Die russische Medienwelt war diese Woche von militärischen Themen bestimmt. Hauptgegenstand war die Untersuchung zum Abschuss der niederländischen Linienmaschine MH-17 über der Ukraine. Berichte werden mit Gegenberichten gekontert, eine Suche nach Objektivität ist nicht zu erkennen. Auch die Medienunterstützung für die Syrien-Kampagne hat an Intensität zugelegt. Sogar in der Diskussion um den Literaturnobelpreis für Swetlana Alexijewitsch wird der militärische Faktor geltend gemacht.
Politisches Taktieren, Ungereimtheiten, Verschwörungstheorien bis hin zu schlichten Lügen begleiten seit dem Absturz des Fluges MH-17 in der Ostukraine im Juli 2014 die Aufklärung der Katastrophe mit 298 Todesopfern. Besonders russische Medien und Behörden setzen Theorien in die Welt, die sich schon mehrmals als plumpe Fälschung erwiesen haben.
Und auch die in dieser Woche vom russischen Rüstungskonzern Almaz-Antey präsentierten Berichte stifteten eher noch mehr Verwirrung, als dass sie zur Klärung des Unglücks beitrügen. Auf meduza.io findet sich eine Auflistung der bisherigen Berichte. Der Konzern veröffentlichte seinen Bericht quasi zeitgleich mit den Ermittlungen der niederländischen Untersuchungskommission. Nach aufwändigen Experimenten kommt Almaz-Antey in einigen Punkten zwar zu einer Übereinstimmung mit den Niederländern, etwa dass die Passagiermaschine wohl von einer Buk-Rakete zum Absturz gebracht wurde. Beim vermuteten Abschussort der Rakete und dem verwendeten Gefechtskopf gehen die Ergebnisse aber auseinander. Damit widerspricht der Staatskonzern allerdings eigenen Untersuchungen, war man doch noch im Juni beim Typ des Gefechtskopf zum gleichen Schluss gekommen wie nun die Niederländer. Jetzt sollen jedoch die charakteristischen Einschusslöcher am Wrack wieder fehlen. Für die Staatsmedien war das Verdikt klar: Russland werde durch die neuen Berichte entlastet, auch weil der laut Almaz-Antey verwendete Raketentyp längst von der russischen Armee ausgemustert worden sei. Zudem habe Kiew fahrlässig gehandelt, da der Luftraum nicht gesperrt wurde. Überhaupt wüsste doch wohl Almaz-Antey als BUK-Hersteller am besten über die Eigenschaften der Rakete Bescheid, höhnte etwa die Komsomolskaja Prawda. Kein gutes Haar ließ auch die russische Luftfahrtagentur Rosaviatsia am niederländischen Bericht: Die Niederländer hätten schlampig gearbeitet und Ermittlungen voller himmelschreiender Unlogik publiziert. Auch der Kreml spricht dem Team Objektivität ab.
Vedomosti plädierte dagegen für internationale Kooperation. Um seine Unschuld zu beweisen, müsste Moskau eigentlich mehr als jeder andere Akteur daran interessiert sein, die Katastrophe aufzuklären, schrieb die Zeitung. Kritisch analysiert wurde der neue Bericht jedoch fast nur im Runet. Slon listete die unterschiedlichen Abschussorte der Rakete auf, die bisher genannt wurden. Die Behauptung Moskaus, die Rakete sei aus einem Gebiet abgeschossen worden, welches damals von ukrainischen Regierungstruppen gehalten wurde sei falsch, folgert Slon. Der Ort hätte unter Kontrolle der prorussischen Separatisten gestanden. Der Journalist Sergej Parchomenko machte darauf aufmerksam, dass Almaz-Antey zu ganz unterschiedlichen Ermittlungsergebnissen kommt, je nachdem ob diese für die russische Propaganda oder für den internationalen Gebrauch gedacht sei.
Die Auslandsberichterstattung wird nach wie vor von Syrien dominiert. Täglich erläutern in den TV-Nachrichten Militärs in Hightech-Kommandozentralen vor riesigen Bildschirmen die Einsätze und loben erfolgreiche Zerstörungen ausgewählter Ziele. Der Kampf gegen den Terrorismus gilt als wichtig und richtig, wie der Kreml nicht müde wird zu betonen. Dazu passend hat das Verteidigungsministerium bereits neue T-Shirts herausgebracht: „Unterstützung für Assad“, ist darauf zu lesen. Internationale Kritik am Einsatz wird mit der neuen TV-Sendung Propaganda auf dem für seine Schmutzkampagnen berüchtigten Sender NTW gekontert. Zu Eilmeldungen von CNN und Fox News, russische Raketen seien fälschlicherweise im Iran eingeschlagen, heißt es nur: Moskau und Teheran hätten dies dementiert. Alles, was die Zuschauer über diese TV-Stationen wissen müssten, ist, dass sie sehr viele Lügen verbreiten.
Gefeiert wurde diese Woche der Nobelpreis für Swetlana Alexijewitsch. Die weißrussische Autorin habe das schwierige Kunststück vollbracht, den postsowjetischen Menschen für sich selbst sprechen zu lassen, heißt es im Magazin Snob. Aus nationalistischen Kreisen wurde die Auszeichnung allerdings kritisiert: Der TV-Sender Dozhd fasst einige der Reaktionen zusammen und zitiert den Chefredakteur der Literaturnaja Gaseta, der behauptet, ohne die russische Miliärkampagne in Syrien hätte Alexijewitsch den Nobelpreis nie erhalten. In einer weiteren Meldung wird ihr gar Russlandhass unterstellt. Richtig ist, dass Alexijewitsch immer wieder politisch klar Stellung zugunsten der einfachen Leute bezieht und sich Kritik an Präsident Putin, am autoritären System in Weißrussland und zuletzt auch an der russischen Aggression in der Ukraine und der Intervention Moskaus in Syrien nicht verbieten lässt. Zu einer neuen Diskussion der eigenen Vergangenheit im postsowjetischen Raum wird der Preis wohl aber nicht führen. In Russland etwa genießen nach wie vor die Geschichtsbücher von Kulturminister Wladimir Medinski große Popularität, der mit angeblichen Mythen der russischen Geschichte aufräumen will. Dies bedeutet wohl in erster Linie eine staatsgetreue Historiografie denn eine wissenschaftlichen Kriterien genügende Darstellung. Anfang Oktober verlieh sein Verlag dem Minister gar eine Auszeichnung für eine Million gedruckter Exemplare. Nun stellt Medinski seine Bücher auch auf der Frankfurter Buchmesse vor. Der Titel der Diskussion: „Russland und Europa. Gemeinsame Geschichte. Unterschiedliche Aufarbeitung“.
Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org
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