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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Für alle, die in Gefangenschaft sind“

    „Für alle, die in Gefangenschaft sind“

    Die belarussischen Machthaber um Alexander Lukaschenko gehen weiter gegen Dissidenten und normale Bürger vor, die an den Protesten 2020 teilgenommen haben. In den vergangenen Wochen kam es wieder zu zahlreichen Festnahmen, aber auch zu Urteilen mit langjährigen Haftstrafen. 

    In einem der aufsehenerregendsten Prozesse der letzten Jahre wurden der Jurist und Aktivist Juri Senkowitsch zu elf Jahren sowie der Vorsitzende der Partei BNF Grigori Kostussew und der bekannte Philologe und Intellektuelle Alexander Feduta zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt. Offiziell wurde ihnen vorgeworfen, ein Mordkomplott und einen Staatsstreich gegen Lukaschenko geplant zu haben. Der Fall klingt in seinen verwirrenden Details und Vorwürfen wie eine klassische Räuberpistole. Feduta ist eine prominente Persönlichkeit in Belarus, die zumindest anfänglich Teil des Systems Lukaschenko war. Er hatte 1994 den Wahlkampf geleitet und war daraufhin Lukaschenkos erster Pressesprecher geworden. Vom dann aufwallenden autoritären System sagte er sich los und trat immer wieder als scharfer Kritiker und Aktivist in Erscheinung. Er wurde im April 2021 durch den russischen Geheimdienst FSB in Moskau festgenommen, wohin er aus seinem polnischen Exil gereist war.

    In seinem Schlusswort vor Gericht sagte Feduta: „Legitime Regierungen halten ihre Amtseinführungen nicht heimlich ab; ein rechtmäßig gewählter Präsident läuft nicht mit einer Waffe herum. Lukaschenko ist so verängstigt, dass er selbst in dem Jahr, das er selbst zum Jahr der nationalen Einheit erklärt hat, nur das Schwungrad der Repression antreibt.“ 

    Noch höhere Strafen von bis zu 17 Jahren gab es in einem weiteren Urteil gegen eine Gruppe von jüngeren Leuten, die unmittelbar im Zuge der Proteste 2020 festgenommen worden waren, weil sie Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Staatsgewalt dokumentiert hatten. Dazu gehört auch Marfa Rabkowa, Koordinatorin der Menschenrechtsgruppe Wjasna96. Sie wurde zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt. Offiziell wurde die Gruppe wegen der „Organisation von Massenunruhen, der Teilnahme daran und der Schulung anderer zur Teilnahme daran“ beziehungsweise der „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ für schuldig befunden. Beide Prozesse und Urteile wurden von großer internationaler Kritik begleitet. Nach dem Urteil sagte Rabkowa: „Wir leben im Zeitalter der verdrehten Wahrheit – das Gute wird bestraft, das Böse gefeiert, die Freiheit ist nur im eigenen Kopf möglich, und selbst dort könnte sie über Artikel 13 des Strafgesetzbuchs, als  ,Vorsatz´, angegriffen werden. Gedankenverbrechen gibt es nicht nur in der dystopischen Fiktion, sondern auch in der belarussischen Realität.“

    Wie lebt man mit solch schlechten Nachrichten und furchtbaren Urteilen, die einen von Tag zu Tag begleiten und die in gewisser Weise zum Alltag für viele Belarussen werden? Der belarussische Schriftsteller Alhierd Bacharevič sucht auf solche schwierigen Fragen in einem Facebook-Post eine Antwort und verschafft sich deutlich Luft.

    Der Krieg der Unmenschen gegen die Menschen geht weiter. Ein Krieg auf Leben und Tod. Ein Krieg bis zum Letzten. 

    Ich denke an sie. An die Feinde. Schaut man die Bilder an, sind sie noch jung. Einer mehr, einer weniger – doch die Mehrheit ist in den besten Jahren. Die Zeit ist eine gerissene Sache: Indem sie gehorsam Unschuldige bestrafen, scheint ihnen, sie würden ihre eigenen Tage verlängern. Sie, die strengen „Richter“ und die harten „Staatsanwälte“, die „Gesetzeshüter“ und andere Unmenschen … Die Teilhabe an den Repressionen ermöglicht ihnen wohl ein besseres Lebensniveau, garantiert ihnen Sicherheit und schützt die Gesundheit. Doch hier kommt das Problem mit der Zeit ins Spiel. Ihr Alter erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Tag der Abrechnung noch erleben. Auch wir werden ihn erleben – und ihnen in die Augen schauen. Die Zeit ist eine furchtbare Sache. Denn wir vergeben und vergessen nichts.

    Ich denke heute an Aljaxandr Fjaduta. Das letzte Mal habe ich ihm im Herbst 2020 die Hand gedrückt, auf dem Bahnhofsvorplatz in Minsk. Damals hatte ich mich schon längst aus literarischen Konflikten von Fjaduta distanziert. Das hinderte uns jedoch nicht daran, einander zu grüßen, uns zu unterhalten und uns respektvoll zu begegnen. Im vergangenen Jahr schrieb ich ihm einige Briefe [ins Gefängnis] – als sie noch ankamen. Wir schrieben einander ausschließlich über Literatur. Und doch drang sie durch die Zeilen – die Zeit. Durch seine Scherze. Durch seinen Schmerz. 

    Eine Verschwörung gegen den Staat? In der Zukunft wird sie in denselben Kapiteln beschrieben werden, in denen man heute über die Attentate auf Hitler lesen kann – unter der Rubrik „Widerstand“.

    Ich denke an Maryna Schybko [Ehefrau von Aljaxander Fjaduta – dek.]. Wie sehr ich sie unterstützen möchte – aber die Worte nicht finden kann. Ich denke an Maryna Adamowitsch [Ehefrau des belarussischen Oppositionspolitikers Mikalaj Statkewitsch – dek.]. Wo finden sie die Kraft, das auszuhalten. Und wie kann man einen Weg finden, die Zeit zu beschleunigen. 

    Ich denke an alle, die in Gefangenschaft sind.

    Ich denke an alle Anarchisten. Ich denke an Mao, Legende des belarussischen Punk, der heute von denen gepeinigt wird, die kraft ihrer beschränkten Vernunft entschieden haben, dass keine Zeit mehr ist. Dass es nur den Dienstherrn und das Auskommen gibt. Aber nein, die Zeit rennt. An das, was sie heute tun, werden wir uns morgen erinnern. Die dummen Diener meinen, dass Bücher nichts bedeuten. Nein. Bücher sind die Komplizen der Zeit. Bücher sind Zeit, die so festgeschrieben wurde, dass sie nicht mehr auszulöschen ist. 

    Journalisten zufolge war das letzte Konzert von Mao und seiner Band im Jahr 2000, gemeinsam mit meiner Band Prawakazyja. Ich erinnerte mich an den Saal im Wohnheim der Pädagogischen Uni. „Der Chef ist hysterisch“, sang ich damals. Oder schrie ich. Ich kann schließlich nicht singen. 
    Aus der Hysterie ist Agonie geworden. Das Ende noch erleben. Die Abrechnung noch erleben. 

    Ich denke an Fedsja Shywaleuski
    Keine Politik? 
    Alles ist Politik. Die Lebenden gegen die Toten.
    Ein talentierter und lebensfroher Musiker ist die beste Zielscheibe. 

    Während ich an all das dachte, beendete ich mein Buch. 
    Für alle, die in Gefangenschaft sind. Für alle, die sich nicht ergeben haben. Für alle, die, wie ich, das Land verließen, sobald klar war, dass die Gefahr allzu nah herangekommen war.
    Für alle, die geblieben sind
    Für alle, die, wie ich, um sich selbst und die Nächsten fürchteten.
    Für alle, die die Angst überwanden, und sei es für eine Minute.
    Für alle, die hier sind. Für alle, die dort sind.
    Und für alle, die denken, dass die Zeit ihnen gnädig sein wird. „Richter“ und „Staatsanwälte“, die „Kulturarbeiter“ mit ihren Literaturspektakeln und -propagandisten. 
    Für die „Pisshosenpublizisten“ und die „Staatspreisträger“.

    Die Zeit ist Krieg. Sie ist Widerstand. Und ein Gerichtsprozess, der bereits im Gange ist.
    Wenn wir es nicht erleben, dann erleben es die, die nach uns kommen.
    Bücher sind keine Menschen, man kann sie nicht vergessen. Deshalb fürchtet ihr sie so sehr. Menschen sind keine Bücher, sie sind zerbrechlich. Deshalb wollt ihr sie so sehr vernichten. 
    Die Zeit aber vergeht.
    Und wir alle stecken mittendrin, in ihrem Mechanismus, dessen Rädchen sich drehen.

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    „Auf dass wir niemals aufeinander schießen“

  • „Auf dass wir niemals aufeinander schießen“

    „Auf dass wir niemals aufeinander schießen“

    Die Suworow-Militärschulen waren in der Sowjetunion zentrale Ausbildungseinrichtungen für künftige Soldaten und Offiziere der sowjetischen Armee. Sie existierten in zahlreichen Sowjetrepubliken, wo Schüler zwischen 14 und 18 Jahren aus wiederum verschiedenen Sowjetrepubliken zusammenkamen, zusammen lernten und lebten. Diese Internatsschulen haben auch in zahlreichen Ländern das Ende der Sowjetunion wie beispielsweise in Belarus oder Russland überlebt, wo sie bis heute für die militärische Ausbildung eine zentrale Rolle spielen.

    Auch im Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt, dürften zahlreiche Absolventen der Suworow-Schulen kämpfen – auf beiden Seiten der Front. Auf diesem Weg vermengt sich sowjetische Geschichte mit der Geschichte der Unabhängigkeitsbestrebung der Ukraine und der revanchistischen Politik in Russland unter Wladimir Putin. Die belarussische Journalistin Irina Chalip hat solch eine Geschichte für das russische Exil-Medium Novaya Gazeta Europe detailliert recherchiert und aufgeschrieben – es ist die tragische Geschichte von Alexej Gorobez und Oleg Makartschuk, die in einem Jahrgang an der Suworow-Militärschule in Minsk zur Zeit der späten Sowjetunion ausgebildet wurden. Jahrzehnte später sind sie nun als Oberste im aktuellen Angriffskrieg gefallen – einer auf Seiten der russischen Angreifer und Besatzer, der andere, weil er seine ukrainische Heimat verteidigt hat.  

    „Das Arschloch ist auf unser Land gekommen, um die Suworowzy [die Absolventen der Suworow-Schule – dek] und ihre Familien zu töten. Mich, meine Familie, Walera Shutschko, der gerade kämpft. Und Oleg Makartschuk haben sie schon umgebracht.“

    Das sagt Witali Tschalow über seinen gefallenen Kommilitonen von der Minsker Suworow-Militärschule, den Oberst der russischen Armee Alexej Gorobez. Die dritte Kompanie aus dem 34. Abschlussjahr an der Suworow-Militärschule – zwei aus dieser Kompanie sind im Juli in diesem Krieg ums Leben gekommen. Beide waren Oberst. Oleg Makartschuk, Chef des Waffen- und Logistikdienstes der ukrainischen Streitkräfte, starb am 14. Juli beim Raketenangriff auf Winnyzja. Alexej Gorobez, Kommandeur der 20. motorisierten Schützendivision der russischen Streitkräfte, starb am 12. Juli bei Cherson infolge eines HIMARS-Einschlags in einem Militärstützpunkt. Makartschuk starb auf eigenem Boden, Gorobez auf fremdem.

    Gleich nach ihrem Tod fanden Journalisten heraus, dass beide ein und derselben Suworow-Kompanie angehört hatten, nur verschiedenen Truppen, und zogen daraus den Schluss, dass die beiden Bekannte gewesen sein müssten. Nein, liebe Leute. Die waren keine Bekannten. Das nennt man ganz anders. Wenn zwei Heranwachsende in einer Kaserne leben, in der sich hundert Mann (die ganze Kompanie) 150 Quadratmeter teilen, wenn sie zusammen für den Dienst eingeteilt werden, wenn sie jeden Tag im selben Hörsaal sitzen, wenn sie im Trockenraum nachts zusammen Gitarre üben, wenn sie in Kolonne zum Frühsport und in die Kantine marschieren, wenn sie vor den Sommerferien die Kaserne schrubben und die Böden wachsen – dann sind sie alles, nur keine Bekannten.

    Meistens nennt man das Bruderschaft. Aber die ist nicht mit Makartschuks und Gorobez’ Tod im Juli gestorben. Sie wurde von der ersten Rakete am 24. Februar zerstört.

    „Wir waren als Kompanie immer zusammen“, sagt Witali Tschalow. „Die Kaserne misst 30 mal 40 Meter, und wir waren hundert Mann. Wir sind bis heute in Kontakt. Lesen Sie mal den Brief von Alexej Gorobez’ Mutter. Sie schreibt, dass er auf der Akademie des Generalstabs war, dass man ihm aber 13 Jahre lang den Dienstgrad eines Generals nicht zuerkannt hat. Also haben viele von uns Kommilitonen den Eindruck, dass Gorobez – um sich die Schulterklappen zu verdienen – in die Ukraine gekommen ist, um die Familien der Suworowzy zu töten. Einfach nur, um General zu werden, verstehen Sie? Ich weiß, dass er in Syrien und Tschetschenien gekämpft hat. Aber in die Ukraine ist er gekommen, um mich und meine Familie zu töten und die Familien der anderen Suworowzy. Viele von uns waren nicht mehr aktiv beim Militär und sind trotzdem in den Krieg gezogen, obwohl wir über 50 sind. Gorobez hat als Kommandeur der Division gewusst – muss es gewusst haben –, dass der Einmarsch in die Ukraine bevorsteht. Er ist bewusst auf uns losgegangen. Obwohl es einen einfachen Ausweg gegeben hätte. Er hätte ein Entlassungsgesuch einreichen und als Oberst in Pension gehen können. Seine Rente war gut. Aber er wollte General werden, indem er uns tötet. Da haben Sie die Kadetten-Bruderschaft.“

    Oleg Makartschuk über der Ziffer 9, Alexej Gorobez als Sechster von links oben / Foto © Archiv von Oleg Roshkow
    Oleg Makartschuk über der Ziffer 9, Alexej Gorobez als Sechster von links oben / Foto © Archiv von Oleg Roshkow

    Der 34. Abschlussjahrgang der Suworow-Militärschule ist einer der tragischsten, und nicht nur, weil zwei aus einer Kompanie auf verschiedenen Seiten der Frontlinie gefallen sind – der eine als Okkupant, der andere als Verteidiger seines Heimatlandes. Die 17-jährigen Absolventen waren nach ihrem Abschluss den verschiedenen Militärhochschulen der UdSSR zugeteilt worden. Die einen gingen nach Taschkent, die anderen nach Omsk oder nach Charkiw. Ein Jahr später gab es auf der Weltkarte gar keine UdSSR mehr, und die frisch ausgebildeten Offiziere wurden zu einer verlorenen Generation.

    Die Suworowzy Alexej Gorobez und Oleg Makartschuk gingen beide zum Studium nach Charkiw. Makartschuk auf die technische Hochschule der Luftstreitkräfte, Gorobez auf die Panzerakademie. Beide bekamen ihre Rangabzeichen als Oberst im Jahr 1994.

    „1994 hatten die Absolventen in der Ukraine noch die Wahl“, sagt Witali Tschalow. „Ich selbst war auf der Hochschule in Poltawa, meine Kommilitonen gingen [nach dem Abschluss – dek] nach Belarus, Tadschikistan, Russland oder Aserbaidshan. Viele blieben natürlich auch in der Ukraine. Auf der Abschlussfeier gab es noch den Trinkspruch: Auf dass wir niemals aufeinander schießen. 2014 hat diese Bruderschaft einen Riss bekommen, und am 24. Februar ist sie endgültig gestorben. 

    Gorobez ist nur ein Fall. Da gibt es zum Beispiel noch einen anderen Suworow-Abgänger, Sergej Rudskoi. Er ist bei den russischen Streitkräften Chef der Haupteinsatzverwaltung, der erste Stellvertretende des Generalstabschefs. Er ist Ukrainer, geboren in Mykolajiw. Sein Vater war ein Held der Sowjetunion, er war der Leiter unserer Suworow-Militärschule. Und sein Sohn organisiert jetzt die Spezialoperation in der Ukraine.“

    „Würden Sie Ihre ehemaligen Kameraden, die in der russischen Armee dienen, nicht gerne einmal treffen?“
    „Doch. Um ihnen eins in die Fresse zu geben.“

    Witali Tschalow ist direkt und geradezu grob. Aber er hat jedes Recht dazu. Er ist wieder im Dienst, genau wie Waleri Shutschko aus derselben Kompanie. Für sie war Alexej Gorobez seit dem 24. Februar nicht mehr der alte Kumpel, mit dem sie in der Kaserne Seite an Seite geschlafen haben, sondern ein Feind, ein Besatzer, ein Mistkerl. Genau wie ihre anderen ehemaligen Kadetten-Brüder, die jetzt die täglichen Militärschläge aus dem Generalstab leiten, die aus ihren Büros heraus Befehle an die Korps und Divisionen verteilen. Der Tod des Feindes ändert nichts an seinen Taten.

    „Im Jahr unseres Abschlusses ging der damalige Leiter der Akademie General Saizew gerade in den Ruhestand. Er ging mit den Worten: ‚Ich werde dafür sorgen, dass alle Jungs, die bei mir gelernt haben, gehen können, wohin sie wollen.‘“

    Alexej Gorobez erhielt sein Offiziersdiplom in der Ukraine. Warum er sich schließlich für die russische Armee entschied, weiß niemand. Oleg Roshkow, Absolvent der Akademie für Chiffrierwesen in Krasnodar, erzählt: „Ich weiß nicht, wie es an der Panzerschule war, aber bei uns lief es so: Als die Sowjetunion zerfiel, entstand in jedem unabhängigen Staat eine eigene Armee. Krasnodar liegt in Russland, also wurde uns gesagt: Wer in der russischen Armee bleiben will, muss einen Eid ablegen, ohne Eid wird man nicht zugelassen. Wer den Eid ablegte, bekam sofort ein viel höheres Stipendium. Ich weiß noch, wie die russischen Kadetten von diesem Geld Kühlschränke und Fernseher kauften. Und aus denen, die keinen Eid abgelegt hatten, wurde eine eigene Kompanie gebildet – die Nazmen-Kompanie, die Kompanie der nationalen Minderheiten. Sie bestand aus Ukrainern, Belarussen und zwei Usbeken. Unser Stipendium reichte gerade für Knöpfe und Nadeln zum Nähen. Also gingen wir, die Nazmeny, in unsere Länder zurück. Damals hatten die Kadetten, die eine andere Staatsangehörigkeit hatten, also die Wahl: In dem Land, in dem man studiert hat, einen Eid abzulegen und in dessen Armee zu bleiben oder in sein Herkunftsland zurückzugehen.“

    Aus jener 3. Suworow-Kompanie sind nicht viele beim Militär geblieben, nach Schätzungen der Absolventen selbst nur 20 bis 30 Prozent. Das letzte Treffen der Kompanie fand 2018 statt, anlässlich des Militärschul-Jubiläums. Makartschuk und Gorobez waren bei diesem Treffen nicht dabei. Bei den Minsker Suworowzy ist es nicht üblich, sich zu den runden Jubiläen des eigenen Abschlussjahres zu treffen, dafür kommen bei den Jubiläumsfeiern der Akademie alle Jahrgänge zusammen. Die in Minsk lebenden Absolventen bereiten den „Stützpunkt“ vor – mieten Wohnungen an, reservieren Restaurants und empfangen die Gäste. Aber gerade jene Absolventen, die beim Militär geblieben sind, kommen in der Regel nicht. Sie sind im Dienst, können nicht nach Belieben mehrere Tage verreisen, und auch die finanziellen Möglichkeiten sind geringer als bei denen, die in die Wirtschaft gegangen sind. Also saßen Makartschuk und Gorobez 2018 nicht an einem Tisch und tauschten in der Heimatkaserne keine Erinnerungen aus.

    Wir sind wirklich eine Generation des Zusammenbruchs

    Die Dritte Kompanie des 34. Jahrgangs der Minsker Suworow-Militärschule hatte wohl eine eigene, geschlossene Gruppe auf Social Media und beide – Alexej Gorobez und Oleg Makartschuk – waren Mitglieder. Meistens gratulierten sie sich nur zum Geburtstag. Zu Ereignissen, die die Welt oder zumindest den Kontinent erschütterten, äußerten sie sich nicht. Dann verstummten sie komplett. Überhaupt war die erste Erschütterung für die Kompanie, die in dieser Gruppe kommunizierte, das Jahr 2020 und nicht erst 2022.

    „Als auf der Website der Absolventen unserer Schule Gorobez’ Tod gemeldet wurde, kamen in der Gruppe sehr viele emotionale Reaktionen von Ukrainern, die kein Blatt vor den Mund nahmen. Und zwei Tage darauf erschien auf derselben Website die Nachricht von Oleg Makartschuks Tod. Alle waren schockiert. Wir bemühen uns um Zurückhaltung, aber nicht immer erfolgreich. 
    Die ersten Emotionen kochten 2020 hoch, zu Beginn der Proteste in Belarus. Seltsamerweise gab es 2014, als der Krieg im Donbass begann, keine großen Gefühlsausbrüche in unserer Gruppe. Hier und da kam mal was auf, aber nicht nennenswert. Und zum Jubiläum unserer Schule 2018 kamen die Ukrainer noch. Im August 2020 verließen dann erst mal jene die Gruppe, die die Proteste nicht unterstützten. Die Ukrainer sind emotional nicht so leicht aus der Bahn zu werfen, die haben sich das angesehen, ohne sich groß einzumischen. Und so ging es schlecht und recht dahin, bis zum Februar 2022. Im Februar sind dann komischerweise die Russen aus der Gruppe ausgestiegen, die ihre Regierung unterstützt haben. Da gab es von den Ukrainern, die aus Prinzip in der Gruppe blieben, einen Schwall von Emotionen. Sie versuchten, ihre russischen Kommilitonen zur Vernunft zu bringen, versuchten, die Wahrheit zu erzählen. Irgendwann gaben sie natürlich auf. Aber circa ein Drittel der Kompanie hat die Gruppe verlassen. Und jetzt haben wir in der Gruppe keine Russen mehr dabei, die für den Krieg sind. Wissen Sie, wir hatten einen Burschen aus der Kompanie in der Gruppe, der mit Gorobez befreundet war – Walera Shutschko, der jetzt auf der Seite der Ukraine kämpft.   
    Die haben nach der Suworow-Militärschule gemeinsam die Panzerausbildung in Charkiw gemacht. Walera hat gesagt, er hat mit ihm gesprochen und versucht, ihm die Augen zu öffnen. Wir sind wirklich eine Generation des Zusammenbruchs. Das ruiniert natürlich jeglichen Verstand. Wie kann man von Bruderschaft sprechen, wenn man gegeneinander Krieg führt? Gorobez hatte übrigens ukrainische Wurzeln – er war, glaube ich, einmal auf der Beerdigung seines Großvaters in Shytomyr. Vielleicht wollte er deshalb seine Ausbildung in Charkiw machen. Und seine Eltern leben überhaupt in Transnistrien. Er hat in Tschetschenien und in Syrien gekämpft. Womöglich wurde er einfach eingesetzt, wo Personalmangel war.“ 
     
    Alexej Gorobez’ Eltern wohnen in Tiraspol. Der Vater Nikolaj Gorobez ist Gemeinderatsvorsitzender der Stadt. Die Mutter Nina Gorobez veröffentlichte nach dem Tod ihres Sohnes auf der Website der Absolventen der Minsker Suworow-Militärschule einen Brief:

    „Danke an alle, die unseres Sohnes gedenken und ihm die letzte Ehre erweisen. Ein ehrlicher, anständiger, gerechter, unbestechlicher, kluger und zielstrebiger Mensch wie er, der seine Heimat und seinen Beruf so aufrichtig liebt, ist in der heutigen Zeit nicht leicht zu finden. Sein ganzes nicht immer leichtes Schicksal liegt in diesen Zeilen:

    Minsker Suworow-Militärschule; Hochschule für Panzer Charkiw; Dienst in Tiraspol nach dem Krieg; Dienst in Fernost; Juristische Hochschule Blagoweschtschensk; Allgemeine Frunse-Militärakademie; Dienst als Regimentskommandeur auf Stützpunkt 201 in Tadschikistan; Dienst in Dagestan und Tschetschenien; drei Einsätze in Syrien; Studium an der Generalstabsakademie, Abschluss mit Silbermedaille im Juni 2021.
    Seitdem bei der Division in Wolgograd.

    Sie sehen ja: Dieser Mann war an allen Brennpunkten im Einsatz. Dreimal wurde ihm von den Streitkräften die Ernennung zum General (Dienstgrad) versprochen, aber wie es so schön heißt: Es blieb alles beim Alten.
    Gorobez A. N. erhielt den Dienstgrad des Oberst mit 36 Jahren. Gibt es in der Führungsriege der Streitkräfte jemanden, der 13 Jahre lang denselben Dienstgrad führt? Weil wir in unserer Familie und Verwandtschaft kein Vitamin B, kein Geld im Überfluss und keine hohen Tiere haben. Und mein Sohn seine Erfolge aus eigener Kraft und mit dem eigenen Kopf erreicht hat. Verzeiht, das ist mein mütterlicher Schmerz und meine Verzweiflung über den Verlust eines echten Menschen, meines geliebten und liebenden Sohnes. Gott habe ihn selig, in ewiger Erinnerung. Und viele Herzen werden ihn in Erinnerung behalten – so viel Gutes hat er den Menschen getan!“ 

    So eine Bruderschaft kann man sich sonstwohin stecken – sie existiert nicht

    Zur Beerdigung von Oleg Makartschuk kamen seine Kommilitonen von der Suworow-Militärschule, die in der Ukraine leben und dienen. Sie sammelten Geld für seine Familie. Gorobez wurde ganz leise auf dem Soldatenfriedhof von Mytischtschi bei Moskau bestattet. Jetzt verbindet Makartschuk und Gorobez nur mehr die Rubrik Dritter Trinkspruch auf der Website der Absolventen der Minsker Suworow-Militärschule. (Da findet man übrigens auch Pawel Piwowarenko aus dem 36. Jahrgang, Held der Ukraine, der vor acht Jahren bei der Einkesselung von Ilowajsk umgekommen ist.) Im Leben hätte sie nichts mehr verbinden können – nicht die gemeinsame Kindheit, nicht die Kaserne, nicht die Schulzeit in derselben Stadt, nicht die Offiziers-Schulterklappen, die sie in Charkiw bekommen haben. Seit dem 24. Februar ist von der Bruderschaft der Kadetten nichts mehr übrig als der Dritte Trinkspruch. 

    Sogar der Beirat der Belarussischen Union der Suworow-Absolventen und Kadetten hat – obwohl außerhalb des Kriegsgebiets angesiedelt – zu bröckeln begonnen. Dem Beirat gehören Absolventen verschiedener Jahrgänge an, die Bälle, Sportfeste und Absolvententreffen organisieren und Beiträge und Spenden sammeln. „Ich war viele Jahre im Beirat“, sagt Alexander aus Minsk, Abschlussjahrgang 1995 (er bat uns um Anonymität), „aber im Februar bin ich ausgetreten. Ein paarmal habe ich mich nach dem 24. noch mit Kollegen ausgetauscht. Aber wissen Sie, denen, die den Krieg rechtfertigen, gebe ich nicht mehr die Hand. Mit Menschen, die diese Aggression unterstützen, habe ich nichts zu besprechen. Ein paar andere sind derselben Meinung wie ich. Aber die Beiratsleitung und ein Großteil der Mitglieder unterstützen diese Aggression. Und nicht nur zum Beirat habe ich den Kontakt abgebrochen – auch zu vielen meiner Kommilitonen, mit denen ich jahrelang befreundet war. So eine Bruderschaft kann man sich sonstwohin stecken. Sie existiert nicht.“ 

    Die Kadettenbruderschaft, an die viele dieser Jungen einmal geglaubt haben, war offenbar nichts weiter als ein sowjetisches Ideologem wie so vieles andere. Nach der UdSSR hielten sie die Absolventen noch aufrecht. Sie unterhielten Gruppen in sozialen Netzwerken, halfen einander, gratulierten einander zum Geburtstag. Am 24. Februar war das alles vorbei. Ja, sogar von der Alten Oper, in die sie kolonnenweise geführt wurden, ist längst nichts mehr übrig – seit dem Umbau sieht sie aus wie ein türkisches Hotel.

    Verblichen sind die Erinnerungen; was bleibt, ist die Rubrik Dritter Trinkspruch auf der Absolventenseite. Da ist leider Platz für alle. Für viele Kriege im Voraus.

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  • Jahr des historischen Gedenkens

    Jahr des historischen Gedenkens

    Julia Artjomowa, 1985 geboren, hat sich in Belarus als Autorin einen Namen gemacht. In ihrem 2021 erschienenen Roman Ja i jest rewoljuzija (dt. Ich bin die Revolution) erzählt sie „eine sehr aufrichtige, sehr weibliche und sehr verruchte Geschichte: über Revolution und Liebe, über Brüderlichkeit und Schwesternschaft, über den Zerfall von Illusionen und das Erwachsenwerden als Wahl“. In ihrem Essay für unser Projekt Spurensuche in der Zukunft, der im Titel sarkastisch auf das von Alexander Lukaschenko verkündete Jahr des historischen Gedenkens anspielt, reflektiert Julia Artjomowa (die mittlerweile in der Ukraine lebt) die Gewalteskalation, die sich im Zuge der historischen Proteste 2020 in ihrer Heimat und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in ihrer Region eingestellt hat. Und sie fragt sich, ob man mit dem Wissen um diese schreckliche Gewalt überhaupt noch an diese Orte zurückkehren kann.

    Russisches Original

    „Knoten der Hoffnung“ / Illustration © Tosla
    „Knoten der Hoffnung“ / Illustration © Tosla

    Diesen Text kann ich nur in der ersten Person schreiben. Normalerweise würde ich ihn niemandem zeigen – Tagebucheinträge sind nicht für fremde Augen bestimmt, und das hier ist fast einer. Aber wir haben (kein) Glück – wir leben in einer Zeit und an einem Ort, wo unsere Erinnerungen zu Tagebüchern werden und unsere Tagebücher zu Dokumenten. Unsere Balkone und Fenster werden zu Tribünen, unsere Körper zu Zeugen und Beweisen von Verbrechen. Die Buchstaben presst du mühevoll aus dir heraus, weil es dir wie so vielen die Sprache verschlägt, deine Stimme ist heiser, aber immer noch da, und deswegen muss sie erklingen, ja, muss. Daher kann ich diesen Text schlichtweg nicht nicht veröffentlichen.

    Ich glaube, es war im Februar 2021. Wirklich, im Februar? War es nicht Januar? Oder doch März? Vielleicht schon im Dezember? Ich weiß noch genau, dass es geschneit hat – doch das ist ein zweifelhafter Anhaltspunkt. Herrscht in Belarus in diesen Monaten nicht fast immer unerträglich graues, matschiges Schneewetter? Oder hat sich in diesen Tagen einfach alles verknäuelt, verklumpt, verklebt, wie ein Schneeball, zu einem einzigen langen Monat des Wartens? Aber für das hier sind Chronologie und dokumentarische Genauigkeit überhaupt nicht wichtig. Also, sagen wir Februar. Im Februar 2021 trieb ich mich abends in der Stadt herum und machte ein paar Besorgungen. Auf dem Heimweg wollte ich Geld abheben. Ich suchte in der App den nächsten Geldautomaten und machte mich auf.
    Auf halbem Weg erwischte es mich. Eine Druckwelle versetzte mich zurück in die jüngste Vergangenheit. Ein halbes Jahr zuvor hatten mein Freund Kolja und ich uns öfter genau bei diesem Geldautomaten getroffen. Das war einfach ein praktischer und eindeutiger Treffpunkt. Am Samstag, den 15. August, um 12 Uhr waren wir von hier aus zusammen zur Beerdigung von Alexander Taraikowski gegangen.
    Damals, an jenem Februarabend im Schnee, begriff ich, dass es die Stadt meiner Kindheit, die Stadt, in der ich den Großteil meines Lebens verbracht hatte, nicht mehr gibt. In Minsk gibt es keine Geschäfte mehr, keine Läden, keine Höfe, Zäune, Cafés. Minsk ist überzogen mit einem Netz aus Narben: Da drüben sind wir davongerannt – und dorthin entkommen; da haben wir uns in der Hauseinfahrt versteckt; da haben wir gestanden und gesehen, wie sie auf die Menschen einprügeln und sie auseinandertreiben, und waren selbst erstarrt; da eine Spur von einer Blendgranate; da marschierten die Frauen durch; da wurde mein Mann Shenja geschnappt, und jedes Mal – wirklich jedes Mal – wenn wir an dieser Stelle vorbeifuhren, sagte er: „Da haben sie mich festgenommen“; dort waren im Winter die Hofproteste mit dem Nachbarbezirk; da standen wir in der Solidaritätskette, zusammen mit Roma und anderen Leuten aus unserem Hof. Und da, da wurde Roma umgebracht. 
    Ich schließe die Augen. Auf dem Stadtplan gibt es keine blinden Flecken mehr, keine sauberen Stellen, keine Erinnerungen mehr an das vorrevolutionäre Leben. Erstaunlich, wie das Gedächtnis funktioniert – es legt sich in Schichten übereinander wie Wandverputz. Und jede neue Schicht scheint die vorherige zu verwischen, zu überdecken, zu ersetzen. 
    Was ist auf der vorigen Schicht? Straßen, die ich als verliebte Sechzehnjährige entlangspazierte, mit immer derselben Kassette im Walkman. Den Park zehn Minuten von unserem Haus entfernt, in den meine Mutter immer mit mir ging, als ich klein war. Den Hof, wo meine beste Freundin und ich so gern saßen, uns am Karussell drehten und billigen Rotwein direkt aus der Flasche tranken, die wir uns teilten. Sogar die Schule, die ich neun Jahre lang besuchte, ist jetzt die, die an mein Wahllokal grenzt, und meine Lehrer sind zu Mitgliedern der Wahlkommission geworden, die ein gefälschtes Protokoll unterschrieben haben. Als hätte es mich als Sechzehnjährige nie gegeben. Das Private ist politisch. Mein Privates wurde in nur drei Tagen, 9. bis 11. August, mit einem groben Radiergummi aus dem Stadtplan gelöscht. Tage der Folter. Unser 9/11.   
    Wäre es doch nur die Stadt. Aber auch ganz normale Dinge bekamen plötzlich eine andere Bedeutung, einen anderen Sinn. Im August/September/Oktober 2020 waren wir ein riesiger Menschenfluss. Wie der kleine Fluss Nemiga, der einst in eine Betonröhre gezwängt wurde. Als unsere Demonstrationen endgültig von der Straße verdrängt waren, wurden gewöhnliche Bänke, Zäune, Bäume, Aufzüge und Haltestellen zu Plakaten, zu Leinwänden für politische Statements. Die Wände verlassener Häuser und normaler Plattenbauten fingen an zu weinen wie Ikonen: Nichts vergessen, nichts verzeihen. Diese Worte in roter Schrift drangen immer und immer wieder durch mehrere Schichten weißer Farbe. Als die Schichten zu viele wurden und die Buchstaben nicht mehr durch die Farbe schimmerten, wussten alle, was sich hinter den weißen Rechtecken verbarg.   

    ***

    Ein Junimorgen, Samstag, im Zentrum von Warschau. Meine Schulfreundin und ich sitzen auf der Terrasse eines Cafés (sie war immer einfach meine Schulfreundin gewesen, bis sie zu eben jener Freundin aus Irpin wurde, die mit ihrer Mutter und ihrer Katze zehn Tage unter Beschuss der Stadt überlebt hat). Hier in Warschau ist der Krieg überhaupt nicht spürbar, auch wenn überall viele ukrainische Flaggen hängen, sehr viele. Ich stelle meiner Freundin eine Frage, die mir schon lange im Kopf herumgeht: „Willst du zurück in die Ukraine?“ Sie sagt: „Weißt du, ich würde gern manchmal hinfahren, mal eine Woche oder zwei nach Lwiw oder Kyjiw, mal nach Odessa oder in die Karpaten. Aber richtig zurück … Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wie ich jetzt in Irpin leben soll, wo in dem Park mit Designerbänken Menschen beerdigt wurden.“
    Sie redet und redet, und ich höre ihr aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen, sie spricht, und ich  merke mir, was sie sagt, sie spricht, und ich begreife – sie antwortet für uns beide, sie beantwortet auch meine eigene Frage, vor der ich jedes Mal wieder Angst habe, weil ich dann ehrlich mit mir selbst sein muss. Will ich zurück nach Minsk? Will ich jeden Tag vor meinem Fenster den Hof sehen, in dem mein Nachbar Roma erschlagen wurde? Will ich auf dem Spielplatz, der jetzt eine Gedenkstätte ist, Kaffee trinken? Will ich durch Straßen gehen, in denen Menschen geprügelt wurden, wo auf Menschen geschossen wurde, wo Granaten auf Menschen geschleudert wurden?

    Es ist unmöglich, in einer Stadt leben zu wollen, in der Parks zu Massengräbern und Spielplätze zu Gedenkstätten werden.

    So wird mir ein Jahr nach meiner Ausreise, während ich in der Warschauer Morgensonne sitze, endgültig bewusst – du kannst nicht zurück nach Minsk, diese Stadt gibt es nicht mehr, sie existiert nur in deinem Gedächtnis, sie besteht aus erinnerten Bildern wie Frankensteins Monster. Wir wollten sie umschreiben, aber haben es nicht geschafft. Jetzt ist sie nurmehr der Entwurf einer Stadt, der von einem unfähigen Schriftsteller mittendrin verworfen wurde. 
    Und trotzdem, und trotzdem ist es die Stadt, in deren Adern die Nemiga unseres Widerstands fließt. Wieder schlage ich mein Tagebuch auf und lese den Eintrag:  

    Letzten Sommer waren mein Mann und ich Fahrradfahren. Wir fuhren über die Stela auf den Siegerprospekt. Im Jahr davor hatte diese Gegend an Sonntagen ganz anders ausgesehen, und wir hatten so sehr gehofft, dass wir die Sieger sein würden. Jetzt überall rot-grüne Flaggen, demonstrativ viele, mehr als Menschen weit und breit. Und was für Menschen. Gleichgültige, die herumspazierten, als wäre nichts gewesen. Als hätten wir wirklich das nächste Kapitel aufgeschlagen. Es war bitter – vor einem Jahr noch war hier ein weiß-rot-weißer Fluss geflossen. Wir setzten uns auf eine Bank vor ein Gebäude mit dem Schriftzug: Minsk – Heldenstadt. Ich verschwand in meinem Handy, um mich abzulenken. Auf die nächste Bank setzte sich ein junger Vater mit seinem kleinen Sohn. Zufällig drang ihr Gespräch zu mir durch, es war nicht zu überhören – sie sprachen Belarussisch. Das war wie ein kleines Wunder. Als würde dir die Stadt in dem Moment, in dem du die Hoffnung verlierst, zuzwinkern.       

    Minsk gibt es nicht – es existiert nur in unserem kollektiven Gedächtnis.

    Minsk gibt es – es existiert in unserem kollektiven Gedächtnis. 

    Und solange wir uns an alles erinnern, gibt es eine Chance. Eine Chance, die Stadt neu zusammenzusetzen, die Narben mit Tattoos zu verdecken, den Orten neuen Sinn zu verleihen. Hinaus auf die Straßen zu gehen und sich die Stadt zurückzuholen. Keine neue Seite aufzuschlagen, sondern diese sauber umzuschreiben, ins Reine. Dort Gedenkstätten zu errichten, wo der Schmerz wirklich groß war. Nicht zu vergessen und nicht zu verzeihen. Den Straßen neue Namen zu geben. Die Nemiga aus dem Rohr zu befreien. 

    ***

    Es gibt noch etwas, das unser kollektives Gedächtnis lange prägen wird. 2020 haben die Belarussen eine erstaunliche Kraft in sich entdeckt, aus der unsere Nationalidee entstand. Damals war niemand in der Lage, diese Kraft richtig zu benennen, keiner konnte diese Idee formulieren. Die unglaublichen Belarussen? Das klang zu begeistert und zu naiv. 
    Jetzt, wo unsere ukrainischen Nachbarn so hingebungsvoll für ihre Freiheit kämpfen und uns manchmal Schwäche und Feigheit vorwerfen, ist es besonders schwer, sich das nicht zu Herzen zu nehmen, sich nicht selbst zu geißeln und sich nicht zu schämen. Wir hören nicht auf zu vergleichen. Und immer schneiden wir schlecht ab bei diesem Vergleich. 
    Doch auch, wenn wir uns so ähnlich sind, so sind wir doch ganz verschieden. Während die Ukrainer sagen: „Kämpft, und ihr werdet gewinnen!“, sagen wir: „Wir werden nicht vergessen, nicht verzeihen.“ Und diese Worte scheinen mir die ehrlichste und treffendste Losung von allen zu sein, die aus unserer gescheiterten Revolution 2020 hervorgegangen sind. Diese Worte sprechen aus jedem verletzten Herz. Diese Worte stehen für 9/11 genauso wie für Taraikowski, Bondarenko, Schutow und Aschurak. Diese Worte stehen für Sawadski, Gontschar und Sacharenko. Für 1307 politische Gefangene. Für 30 Journalisten, die von Repressionen betroffen sind. Für 28 Jahre ohne Wahl. Für Dima Stachowski, den 17-jährigen Jungen, der wegen Teilnahme am Protest strafrechtlich verfolgt wurde und Selbstmord beging. Für Andrej Selzer. Diese Worte stehen für Hunderte von Raketen, die seit Februar von meinem Land aus auf die Ukraine abgefeuert werden. Sie stehen für Kuropaty. Die Worte stehen für Bykau, Karatkewitsch, Kupala und Kolas. Die Worte stehen für die Nacht der erschossenen Dichter.    

    Heute, da ich in der Ukraine bin, sehe ich jeden Tag, wie sogar auf dem unfruchtbarsten Boden Leben entsteht. Es bahnt sich seinen Weg durch Schmerz, Krieg und Horror. Ich weiß, das ist es, was mein Volk am besten kann, genau das ist die nationale Idee der Belarussen – nicht zu kämpfen, sondern wie Gras durch den Asphalt zu dringen, trotz des rauen, harten Winters. Zu wachsen, wo sonst nichts mehr wächst. Zu überleben, zu leben und zu gedenken, sich immer wieder zu erinnern. Nicht zu vergessen, nicht zu verzeihen.
    … nicht zerschlagen, nicht stoppen, nicht aufhalten.

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  • „Die große Politik ist für Lukaschenko vorbei”

    „Die große Politik ist für Lukaschenko vorbei”

    Bei der Konferenz Neues Belarus, die kürzlich vom Büro Swetlana Tichanowskaja in Vilnius organisiert wurde, ging es zuweilen hoch her, was sicher auch Ausdruck einer vitalen demokratischen Kultur ist, die von der neuen belarussischen Diaspora gelebt wird. Seit geraumer Zeit steht die belarussische Oppositionsführerin in der Kritik, die aus den eigenen Reihen kommt. Auch um den Kritikern entgegenzukommen und verschiedene oppositionelle Initiativen und Gruppen besser zu repräsentieren, wurde ein fünfköpfiges Exilkabinett beschlossen, dem neben Pawel Latuschko vom Nationalen Anti-Krisenmanagement unter anderem auch Alexander Asarow, Chef der Initiative BYPOL angehören. Ob dieses Kabinett ein effektiveres Instrument ist, um Einfluss auf politische Entwicklungen in Belarus selbst zu nehmen, wird von Experten wie Alexander Klaskowski mitunter bezweifelt. Größere Einflussmöglichkeiten hat die Opposition indes in der Außenpolitik. „Faktisch ist Tichanowskajas Büro“, so urteilt der Politikanalyst Waleri Karbalewitsch, „zum alternativen belarussischen Außenministerium geworden, und zwar einem viel wirkungsvolleren als das offizielle Außenministerium unter der Führung von Wladimir Makei.“

    Die große Politik für Alexander Lukaschenko sei indes vorbei, meint der belarussische Journalist Igor Lenkewitsch. Dem belarussischen Machthaber bleiben vor allem Treffen mit Wladimir Putin, mit dem ihn eine fatale Abhängigkeit verbindet. Vor dem Hintergrund des Besuches von Denis Puschilin, dem Anführer der selbsternannten Donezker Volksrepublik (DNR), in Belarus analysiert Lenkewitsch im belarussischen Online-Medium Reform.by, dass sich Lukaschenko außenpolitisch in eine ausweglose Position gebracht habe, die auch die Unabhängigkeit des Landes bedrohe.

    Der Präsident der selbsternannten Donezker Voklksrepublik (DNR) Denis Puschilin war nach Brest gereist. Dort besuchte er gemeinsam mit dem Generalsekretär der Partei Einiges Russland, Andrej Turtschak, dem Botschafter der Russischen Föderation in Belarus, Boris Gryslow, und anderen Delegationsmitgliedern aus der Pseudorepublik die Gedenkstätte Brester Festung. Am Ewigen Feuer legte man Blumen nieder.

    In seiner Erklärung nannte Puschilin Brest eine Stadt, die zum „Vorbild für Mut und Widerstand des russischen Soldaten“ geworden sei. Hier stellt sich die Frage: Warum nur „des russischen“? Die Brester Festung wurde schließlich von Soldaten verschiedener Nationalitäten der UdSSR verteidigt. Und an 1939 wagt man ja kaum zu erinnern. Dennoch setzte Puschilin den Akzent ausschließlich auf den „russischen Soldaten“. Zufall? Oder steht der „russische Soldat“ für das russländische Imperium? Hält Puschilin damit auch Brest, das Vorbild des russischen Heldenmutes, für russisch? Bedeutet das, dass Russlands ambitionierte Pläne territorial so weit reichen? Wie angemessen sind solche Äußerungen überhaupt in einem fremden Land?

    Bis zu diesem Besuch hatte die belarussische Regierung von offiziellen Gesprächen mit Vertretern von DNR und LNR abgesehen, mit Ausnahme eines Austauschs in der Trilateralen Kontaktgruppe. Den Donbass hatte der Parlamentsabgeordnete Oleg Gaidukewitsch gemeinsam mit einer Delegation seiner Partei LDPB besucht. Der in Minsk nach der erzwungenen Landung des Ryanair-Fluges festgenommene Blogger Roman Protassewitsch gab an, in Minsk von Ermittlern aus der sogenannten LNR befragt worden zu sein. Dazu äußerte sich im August 2021 auch Lukaschenko. Das war alles. Sollte es weitere Kontakte gegeben haben, so wurde es vorgezogen, sie nicht an die große Öffentlichkeit zu tragen. 

    Gute Auswege gibt es für das offizielle Minsk einfach nicht mehr

    In einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP sagte Lukaschenko, er sehe keine Notwendigkeit und keinen Sinn in der Anerkennung der besetzten ukrainischen Gebiete Donezk und Lugansk als unabhängige Staaten, ebenso verhalte es sich mit der von Russland besetzten Krim. „Sollten die Krim, Lugansk und Donezk Lebensmittel, Ziegel, Zement oder Unterstützung beim Wiederaufbau benötigen, werden wir sie unterstützen. Wenn es notwendig ist, werden wir sie anerkennen. Wenn das irgendeinen Sinn ergeben sollte. Doch welchen Sinn hat es heute, ob ich sie öffentlich anerkenne oder nicht?“, erläuterte Lukaschenko seine Position. 

    Hat sich die Situation seitdem geändert? Gibt es mittlerweile diesen Sinn? Eine Wahrscheinlichkeit besteht. Der Kreml könnte Druck auf Lukaschenko ausüben und die Erfüllung der Unionsverpflichtungen einfordern. Möglich ist auch, dass Moskau die ewigen Ausflüchte des offiziellen Minsk leid ist und nun entschieden hat, dass die Zeit für die Anerkennung gekommen ist. Aus praktischen Gesichtspunkten gibt es für Russland keinen besonderen Sinn, außer dass es Lukaschenko noch mehr die Hände binden würde. Die Anerkennung der Separatistenregionen auf ukrainischem Gebiet als eigenständige Staaten würde die Beziehungen zwischen Belarus und der Ukraine sowie deren Verbündeten nur noch zusätzlich belasten. Minsk zu nötigen, Puschilin zu empfangen, ist außerdem eine gute Option für Moskau, den Verbündeten auf seinen Platz zu verweisen. 

    Letztlich ist auch eine andere Variante denkbar: Es wird keine offizielle Anerkennung von DNR und LNR geben, da der Kreml „Referenden“ vorbereitet, die über den Beitritt der Separatistengebiete zur Russischen Föderation befinden sollen. Eine Anerkennung wäre dann gar nicht nötig. Es wird einfach mitgeteilt, dass die Vertreter der DNR angereist sind, um im Kontext des Hilfsangebotes der belarussischen Seite ihren Bedarf an Zement und Lebensmitteln zu formulieren. 

    Damit würde jedoch das Problem nur aufgeschoben. Denn es ergibt sich unvermeidlich die Frage nach der Anerkennung der Moskauer „Referenden“. Hier wird der Kreml seinem Verbündeten in jedem Fall die Daumenschrauben anlegen. Gute Auswege gibt es für das offizielle Minsk einfach nicht mehr. Es bleibt lediglich die Hoffnung auf Erfolge der ukrainischen Armee, die solche „Referenden“ verhindern würde.

    Die große Politik ist für Lukaschenko vorbei

    Oder einfach abwinken und tun, was Moskau will? Den vom Kreml zugewiesenen Platz einnehmen? Denn die bloße Tatsache des Besuchs der DNR-Delegation stellt Belarus letztlich in eine Reihe mit dieser Pseudorepublik. Man kann sich ohne Ende hinter „de jure“ und „de facto“ verstecken und der Welt weismachen, dass man niemanden anerkannt hat, sondern nur den Bedürftigen hilft – das alles sind Argumente zugunsten der Armen. Die niemand glaubt. Die große Politik ist für Lukaschenko vorbei. Kamen früher noch die deutsche Kanzlerin, der französische Präsident oder der US-Außenminister nach Minsk, ist es heute nur Puschilin. Und gerade dieser Besuch definiert Belarus‘ aktuelle Position in der politischen Konstellation des Kreml.

    So tummelt sich also die DNR in Brest, und Puschilin macht zweideutige Bemerkungen. Belarus ist gezwungen, einen Menschen zu empfangen, dem nicht nur die ukrainische, sondern auch die belarussische Unabhängigkeit keine Kopeke wert sind. Für den Brest höchstwahrscheinlich – wie auch Poltawa und Odessa – eine „russische Stadt“ ist. Den Moskau als Sturmbock für die Eroberung von Gebieten eines Nachbarstaates einsetzt, für die „Befreiung“ von Städten, „von russischen Menschen gegründet“. Die Glocke läutet, und dieses Läuten ist sehr besorgniserregend. 

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  • Bystro #38: Proteste in Belarus 2020. Was ist vom Widerstand geblieben?

    Bystro #38: Proteste in Belarus 2020. Was ist vom Widerstand geblieben?

    Am Abend der Präsidentschaftswahl, dem 9. August 2020, brach in ganz Belarus eine historische Protestwelle los, getragen von Personen ganz unterschiedlichen Alters und aus den verschiedensten Berufsgruppen. Die Machthaber um Alexander Lukaschenko versuchten die Proteste, die im ganzen Land stattfanden, mit Gewalt und Folter einzudämmen, was allerdings zunächst immer mehr Menschen auf die Straßen trieb. Im Lauf der Zeit gelang es den belarussischen Silowiki, mit scharfen Repressionen den Widerstand zu brechen. Journalisten, Medien, Aktivisten und einfache Bürger wurden außer Landes getrieben, rund 500 NGOs verboten. Die Festnahmen und Aburteilungen dauern bis heute an. Die Men­schen­rechts­orga­nisation Wjasna geht von rund 1300 politischen Gefangenen im Land aus.

    Lebt der belarussische Protest überhaupt noch? Was passiert in der Opposition, die ebenfalls ins Exil musste? Welchen Einfluss hat die neue Diaspora? Glaubt Lukaschenko, dass er den Widerstand seiner Gegner gebrochen hat oder fürchtet er eine neue Protestwelle? In einem Bystro mit acht Fragen und Antworten erklärt der Politikanalyst Waleri Karbalewitsch die aktuelle Lage.

    Dieser Artikel gehört zu unserer Reihe Platforma, in der russische, belarussische oder auch ukrainische Journalistinnen und Journalisten schreiben und Einblick in aktuelle Debatten und Entwicklungen zu osteuropäischen Themen liefern. Die Texte werden weitgehend von Journalistinnen und Journalisten geschrieben, die sich gezwungen sahen, aufgrund der Repressionen in ihren Ländern ins Exil zu gehen.

    РУССКАЯ ВЕРСИЯ

    1. Kann man sagen, dass die Protestbewegung in Belarus tot ist?

    Ich würde sagen, die Protestbewegung ist eher eingeschlafen als „tot“. Die Mehrheit der Bevölkerung steht der Regierung nach wie vor kritisch gegenüber. Aber das mündet nicht in aktives Handeln und Aktionen. In Belarus existieren keine legalen Mechanismen, mit deren Hilfe die Bevölkerung ihre Meinung äußern könnte. Heute herrscht in Belarus wieder ein totalitäres System. Und im Totalitarismus sind öffentliche Proteste ein seltenes Phänomen.

    Zudem beobachten wir seit zwei Jahren eine politische Massenemigration aus Belarus. Mehr als 100.000 Menschen haben das Land verlassen. Das heißt, der Großteil der Leute, die 2020 auf die Straße gegangen sind, ist bereits emigriert. Im Übrigen werden Proteste dann massenhaft, wenn die Hoffnung besteht, das politische System ändern zu können. 2020 gab es diese Hoffnung, jetzt gibt es sie nicht.

    2. Welche Rolle spielt die neue Diaspora in der Demokratiebewegung?

    2020 ist die belarussische Diaspora erstmals als politischer Faktor in Erscheinung getreten. In den vergangenen zwei Jahren ist sie um ein Vielfaches angewachsen, es sind viele Aktivisten der Protestbewegung hinzugekommen. Sämtliche Zentren der belarussischen Opposition, allen voran das Büro von Swetlana Tichanowskaja, befinden sich im Exil. Man kann sagen, dass sich das oppositionell-gesellschaftliche Leben ins Ausland verlagert hat, weil in Belarus keine legale oppositionelle Tätigkeit möglich ist.

    Im digitalen Zeitalter haben die Möglichkeiten der Diaspora, auf das politisch-gesellschaftliche Leben im Land einzuwirken, wesentlich zugenommen. Die belarussischen politischen Diskussionen finden heute auf Plattformen außerhalb des Landes statt. Das sind Medien, soziale Netzwerke, Think-Tank-Foren, Telegram-Kanäle und so weiter.

    Auf der anderen Seite ist klar, dass der Einfluss der Diaspora auf das politisch-gesellschaftliche Leben innerhalb des Landes seine Grenzen hat. Jedwede Veränderungen können nur im Land selbst passieren. Der Einfluss von außen kann nur ein zusätzlicher Faktor sein.

    3. Wie hat sich der Krieg auf die Protestbewegung ausgewirkt? 

    Am 27. Februar 2022, dem Tag des Referendums über die Verfassungsänderungen, und am 28. Februar gab es Proteste. Etwa 1000 Menschen wurden an diesen zwei Tagen festgenommen. In diesen ersten Tagen nach Kriegsbeginn war die Angst groß, dass die belarussischen Streitkräfte in den Krieg auf ukrainischem Boden eintreten würden. Aber das ist nicht passiert, und der öffentliche Protest ist verebbt.

    Die Protestbewegung hat andere Formen angenommen:

    1. Ein Teil der belarussischen Aktivisten ist in die Ukraine gegangen. Sie haben das Kalinouski-Regiment gegründet, das im Krieg für die Ukraine kämpft.

    2. Ein anderer Teil (die sogenannten Partisanen) führt Sabotageakte auf dem Schienennetz durch, um die Fortbewegung der russischen Militärzüge durch Belarus zu verhindern.

    3. Die Opposition hat den Telegram-Kanal Belaruski Hajun ins Leben gerufen, auf dem Informationen über die Bewegungen der russischen Militärtechnik und das Abfeuern von Raketen von belarussischem Staatsgebiet aus veröffentlicht werden.

    Insgesamt kann man sagen, dass sowohl bei den Gegnern als auch den Anhängern Lukaschenkos eine Radikalisierung stattfindet. Die Befürworter des Regimes fordern drastischere Strafen für die Opponenten. Aber sie sind nur im Internet aktiv, in sozialen Netzwerken. Offline sind sie hilflos und verlassen sich ausschließlich auf die Regierung. Die zahlreichen Organisationen, die das Regime geschaffen hat (offizielle Gewerkschaften, die Jugendunion BRSM, die Belaja Rus, die Frauenunion, die Veteranenvereinigung und so weiter) waren auf dem Höhepunkt der Krise 2020 völlig paralysiert. Ihre staatliche Natur macht diese Strukturen unfähig zu Eigeninitiative. Selbst Lukaschenko sagte, dass sie zu nichts taugen.

    4. Welche Erfolge hat das Team von Swetlana Tichanowskaja zu verzeichnen?

    Swetlana Tichanowskaja bleibt die legitime Repräsentantin der belarussischen Demokratie, das Symbol für die Alternative. Ihre Haupterfolge erzielte sie auf internationaler Bühne. Faktisch ist Tichanowskajas Büro zum alternativen belarussischen Außenministerium geworden, und zwar einem viel wirkungsvolleren als das offizielle Außenministerium unter der Führung von Wladimir Makei.

    Dank des aktiven Einsatzes von Tichanoswkajas Team hält sich das Thema Belarus auf der internationalen Tagesordnung. Es nimmt teilweise Einfluss auf die Sanktionspolitik des Westens gegen das Lukaschenko-Regime. Außerdem repräsentiert das Tichanowskaja-Büro die Interessen der belarussischen Diaspora. Allerdings ist der Einfluss auf die innenpolitischen Prozesse in Belarus relativ gering.

    Aber auch die Konkurrenz innerhalb der belarussischen Opposition nimmt zu. Tichanowskajas Opponenten machen sich die nachvollziehbare Unzufriedenheit der belarussischen Protestbewegung zunutze. Seit Beginn der Proteste sind zwei Jahre vergangen, es gibt keine Ergebnisse, die Repressionen nehmen zu, wir beobachten eine politische Massenemigration aus dem Land. Natürlich wird die Schuld bei ihr als Oppositionsführerin gesucht.

    5. Hat das Lukaschenko-System immer noch Angst vor Protesten?

    Ja. Bei diversen Anlässen wiederholt Lukaschenko, dass man sich nicht ausruhen dürfe, sondern die Repressionen fortsetzen müsse, weil der Feind sich verborgen habe und darauf lauere, dass die Regierung Schwäche zeigt. Das Regime hat keine Feedback-Mechanismen zur Gesellschaft. Deshalb wissen die Machthaber nicht, was wirklich in der Gesellschaft vor sich geht. Und weil sie die reale Situation nicht kennen, überzeichnen sie die Gefahr.

    Hinzu kommen die außenpolitische Situation und die wirtschaftlichen Probleme durch die westlichen Sanktionen. Die einzige Antwort des Regimes auf diese Herausforderungen ist die Verstärkung der politischen Repressionen.

    6. Was bedeutet die zunehmende Repression in einem Land, das schon länger als „letzte Diktatur Europas“ bekannt ist?

    Man kann mehrere Beispiele anführen. So wurde ein Gesetz erlassen, das die Todesstrafe für den „Versuch eines Terroranschlags“ vorsieht. Der Begriff Terrorismus wird von den belarussischen Behörden äußerst weit gefasst, deshalb kann darunter jede oppositionelle Tätigkeit verstanden werden, zum Beispiel die Teilnahme an Protestaktionen. Auch Pawel Latuschko und Swetlana Tichanowskaja wurden nach „Terrorismus“-Paragrafen angeklagt. Im Moment steht die „Terrorgruppe“ von Nikolaj Awtuchowitsch vor Gericht. Dazu gehören ein Mann ohne Beine, eine Rentnerin und ein orthodoxer Priester. So sehen die „schrecklichen Terroristen“ aus.

    Seit kurzem erlaubt es das Gesetz, Menschen, die die belarussische „Justiz“ nicht persönlich zu fassen kriegt, in ihrer Abwesenheit zu verurteilen. Zum Beispiel belarussische Freiwillige, die in der Ukraine kämpfen, oder die Schienenpartisanen. Die Menschenrechtsorganisation Wjasna hat nachgerechnet, dass die neue Gesetzsprechung Prozesse in Abwesenheit nach 43 Artikeln erlaubt. Darunter fallen: Verschwörung, Genozid, Staatsverrat, Söldnertum.

    Offenbar stehen die Behörden im Zuge der politischen Repressionen vor einem Problem. Es gibt eine klare Anweisung von Lukaschenko, den Grad der Repressionen aufrechtzuerhalten. Doch jene Bürger, die an den Protesten teilgenommen hatten, wurden entweder bereits verurteilt oder sind emigriert. Wo soll man neue Menschen für die Festnahmen herbekommen?

    Um das Problem zu lösen, gehen die Silowiki in verschiedene Richtungen vor. Einerseits verurteilen sie die, die schon bestraft wurden und auf „schwarzen Listen“ stehen, zum zweiten Mal. Andererseits weiten sie die Repressionen auf immer neue gesellschaftliche Sphären aus. So werden zum Beispiel Menschen verhaftet, weil sie in den sozialen Netzwerken Kommentare zum Krieg in der Ukraine veröffentlichen, die nicht der offiziellen Position entsprechen.

    7. Wie genau haben sich die Repressionen in den letzten zwei Jahren verändert?

    Im Eilverfahren wurden repressive Gesetze erlassen. Nicht nur oppositionelle Aktivitäten wurden kriminalisiert, sondern das Andersdenken an sich. Der Begriff „Extremismus“ wird quasi uneingeschränkt auf jede Form der gesellschaftlichen Aktivität angewendet. So gelten zum Beispiel die „Diskreditierung von Staatsorganen und der Republik Belarus“ oder das „Schüren von sozialem Unfrieden“ et cetera als Extremismus. 

    Angeklagte nach „politischen“ Artikeln werden mit bis zu 18 Jahren Freiheitsentzug bestraft. In Belarus wurde die Zivilgesellschaft praktisch verboten und öffentliche Organisationen liquidiert. Jeden Tag gibt es Nachrichten von neuen Verhaftungen, Durchsuchungen, Gerichtsurteilen. Laute Prozesse gegen politische Opponenten finden hinter verschlossenen Türen statt.

    Man geht dazu über, Menschen für Dinge zu verurteilen, die schon lange zurückliegen. Am 22. Juni stand Nikolaj B. in Janow vor Gericht, weil er vor fünf Jahren einen Beitrag von Radio Svaboda geteilt hatte. Die Journalistin Katerina Andrejewa wurde zu acht Jahren Haft aufgrund von „Staatsverrat“ verurteilt – wegen eines alten Artikels, der damals nicht einmal als Ordnungswidrigkeit betrachtet wurde. Damit haben die Behörden auch jene Rechtsnorm außer Kraft gesetzt, wonach die Gesetzgebung nicht rückwirkend gilt.

    8. Hat die Protestbewegung eine Chance, einen politischen Wandel in Belarus zu erreichen?

    Das kann niemand mit Sicherheit sagen. Heute gibt es zwei Faktoren, die eine Gefahr für das herrschende Regime und eine Chance für die Protestbewegung darstellen: Einerseits würde ein möglicher Niedergang des Putin-Regimes in Russland infolge der Misserfolge im Krieg gegen die Ukraine dem Lukaschenko-Regime einen schweren Schlag versetzen. Auf dem Höhepunkt der Proteste 2020 war es die Unterstützung Putins, die Lukaschenkos Macht im kritischen Moment maßgeblich gesichert hat. Das hat wiederum zu einer fatalen Abhängigkeit des belarussischen Regimes vom Kreml geführt. Deshalb würde sich eine Krise des russischen Regimes unweigerlich auch auf Belarus niederschlagen.

    Zweitens, die drastische Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Belarus durch die westlichen Sanktionen: Bisher war Russland die wichtigste Hilfsquelle für die belarussische Wirtschaft. Nun befindet sich die Russische Föderation selbst in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage und kann Belarus nicht für alle Verluste entschädigen. Russland ist für Belarus inzwischen mehr zu einer Problemquelle als einer Quelle der Hilfe geworden. Die Unzufriedenheit der Menschen mit ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation könnte infolgedessen sehr unerwartete Formen annehmen.

     

    *Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.

    Text: Waleri Karbalewitsch 
    Übersetzerin: Jennie Seitz
    Veröffentlicht am: 09. August 2022

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    Im Griff der Macht

    Der belarussische Fußball ist mit seinen Vereinen, Verbänden und Sportfunktionären tief in das politische System des autoritären Staates verstrickt. Ein System, das in den vergangenen zwei Jahren wiederholt sowohl Fans als auch die Sportler selbst repressiert hat. 

    Im Gegensatz zu den russischen Fußballvereinen, die von der UEFA wegen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine suspendiert wurden, können die belarussischen Vereine an den Qualifikationsrunden der europäischen Wettbewerbe teilnehmen. Übrig geblieben ist allerdings nur noch der aktuelle belarussische Meister Schachzjor Salihorsk, der in der dritten Qualifikationsrunde der Conference League am heutigen Donnerstag ein Heimspiel gegen den rumänischen Verein CFR Cluj bestreitet. Allerdings hat der europäische Fußballverband den Belarussen untersagt, ihre Heimspiele in Belarus auszutragen, also findet das Spiel im türkischen Adazpan statt. In der Gruppenphase könnte Salihorsk auf den 1. FC Köln treffen. Die Klubführung des Fußball-Bundesligisten hatte kürzlich in einem Brief an UEFA-Präsident Aleksander Čeferin den Ausschluss aller belarussischen Teams gefordert, weil die belarussischen Machthaber den russischen Angriffskrieg unterstützten.

    Der Sportjournalist Jegor Chawanski analysiert in diesem Beitrag die politische Verstrickung, dazu den aktuellen Zustand des belarussischen Fußballs und seine sportlichen Missstände, die zu einer historischen Krise geführt haben.

    Dieser Artikel gehört zu unserer Reihe Platforma, in der russische, belarussische oder auch ukrainische Journalistinnen und Journalisten schreiben und Einblick in aktuelle Debatten und Entwicklungen zu osteuropäischen Themen liefern. Die Texte werden weitgehend von Journalistinnen und Journalisten geschrieben, die sich gezwungen sahen, aufgrund der Repressionen in ihren Ländern ins Exil zu gehen.

    РУССКАЯ ВЕРСИЯ

    „Man könnte denken, dass ich die Nationalmannschaft Brasiliens trainiere.“ So lautete die Reaktion von Georgi Kondratjew, dem Cheftrainer der belarussischen Fußballnationalmannschaft, auf die Kritik nach einer weiteren Pleite seines Teams. Vor zehn Jahren noch hatte Kondratjew die belarussische U-21 zum dritten Platz bei der Europameisterschaft geführt und das Ticket zu den Olympischen Spielen geholt. Jetzt ist er ein passives Element in einem System, das die Nationalmannschaft in Europa zu einem Außenseiter werden ließ, und durch das der belarussische Fußball jetzt geächtet ist. Wie ist es dazu gekommen?

    Eine Pyramide der Loyalität

    Seit 28 Jahren schon ist es Alexander Lukaschenko, der in Belarus praktisch jeden ernennt, vom Premierminister bis zu den Landräten. In dieser Nomenklatur-Pyramide ist für Illoyalität kein Platz: Die Bürokraten sind nicht den Bürgern gegenüber verantwortlich, sondern dem, der sie auf ihren Posten gesetzt hat.

    Auch im Sport werden die wichtigsten Posten nicht ohne Absegnung von ganz oben besetzt. Von 1997 bis 2021 war Lukaschenko höchstpersönlich Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, bis er mit Sanktionen belegt wurde und den Posten abgab – an seinen ältesten Sohn Viktor. Im Sessel des Sportministers sitzt ein ehemaliger Sicherheitsbeamter Lukaschenkos, und die formal unabhängigen Sportverbände werden von Funktionären geleitet. Nahezu alles im belarussischen Sport wird vom Staat finanziert. Viele Einzelsportler gehören den Sicherheitsbehörden an und dienen offiziell in der Armee, in der Miliz oder im KGB

    Der Fußball ist in dieser Pyramide keine Ausnahme: Der belarussische Fußballverband ABFF ist noch nie von Sportlern geleitet worden. Sein aktueller Vorsitzender, Oberst Wladimir Basanow, war zuvor Militärkommissar und Abgeordneter des belarussischen Parlaments. Basanow hatte versprochen, dass die Nationalmannschaften unter seiner Führung in die Endrunden der großen internationalen Turniere einziehen und die Klubs regelmäßig die Gruppenphase der Europapokale erreichen würden. Diese Vorgabe wurde bald korrigiert: Die Nationalmannschaft solle sich erst 2028 für die EM qualifizieren. Unterdessen macht der belarussische Fußball, der ohnehin keine Höhenflüge erlebt, unter Basanows Führung auch noch durch ständige Pleiten und Skandale von sich Reden.

    Sonderweg während der Corona-Pandemie 

    Die Startbedingungen für die neue Führung des ABFF waren 2019 nicht schlecht. Das Image des belarussischen Fußballs hatte sich gebessert, die Spiele wurden jetzt live übertragen, die Nationalmannschaft erhielt mit den „Weißen Flügeln“ ein Markenzeichen und schöne neue Trikots mit nationalem Ornament. Auch sportlich gab es Anlass zur Freude: Die Nationalmannschaft erreichte die Playoff-Spiele der Nations League und hatte eine realistische Chance, sich erstmals für die EM zu qualifizieren. Und der einstige Dauermeister BATE Baryssau erreichte in der Saison 2018/19 das Playoff der Europaliga. Von Wladimir Basanow wurde erwartet, dass er diese Lage nicht verspielt, und tatsächlich besuchte er anfangs viele Spiele und demonstrierte sein Engagement als Verbandschef.

    Das alles änderte sich im März 2020. Die Führung des ABFF ließ während der Corona-Pandemie die belarussische Meisterschaft beginnen, und so wurde Belarus zum einzigen Land in Europa, in dem noch Fußballspiele stattfanden. Auf staatlicher Ebene wurden die Gefahren durch das Coronavirus geleugnet, und so war es die Aufgabe des Funktionärs Basanow, eines zu zeigen: Der belarussische Weg bei der Bekämpfung des Virus ist derart effektiv, dass das gewohnte Leben weitergehen kann. Also mussten die Fußballer Fußball spielen und die Fans ins Stadion kommen.

    Die Fans der meisten belarussischen Klubs erklärten allerdings einen Boykott der Spiele und die Besucherzahlen brachen um 70 Prozent ein. Dieser „Sonderweg“ hatte allerdings auch etwas Positives: In Russland, der Ukraine, in Israel und anderen Ländern wurden die Übertragungsrechte für Spiele der höchsten belarussischen Spielklasse, der Wyscheischaja Liha, gekauft (um wenigstens irgendwas zu zeigen). Medien schrieben weltweit über den belarussischen Fußball, und es bildeten sich internationale Fanklubs. Als der Sport in die europäischen Stadien zurückkehrte, erlosch das Interesse an der Wyscheischaja Liha jedoch wieder.

    Spieler von Krumkatschy Minsk in Trikots mit der Aufschrift „My supraz gwaltu“ (dt. „Wir sind gegen Gewalt“). Alexander Iwulin, ein Spieler des Teams und zugleich Blogger, wurde wegen Beteiligung an der Protestaktion zu zwei Jahren Strafkolonie verurteilt. / Foto © nashaniva.com

    Die Wahlen 2020, die Proteste und der Fußball

    Im August 2020, wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl, tauchte in Social-Media-Kanälen des ABFF ein Werbeclip für Alexander Lukaschenko auf, und Basanow wurde bei Veranstaltungen zur Unterstützung des Regimes aktiv. Politik war nun gefährlicher als das Coronavirus: Aus Angst, dass die Fans die Stadien zu Protesten nutzen könnten, fanden die Spiele ohne Zuschauer statt oder wurden verlegt.

    Nach der Wahl und der brutalen Unterdrückung der Proteste blieben die Fans den Stadien endgültig fern, während Hunderte belarussische Fußballer, Trainer und Schiedsrichter sich gegen die Gewalt aussprachen. „Ich weigere mich, die Interessen der Nationalmannschaft zu vertreten, solange das Regime Lukaschenko herrscht“, schrieb der junge Stürmer Ilja Schkurin auf Instagram. Seitdem spielt er nicht mehr für die Nationalmannschaft und ist nicht mehr nach Belarus zurückgekehrt.

    Basanow hatte anfangs versprochen, dass Spieler oder Vereine nicht für ihre Haltung bestraft würden. Als die Proteste jedoch immer weiter unterdrückt wurden, erreichten die Repressionen auch den Fußball. In die Nationalmannschaft wurden keine Spieler mehr berufen, die sich gegen die Gewalt geäußert hatten. Um der ideologischen Reinheit Willen opferte der Verbandschef sogar die Chance, sich für die EM zu qualifizieren.

    Die Säuberungen erfassten auch die Sportpresse, und Klubs wurde empfohlen, keine Verträge mit unliebsamen Spielern und Trainern abzuschließen. Die Verträge werden letztendlich im Sportministerium bestätigt, und viele Profis, die eine „falsche“ Meinung haben, erhalten dort eine Absage. Dem Fußballclub Krumkatschy Minsk, der sich offen gegen die Gewalt ausgesprochen hatte, wurde erst der Weg in die Wyscheischaja Liha verwehrt, dann folgte der erzwungene Abstieg in die dritte Liga.

    Im Herbst 2020 kam Wladimir Basanow auf die Sanktionslisten von Litauen, Lettland und Estland. Die Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) hatte die UEFA mehrfach auf Fälle von Diskriminierung im belarussischen Fußball hingewiesen, was allerdings ergebnislos blieb. Dabei wird die Tätigkeit Basanows, der sich superloyal gibt, sogar vom Regime und der Propaganda nicht sonderlich hoch geschätzt. Sportminister Sergej Kowaltschuk bezeichnete das Niveau des belarussischen Fußballs als „Saustall und Sumpf“ und auch Lukaschenko hat den Fußball kritisiert.

    „Herzensangelegenheit auf Pause gestellt“. Die Lage der Fans

    Die Fußballfans in Belarus waren früher keine relevante politische Kraft. Die Ereignisse in der Ukraine 2014 haben jedoch alles verändert. Die Fans, von denen ein Teil früher mit russischen imperialen Vorstellungen sympathisierte, interessierten sich nun für die nationale Kultur und pflegten verstärkt das Belarussische. Sowohl beim Euromaidan wie auch im Donbass-Krieg spielten ukrainische Ultras eine wichtige Rolle. Das inspirierte die belarussischen „Kollegen“ und alarmierte die Sicherheitsbehörden im Nachbarland.

    Bereits bei der Präsidentschaftswahl 2015 hatte es immer mehr Meldungen über Festnahmen junger Menschen gegeben, bei denen eine Zugehörigkeit zur Ultra-Kultur hervorgehoben wurde. Mit diesen „Säuberungen“ war die Hauptverwaltung für den Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption (GUBOPiK) des Innenministeriums befasst. Gegen Ultras wurden Strafverfahren angestrengt, die zum Teil absurd waren: Vitali, Pseudonym „Puma“, ein bekannter Fan von Dynamo Minsk, wurde 2017 zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt, weil er im Internet eine Kondomwerbung geteilt hatte – das Gericht hatte hierin Pornographie ausgemacht.

    2020 hat sich die GUBOPiK endgültig in eine politische Polizei verwandelt und stand bei der Unterdrückung der friedlichen Proteste gegen die gefälschte Wahl an vorderster Front. Die Sicherheitsbeamten bliesen zur Jagd auf Ultras, Anarchisten und Anhänger anderer Subkulturen, auf alle, die ihrer Ansicht nach dem Regime Lukaschenko gegenüber nicht loyal waren. Am 22. August 2020 wurde in Minsk Nikita Kriwzow, ein Fan des FK Maladsetschna, erhängt aufgefunden. Am Tag der Präsidentschaftswahl war er vor einer Kette von Milizionären mit der weiß-rot-weißen Protestflagge gesehen worden. Die Ermittlungen kamen zu dem Schluss, dass Kriwzow Selbstmord begangen habe, doch glaubt das kaum jemand.

    Nach Einschätzung von Menschenrechtlern gab es in Belarus mit Stand vom 10. Juli 1236 politische Gefangene. Unter ihnen sind Dutzende Ultras, wobei in Mosyr, Soligorsk, Molodetschno, Minsk und Orscha besonders viele verhaftet wurden. Muss da noch erwähnt werden, warum die Fans den Stadien fernblieben? „Ohne aktive Unterstützung ist es nur ein Spiel mit einem Ball. Wir haben unsere Herzensangelegenheit auf Pause gestellt. Für einen echten Fan, für jemanden, der mit der Mentalität eines Ultras lebt, ist das sehr hart“, lautet die Analyse eines Ultras.

    Auch gewöhnliche Anhänger haben es nicht leicht. Die Kontrollen der Miliz beim Einlass sind überaus streng; sie wurden nach der Wahl weiter verschärft. Die Klubs arbeiten schlecht und auch die Qualität des Fußballs kann einen kaum ins Stadion locken. 2012 kamen durchschnittlich 2014 Zuschauer ins Stadion, 2021 waren es nur noch 1422.

    Wie steht es um die belarussische Meisterliga und die Nationalmannschaft?

    In der aktuellen belarussischen Wyscheischaja Liha spielen 16 Teams. Viel zu viele. Jahr für Jahr haben viele Teams mitten in der Saison finanzielle Schwierigkeiten, weswegen einige dann die Saison nicht zu Ende spielen können. Die jüngsten Ereignisse haben zusätzlich Wirkung gezeigt. Wegen der Sanktionen, von denen die Besitzer der Klubs direkt betroffen sind, können diese sich keine hochklassigen Legionäre mehr leisten; es wurde eine Obergrenze für die Gehälter eingeführt und ein bestimmtes Kontingent an jungen Spielern, das auf dem Platz stehen muss.

    Die 13-jährige Vorherrschaft von BATE Baryssau wurde zunächst von Dynamo Brest durchbrochen, das von Alexander Saizew finanziert wird. Saizew, ein Lukaschenko nahestehender Unternehmer, holte Diego Maradona nach Brest und machte ihn zum Vorstandsvorsitzenden des Klubs. Er geriet jedoch auf die Sanktionsliste und musste sich sowie sein Kapital aus dem belarussischen Fußball zurückziehen und seine Ambitionen aufgeben. Dynamo Brest gehört seit 2021 wieder dem belarussischen Staat, der Verein Ruch Brest wurde liquidiert.

    Die letzten zwei Meistertitel errang der FK Schachzjor Salihorsk. Doch auch dieser Verein, der von dem sanktionierten Konzern Belaruskali finanziert wird, hat es nicht leicht. All das schlug sich in den Ergebnissen der Vereine nieder: In den letzten drei Saisons konnte sich keines der Teams in einem europäischen Wettbewerb für die Gruppenphase qualifizieren, 2021 war sogar spätestens in der zweiten Qualifikationsrunde Schluss. Hinzu kam, dass die Klubs und die Nationalmannschaft nach der erzwungenen Landung der Ryanair-Maschine im Mai 2021 und dem Beginn des Krieges in der Ukraine ihre internationalen Spiele nicht mehr in Belarus austragen dürfen.

    Die Krise der Nationalmannschaft ist sogar noch heftiger. Trainer, die etwas auf sich halten, weigern sich, ein angeschlagenes Team zu übernehmen. Und die Führungsspieler weigern sich, zurückzukommen. Die Folge sind Negativrekorde wie das historische 0:8 gegen Belgien oder lange Serien von Niederlagen bei offiziellen Spielen, die Belarus in die unterste Etage des europäischen Fußballs abrutschen ließen. Im neuesten Ranking der UEFA belegt Belarus sogar den letzten Platz.

    Die Stagnation im Fußball ist ein Spiegelbild der Lage im Land

    Der belarussische Fußball steckt eindeutig in einer Krise. Doch den Verantwortlichen ist sehr bewusst, dass ihre Karriere nicht von Ergebnissen abhängt, sondern von ihrer Loyalität gegenüber dem Regime. Sie bleiben trotz aller Pleiten, die den belarussischen Fußball auf das Niveau der 1990er Jahre zurückwarfen, auf ihren Posten. Damals konnten junge ambitionierte Manager und Trainer die Karre aus dem postsowjetischen Loch ziehen; heute jedoch ist es gefährlich, Initiative zu zeigen. Der Fußball in Belarus schmort im eigenen Saft: Belarussische Spieler streben keine Karriere im Ausland an und Legionäre aus dem Ausland haben kein Verlangen nach einer toxischen Liga mit leeren Stadien. Das Niveau sinkt generell. Es wachsen keine neuen Stars heran – trotz der Pflichtkontingente von jungen Spielern in der Startaufstellung.

    Die Stagnation im Fußball ist ein Spiegelbild der Lage im Land. Der belarussische Fußball wird sich nur dann aus dieser Lage befreien können, wenn sich auch das Land ändert – ein Umbruch im Sport wird erst mit einem politischen Wandel möglich.

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    „Als Staatsbürger fühlt man sich in Belarus schutzlos“

    Allein im ersten Jahr nach dem Beginn der historischen Proteste 2020 haben zwischen 100.000 und 150.000 Belarussen ihre Heimat verlassen – aus Angst vor Festnahme und Repression. Mittlerweile dürfte die Zahl um ein Vielfaches gestiegen sein. Vor allem in Polen und Litauen versuchen sie, sich ein neues Leben aufzubauen. Dorthin sind auch viele Belarussen in einer Art zweiten Flucht gegangen, nachdem sie zunächst in die Ukraine geflohen waren, dann aber aufgrund des Krieges auch diese kurzfristige Wahlheimat wieder verlassen mussten. Mittlerweile verweigert die Ukraine Belarussen in vielen Fällen auch offiziell die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung wegen der Unterstützung des Krieges durch das Lukaschenko-Regime. Machthaber Alexander Lukaschenko hat das belarussische Staatsgebiet der russischen Führung als Aufmarschgebiet für die Großinvasion gegen die Ukraine zur Verfügung gestellt, bis heute werden von Belarus aus Raketen geschossen. 

    Einer von denen, die unfreiwillig in der Diaspora gelandet sind, ist der belarussische Schriftsteller Sergej Kalenda, der auch Herausgeber der renommierten Literaturzeitschrift Minkult ist. Er hat Belarus zu Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 verlassen. 

    Im Interview mit dem belarussischen Online-Medium Nasha Niva erzählt Kalenda von seiner Flucht, von den Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Fremde anzukommen, von der Zukunft der belarussischen Literatur und letztlich davon, wie schmerzvoll es ist, zuzusehen, wie seine Heimat immer tiefer in Repressionen versinkt.

    Sergej Kalenda / Foto © Nasha Niva
    Sergej Kalenda / Foto © Nasha Niva

    Warum haben Sie Belarus verlassen, was war der Auslöser für diese Entscheidung?

    Wir haben in Belarus viel gekämpft, um alles in der Welt. Zuerst hatten wir gar nicht vor, das Land zu verlassen, zu Beginn waren wir ja sehr euphorisch und wollten vieles verbessern. Als alles unterdrückt, alle der Reihe nach verhaftet wurden, stellte sich die Frage: „Was machen wir jetzt?“ Bis zuletzt haben wir nichts unternommen. Ich beschäftigte mich weiter mit der Zeitschrift Minkult, blieb Partisan und half anderen (so wie wahrscheinlich alle Belarussen, das ist ein unverzichtbarer Teil unseres Lebens, der immer bestehen bleiben wird).

    Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war ein Anruf meines Bruders am 24. Februar um sechs Uhr morgens. Er lebt in Russland an der Grenze zur Ukraine, in Brjansk. Er sagte, alles sei voller Soldaten, die Kampfjets seien unterwegs, ringsum Bomben – der Krieg hat begonnen. Ich sagte damals sofort, das reicht – wir sind weg. Weil es mich nicht interessiert, für das heutige Belarus in den Krieg zu ziehen. Und auch nicht, für meine Werke im Knast zu landen.

    Ich habe Freunde, die sagen, sie bleiben und sind bereit, für Belarus ins Gefängnis zu gehen. Sie finden, mit einem solchen Schritt würden sie in die Zukunft des Landes investieren. Ich sehe meinen Nutzen nicht darin, hinter Gittern zu sitzen, sondern vielmehr in den Zeitschriften und literarischen Texten, die ich produziere. Und in dem, was ich meinen Kindern bieten kann, natürlich.       

    In Minsk waren Sie als Friseur einen Monat im Voraus ausgebucht, haben Sie Ihre Kunden einfach hängen lassen?

    Ja, von heute auf morgen habe ich hingeschmissen und niemanden vorgewarnt. Nicht einmal mein Vater wusste, dass ich nach Vilnius gehe. Ich habe mich einfach zurückgezogen und alles so gemacht, wie ich es wollte. Meine Frau hat mich natürlich unterstützt. Sie war ohnehin nur noch mir zuliebe in Minsk. Für mich war das so: Als Corona begann, saßen wir zu Hause, und ich so – gleich wirst du sehen, wie wichtig es ist, seinen eigenen Grund und Boden zu haben, abseits von allen anderen (wir hatten nämlich Haus und Garten). Mein Plan war, selbst Gemüse anzubauen und uns von der Epidemie fernzuhalten. Dann begann die Revolution, und ich sagte: Jetzt verteidigen wir Belarus, und dann bauen wir ein großes Haus bei Rudensk. Ich gab sogar schon die Pläne in Auftrag, mit toller Architektur, die Vermessung. Ich wollte da nach dem Sommer Schreibwerkstätten für befreundete Schriftsteller veranstalten.  

    Aber dann beschlossen wir, dass wir weiter weg müssen – nach Europa.    
    Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie mein Sohn leben soll, wenn der Krieg auch über Belarus kommt. Und was er davon mitnimmt, was für Werte er haben wird. 

    Wir wollten immer Veränderungen, damit unser Leben weniger langweilig wird  

    Ich bin mein Leben lang mit freien Ideen aufgewachsen, meine Mutter hat mir von klein auf die Freiheit gelassen. Ich war am Gymnasium Nummer 29, da haben die Lehrer im Literaturunterricht Diskussionen gefördert (wenn ihr nicht diskutiert, habt ihr schlampig gelesen). Überhaupt war die ganze Klasse interessant: Mein Mitschüler Andrej zum Beispiel war der Enkel von Wladimir Gontscharik, der einmal bei den Präsidentenwahlen kandidiert hat. Schon in der elften Klasse haben wir überall patriotische Igel-Aufkleber verteilt. Und im Hof hatte ich überhaupt lauter Punks als Freunde. Wir wollten immer Veränderungen, damit unser Leben leichter und weniger langweilig wird.    

    Aber jetzt verstehe ich einfach nicht, wie das gehen soll – losgehen, um sich ein rotes Tuch umzubinden und den Schultag mit der Hymne anzufangen. Überhaupt ist es undenkbar, an einem Ort weiterzuleben, wo alle im Knast sind. Oder dass mein Sohn hier groß wird, mit 15 auf die Barrikaden steigt und eingesperrt wird. Ich will, dass er rausgeht und in dem Land, in dem er aufwächst, etwas bewirkt. Und dass er dafür, das auszuprobieren, nicht erschossen wird.  

    Was das Stichwort „weiter weg“ angeht, so sagen manche, Vilnius sei mit all den Drohungen in Richtung NATO und den Gesprächen über die Suwalki-Lücke nicht wirklich sicher … 

    Abgesehen von Minsk habe ich am längsten in Vilnius gelebt, hier ist mir alles mehr oder weniger vertraut und nahe, deswegen haben wir uns für diese Stadt entschieden. Aber im März, fast sofort, nachdem wir angekommen waren und ich in einem Friseursalon angefangen hatte, kamen meine litauischen Kollegen natürlich mit ihren Ängsten auf mich zu. Sie sagten ganz direkt, dass sie sich vor einem Krieg und einer Okkupation fürchten, und es hat einfach alles gezittert vor Angst.

    Ich erklärte meinen Kollegen aber, dass dieser ganze Horror absolut nicht vergleichbar ist mit einer Situation, in der du null Unterstützung hast, so wie in Belarus. In Litauen wird der Staat versuchen, dich zu schützen, die NATO, das eigene Militär. In Belarus kräht leider kein Hahn nach dir, was man schon am Beispiel des Coronavirus gesehen hat und jetzt an den militärischen Vorgängen, die sich auf unserem Territorium abspielen. 

    Als Staatsbürger fühlt man sich in Belarus schutzlos, und das lässt einem keine Ruhe und gesteht einem nicht zu, gut zu leben. Du sitzt nur da und machst dir Sorgen, entweder, dass sie dich einsperren oder dass du stirbst, weil ja der Krieg beginnt. 

    Wie schnell haben Sie sich eingelebt?

    Meine Freunde sagten, ich bin Weltmeister darin, auf schnellstem Wege Wohnung und Arbeit zu finden. Auf der Fahrt nach Vilnius, an der Grenze, sagte ich zu meiner Frau: Wenn wir in zwei Monaten nicht Wohnung und Arbeit haben, dann ist Vilnius nichts für uns, dann fahren wir weiter. 

    Foto © Nasha Niva
    Foto © Nasha Niva

    Nach drei Tagen bekam ich ein Jobangebot im Schönheitssalon Figaro. Wobei 60 Prozent meiner Kunden aus Minsk bereits hier sind, sodass ich nie ein Problem mit dem Kundenstamm hatte. Na ja, und Figaro ist ein Privatunternehmen, das seit Anfang der 1990er besteht und heute eine der größten Ketten ist. Ich wusste, dass sie viele Angestellte beschäftigen und ich bei ihnen als Marktführer anklopfen muss. Sie suchten gerade gute Stylisten, Allrounder, die auch als Ausbilder neuer Schnitttechniken eingesetzt werden können.

    In einem Interview haben Sie erzählt, dass Sie einmal einem Ex-KGB-Mitarbeiter die Haare geschnitten haben. Würden Sie das heute noch tun?

    Wenn so etwas in Vilnius vorkommen würde, dann hätte ich hier das Recht, den Auftrag abzulehnen: Hier gilt nicht, dass der Kunde immer recht hat. Ein Fachmann kann eine Leistung verweigern, wenn er ein Problem damit hat. In Minsk wäre ich in der Falle: Würde ich ablehnen, könnte es Konsequenzen geben. 

    Jedenfalls ist es mir an diesem neuen Ort sofort besser gegangen. Das wirkte sich positiv auf den Schwung in meinem literarischen Schaffen aus. Ich fing wieder an zu schreiben, kehrte zurück zu den Plänen, die ich anderthalb Jahre lang aufgeschoben hatte. Hier habe ich die Ressourcen, kreativ zu sein und nicht nur Geld zu verdienen, das ist wichtig.  
    Ich fand sofort die Kraft, um eine neue Ausgabe von Minkult zu machen.

    Erzählen Sie mal, in welcher Produktionsphase sich Ihre Literaturzeitschrift derzeit befindet?

    Wir hatten zwei neue Ausgaben geplant: eine zu Reisen und Emigration und eine zum Krieg in der Ukraine. Die zweite liegt noch auf Eis: Ich habe ukrainische Kollegen kontaktiert, aber sie wollen momentan keine Einschätzungen und Texte liefern, weil ja für sie (wie auch für uns) der Krieg weitergeht. Und irgendwelche Zwischendurch-Texte will niemand so recht schreiben. 

    Reisen und Emigration habe ich nicht einfach nur so zusammengemixt. Diese zwei Konzepte widersprechen einander und gehören gleichzeitig zusammen: Es gibt Leute, die gehen auf Reisen und daraus wird eine Emigration, und andere wieder wandern aus, aber betrachten das als Reise, sind nicht an einen festen Punkt gebunden.

    Die Belarussen sind nicht zum ersten Mal dazu gezwungen, ihr Land zu verlassen, aber wir wissen trotz allem, dass wir zurückkommen und wieder etwas Neues und Interessantes beginnen werden. Für mich ist die wichtigste Frage, wann das passieren wird: Ob ich noch die Mittel haben werde, mir an einem neuen Ort wieder ein Leben aufzubauen, oder schon nicht mehr.

    Ich wünsche mir, dass die Zeitschrift [Minkult – Anm. dek] in ihrer Form weiter besteht. Dass sich die 300 Menschen finden, die das brauchen. Eine engagierte Leserschaft, die die Zeitschrift erhält, an Bibliotheken verschickt, Bookcrossing betreibt. Auf diese Weise werden gedruckte Exemplare irgendwann auf Malaysia auftauchen, und das hat doch was.
    Zumal ich provokative Texte sammle, die meist nicht in anderen Zeitschriften unterkommen, weil diese auf ein bestimmtes Format, eine Etikette achten. Ich mag Punk in der Literatur, und es soll auch bei uns alternative Literatur geben. 

    Ist es für einen Schriftsteller ein Geschenk oder eine Heimsuchung, in so einer schwierigen historischen Zeit zu leben?

    Es gibt so einen Begriff wie Schaffenskrise, Schreibblockade. Der oft nicht von den Geschehnissen rundherum abhängt. Manche Schriftsteller leben in ihrem eigenen Universum, kapseln sich ab, für sie ist es unwesentlich, wo sie leben (werden), um ihre Literatur zu erschaffen.

    Aber ich muss da an ein Gespräch mit einem deutschen Schriftsteller in Berlin denken. Das war 2010, als unsere Proteste noch nicht so allgemein bekannt waren, es sie aber schon gab. Er sagte damals: ‚Ihr habt das Glück, in Krisenzeiten zu leben, in denen das Kunstschaffen brisanter wird.‘ Ich sah ihn an, er war teuer eingekleidet, trank teuren Sekt in einem Coworking-Space für Kreative. Und gab zurück: ‚Ich würde lieber leben wie du, ohne mich zu sorgen, ohne das Geld abzuzählen, und irgendwas schreiben wie Beckett.‘ Du erzählst mir was von ‚besseren Zeiten‘, und mir liegt nichts mehr am Herzen als die Rückkehr zu meiner kranken Mutter und zu neuen Protesten. Ich glaube, die Literatur wird in solchen Zeiten gehässiger. Aber ich habe Kinder, weswegen ich jetzt angefangen habe, mehr für Kinder zu schreiben. 

    Für Kinder erschaffe ich die Kindheit, die ich ihnen geben, zeichnen kann, Trash und Krieg können sie nicht gebrauchen 

    Obwohl – seit dem Beginn von Corona habe ich auch Material für ein Buch gesammelt. Von Februar 2020 bis Jahresende habe ich Nachrichten notiert, Gespräche, das, was ich durchlebe – mir war klar, dass das ein wichtiger historischer Moment ist. Ich habe die Ereignisse rundherum festgehalten und chaotisch noch etwas dazu erfunden. Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich mir darin der Kunst wegen ausgedacht habe und was real war. Und was ich damit tun soll – da sind 180 Seiten A4. Jedes Mal, wenn ich die Datei aufmache – na, gute Nacht. Wie man das alles zu einem vollwertigen Buch verarbeiten soll, ohne an Depressionen zu sterben – keine Ahnung. Wir sind ja da jeden Tag einen kleinen Tod gestorben. Ich kann noch nicht darauf zurückkommen. Wann das soweit ist, weiß ich nicht. Es gibt ein paar Texte, die zehn oder fünfzehn Jahre bei mir herumliegen können.   

    Ist Kinderliteratur für Sie jetzt auch eine Art Rettung vor der Realität?

    Ja. Vor allem, weil mein Sohn erst drei ist. Da werde ich ihm nicht vom Krieg erzählen. In Belarus hab ich es mit ihm gemacht wie im Film „Das Leben ist schön“, wo der Vater dem Sohn auch im KZ die heile Welt vorgaukelt. Für Kinder erschaffe ich die Kindheit, die ich ihnen geben, zeichnen kann, Trash und Krieg können sie nicht gebrauchen.   

    Wenn Sie an die belarussischen Nachrichten aus der Welt der Literatur denken, was war da für Sie in letzter Zeit am bittersten?

    Am meisten hat mir die Sache mit Andrej Januschkewitsch und seinem Verlag zugesetzt. Zuerst muss er sein Büro räumen, wodurch er gezwungen ist, seine Auflagen zu verkaufen, weil er kein Lager hat. Neue Bestellungen lehnt er ab. Sie lassen ihm ein paar Monate „Ruhe“. In dieser Zeit findet Andrej neue Räume, investiert dort in eine Renovierung, den Umzug, die Miete, und einen Tag nach der Eröffnung wird er festgenommen. Das ist niederträchtig – zu warten, bis die Person wieder anfängt, ihr Unternehmen aufzubauen, um sie dann nicht nur mit ein paar Tagen Haft, sondern auch finanziell zu bestrafen. Damit du dich nicht wieder aufrappeln kannst. Das ist eine schreckliche Vorgehensweise, zusammen mit den Pogromen in den Wohnungen: Als Prokopjew nach dem ersten Pogrom gerade seine Wohnung wiederhergestellt hatte, haben sie sie ihm wieder auseinandergenommen. Das ist Rache auf dem Niveau eines dämlichen Rindviehs. 
    Ich hoffe, dass Andrej sein Unternehmen im Ausland wieder aufnehmen wird, wo es ihm möglich ist, gefahrlos zu arbeiten. 

    Was erwartet die belarussische Literatur im Land unter Bedingungen, in denen Buchläden geschlossen werden, der Verband belarussischer Schriftsteller aufgelöst, Tscherginez zum „Volksschriftsteller“ erklärt und Alhierd Bacharevič Roman Hunde Europas als extremistisch eingestuft wird?

    Unter solchen Bedingungen wird Literatur sterilisiert. Tscherginez wird Bücher machen und Lukaschenko das zeigen, was gewünscht ist. Es wird wieder Gedichte über Pusteblumen und irgend so einen Scheiß geben. Es wird keine konkurrenzfähigen Bücher mehr geben, nicht die Art von Literatur, die in der Schul-Lektüre überhaupt nur auftauchen könnte. Angesehene Schriftsteller werden sich erneut im Ausland wiederfinden – in Białystok und Vilnius.  

    Was lesen Sie selbst gerade, und was können Sie als „Must-Read“ empfehlen?

    Im Moment lese ich tatsächlich vor allem die Texte, die mir für Minkult zugeschickt werden. Was ich so nebenbei, beim Autofahren, höre ist derzeit das Hörbuch Beim Häuten der Zwiebel von Günter Grass und Ansichten eines Clowns von Heinrich Böll. Das sind zwei deutsche Nachkriegsschriftsteller, die sehr gründlich, ehrlich und packend das moderne Deutschland nach dem Krieg beschreiben. Ich bin darauf gekommen, um mich damit zu beruhigen, dass sogar dieser schreckliche Krieg mit den Faschisten irgendwann einmal zu Ende ging. Darin geht es darum, wie die Deutschen das Land wiederaufgebaut und in Ordnung gebracht haben. Und letztlich besser lebten als vor dem Krieg, weil sie zu einer neuen politischen Ordnung übergingen, Sozialismus durch Kapitalismus ersetzt haben. 
    Ich kann aus der Nachkriegszeit vor allem die deutschen Schriftsteller empfehlen. Die sowjetischen schrieben vor allem über den Krieg, aber die deutschen schrieben darüber, was man danach bewahren muss und wie. 

    Es gibt jetzt viele Diskussionen über die Verantwortung der Belarussen für den Krieg, es gibt viele Vorwürfe gegen uns. Haben Sie diesbezüglich so etwas wie Schuldgefühle?

    Schuldgefühle habe ich keine. Ich bin einfach böse auf den Schnauzbärtigen, und aus. Auch ein wenig auf die Generation unserer Eltern – sie haben ihn ja wirklich gewählt. 
    Mein Papa hat erzählt, er war in der Minsker Autofabrik im Streikkomitee, sie gründeten eine Gewerkschaft – und 1991 schnappten sie sich die Brecheisen und zogen los. Sie rissen die Lagerfabrik mit, die Traktorenfabrik, erreichten das Zentrum und hielten an: Und wie weiter nun? Das ist die Frage seiner ganzen Generation. Sie haben eine Bewegung ins Rollen gebracht, aber ein Anführer, der gesagt hätte, was zu tun ist, fand sich nicht. Sie ließen sich gängeln, mein Vater verlor sein Recht auf eine Wohnung, weil die Daumenschrauben wieder angezogen wurden, und das war’s dann mit ihrer Bewegung. Dabei war das damals wirklich ein Aufstand der Arbeiterklasse. Meinem Vater machte es sehr zu schaffen, dass es keinen Anführer gegeben hatte, und mir, dass sie nichts zuwege gebracht hatten.  

    2020 war natürlich anders. Wir wussten einfach, wenn wir irgendwelche bewaffneten Aktionen starten, dann wird es einen Krieg mit Russland geben. Wir sind ja alle nicht blöd, wir konnten nicht unser ganzes Leben und das Leben unserer Kinder riskieren. Bei uns wurde schon zu oft die Bevölkerung gesäubert, ständig wurde jemand wegen solcher Dinge erschossen. In meiner Kindheit sagte meine Großmutter zu mir, das Schlimmste in ihrem ganzen Leben seien die schwarzen Raben gewesen: „Gott behüte, dass die nie wiederkommen.“ Und allen sagte sie immer nur: „Bloß nicht aufmucken!“ 

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    Auch zwei Jahre nach Beginn der historischen Proteste in Belarus gehen die Machthaber um Alexander Lukaschenko nach wie vor mit Repressionen gegen die eigene Bevölkerung, gegen Aktivisten, Journalisten oder Organisationen vor. Kürzlich wurde die Journalistin Katerina Bachwalowa (Pseudonym: Andrejewa) zu acht Jahren Haft verurteilt. Sie hatte am 15. November 2020 die Demonstration am Platz des Wandels in Minsk für den TV-Sender Belsat live gestreamt. Außerdem wurden auch die fünf letzten verbliebenen unabhängigen Gewerkschaften per Gerichtsbeschluss verboten. Aktuell führt die Menschenrechtsorganisation Wjasna offiziell fast 1300 politische Gefangene auf ihren Listen.

    „Die Belarussen leben in einer Atmosphäre der Angst und Willkür“, sagt Anaïs Marin, UN-Sonderberichterstatterin zur Lage der Menschenrechte in Belarus. Über diese alltägliche Angst schreibt der Traurige Kolenka (russ. Grustny Kolenka). Dabei handelt es sich um eine Kunstfigur, die sich auf Twitter seit vielen Jahren zu belarussischen Belangen und Themen äußert, mittlerweile mehr als 350.000 Follower hat und seit kurzem eine regelmäßige Kolumne für das belarussische Online-Medium KYKY schreibt. Der Name Kolenka bezieht sich auf Kolja (Nikolaj) Lukaschenko, jüngster Sohn des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko. Seit seiner Kindheit begleitet der 2004 geborene Kolja seinen Vater bei Dienstreisen und zu Treffen mit anderen Staatsvertretern.

    Wir bringen die jüngste Ausgabe in deutscher Übersetzung. Darin träumt sich Kolenka unter anderem in den Palast der Unabhängigkeit, wo er auf seinen Vater trifft, batka, den Landesvater der Belarussen, wie sich Alexander Lukaschenko gerne auf volkstümliche Art und Weise bezeichnet.

    Ein Reigentanz, Socken, der Karton eines Fernsehapparats, eine Kanada-Flagge, ein Kack-Emoji — diese Liste ließe sich leider fast endlos fortsetzen, und nur ein Belarusse wird sagen können, was all diese Dinge gemeinsam haben. Für den Fall, dass Sie kein Belarusse sind oder ein sehr dummer, sage ich es Ihnen: Das sind lauter Dinge, für die ganz reale Haftstrafen verhängt wurden.
    In Belarus kann man für alles Mögliche ins Gefängnis kommen, für jede erdenkliche Handlung. Auch wenn man rein gar nichts gemacht hat, kommt so ein Kai aus der Kiste, der alles für einen erledigt: die „richtigen“ Telegram-Kanäle werden abonniert und eine Fahne hinausgehängt. Egal ob man Arzt ist oder Student, Professor, Sportler, Musiker, Blogger oder mehrfache Mutter. Niemand ist in Belarus derzeit vor Repressionen geschützt (nur schnauzbärtige Ex-Präsidenten sperren sie leider nicht ein … noch nicht). 
    In meiner letzten Kolumne habe ich geschrieben, dass es die größte Angst des Belarussen sei, ein Russe zu werden. Aber, wie ein Typ mit Bart [in Reaktion darauf auf Twitter dek] ganz richtig angemerkt hat: „Es gibt auch noch die Angst davor, durch ein penetrantes Klopfen an der Tür aufzuwachen.“

    Wisst ihr, ich gebe ihm absolut recht. Dieses Klopfen fürchten alle: die, die gegen meinen Papa sind, und die, die „dafür“ sind. Und vor allem die, die irgendwann mal dagegen waren, aber jetzt so tun, als wären sie „dafür“. Stellt euch vor, sogar ich habe Angst vor diesem Klopfen. Ich habe sogar immer wieder denselben Traum. 

    Ich träume, dass Papa mein Twitter liest und dann zu mir ins Zimmer kommt und sagt: „SO, KOLJA, GENUG GESCHWÄTZT.“ Sofort stürmt die GUBOPiK herein und haut mich mit einem Kinnhaken um – hasserfüllt, aber gezielt, sogar die mit ihren mickrigen Hirnen haben kapiert, wer ich bin. Sie reißen schlechte Witze und fluchen viel. Ihre reine Anwesenheit ist mir zuwider. Ehrlich gesagt, bin ich mir gar nicht sicher, ob das Menschen sind – oder doch Orks aus Herr der Ringe. Vielleicht waren sie mal Menschen, aber die Finsternis und der Kontakt zu Balaba hat sie zu Monstern gemacht. Dann fangen sie an, mein Zimmer zu zertrümmern … Und dann ist alles nur mehr Nebel … 
    Der Nebel lichtet sich, und ich sitze in einem Kabinett, hinter mir grüner Stoff. Wie sie wohl den Szenenhintergrund für mich gestalten? Eine Tür, so wie immer, oder reicht die Fantasie für etwas Kreativeres – Mordor oder Zion? Oder lassen sie die Sau raus und stellen Smeschariki an? 

    Wieder Nebel.
    Ich bin schon vor Gericht. Vor dem belarussischen Gericht — dem nach Meinung von niemandem gerechtesten der Welt. Zeuge Iwanow Iwan Iwanowitsch, in Sturmhaube, sagt mit verfremdeter Stimme per Skype, er habe selbst gesehen, wie ich die öffentliche Ordnung gestört, geflucht und gefuchtelt habe (also, alles, was auch Papa tut, wenn er von einem neuerlichen Sanktionspaket erfährt). Zum Beweis seiner Worte sagt er: „Darauf geb ich einen Zahn.“ Die Richterin mit meterdickem Filz [gemeint ist wohl eine Turmfrisur auf dem Kopf – dek] verhängt ein maximal gerechtes Urteil: lebenslängliche Haft, und fügt noch hinzu: „Sag danke, dass es nicht Erschießung ist.“ Ich sage „danke“, und wieder Nebel. 
    Ich bin in einem ein Mal ein Meter großen Glas. Werde irgendwo hingebracht. Wohin, weiß ich nicht, aber sicher nicht ins Dreamland. Vielleicht Schodino oder Baranowitschi, vielleicht auch Orscha … Wenn es in Belarus etwas zur Genüge gibt, dann Strafkolonien. Im Glas ist es eng und stickig. 

    Gut, dass ich keine Platzangst habe … Oder doch … Nebel.

    Der Nebel lichtet sich, ich werde in eine Zelle geführt. In einer Zelle für zwei sitzen siebzehn Personen. Es riecht nach Chlor und nach Ungerechtigkeit. Keine Matratzen, kein Warmwasser, dafür siebzehn unschuldige Menschen in einer Zweierzelle. Nur sind die Menschen in dieser Zelle interessanter und klüger als alle, die ich je im Palast getroffen habe. Hier sind Programmierer, Universitätsdozenten, Blogger, Unternehmer, Studenten und wieder IT-Fachleute. In dieser Zelle kriegt man allein durch die Gespräche mit diesen Leuten eine Hochschulbildung. Wir reden viel, lernen Englisch, erzählen einander von Filmen, spielen „Krokodil“ und freuen uns sehr, wenn jemand einen Brief bekommt. 
    Die Mithäftlinge haben Humor, wir lachen viel. Das macht die Orks jenseits des Gitters rasend. Sie wollen nicht, dass wir lachen. Sie wollen, dass wir leiden. Sie drehen ständig scheußliche Propagandalieder auf und lassen nachts das Licht brennen. Wenn es ihr Ziel ist, dass wir dieses Regime noch mehr hassen, dann sind sie auf dem besten Weg. Wieder Nebel. 
    Ich wache auf. Im Palast. Es war nur ein Traum. Nur, für zigtausende Belarussen war das alles andere als ein Traum. Und es ist auch die Realität, die Tausende Belarussen gerade jetzt erleben müssen. (Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes gibt es im Land über 1500 offiziell anerkannte politische Gefangene – Anm. KYKY)

    Jetzt haben es alle schwer – die, die in Belarus geblieben sind, genauso wie die, die ins Ausland gegangen sind, aber das ist kein Vergleich damit, wie schwer es ist, in diesem Regime ein Gefangener zu sein. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihnen helfen, wie ich sie retten kann (Vatermord lässt sich nicht anbieten) … Das Einzige, was mir einfällt – ihre Familien unterstützen und Briefe schreiben. Wenigstens ein paar Zeilen, wenigstens eine Postkarte. Wir müssen alles tun, um sie spüren zu lassen, dass wir an sie denken.
    Jedes Mal, wenn ich nachts aus diesem Alptraum erwache, nehme ich ganz ruhig meinen Laptop, schalte VPN ein, gehe auf politzek.me oder pismo.bel oder vkletochku.org und schreibe einen Brief. Ich schreibe alles, was mir einfällt: über das Wetter, darüber, dass die belarussischen Fußballer überall verloren haben, dass die neue Staffel von The Boys genauso geil ist wie die vorige, dass wir nichts vergessen haben. Ich klicke auf Senden. Und schlafe wieder ein.

    Angst haben ist normal. Vor einem morgendlichen Klopfen an der Tür, vor dem blauen Bus oder davor, dass Papa endgültig überschnappt und dich in den Krieg schickt. Aber alle diese Ängste muss man durch Kommunikation und Solidarität überwinden. Ich glaube, das Wichtigste ist jetzt, nicht über Kleinigkeiten zu streiten: wer welche Sprache spricht, wer weg und wer geblieben ist. Es ist höchste Zeit, sich an 2020 zu erinnern. Und daran zu denken: Belarus ist dem Belarussen Belarus.

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  • Ich sehe das, was in meinem Garten ist

    Ich sehe das, was in meinem Garten ist

    Tania Arcimovich, 1984 geboren, gehört im belarussischen Kulturraum zu den bekanntesten Intellektuellen ihrer Generation. Die Autorin und Theaterregisseurin hat zahlreiche Bildungsprojekte und Ausstellungen kuratiert, sie ist Herausgeberin der Kunst- und Kulturzeitschrift pARTisan/pARTisanka. In ihren Arbeiten ist sie immer wieder bestrebt, belarussische Kulturphänomene und gesellschaftspolitische Ereignisse in ihrer Heimat außerhalb der üblichen Grenzen und Fixpunkte zu deuten und zu interpretieren. So auch in diesem Essay für unser Projekt Spurensuche in der Zukunft. In diesem Text fragt sich Tania Arcimovich, was in Belarus im Zuge der historischen Proteste im Jahr 2020 eigentlich passiert ist und was diese politische Mobilisierung für eine mögliche Zukunft ihres Landes bedeuten könnte. Dabei setzt sie nicht auf eine kollektivistische Erfahrung, sondern auf die Entwicklung der individuellen Eigenverantwortung.

    Belarussisches Original

    „Knoten der Hoffnung“ / Illustration © Tosla
    „Knoten der Hoffnung“ / Illustration © Tosla

    Ich möchte von den Geschmeidigen reden. So heißt ein Buch von Nora Bossong, das ich vor einigen Monaten im Buchladen sah, in dem ich blätterte, den Klappentext las und wusste: Das ist mein Buch. Meines, nicht weil es von mir handelt, denn das ist schon wenigstens deshalb unmöglich, weil die Autorin und ich unterschiedliche geografische und kulturelle Ausgangspunkte haben. Doch wir gehören derselben Generation an, sind Kinder des Zerfalls der sozialistischen Systeme – nur der jeweils anderen Seite der Mauer. Rückblickend und analysierend, was in den letzten Jahren geschehen ist, sitzen wir beide scheinbar auf den Ruinen unserer Träume und sortieren Steine. Bossong beginnt mit dem Ende einer Ära, und das ist genau das, was auch ich empfinde, wenngleich unsere „Ären“ und ihre „Enden“ sicher verschiedene sind. Oder nicht?
          Das war meine heimliche Absicht – ich wollte beim Lesen des Buches in mich hineinhören, was um mich herum und mit mir geschehen war, ihr Fragen stellen, widersprechen oder zustimmen. Natürlich geht es nicht um die Ereignisse an sich, sondern um deren Wahrnehmung – basierend auf persönlichen Erfahrungen, Ängsten, Traumata, meinem sozialen und kulturellen Körper, der die für ihn vorherbestimmte Biografie ausführen sollte. Oder kann diese Vorherbestimmung durchbrochen werden? Unabdingbar ist es jedenfalls, die Gründe für die bestehende Asymmetrie der Geografien zu verstehen, die meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft bestimmt. Denn wenngleich ich eine Vergangenheit habe und in einer Gegenwart – wie auch immer sie aussehen mag – stehe, so wird mir doch, wenn ich den westlichen Politikern zuhöre, eine Zukunft verwehrt. Auf der Landkarte gibt es mich nicht mehr. 
          „Bei euch ist es doch still“, sagte eine Frau auf der Straße zu mir. „Genau,“ antworte ich, „wie auf dem Friedhof.“ Und dachte bei mir, wie soll man erklären, dass still nicht nur bedeutet, dass nichts passiert, es bedeutet auch den Wunsch, etwas zu hören. Daraus folgt, dass meine einzige Chance auf eine Zukunft wohl ist, in eine andere Haut zu schlüpfen – in eine weißere, in einen anderen Körper, aufgeben, mich anpassen – eine Europäerin werden? „Sie müssen wohl über einen anderen Beruf nachdenken, Philologen werden hier nicht gebraucht.“ Beim nächsten Mal, denke ich, muss ich mich vorbereiten und mir eine fundierte Antwort auf die Frage überlegen, was ich beruflich mache. 
          Vielleicht Gärtnerin?

          Cyanobacteria

          Ich möchte einen Garten anlegen, in dem sechshundertsiebenundvierzig Pflanzen wachsen. Das habe ich nie getan, ich meine, Pflanzen pflanzen, also eigentlich habe ich welche gepflanzt, aber sie sind immer auf meinem Fensterbrett gestorben. Als mir eines Tages auffiel, dass eine Pflanze zu vertrocknen beginnt, habe ich ihr nur beim Sterben zugesehen. Doch die Pandemie hat meine Einstellung grundlegend verändert. Als der März-Lockdown in den EU-Ländern 2020 meine Pläne komplett umgeworfen hatte, wusste ich nicht, was ich machen sollte. Ich saß in Selbstisolation im Dorf fest und begann zu pflanzen – Sträucher, Gemüse, Zierpflanzen, Blumen. In dieser Zeit entdeckte ich auch Lynn Margulis und ihre Theorie der Symbiogenese, mit der sie jahrzehntelang die Neodarwinisten herausgefordert  hatte, doch erst in den letzten Jahren war ihre Stimme in breiteren Kreisen wahrgenommen worden.
          Der Theorie der Symbiogenese zufolge findet Evolution nicht aufgrund von Konkurrenz oder Genmutation statt, sondern als Ergebnis physischer Zusammenarbeit und Interaktion zwischen unterschiedlichen Arten von Organismen. Somit hat die Evolution nicht beim Menschen geendet, er ist nur eine ihrer Etappen. Wenn sich der Mensch also der Natur entgegenstellen möchte – als höchstes, herrschendes Lebewesen – dann ist das naiv. Bakterien leiten das Ökosystem, sie sind die höchsten Lebewesen, sagt Margulis, denn der Abfall der einen ist die Energiequelle der anderen. Ein geschlossener Kreislauf. Davon kann der Mensch nur träumen. Aber gerade weil es zwischen Mensch und Bakterien viel mehr Gemeinsamkeiten gibt, als wir uns vorstellen – auch wir sind ein Ökosystem – haben wir eine Chance.
          Das Gefühl der Veränderung verstärkte sich nicht nur durch meine persönlichen Erfahrungen. Letztlich war die Pandemie für die belarussische Gesellschaft, wie auch für andere periphere Gesellschaften, kein Schock – denn die Menschen hatten sich noch nie in Sicherheit gefühlt. Wie viele andere stellt auch Nora Bossong fest – und zitiert hier die Wissenschaftlerin Hana Gründler – dass die Pandemie insbesondere „die Unverletzlichkeit der westlichen Welt“ in Frage gestellt habe. Es sei die erste „kollektive Krise“ für ihre Generation gewesen, schreibt Bossong, begleitet vom Verlust des Kontrollgefühls. Doch während in den EU-Staaten die Nachrichten aus anderen Breitengraden ihre Bedeutung verloren – „die Grenzen im Kopf wurden so hoch gezogen wie die der Nationalstaaten“ – las ich sogar in meinem Garten in der tiefsten Provinz sorgsam die Nachrichten aus aller Welt. Die Welt muss sich grundlegend verändern, dachte ich, war allerdings unsicher, ob dies schnell und unter Berücksichtigung der jeweiligen Geografien geschehen würde. Deshalb müssen die, die am Rande sind, wissen, was in der großen Welt vor sich geht. Es gibt die Hoffnung einer echten Wende  – dass diese Zwangspause zum Trigger für eine wirklich radikale Revision der bestehenden sozialen und politischen Systeme und ethischen Normen wird. Daran glaubte ich wirklich, denn die Entledigung von gewohnten Existenzmustern, das Pausieren von allem, – ist das nicht ein Momentum, in dem man sich der wirklichen Bedürfnisse bewusst wird? 
          Das hätte das Ende für Neoliberalismus und Kapitalismus bedeuten müssen, die zwar nicht Teil meiner Erfahrungswelt waren, von denen ich aber wünschte, sie blieben nicht der einzige Ausweg aus dem Autoritarismus, in dem ich lebe. 
          In Belarus begann derweil die Wahlkampagne.

          Wir-Sätze

          Als Jugendliche las ich weder Marx noch Engels, wir sprachen nicht über Politik und gingen nicht zu Demonstrationen. Die Welt endete mit der Grenze des Stadtteils, das Schulwissen war abstrakter Natur. Auch wenn die Berliner Mauer fiel und die Sowjetunion zerbrach, real war das, was vor dem Fenster geschah. Warst du in einer Arbeiterfamilie an der Peripherie geboren, war deine Biografie schon geschrieben. Du musstest sie nur noch still und leise leben. Tschernobyl „gab es nicht“, Umweltkatastrophen „gab es nicht“. Von Konsum wussten wir auch nichts, denn es gab nichts, das in kapitalistischem Sinne hätte konsumiert werden können. Die Generation der Schlüsselkinder und der Tüten in einer Tüte – so nennen uns die Soziologen manchmal. Damit die kleinen Kinder den Schlüssel für die Wohnung nicht verloren, in die sie nach der Schule allein zurückkehrten und bis zum Abend auf die Eltern warteten, hing der Schlüssel an einer Schnur um den Hals. Und Plastiktüten waren immer Mangelware, deshalb wusch und trocknete man sie, um sie sorgfältig zusammengefaltet in einer Plastiktüte aufzubewahren.
          Die Frage der Freiheit stellte sich uns, doch sie war eher universell, es ging um eine innere Freiheit, die geeignet war, die eigene Biografie zu durchbrechen. Teil der großen Welt zu werden, deren Bild sich aus Büchern und Fernsehsendungen speiste, davon träumten wir. Die Ereignisse dieser Zeit – Krieg in Jugoslawien, Putsch in Moskau, Krieg in Tschetschenien, Referendum in Minsk 1996 – all das war unwirklich, jenseits unseres Einflusses, es existierte einfach für sich. Freiheit und Politik gingen getrennt, liefen einzeln nebeneinander her.
          Ich schreibe über mich als Wir, weil auch ich eine Generation wahrnehme – keine der Geschmeidigen, sondern eine der von der Geschichte Isolierten. Damals gab es noch keine Wir-Sätze, eher eine Wir-Masse. Die Sätze kamen erst später auf, verschafften sich während der Pandemie laut Gehör. Denn während für die Bewohner der westlichen Länder eine Atomisierung stattfand, wurden in Belarus, wo die Mehrheit endlich der Gewaltfunktion des Staates gewahr wurde, gerade wir zum Trigger für die Geburt des politischen Willens. Das Alte begann endlich zu sterben, markierte den Beginn einer riesigen Krise, deren Ausgang etwas Neues sein musste. Etwas Neues?
          Wie auch Bossong schreibe ich hier „wir“ und bin mir dabei der Bedingtheit dieser Wir-Sätze bewusst. Wer ist wir? Diejenigen, die nach langer Zeit der Isolation ihr Recht auf die eigene Geschichte realisierten, gleichzeitig aber begannen, sich in ihrer Heimat wie Fremdkörper zu fühlen, da sie schon nach anderen Maßstäben lebten? Oder diejenigen, die bis zur Pandemie vollkommen entspannt in die bestehende autokratische Normalität integriert waren und dabei bewusst von politischen Freiheiten und Rechten absahen? Oder diejenigen, für die erst die Gewalt im Akreszina-Gefängnis, wo die Mächtigen nach den Wahlen 2020 tausende Menschen folterten, das Fass zum Überlaufen brachte? Oder diejenigen, die auch heute noch verbrecherische Befehle ausführen, die Propaganda mittragen, foltern und Verrat begehen? 
          „Nicht alle wollten Teil dieses Wir sein – eines Wir, das sie selbst nicht bestimmt haben“, schreibt Bossong. Umso mehr, da für Politiker – egal ob Nationalsozialisten oder Linke – der Kampf um dieses Wir, um das Recht, in seinem Namen zu sprechen (das wohlbekannte „Wir sind das Volk“), entscheidend bleibt. Und so geschieht es im Moment der politischen Revolution, dass der Wunsch, dieses Wir zu meiden, als Verrat an der Revolution verstanden werden kann. Aber ist das nicht auch eine Art Manipulation? Wenn die Idee im Raum steht, eine neue soziale und politische Struktur (zum Beispiel ohne Parteien und Anführer) zu schaffen, ist es dann nicht auch an der Zeit für neue Strategien? Ich möchte schon jetzt komplex denken und empfehle das allen um mich herum. Doch darauf erhalte ich nur ablehnende Reaktionen, da es in der aktuellen Abwesenheit einer politischen Landschaft – in dieser Wüste, in die sich Belarus verwandelt hat – nicht möglich zu sein scheint, in solchen Kategorien zu denken: „Erst siegen wir, dann kommt die Zeit für politische Programme.“
          Ich will aber nicht warten. 

          Wenn das Alte stirbt

          Im Verlauf ihres Buches bezieht sich Nora Bossong immer wieder auf Antonio Gramscis Idee von der Krise, die demnach darin besteht, dass das Alte gestorben, das Neue aber noch nicht geboren ist und dieser Zwischenraum von bestimmten Krankheitserscheinungen geprägt ist. Darüber hinaus werden gerade in dieser Periode unterschiedliche Wege des Übergangs zum Neuen gefunden. Die zentrale Frage ist dabei die Zeit, denn eine Krise kann dauern, sich hinziehen, der Übergang aber muss stattfinden, denn das Alte ist tot.
          Nora Bossong stellt die Frage nach der Krise der Demokratie, die nicht mehr als die einzige, beste Option wahrgenommen wird, oder, wie die Autorin feststellt, im steten Prozess der Selbstfindung steckt. Was wie eine Niederlage erscheint, ist nur der nächste Entwicklungsschritt. Es braucht Mut, um diesen Krisen zu begegnen und einen Schritt nach vorn zu machen. Nora wendet sich an ihre Generation als diejenige, die gerade an die Macht kommt – langsam, gegen Widerstände, da die grauhaarigen Herren in blauen Anzügen sie noch immer als „Kinder an der Macht“ bezeichnen. Dennoch geschieht es, und damit geht das einher, was die Autorin als Geschmeidigkeit bezeichnet. Ungeachtet ihrer Jugendträume von radikalen Veränderungen, vor allem in Bezug auf die ökologische Verantwortung, geht die Generation der Geschmeidigen Kompromisse ein (Ökologie aber mit Ökonomie). Weil sie als die Erste Veränderungen doch zu Gunsten von Machtbestrebungen opfert? Haben sie sich angepasst? Sind sie nicht bereit, die Privilegien ihres kleinen bürgerlichen Lebens zu verlieren? Ja, antwortet Bossong, auch wir sind bürgerlich geworden, „vielleicht nicht im klassischen Sinne“, aber doch. Zugleich, führt sie fort, kann eine solche Geschmeidigkeit – ein schnelles und kreatives Reagieren – zuträglich bei der Lösung der Probleme sein, die die Gegenwart aufwirft. In Belarus nennen wir das „Wie Wasser sein“. Doch Wasser füllt nicht einfach bestehende Leere und fügt sich dort ein. Wasser ist eine Naturgewalt, die Raum für das Lebendige erobert und dabei alles zerstören kann, was sich ihr in den Weg stellt.
          „Wir waren freier. Aber Freiheit bedeutet auch die Möglichkeit des freien Falls“, schreibt Nora. Auch wir haben von der Freiheit gekostet und begannen zu fallen. Und ich bin bereit, diese Erfahrung zu machen – auch das Fallen will gelernt sein. Ich frage mich allerdings, wie ich das Gleichgewicht zwischen meinem eigenen Erwachsenwerden und der Brutalität der politischen Wirklichkeit finden kann, deren Zeugin ich bin. Wie kann man darüber nachdenken, dass das Alte gestorben ist, wenn die Gewalt wie ein Gespenst weiterhin in Wellen verschiedene Geografien erfasst? Wie mache ich meinen Frieden mit der Idee, dass die Freiheit ihren Preis hat? Warum muss man für das Recht auf Eintritt in eine andere Zukunft mit Menschenleben bezahlen? Hier meine ich nicht den Eintritt in eine komfortable bürgerliche Welt, sondern in eine radikal andere Zukunft – jene, die der Epoche der Herrschaft, der sozialen Ungleichheit und Ausbeutung ein Ende setzt.
          Und damit meine ich auch die Ausbeutung anderer Lebewesen und Ressourcen durch den Menschen.

          Das Ende einer Ära?

          Eine der schmerzhaften Begleiterscheinungen der Pandemie war für die Bewohner der westlichen Welt die Selbstisolation – die Körper verloren aufgrund der Gefahr, die sie füreinander darstellten, die Möglichkeit einander zu berühren, einander zu spüren und sich zu versammeln. Übrigens ist es strittig, ob das Konzept der Versammlung von Körpern als Äußerung des politischen Willens noch immer ein Merkmal der Demokratisierung ist. Gerade die Anzahl der Körper auf den Straßen der belarussischen Städte 2020 wurde zum Indikator (für wen?) des radikalen Wunsches der belarussischen Gesellschaft nach Veränderung. Diese Gebundenheit an Zahlen war mir schon immer unverständlich. Warum braucht es eine Mehrheit, wenn gleichzeitig in zahlreichen internationalen Organisationen eine einzige Stimme ausreicht, um ein Veto einzulegen? Darin sehen viele heute eine Schwäche der repräsentativen Demokratie.
          Das Gegenteil geschah, als im Verlauf des letzten Jahres immer mehr politische Körper der Belarussen von den Straßen verschwanden. Ein Raum wird von Körpern gesäubert – zeugt das von Zustimmung und Unterordnung? Rückkehr zur „Normalität“? Oder doch von Okkupation durch eine illegitime Regierung? Und hier beginnt der freie Fall der westlichen politischen Theorien, denn es geht ja nicht nur darum, dass sie in autoritären, totalitären Staaten nicht funktionieren. Selbst in demokratischen Staaten verlieren sie ihre Funktion, und die Körper auf der Straße, selbst wenn sie ihren politischen Willen kundtun können, haben keinen realen Einfluss. Das ist das Ende der Agora als schöner Idee. Doch Bossongs Generation kann im Unterschied zu uns wenigstens sagen, dass sie es versucht hat. Und wir? Die Kinder des Zerfalls der sozialistischen Systeme auf der anderen Seite der Mauer? Wir sind nicht weiß genug, nicht schwarz genug, wir haben keinen imperialen Mythos im Rücken, und der koloniale interessiert niemanden. 
          In Lynn Margulis’ Schilderung, wie es ihr als junger Forscherin gelang, eine wissenschaftliche Entdeckung zu machen, beschreibt sie die Frau als „periphere Visionärin“. Gerade also die Tatsache, dass sie sich „am Rande“ der von Männern dominierten Wissenschaft befand, erlaubte ihr einen anderen Blick auf das Gewöhnliche. In diesem Sinne haben alle, die „zwischen“ verschiedenen Systemen groß geworden sind und isoliert von der großen Geschichte waren, ebenfalls einen Vorteil. Auf Krisen vorbereitet, sehen wir diese Unzulänglichkeiten. Glaubt ihr wirklich, dass eine grüne Wirtschaft durch Verlagerung von Fabriken und Müll in ärmere Länder erreicht werden kann? Oder dass neu errichtete Mauern die Migration stoppen? Ich schaue ein Video, von polnischen Grenzsoldaten durch Stacheldraht hindurch gefilmt, wie belarussische Soldaten auf der belarussischen Seite Migranten misshandeln. Die Polen filmen es als Beweis für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einer von ihnen sagt auf Russisch zu den belarussischen Grenzern: „Helft den Menschen.“ Ich schreie: „Hilf du ihnen doch!“
          Ist nicht die Zeit gekommen, die Niederlage der bestehenden politischen Modelle und die Notwendigkeit wirklicher Reformen einzugestehen? Dafür braucht es Mut. Und zwar nicht den, der durch Armeeuniformen demonstriert wird oder sich hinter Reden über Diplomatie versteckt. Man kann nicht in der einen Situation menschlich handeln und in der nächsten die Augen vor dem verschließen, was beispielsweise noch immer an der belarussisch-polnisch-litauischen Grenze geschieht. Denn wie dick die Mauern auch immer gebaut sind, die Pandemie hat uns gezeigt, dass sie nur eine weitere naive „Erfindung“ des Menschen sind. Wenn Margulis also sagt: „Wir leben in einer symbiotischen Welt“, dann heißt das, dass wir auf unterschiedlichsten Ebenen miteinander verbunden sind. „Irgendwo dort“ gibt es nicht, dieses „dort“ wird immer auch Einfluss auf mein „hier“ haben. 
          Als einen weiteren Schritt in Richtung Zukunft sehe ich die Abkehr von diesem Wir; das ist kompliziert, aber unerlässlich. Einerseits wird dieses Wir immer mehr zur Abstraktion, hinter der man ganz praktisch die eigene Verantwortung verbergen kann. Zudem ist dieses Wir immer häufiger defragmentiert, weil es eben gerade nicht erlaubt, komplex zu denken. Andererseits ist dieses Wir, wie auch die schönen Ideen von Gemeinschaft und Kollektivismus, von politischen und konsumfreudigen Losungen korrumpiert. 
          Daher muss nicht das Wir mobilisiert werden, sondern das Ich, um die Verantwortung für den Garten zu tragen, den ich pflege. Denn ich glaube an den Willen und die Kraft gerade dieses Ich, das die heutigen Politiker ignorieren. 
          Und gerade deshalb stehen sie vor der Niederlage.

          tell them we don’t know
          of the politics
          or the science
          but tell them we see
          what is in our own backyard
                   Kathy Jetn̄il-Kijiner, ‘Tell them’, 2011

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  • Krisendämmerung

    Krisendämmerung

    Bis dato war Swetlana Tichanowskaja die unbestrittene Anführerin einer neuen belarussischen Opposition, die sich im Zuge der Proteste des Jahres 2020 in Belarus und in einer neu politisierten Diaspora gebildet hat. Eine Opposition, die gezwungenermaßen aus dem Exil heraus versucht, die Protestbewegung am Leben zu erhalten und weiterzuentwickeln. Seit diesem Jahr formiert sich allerdings eine Gruppe von belarussischen Oppositionellen, die sich immer mehr als Kritiker von Tichanowskajas Politik hervortut. Dazu gehört mitunter auch Veronika Zepkalo, die zusammen mit Tichanowskaja und der aktuell inhaftierten Maria Kolesnikowa im Sommer 2020 zum Gesicht der neuen Opposition wurde. In Berlin fand vor zwei Wochen das Forum der demokratischen Kräfte von Belarus statt, auf dem sich besagte Oppositionelle unter Führung von Zepkalo und ihrem Mann Waleri trafen und neue Taktiken in Bezug auf die Protestbewegung debattierten. Waleri wollte 2020 als Präsidentschaftskandidat zu den damaligen Wahlen antreten, war aber aus Angst vor einer Festnahme ins Exil gegangen.

    Der belarussische Journalist Alexander Klaskowski hat das Treffen und die Kritik an Tichanowskaja in seinem Beitrag für das Online-Medium Naviny analysiert. Und stellt sich dabei die Fragen: Wie ernst ist der Versuch, der Oppositionsführerin Konkurrenz zu machen? Verfällt die neue belarussische Opposition in die alten Marotten der Zwietracht? Und wie werden die Belarussen im Land auf mögliche Veränderungen der Oppositionsführung reagieren?

    Unter den Masterminds der neuen Oppositionsausrichtung stach das Ehepaar Zepkalo besonders hervor – Waleri und Veronika. Im Sommer 2020 bildete Veronika zusammen mit Swetlana Tichanowskaja und Maria Kolesnikowa ein eindrucksvolles Politikerinnen-Trio, das in ganz Belarus gut besuchte Kundgebungen abhielt und das auch Menschen, die bisher wenig für Politik übrig hatten, mit der Idee des Wandels begeisterte. 

    Jetzt sitzt Kolesnikowa in Haft, und ihre beiden Kolleginnen scheinen auf keinen gemeinsamen Nenner zu kommen. Das schöne Bild von 2020 ist zerbröckelt.

    In die Fußstapfen der alten Opposition?

    Der Zerfall dieses Bildes ist symptomatisch, und er spiegelt tiefgreifendere Prozesse wider. Und dabei geht es ganz bestimmt nicht nur um persönliche Ambitionen. Was heute in der neuen Opposition passiert, die aus der Protestwelle 2020 hervorging, erinnert schmerzlich an das, was die Opposition alten Typs während Lukaschenkos jahrelanger Amtszeit lahmgelegt hat.

    Da sie keine siegreiche Strategie hatte (die es möglicherweise gar nicht geben konnte, weil sich der erste Präsident auf eine recht breite Wählermasse stützte) und sie sich immer wieder an dem Bollwerk des Autoritarismus die Stirn blutig schlug, verlegte die Opposition die Hauptanstrengungen allmählich darauf, interne Reibereien auszufechten. Man stritt um die äußerst begrenzten finanziellen Ressourcen. Ihre Kräfte zersplitterten, die eilig geschmiedeten Koalitionen zerfielen. Gegenseitig warf man sich einen „Kuschelkurs“ gegenüber dem Regime vor, die anderen schossen zurück: „Und ihr seid Sektierer, abgekoppelt von den Massen!“ Und so fort in diesem Stil. 

    Das Regime rieb sich die Hände. Die Geheimdienste, davon kann man ausgehen, schliefen auch nicht und gossen noch Öl ins Feuer dieser Zwiste. Gegenseitige Beschuldigungen, für den KGB zu arbeiten, waren in den gespaltenen Oppositionskreisen ein Dauerbrenner.

    Jetzt kann sich die belarussische Staatsmacht abermals ins Fäustchen lachen: Es läuft anscheinend. Zudem hat auch der Kreml Grund zur Freude, der vermutlich ebenfalls seine speziellen Methoden hat, die neue belarussische Opposition zu stören. 

    Die alte Opposition hat mit ihren inneren Streitigkeiten einen bedeutenden Teil ihrer Wählerschaft verprellt. Durchschnittsbürger kommentierten diese Auseinandersetzung ungefähr so: Klärt mal untereinander die Fronten, schließt euch zusammen und legt ein klares gemeinsames Programm vor – und dann ruft uns zum Kampf für eine strahlende Zukunft.

    Wenn jetzt ein Kräftemessen zwischen den Gruppierungen der Opposition 2.0 entbrennt, könnte die Reaktion vieler Belarussen ähnlich ausfallen. Die Gesellschaft neigt nach der Niederschlagung des friedlichen Aufstands 2020 – angesichts anhaltender Repressionen und stalinistischer Haftstrafen für die Protagonisten des Protests und unter dem Totalitarismus des Regimes – ohnehin zu Apathie und Resignation, zu einem Gefühl der Aussichtslosigkeit. Die in der Soziologie „neutral“ genannte Bevölkerungsschicht wächst, und das Regime will diese jetzt auf seine Seite ziehen. Nicht umsonst betont Lukaschenko die sogenannte Arbeit mit der Bevölkerung und fordert von der Vertikalen Sensibilität für ihre alltäglichen Bedürfnisse zu demonstrieren. 

    Tichanowskaja in der Rolle der englischen Königin

    Auf dem Forum in Berlin (wo sich Beobachtern zufolge so einige Randfiguren tummelten) wurden Tichanowskaja und ein paar Leute aus ihrem Umfeld gnadenlos zur Schnecke gemacht. 

    Stimmt, sie und ihr Team haben eine Reihe schwerwiegender Fehler gemacht, wurden oft von den Ereignissen überholt. Zum Beispiel zündete das Ultimatum nicht, das Tichanowskaja im Oktober 2020 der Staatsmacht stellte, der Versuch eines Generalstreiks geriet ins Stocken, weil die Protestwelle bereits abebbte und das Regime schon viele eingeschüchtert hatte. Im Frühjahr 2021 hing eine unrealistische Idee in der Luft, sich mit internationaler Vermittlung auf einen Dialog mit der Regierung einzulassen. 

    Auch die für das Referendum im Februar 2022 vorgestellte „Strategie der zwei Kreuzchen“ wirkte von Haus aus schwach. Es gab am 27. Februar zwar Demonstrationen, aber aus einem anderen Grund – die Menschen protestierten gegen den Krieg in der Ukraine, der ein paar Tage zuvor ausgebrochen war. 

    Tichanowskajas Gegner werfen ihr und ihren Anhängern vor, kontaktscheu zu sein, sich abzuschotten und bei der Organisation des Kampfes gegen das Regime einen Monopolstatus zu beanspruchen.

    Gleichzeitig wissen auch Tichanowskajas Widersacher, dass sie seit den Wahlen 2020 über ein großes Kapital in Form von Wahlunterstützern verfügt. Nach Meinung vieler Belarussen hat sie damals de facto gewonnen. Sie ist es, die in demokratischen Ländern und internationalen Organisationen auf höchster Ebene empfangen wird. Diese Legitimität scheint jedoch allmählich zu erodieren, ein Teil ihrer früheren Unterstützer ist abgekühlt und enttäuscht. 

    Wadim Prokopjew, einer der leidenschaftlichsten Regimekritiker, schlug auf dem Berliner Forum für Tichanowskaja die Rolle der englischen Königin vor. Mit einem „Premier Churchill“ an ihrer Seite. Soll heißen, einem radikaleren, eigentlich einem „Kriegsminister (wir leben in einer Zeit des Krieges)“. 

    Zugleich betonen die Initiatoren des Forums demokratischer Kräfte ihre Offenheit: Wir haben ja auch Tichanowskaja eingeladen, aber sie ist nicht gekommen. Der Subtext ist klar: Seht doch selbst, wer für Vereinigung ist und wer für ein Monopol der eigenen Struktur.

    De facto sieht die Sache aber so aus, dass man Tichanowskaja und andere Mitglieder ihres Teams lediglich dazu einlädt, sich einer alternativen Initiative anzuschließen. Und dass eine Person, die in unabhängigen Medien als nationale demokratische Leitfigur gehandelt wird, sich darauf nicht einlässt, überrascht wenig.

    Welcher nationalen Befreiungsbewegung soll man sich anschließen?

    Indessen versucht Tichanowskajas Büro in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Antikrisen-Management von Pawel Latuschko (mit dem jedoch ebenfalls keine absolute Harmonie herrscht), die Initiative und Führung im Lager der Regimegegner zu bewahren.

    In diesem Lager haben sie verstanden, dass es wirklich an der Zeit ist, die Strategie zu ändern, ideologische Positionen und geopolitische Prioritäten klarer zu formulieren und entschlossener zu handeln. Es wurde angedacht, im August in Vilnius einen Kongress der Belarussen zu veranstalten und eine nationale Befreiungsbewegung zu gründen. Außerdem eine Art alternatives Machtorgan zu bilden (manche Journalisten nennen das Exil- oder Schattenregierung, auch wenn diese Begriffe Tichanowskaja und ihren Anhängern wohl kaum gefallen). 

    Ähnliche Ideen, vor allem die Gründung einer nationalen Befreiungsbewegung, formuliert, nur radikaler verpackt, auch das Forum demokratischer Kräfte. 

    Es ist höchst zweifelhaft, ob diese im Grunde konkurrierenden Formationen in absehbarer Zeit (oder überhaupt irgendwann) in der Lage sein werden, eine gemeinsame Gesprächsbasis zu finden. Es mangelt eindeutig an gegenseitigem Vertrauen. Westliche Politiker werden zweifellos den Kontakt zu Tichanowskaja bevorzugen (und jene, die sich schon lange mit Belarus befassen, leise seufzen: Das kennen wir alles schon, wieder eine Runde Tauziehen untereinander). 

    Wie werden die Belarussen im Land reagieren?

    Eine andere Frage ist, wie diese neuen Initiativen bei den Belarussen ankommen, die im Land geblieben sind, in der Höhle des Löwen. Das Bedürfnis nach Veränderungen ist bei aller Brutalität des Regimes nicht verschwunden. Viele können die drückende Atmosphäre in einem Land, in dem Rechte und Freiheiten mitsamt der Wurzel vernichtet werden, nicht mehr ertragen.

    Zudem geht aus soziologischen Studien hervor, dass sich die beiden Pole – Lukaschenkos Kernwählerschaft und seine erbitterten Gegner – radikalisieren, der Hass aufeinander wird immer größer. Aber die meisten Leute, die eine Veränderung herbeisehnen, haben eine Heidenangst davor, sich einer Bewegung mit radikalen Losungen anzuschließen.

    Momentan hat Lukaschenko die innenpolitische Situation eisern im Griff. Andererseits bergen die Beteiligung an der Aggression gegen die Ukraine, die Sanktionen, die die Wirtschaft zermürben, und eine Reihe anderer Faktoren für die Staatsmacht große Risiken. Noch kann sich das Regime jedoch im Sattel halten. Dem Präsidenten auf den Zahn fühlen, das kann eher Wladimir Putin als ins Exil gezwungene politische Gegner.

    Jede Strategie wird erst dann funktionieren, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt ist. So stehen heute jene, die eine führende Rolle im Kampf gegen Lukaschenkos Regierung einnehmen wollen, vor höllisch undankbaren, titanisch schweren Aufgaben. Und besonders schwer werden diese zu bewältigen sein, wenn man internen Querelen freien Lauf lässt.

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