seiner Landsleute war er endgültig zu einer Marionette des Kreml geworden.

    So hat die Logik des Machterhalts um jeden Preis den Regenten um einen beträchtlichen Teil seines politischen Subjektstatus gebracht und Belarus dem Risiko ausgesetzt, den letzten Rest seiner Souveränität zu verlieren, die das Regime ohnehin schon Stück für Stück verkauft hatte.

    Nostalgien unterschiedlicher Machart

    Lukaschenko hat, wie auch viele Beobachter, offenbar Putins Rationalität überschätzt. Und hat daher eine großangelegte Aggression gegen die Ukraine für unwahrscheinlich gehalten. 

    Dieser abenteuerliche Überfall, der die gesamte demokratische Gemeinschaft, die gesamte entwickelte Welt herausfordert, hat gezeigt, dass der Regent im Kreml den Kontakt zur Realität vollends verloren hat und sich rückhaltlos seinen imperialistischen Instinkten hingibt. Und das erhöht die Gefahr auch für Belarus.

    Putin spricht der Ukraine das Recht auf einen eigenen Staat ab (mit dem Argument, Lenin habe sie künstlich erschaffen, die Kommunisten hätten ihr ur-russischen Boden abgetreten), doch alle diese großmächtigen Pseudoargumente können jederzeit auch auf Belarus angewandt werden. Auch die BSSR wurde von Bolschewiken in Smolensk ausgerufen, ihr Gebiet wurde durch Beschlüsse der sowjetischen Regierung festgelegt und erweitert.   

    Sowohl Putin als auch Lukaschenko trauern der UdSSR nach, wenn auch mit unterschiedlichen Arten von Nostalgie. Putin wünscht sich eine Wiedergeburt des Imperiums im klassischen Sinn. Er geißelt sogar Lenin dafür, dass dieser sich den „nationalen Randgebieten“ angebiedert, ihnen Souveränität verliehen habe, zwar eher pro forma, doch das sei das Pulverfass unter der Sowjetunion gewesen. 

    Lukaschenko hätte offenbar gern sowjetische Einigkeit, eine planmäßige Zufuhr billiger Ressourcen und einen garantierten Absatz für Erzeugnisse aus Belarus (die BSSR war einst die führende Montagewerkstatt der UdSSR). Plus einen atomaren Schutzschirm gegen den verfluchten Westen. 

    Doch dabei will er bestimmt nicht den Status eines Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der belarussischen Kommunistischen Partei, den Moskau befehligt und jederzeit absetzen kann. Lukaschenko will eine Reinkarnation der Sowjetunion, bei der er alle Vorteile aus dem Zentrum genießt und gleichzeitig auf seinem Territorium allmächtiger Zar bleibt.   

    Eine solche Idylle ist aber unmöglich. Und die Spielregeln diktiert der Stärkere. Heute, wo Lukaschenko geschwächt  ist, macht Moskau ihn unverblümt zu seinem Vasallen. 

    Steht eine schleichende Eingliederung bevor?

    Ein weiterer Punkt ist, dass Putin momentan eine klassische Inkorporation von Belarus mit Säbelrasseln und sonstigem Gedöns gar nicht haben will. Wozu sich noch mehr Scherereien einhandeln – von weiteren Sanktionen des Westens über den geschlossenen Widerstand eines Volkes, das mehrheitlich darauf verzichten möchte, Teil eines Imperiums zu werden, bis hin zur Notwendigkeit, mehr als neun Millionen Münder miteinzukalkulieren?      

    Die schleichende Inkorporation kommt Moskau heute gerade recht. 

    Lukaschenko aber fühlt sich in der Rolle des Vasallen schrecklich unwohl. Nomenklatur und Silowiki sehen ihren Boss, der so lange unbeugsam erschien, bereits in einem anderen Licht. Heute hat es der Kreml um einiges leichter, die Figur an der belarussischen Spitze bei Bedarf auszuwechseln.    

    Und seit dem Angriff auf die Ukraine ist die Unberechenbarkeit des Kremlherrschers in Lukaschenkos Augen wohl stark gestiegen. Der belarussische Staatschef sagt zwar „Putin und ich sind nicht so dumm“, hegt aber eigentlich die Hoffnung, dass „Putin nicht so dumm“ sein möge. 

    Weil es zwischen den Bündnispartnern de facto nie eine Parität gab, schon gar nicht jetzt. Lukaschenko konnte sich mit spitzfindigen Zügen lange halten, hat aber dieses Spiel mit dem Imperium erwartungsgemäß doch verloren. Die Perspektive des Kreml, sich heimlich, still und leise Belarus einzuverleiben, ist derzeit günstig wie nie zuvor.      

    Verhindern kann das wohl nur mehr eine schwere Niederlage des Kremlregimes in der Schlacht gegen die Ukraine und die progressive Welt. Na ja, und obwohl in Belarus alles Lebendige jetzt extrem unterdrückt ist, wird  natürlich vieles von der mehrheitlichen Haltung seiner Bürger abhängen. 

    Die Ukrainer, von denen man eine rasche Kapitulation erwartet hatte, haben gezeigt, dass sie bereit und fähig sind, für die Freiheit zu kämpfen. Die belarussischen Truppen sind weitgehend deshalb nicht im ukrainischen Fleischwolf gelandet, weil die überwiegende Mehrheit der Belarussen kategorisch gegen den Krieg ist. Insofern können nicht nur die Staatschefs, sondern auch die normale Bevölkerung den Lauf der Geschichte entscheidend beeinflussen.

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    „Der Sport befindet sich nicht jenseits der Politik“

    Der Fußball in der Ukraine ist nochmals verstärkt seit dem Beginn der Maidan-Revolution Ende 2013 eng mit den gesellschaftspolitischen Entwicklungen im Land verbunden. Die organisierten Fanszenen des Landes stellten sich bei den Demonstrationen nicht nur in Kiew schützend vor die protestierenden Menschen. Viele Fans aus den Ultra-Szenen schlossen sich mit dem Beginn des Krieges in der Ostukraine den Freiwilligenbataillonen an, wieder andere organisierten Netzwerke, um die damals schlecht ausgerüstete Armee und die Bataillone mit Waffen, Lebensmittel, Ausrüstung und medizinischer Hilfe zu versorgen. Der Fußball, der immer noch stark durch die Eigentümerschaft der Oligarchen geprägt ist, geriet auch aufgrund des Krieges in eine tiefe Krise, Zuschauerzahlen sanken dramatisch, zahlreiche Traditionsvereine wie beispielsweise der FK Dnipro gingen bankrott.

    Mit dem Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt, finden sich Fußballer, Spieler, Trainer und Fans auch mitten in den dramatischen Ereignissen wieder. Stadien wie das Juri Gagarin-Stadion in Tschernihiw und Trainingsanlagen wurden zerstört. Viele Fans, aber auch Trainer, Profifußballer und ehemalige Spieler kämpfen in der Armee oder auf Seite der Territorialverteidigung. Wie beispielsweise Igor Belanow, 1986 als „Europas Fußballer des Jahres“ ausgezeichnet. Oder der aktuelle Trainer des in Transnistrien ansässigen Vereins Sheriff Tiraspol Jurі Wernidub. Auch unter den Sportlern gibt es bereits Verluste. Witali Sapylo and Dmytro Martynenko waren die ersten Opfer, sie wurden in der ersten Woche der Invasion getötet.

    Oleg Dulub ist Trainer des FK Lwiw, der in der höchsten Spielklasse des Landes vertreten ist. Der Belarusse ist ein bekannter Fußballcoach. Er führte den belarussischen Verein Krumkatschy (dt. Die Raben) – einer der wenigen Vereine in Belarus, die als Privatinitiative entstanden sind – 2016 zum Aufstieg in die höchste Spielklasse. In der Ukraine trainierte er Karpaty Lwiw und Tschornomorez aus Odessa und aktuell den Verein aus Lemberg. 

    In einem Interview für das belarussische Medium Nasha Niva berichtet Dulub, wie er die Ukraine infolge des Krieges verlassen hat, warum das Land sein zweites Zuhause ist und was er in Lwiw nach Beginn der russischen Invasion erlebt hat. Er erklärt auch, wie er zu den Sport-Sanktionen gegen Russland und seine Heimat steht und warum der Sport kein unberührter Ort abseits der Politik sein kann. 

    Nasha Niva: Ist Ihnen die Entscheidung schwer gefallen, das Land zu verlassen?

    Oleg Dulub: Die ist spontan gefallen, ich hatte nicht vor, die Ukraine zu verlassen. Ich kam wie gewöhnlich zum Platz, und dort wurde mir und Wassili Chomutowski [dem belarussischen Torwarttrainer des FK Lwiw] gesagt, dass wir schleunigst weg müssten, weil bald belarussische Truppen in die Ukraine einmarschieren. Wenn das passiert, würde uns die EU vielleicht nicht mehr reinlassen.

    Es gab gute Gründe, diesem Tipp zu vertrauen. Außerdem sahen wir ja, was rundum vor sich ging. Unsere ukrainischen Spieler mussten sich zum Beispiel bei bei der Einsatzleitung der Territorialverteidigung melden und sich dort eintragen. Wir haben gefragt, was wir Ausländer denn tun sollen? Die Leute vom Verein telefonierten herum und sagten uns dann: Fahrt schnell weg! Auch wenn ich es immer noch bedaure, dass ich die Ukraine verlassen habe, weil die Mannschaft dort geblieben ist und ich dort immer gut behandelt wurde.

    Wie sind Sie ausgereist?

    Der Club hat uns geholfen. Wir fuhren mit einem Auto mit belarussischen Kennzeichen. Vor uns fuhr ein Fahrzeug vom Verein zur Begleitung, und an allen Kontrollpunkten ging es durch den grünen Korridor.

    Was waren für Sie die stärksten Eindrücke?

    Vor allem die Menge an Menschen. Wir hatten im Voraus die Warteschlangen an den Grenzübergängen gecheckt; bis zwei Uhr nachmittags war niemand da, keine Autos, keine Flüchtlinge. Als wir aber ankamen, da hatte schon der Flüchtlingsstrom eingesetzt. Beeindruckt im positiven Sinne hat mich, wie der Grenzübertritt organisiert war, wie gut die ukrainischen und polnischen Grenzbeamten gearbeitet haben. Auf der anderen Seite der Grenze, in Polen, wollten viele Männer in die Ukraine fahren, um sie zu verteidigen.

    Es ist nur schwer zu vermitteln, was wir im Vorfeld der Grenze gesehen haben. Eine Schlange von fünf Kilometern, aus Frauen und Kindern, die von Männern begleitet waren. Sie haben die Frauen und Kinder zur Grenze gebracht und sind dann umgekehrt, um ihr Land zu verteidigen.

    Ich würde die Ukraine als mein zweites Zuhause bezeichnen

    In Warschau erlebte ich dann eine besondere Situation. Ich erreichte mein Hotel am Flughafen, „all inclusive“. Hinter mir saß ein älterer Mann, ihm war anzusehen, dass er die Kleider anhat, in denen er von zu Hause losgegangen war. Dieser Mann war sehr verwirrt, als ob er zum ersten Mal in einem solchen Hotel ist und nicht weiß, was er tun soll. Vom Aussehen her schien er Bauer zu sein. Der Hotelmanager ging zu ihm und bot ihm Kaffee oder Tee an, der Mann verstand ihn nicht. Eine junge Frau wird gerufen, die Russisch spricht und ihm nochmal Kaffee oder Tee anbietet. Der Mann schaut sie an und sagt: „Ich habe Hunger.“ Das heißt, da wurde jemand einfach aus seiner normalen Umgebung gerissen und über die Grenze gebracht. Das hat mich sehr ergriffen. Ich kann verstehen, was für ein Stress das für ihn ist.

    War die Ukraine für Sie ein Zuhause?

    Ich würde sie als mein zweites Zuhause bezeichnen, besonders jetzt, wo ich zum zweiten Mal gekommen bin, um in der höchsten ukrainischen Liga zu arbeiten. Die Haltung gegenüber uns [als Trainerteam – dek] ist jetzt eine ganz andere, denn die Leute haben gesehen, wie wir 2016/17 beim ersten Mal in der Ukraine gearbeitet haben. Sie haben für uns die besten Bedingungen geschaffen, im Alltag und fürs Training. Es versteht sich, dass es bei der Arbeit unterschiedliche Momente gibt. Aber so ist Fußball, alles gut.

    Ich will noch etwas zur Haltung der Menschen in der Stadt sagen, besonders bei unserer zweiten Ankunft. Ich war angenehm überrascht, dass mich die Leute in Lwiw erkannten; sie kamen auf mich zu, grüßten mich, wünschten viel Erfolg. Und das, obwohl die meisten in der Stadt Fans von Karpaty sind [der Verein hat sich 2021 aufgelöst – Anm. Nasha Niva]. Vielleicht kennen mich die Leute gerade deshalb, weil ich Karpaty 2016 von ganz unten hochgeholt habe.

    Wie steht es jetzt um Lwiw?

    Die ausländischen Spieler haben das Land verlassen, aber die Ukrainer sind alle in Lwiw. Sie sind verpflichtet, in der Territorialverteidigung zu arbeiten, beim Abladen der humanitären Hilfsgüter mitzuhelfen. Anschließend trainieren alle gut organisiert, gehen in die Trainingshalle und spielen Fußball.

    Was, du schläfst? Bei euch ist doch Krieg!

    Wie haben Sie den 24. Februar erlebt?

    Ich erinnere mich an den Abend davor. Wir waren mit dem Trainerteam im Hotel etwas essen und redeten über die Lage und den drohenden russischen Einmarsch. Wir waren uns einig, dass in einer solchen Situation kein normaler Mensch einen Krieg anfängt, weil der nicht zu gewinnen ist. Wir gingen ganz ruhig schlafen, und so gegen halb sechs kriege ich einen Anruf auf Viber. Die Jungs aus Belarus melden sich und fragen: „Was, du schläfst? Bei euch ist doch Krieg!“

    Ich geh‘ ins Internet, schau mir die Rede eines gewissen Genossen über den Beginn der sogenannten Spezialoperation an. Ich dachte sofort an die Zeilen aus dem Lied: „[Am 22. Juni] // Genau um vier Uhr // Wurde Kyjiw bombardiert // Uns wurde gesagt, // Dass jetzt Krieg ist“. Die Rede ging ja um fünf Uhr Moskauer Zeit raus, und in Kyjiw war es da vier. Ich sah sofort viele Parallelen zu jenem Krieg, zu 1941.

    Um 12 Uhr hatten wir eine Versammlung und danach ein Gespräch mit der Vereinsleitung. Rund drei Stunden saßen wir noch auf der Anlage rum, dann fuhren wir ins Hotel zurück.

    Wie sehr spürt man in Lwiw, dass jetzt Krieg ist?

    Lwiw ist im Hinterland, und alle Kampfhandlungen werden vom Hinterland aus unterstützt. Und was ich in dieser Stadt gesehen habe, hat mich verblüfft, zutiefst berührt. Zum einen sah ich lange Schlangen vor den Musterungsbehörden. Da standen Männer, die versuchten sich zur Armee zu melden, aber nicht genommen wurden. Es hieß, alle Einheiten seien schon komplett, es gebe aber nicht genug Waffen.

    Ein paar Tage später begann vor den Musterungsbehörden die Sammlung von Sachen für die Flüchtlinge. Ich erinnere mich an Berge von Essen und Kleidung. Und weitere fünf Tage später gab es in Lwiw die ersten Kontrollposten. Das kam sehr unerwartet: Du kommst abends von der Anlage und es ist nichts zu sehen. Morgens willst du dann zur Anlage und stehst plötzlich vor einem Kontrollposten. Gleichzeitig waren die Schlangen vor dem Militärkommissariat nicht verschwunden. Da standen sehr viele Männer, die nach Kyjiw wollten, um die Stadt zu verteidigen.

    Rund eine Woche nach Kriegsbeginn erklärte der Bürgermeister von Lwiw, dass sich alle Männer zwischen 18 und 60 für eine Beteiligung an der Territorialverteidigung registrieren lassen müssen, auch die Spieler des Vereins.

    Wie haben Sie die Zeit von Kriegsbeginn bis zur Ausreise verbracht?

    Ich musste mich irgendwie [vom Krieg] ablenken. Ich habe natürlich die Nachrichten geschaut, hauptsächlich CNN und ukrainische Sender. Ich sah jetzt weniger russische und belarussische Programme. Insbesondere nach den Beiträgen über den Angriff auf das Verwaltungsgebäude in Charkiw, als die Belarussen sagten, die Ukrainer hätten sich selbst in die Luft gejagt.

    Ich bekomme ja aus verschiedenen Quellen Informationen, was tatsächlich in der Ukraine vor sich geht. Der Manager unseres Vereins war in Butscha, im Zentrum der Kämpfe, eingeschlossen unter der Erde. Er hat erzählt, was die sogenannten russischen „Befreier“ getan haben, und das erinnert mich an das Vorgehen der Faschisten im Zweiten Weltkrieg.

    Bei der Menge an Informationen könnte man verrückt werden

    Vor rund drei Tagen gab es da den Jungen, dessen Vater vor seinen Augen erschossen wurde. Der Junge selbst wurde verletzt. Sie haben ihm in den Kopf geschossen. Dieser Junge war der Freund der Tochter unseres Managers, er kennt das Kind und die Eltern, die ums Leben kamen.

    Irgendwann am zweiten oder dritten Tag der Bombenangriffe rief ich diesen Manager an, und er schaltete auf Video. Ich sah, wie da die Leute im Luftschutzkeller saßen. Ziemlich schwer, jemanden in dieser Situation etwas zu fragen. Makarewitsch hat das gut gesagt: Wenn jemand im Krieg war, erinnert er sich nicht gern daran.

    Auch einer unserer Scouts war in Butscha. Andere Scouts waren in Charkiw und in Saporishshja und erzählten, wie dort die Häuser mit direktem Beschuss bombardiert werden, mit den Mehrfachraketenwerfern Grad, mit Granaten und so weiter.

    Nach all diesen Nachrichten und Telefonaten sind Wassili Chomutowski und ich zur Anlage gegangen und haben dort einiges erledigt. Bei der Menge an Informationen konnte man verrückt werden. So viel Negatives. Ich sah die Erschütterung der Menschen, ich weiß, dass der Sohn unseres Scouts seit den Bombenangriffen ständig Schluckauf hat, und wie sehr sich die Haltung dieses Mannes gegenüber Russen und Belarussen verändert hat.

    Haben Sie selbst irgendeine Anfeindung erlebt?

    Was Lwiw angeht, da gab es nichts. Weil man mich hier sehr gemocht hat. Der einzige Nachteil war, dass einige Tage nach Kriegsbeginn meine Geldkarte gesperrt wurde, weil die Konten von Russen und Belarussen eingefroren werden sollten. Das war für mich okay, schließlich ist das Land im Krieg, und da geht es zur Sache.

    Hat diese Zeit ihre Wahrnehmung von den Ukrainern verändert?

    Nur zum Positiven. Ich habe eine geeinte Nation gesehen. Für sie ist dieser Krieg so wie der Große Vaterländische Krieg für die Sowjetunion: Die Menschen sind durch das gemeinsame Ziel vereint, diesen Krieg zu gewinnen. Mich hat auch erstaunt, wie sich die ukrainischen Sportler verhalten haben. Sie standen mit wenigen Ausnahmen zusammen. Andrij Bohdanow, ein Fußballer von Kolos, legte den Eid ab, nahm die Maschinenpistole und zog in den Krieg; und es gibt noch mehr solcher Beispiele.

    Vor dem Krieg schienen die Ukrainer nicht sonderlich geschlossen hinter Selensky zu stehen. Aber wie er sich dann nach Kriegsbeginn verhalten hat! Die Lage ist kritisch, man müsste eigentlich weg, und er sagt: Nein, ich werde mit der Waffe in der Hand kämpfen. Und das hat sich auf die Bevölkerung übertragen. Die Nation hat sich um Selensky zusammengeschlossen.

    Hat sich Ihre Haltung zu Russland jetzt geändert?

    Ja, meine Beziehung zu Russland hat sich sehr verschlechtert. Wie sich die sogenannten Befreier verhalten … So kann man im 21. Jahrhundert nicht vorgehen. Sie vernichten ganze Städte zusammen mit der Zivilbevölkerung, einfach nur deshalb, weil diese Städte russischsprachig sind, aber die Menschen die Soldaten dort nicht mit Salz und Brot empfangen. Man muss verstehen, dass die Ukraine ein freies Land ist und die Ukrainer nur sehr schwer zu versklaven sind. Eher sterben sie, aber sie werden niemals mehr Sklaven sein.

    Ich denke nicht, dass sich der Sport jenseits der Politik befindet

    Was denken Sie über die Sanktionen gegen russische und belarussische Sportler?

    Ich verstehe überhaupt nicht, warum diese Sanktionen für Empörung sorgen. Diejenigen, die damit nicht einverstanden sind, sagen: Nun, der Sport steht jenseits der Politik. Wer hat sich bloß diesen Satz ausgedacht? Jeder Sport, und sei es im Kleinsten, spiegelt trotzdem das Geschehen in der Gesellschaft wider. Erinnern wir uns nur an die Olympischen Spiele 1936 in Deutschland. Wozu haben die Deutschen sie gebraucht? Um die Überlegenheit der arischen Rasse zu zeigen. Die Olympischen Spiele in Moskau und Sotschi haben dazu gedient, mit Hilfe des Sports die Überlegenheit der Sowjetunion bzw. Russlands zu zeigen.

    Meiner Meinung nach sollte ein Land, dass im 21. Jahrhundert im Herzen Europas einen Krieg entfacht hat, bestraft werden. Ich sage nicht, dass die Sportler am Krieg schuld sind: Die großen Markenfirmen verlassen das Land, den Banken wird der Zugang zu SWIFT gesperrt und so weiter. Der Sport steht hier an vorletzter Stelle.

    Ich denke nicht, dass sich der Sport jenseits der Politik befindet. Jeder Sportler ist auch Bürger seines Landes. Während der Proteste 2020 haben einige Sportler eine sehr bequeme Haltung eingenommen, nach dem Motto: Wir beschäftigen uns ausschließlich mit Sport und mischen uns nicht in die Politik ein. Dabei geht es doch gar nicht um Politik! Als die Menschen 2020 getötet wurden und wo jetzt Menschen umgebracht werden … Da geht es um menschliche Haltungen und nicht um Politik. Wir reden hier nicht davon, wen du wählst, ob die Roten, die Gelben, die Weißen oder die Grünen, sondern darum, ob du Mord gutheißt oder nicht.

    Die Ukraine hat gezeigt, dass je weiter ein Sportler oben steht, desto stärker die Einsicht in die Bedeutung der eigenen Persönlichkeit ist. Mir scheint, das hängt alles zusammen.

    Belarussische Sportler haben einen regimefreundlichen Brief unterzeichnet, russische Sportler sind zu regimefreundlichen Veranstaltungen gegangen. Haben sie alle die Sanktionen verdient?

    Für mich ist die Antwort klar: Sie haben es verdient. Natürlich können sie sagen, sie hätten sich nicht für sowas interessiert und hätten einfach nur trainiert … Wissen Sie, es gab da den tschechischen Schriftsteller Julius Fučik, den haben die Nazis 1944 hingerichtet. Als er im Gefängnis war, hat er das Buch Reportage unter dem Galgen geschrieben, in dem er beschreibt, was mit ihm geschah. Da gibt es einen guten Satz, den kenne ich auswendig: Fürchtet euch nicht vor Feinden, die können höchstens töten, fürchtet euch nicht vor Freunden, die können höchstens Verrat üben, fürchtet euch vor gleichgültigen Leuten, denn durch ihre schweigende Zustimmung geschehen die fürchterlichsten Verbrechen der Welt.

    Die schlimmsten Menschen auf der Welt, das sind wirklich die schweigenden Duckmäuser. Ich respektiere jede Position, verstehe das aber so, dass jeder zumindest eine haben sollte. Jeder Mensch ist einmalig, aber vor Gott sind alle gleich. Es ist ja nicht so, dass jemand als Präsident geboren wird. Nein, du wirst zunächst als Mensch geboren, erst dann erringst du ein Amt.

    Ist der Sport in Belarus noch am Leben?

    Amateursport, ja, der lebt. Der Profisport aber, die Wettbewerbe mit den besten Athleten der Welt, diese Möglichkeit wird es für belarussische und russische Sportler nicht mehr geben. Daher wird der Sport in diesen Ländern auf das Niveau von Freizeitsport absinken, wenn er nur wegen der Gesundheit betrieben wird. Erklären Sie mir doch bitte, wer den belarussischen Sport noch braucht, von dem sich nach 2020 die Fans abgewandt haben und dem die internationale Bühne versperrt ist?

    Die Ideologen.

    Die Ideologie muss demonstrieren, dass die belarussische Nation den anderen Nationen überlegen ist. Aber wie willst du das zeigen, wenn du dich nicht mit den besten Sportlern messen kannst? Du spielst nicht gegen Bayern München oder Liverpool, sondern gegen Mannschaften mit dem Niveau von Smolewitschi oder Mikaschewitschi. Das ist das Niveau von Betriebssportmeisterschaften. Was hat das mit Ideologie zu tun? Die verliert da den Sinn.

    Es wird gesagt: Hebt die Sperre auf, und wir zeigen euch, dass wir gute Sportler haben. Die Sperre wird aber nicht aufgehoben und man wird weiter im eigenen Saft schmoren. Es gibt einen guten Spruch: Wenn du ein Löwe sein willst, musst du auch mit Löwen kämpfen – nicht mit Katzen oder Mäusen, sondern eben mit Löwen! Die Löwen, das sind hier die besten Sportler der Welt, und wenn du gegen die spielst, dann wirst du besser.

    Fußball ist mehr als nur eine Sportart

    Glauben Sie an die Zukunft von Belarus?

    Ja. Die Genossen, die da jetzt am Ruder sind, die kommen und gehen. Ich hoffe, dass das Land bald frei sein wird.

    Machen Sie jetzt irgendwelche Pläne für Ihr Leben?

    Nun, ich versuche herauszufinden, wie ich die Mannschaft trainieren soll, wenn die ukrainische Meisterschaft weitergeht. Ich denke, wir werden nur ein paar Wochen zum Trainieren haben und dafür, wieder, zumindest teilweise Kondition zu kriegen.

    Gibt es eine Chance, dass die Meisterschaft schon bald weitergeht?

    Das hoffe ich sehr. Man muss wissen, dass Fußball in jedem Land mehr ist als nur eine Sportart. In Spanien wurde unter Franco versucht, den Fußball wiederzubeleben, um zu zeigen, dass im Land alles wieder normal sei. Ich denke, das erste, was die Ukraine machen wird, wenn sich alles wenigstens ein bisschen wieder eingerenkt hat, ist eine Fortsetzung der nationalen Meisterschaft.

    Als der Krieg begann, habe ich nachgeschaut, wann die sowjetische Meisterschaft nach dem Großen Vaterländischen Krieg weiterging. Und: Das erste Spiel fand am 13. Mai 1945 statt, wenige Tage nach Kriegsende. Da haben wir‘s.

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