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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Hier ist er – der russische dekoder!

    Hier ist er – der russische dekoder!

    Vor 30 Jahren hat der Mauerfall am 9. November die Menschen überrascht – das Jubiläum in diesem Jahr ist überraschungsfrei – sollen Performances und Spektakel eine bange Leere füllen? Eine Leere, die vor 30 Jahren für uns, die wir heute bei dekoder sitzen, sofern wir alt genug waren, eine inspirierende Leerstelle war? Ein riesiger Raum für Notizen, wie die Zukunft zu gestalten sei? Ein Palast des Wunderbaren? Es war alles auf einmal. 

    „Da haben wir uns hingehockt und was ausgeheckt – den russischen dekoder!” Die dekoderщiki (bzw. ein Teil von ihnen) in guter alter Gopniki-Tradition / Foto M. Bustamante
    „Da haben wir uns hingehockt und was ausgeheckt – den russischen dekoder!” Die dekoderщiki (bzw. ein Teil von ihnen) in guter alter Gopniki-Tradition / Foto M. Bustamante

    Dieses Gefühl von damals, das trägt uns seit Jahren. Und vor vier Jahren legten wir dann los: Seitdem vermitteln wir technisch immer durchdachter auf Deutsch, was unabhängige russische Medien auf Russisch veröffentlichen.

    Und jetzt haben wir von dekoder pünktlich zum Mauerfall etwas ausgeheckt. 

    Etwas, das die Energie des positiven Aufbruchs von damals weiterträgt. Damals wurden allein in Berlin zig Brücken in beide Richtungen geöffnet, man konnte rege hin und her. Und so vollenden wir zum 9. November 2019 unseren Brückenschlag zwischen zwei Gesellschaften – zwischen Russland und Deutschland: Ab jetzt gibt es deutsche und europäische Themen für russischsprachige Leser. 

    Hier ist er – der russische dekoder: dekoder.org/ru

    Das war eine Gaudi, die letzten Monate … dekoder brauchte neue Mitarbeiter für die russische Seite, der russische dekoder brauchte Texte und Materialien – das waren völlig neue Diskussionen: Was wollen wir wem mitteilen? Welche Themen sind derzeit prägend? Aus welchen Medien wollen und können wir Texte vermitteln? Welche Texte bilden am besten die Debatten ab, um ein stimmiges Europabild zu zeichnen, zu dem natürlich Themen wie 30 Jahre Mauerfall, Migranten und Wahlerfolge populistischer Parteien gehören? 

    Himmel über Berlin – erste Redaktionssitzung mit den beiden neuen russischen dekoder-Mitarbeitern Polina Aronson und Dmitry Kartsev
    Himmel über Berlin – erste Redaktionssitzung mit den beiden neuen russischen dekoder-Mitarbeitern Polina Aronson und Dmitry Kartsev

    Nun können wir sagen: Der Anfang des Neuen ist gemacht – vor allem dank der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius! An dieser Stelle herzlichen Dank für die Unterstützung!

    Seht selbst und verliert euch gern beim Lesen und Stöbern rechts und links der dekoder-Brücke, überall gibt es auch Links zu den jeweiligen Original Texten.

    Viel Spaß beim Lesen und Teilen: Spread the news!

    Eure dekoderщiki, die sich auch an diesem 9. November mächtig darüber freuen, was alles geht!


    Der russische dekoder in sozialen Medien:



     

    Weitere Themen

    «АдГ добьётся того, что Восточная Германия снова себя потеряет»

  • Historische Presseschau: Mauerfall 1989

    Historische Presseschau: Mauerfall 1989

    9. November 1989: Politbüro-Mitglied Günter Schabowski gibt auf Nachfrage versehentlich eine neue Reiseregelung bekannt, mit der die Mauer für DDR-Bürger praktisch durchlässig wird: Jeder, so wird angekündigt, könne ein Visum beantragen. Die Regelung sollte eigentlich noch bis zum nächsten Morgen, den 10. November 1989, 4 Uhr, unter Verschluss bleiben. Doch es kam anders.

    Vor 30 Jahren fiel die Berliner Mauer. Es ist ein politisches Erdbeben für die beiden deutschen Staaten und das geteilte Berlin, als den DDR-Grenzern beim Ansturm der Menschen am 9. November 1989 nur die Wahl blieb zwischen Schießen und Nachgeben.

    Die Massen bahnen sich ihren Weg an der Bornholmer Brücke, der Invalidenstraße, dem Brandenburger Tor. Die Bilder aus dieser historischen Nacht zeigen, wie die Menschen friedlich die Mauer überwinden – von Ost nach West, von West nach Ost. Die deutsche Wiedervereinigung wurde im Jahr darauf, am 3. Oktober 1990, Realität – aber das ahnt im November 1989 noch keiner. Der Jubel an der geöffneten Grenze 1989 schuf ikonische Bilder im Gedächtnis der deutsch-deutschen Geschichte.  

    Doch wie wurde dieses Ereignis in der Sowjetunion bekannt? Was haben die Zeitungen an den Folgetagen geschrieben – wie unterschiedlich haben sie berichtet, im Vergleich zu den Medien in der BRD, wie auch zu den Medien in der DDR?  

    dekoder zeigt Ausschnitte in einer historischen deutsch-deutsch-sowjetischen Presseschau.

    РУССКАЯ ВЕРСИЯ

    Die Pressekonferenz in den Nachrichten

    #BRD: Pressekonferenz plätschert dahin, aber dann

    In der Bundesrepublik füllen sich die TV-Nachrichten allmählich mit der Neuigkeit – um 20 Uhr die Hauptausgabe der Tagesschau

    #DDR: Privatreisen können beantragt werden

    Die Aktuelle Kamera, Hauptnachrichtensendung im DDR-Fernsehen, berichtet von der neuen Reiseregelung, die Politbüro-Mitglied Günter Schabowski überraschend verkündet hat:

                                          

     

    #UdSSR: An der Schwelle zum Winter

    Die Titelseite der Prawda, des Parteiorgans der KPdSU, bleibt am nächsten Morgen, dem 10. November, unbeeinflusst vom Mauerfall im fernen Berlin – wie auch die anderen Aufschlagseiten der sowjetischen Presse. Aufmacher-Thema der Prawda ist, wie es um die Viehzucht in den Kombinaten vor dem nahenden Winter bestellt ist. 

    Auch insgesamt spielen die Ereignisse in Berlin eine untergeordnete Rolle und werden wenn, dann auf den Auslands-Seiten behandelt. Die Mauer war in der UdSSR lange ein heikles Thema; hinzu kommt, dass die eigenen wachsenden Probleme täglich die Zeitungen füllen:

    #UdSSR: Harter Schnitt mit alten Dogmen

    Am 11. November dann greift die Prawda die Grenzöffnung von Berlin in ihrem Auslandsteil, Seite 6, auf und kommentiert:

     

     

    Deutsch
    Die jetzige Entscheidung der DDR-Regierung ist ein mutiger und weiser politischer Schritt, der einen harten Schnitt mit alten Dogmen bezeugt. Er zeigt, dass sich die heutige DDR selbst den Weg in ein neues politisches Denken weist, ein Denken, das sich durch eine kreative Herangehensweise an die schwierigen Fragen auszeichnet, die das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander so lange verkompliziert haben.

     

     

     

    Prawda, 11.11.1989, Gordijew usel rasrubljon, Mai Podkljutschnikow 

     

    #BRD: „Geschafft! Die Mauer ist offen“

    Das Boulevardblatt Bild am 10. November 1989 mit der Schlagzeile: „Geschafft! Die Mauer ist offen“. Alle Zeitungen in der BRD titeln – analog zur Bild – am 10. November 1989 mit der Nachricht zur Maueröffnung:

    #DDR: Wie der Regierungssprecher mitteilte …

    In der DDR druckt das SED-Parteiorgan Neues Deutschland (wie die anderen großen Parteiblätter auch) am 10. November allein die nüchterne – über den DDR-Nachrichtendienst ADN verbreitete – Mitteilung zur Reiseregelung im Wortlaut ab:

     

     

    Deutsch
    Wie der Regierungssprecher mitteilte, hat der Ministerrat der DDR beschlossen, daß bis zum Inkrafttreten einer entsprechenden gesetzlichen Regelung der Volkskammer folgende Bestimmungen für Privatreisen und ständige Ausreisen aus der DDR ins Ausland mit sofortiger Wirkung in Kraft gesetzt werden. […]

     

     

     

    Neues Deutschland, 10.11.1989, DDR-Regierungssprecher zu neuen Reiseregelungen, Nachrichtenagentur ADN 

     

    #UdSSR: Massenflucht schadet nicht nur der DDR

    Ausnahme unter den sowjetischen Blättern: Sofort am 10. November berichtet die Izvestia, die damalige Regierungszeitung, auf Seite 4 unter dem Titel Suchen nach Auswegen aus der Krise über die neue DDR-Reiseregelung:

     

     

    Deutsch
    Am Donnerstagabend haben lokale und westliche Radio- und TV-Sender diese Nachricht gemeldet: Auf Beschluss der DDR-Regierung ist die Grenze zwischen der DDR und Westberlin geöffnet. 
    […] Innerhalb der letzten zwei Tage betrug die Zahl der ständigen Ausreisen aus der DDR in die BRD über die Tschechoslowakei nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa ungefähr 19.000. Mit so einem Andrang hat die BRD, wie es aussieht, nicht gerechnet.
    […] Die lokale Bevölkerung stöhnt im wahrsten Sinne des Wortes. Man scheint in der BRD und in Westberlin verstanden zu haben, dass die Massenflucht nicht nur der DDR schadet.

     

     

     

    Izvestia, 10.11.1989, Poiski wychoda iz krisissa, W. Lapski

     


    Die Nacht des 9.11.1989 in den Nachrichten

    #BRD: Vorsicht vor Superlativen – aber nicht heute

    Die ersten Bilder: Die Tagesthemen mit Hanns Joachim Friedrichs haben am Abend des 9. November den Fernsehreporter Robin Lautenbach für eine Live-Schalte zum Grenzübergang Invalidenstraße geschickt:

    #UdSSR: Zum Mauerfall in Moskau

    Wie war es im November 1989, in Moskau vom Mauerfall zu erfahren und die Ereignisse von dort aus zu verfolgen? Elfie Siegl war zum damaligen Zeitpunkt bereits langjährige Korrespondentin für den RIAS Berlin und die Frankfurter Rundschau – so erinnert sie sich:

    #DDR:  Ein Stück Vertrauen gewonnen

    In der DDR sind am 11. November in allen Blättern lange Reportagen und Interviews zu lesen. Ebenso in der Jungen Welt, seinerzeit Zentralorgan des staatlichen Jugendverbandes FDJ und Ende der 1980er Jahre bei einer Auflage von 1,6 Millionen: 

     

    Deutsch

     

    „Einfach toll. Wahnsinn“ – viele können es kaum glauben, sind fassungslos. Wie es weitergeht? Daran denkt hier und heute erst mal keiner. Anja hat heute auch ein Stück Vertrauen gewonnen, sagt sie. „Ihr seid zu viert?“ fragen wir ein Trüppchen, das offensichtlich zusammengehört – Textiltechnik-Studenten. „Ja, wir kommen auch zu viert wieder zurück.“

     

     

     

    Junge Welt, Wochenend-Ausgabe 11./12.11.1989, Zu viert gehen wir rüber und zu viert auch zurück – Verlag 8. Mai GmbH/junge Welt

     

    #DDR: Wer weiß, wann wieder Schluss ist

    Die Berliner Zeitung sieht einen ähnlichen Trend des Rückkehrens nach dem Besuch im Westen, gibt in einer Meldung aber auch zu bedenken:

     

     

    Deutsch
    Fast alle DDR-Bürger, die seit der Nacht zu gestern die Grenze zur BRD passiert haben, wollten, wie zu erfahren war, noch am selben Tag oder nach dem Wochenende wieder in ihre Heimat zurückkommen. […] Zu hören war: Heute abend sind wir wieder da. Aber auch: Wer weiß, wann wieder Schluß ist damit. Rund 3250 hätten sich Angaben aus Bonn zufolge als Übersiedler registrieren lassen.

     

     

     

    Berliner Zeitung, 11./12. November 1989, Heute abend sind wir wieder da

     

    #BRD: Nur noch ein schüchterner Wasserwerfer

    In den bundesdeutschen Blättern finden mit der Nachricht zur Grenzöffnung auch die ersten Reaktionen Eingang in den Druck für den nächsten Tag (10. November), während am 11. November die großen Reportagen folgen – Beispiel taz:

     

     

    Deutsch
    In einer ersten Reaktion zeigte sich der Regierende Bürgermeister West-Berlins [Walter Momper – dek] ‚sehr froh‘ und appellierte an die Berliner, sich ebenfalls zu freuen, „auch wenn wir wissen, dass daraus viele Lasten auf uns zukommen werden“.

     

     

     

    taz, 10.11.1989, Ein historischer Tag: DDR öffnet die Mauer. Momper: Kommt bitte mit der S-Bahn

     

     

     

    Deutsch
    Die Fernsehteams haben die Mauer taghell ausgeleuchtet, ein Wasserwerfer spritzt noch schüchtern von Ost nach West, mehrere Hundert, vielleicht Tausend umlagern die historische Stätte. […] Die Berliner stürmen die Mauer. Kaum einer kommt oben an, ohne zu jauchzen und die Arme hochzureißen. ‚Die Mauer muss weg! Die Mauer muss weg!‘ heißt die Parole des Abends. Nur: der Chor ist schon von der Realität überholt. 

     

     

     

    taz, 11.11.1989, Das Volksfest auf der Mauer, Manfred Kriener

     

    #UdSSR: Erst die Regierung, dann das Politbüro

    In der Sowjetunion gibt es Zeitungen und Magazine, die den Mauerfall noch Tage und Wochen später nicht aufgreifen. Die Tageszeitung Trud, Organ des Gewerkschaftskomitees, legt für den 12. November im Korrespondentenbericht aus Berlin allein den Fokus auf die zeitgleich ablaufenden Umbildungen an der DDR-Staatsspitze:

     

     

    Deutsch
    Gestern hat unsere Zeitung über die Ergebnisse des 10. Plenums des ZK der SED berichtet. Aber davor war es im Land zu etwas nie Dagewesenem gekommen, als innerhalb von nur zwei Tagen als erstes die Regierung und dann das Politbüro des Zentralkomitees der Regierungspartei zurücktraten. 

     

    Eine neue Regierung ist noch nicht gewählt. […] 

     

     

     

    Trud, 12.11.1989, GDR: Dni peremen, W. Nikitin

     

    #UdSSR: Sektkorken ohne Exodus

    Ganz anders die Komsomolskaja Prawda, damals Presseorgan der kommunistischen Jugenorganisation Komsomol, die bereits am 11. November eine Reportage bringt – nah dran am deutsch-deutschen Puls der Zeit:

     

     

    Deutsch
    Bei jedem Schritt knallten Korken der Sektflaschen, brannten Wunderkerzen. „Heute ist in Berlin ein Feiertag“, rief jemand aus der Menge erklärend einem Ausländer zu. […] Wonach sah das aus? Nach allgemeiner Euphorie? Nach Verbrüderung? Ja, wenn man bedenkt, dass sich direkt vor meinen Augen Verwandte trafen, die auf verschiedenen Seiten der Grenze leben. 
    Aber womit es überhaupt keine Ähnlichkeit hatte, war ein Exodus. 

     

     

     

    Komsomolskaja Prawda,  11.11.1989, Tschelowek prochodit skwos stenu, S. Maslow

     

    Foto © Dave Tinkham/datapanikdesign

    #BRD: Hadern im Hinterland

    Fern der überlaufenen Grenzübergänge in Berlin blickt die Frankfurter Allgemeine Zeitung nach Leipzig: 

     

    Deutsch
    Wie groß das Mißtrauen der Menschen in der DDR gegen die bisher Herrschenden ist, zeigt sich in dieser Donnerstagnacht noch auf andere Weise. Gerade vor wenigen Stunden hat das Politbüromitglied Schabowski auf einer im DDR-Rundfunk direkt übertragenen Pressekonferenz fast beiläufig erwähnt, jeder DDR-Bewohner könne mit sofortiger Wirkung ohne Vorliegen besonderer Voraussetzungen ins Ausland reisen. Doch von Freude, Erleichterung, Genugtuung ist wenig zu spüren auf dem Karl-Marx-Platz in Leipzig – vor der Litfaßsäule werden kaum Worte gewechselt. Von der neuen Reisefreiheit spricht niemand.

     

     

     

    Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.11.1989, Nach dem Treffen mit Krenz ist Rau auch ratlos, Albert Schäffer

     

    … und zum Grenzkontrollpunkt Helmstedt zwischen heutigem Sachsen-Anhalt und Niedersachsen:

     

     

    Deutsch
    Die kühnste Vorstellung wird in Gedanken deshalb Wirklichkeit, weil niemand denkt, dass sie Wirklichkeit werde. Daß die Mauer aufbrechen, die Grenze durchlässig werde, haben in Helmstedt und die Menschen überall am Zonenrand immer gewünscht. Sie wußten zugleich, daß sie ein Stück ihrer Identität verlieren, wenn dies Wirklichkeit werde.

     

     

     

    Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.11.1989, Ein Licht nach langer Dunkelheit, Ulrich Schulze

     


    Was bleibt? Was kommt? 

    #BRD: „Wir bleiben dran“

    Die Zeit beleuchtet die Aktivitäten neuer politischer Gruppen, die im SED-Staat immer stärker ein Mitspracherecht einfordern. 

     

     

    Deutsch
    Wir bleiben hier, wir bleiben dran, bleib auch Du in der DDR“ ist in grellen Farben auf den Lack gemalt. An der Antenne wehen grüne Bänder, Zeichen der Hoffnung. Auf der anderen Seite des Autos ist zu lesen, für wen Uwe Jahn wirbt, für die Initiativbewegung Demokratie Jetzt. […] Seine Gruppe trifft sich bei ihm im Büro, gemeinsam überlegen die sechs Männer ihre nächsten Schritte: Unterschriften sammeln für einen Volksentscheid über eine Verfassungsänderung, die der SED den Führungsanspruch nehmen soll, eine Demonstration im Betriebshof in der kommenden Woche.

     

     

     

    Die Zeit, 24.11.1989, Pläne schmieden für die neue Zeit, Marlies Menge

     

    #DDR: Machtmissbrauch offenlegen

    Die neu gewonnene Reisefreiheit täuscht für die Neue Zeit, Parteiblatt der Ost-CDU, nicht über bestehende Missstände in der DDR hinweg. Sie kommentiert:

     

     

    Deutsch
    Nach wie vor erfährt die Öffentlichkeit nichts über das, was angemahnt und lautstark von Hunderttausenden auf den Demonstrationen gefordert wurde: Privilegien, Machtmißbrauch. So viele von denen, die Amt und Funktion ausnutzten zur persönlichen Bereicherung, sitzen noch immer in der Volkskammer, in Bezirkstagen und anderen Leitungen. Sie hören die Anwürfe und – schweigen. 

     

     

     

    Neue Zeit, 20.11.1989, Vom Wasser gepredigt, vom Wein getrunken, Klaus M. Fiedler

     

    #BRD: Meine erste Banane

    Zonen-Gaby heißt eigentlich Dagmar, kommt aus Rheinland-Pfalz und stand im Jahr 1989 Modell  für den Titel der November-Ausgabe der Satirezeitschrift Titanic. Das Bild wurde Kult und gilt als berühmtester Titanic-Titel, vielfach nachgedruckt und bis heute gern zitiert:

    „Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD): Meine erste Banane“
    „Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD): Meine erste Banane“

    #UdSSR: Süßes Wort „Freiheit“

    Die Wochenzeitung Moskowskije Nowosti, damals ein wichtiges Forum für Gorbatschows Perestroika-Politik und auch international in mehreren Sprachen vertrieben, zieht historisch große und vieldeutige Parallelen:

     

     

    Deutsch
    Als die jungen Deutschen tanzend am Brandenburger Tor über die Fernsehbildschirme liefen, werden im Gedächtnis lange vergangene Schattenbilder wach – die der Pariser, die vor 200 Jahren auf den Ruinen der Bastille tanzten. Selbstverständlich stand die Mauer an Symbolgehalt dem feudalen Kerker in nichts nach. Dieses elende Symbol der Teilung Europas und der Welt, der Konfrontation, des Kalten Krieges und vor allem das Symbol unserer und unserer Verbündeten Angst vor der Bewegungsfreiheit von Menschen, der Zirkulation von Ideen, von Freiheit ganz generell. Es war das Symbol des feudalen Sozialismus. […]
    Jeder in der DDR, dem das Wort Freiheit süß erscheint, ist froh über die Umwälzungen. Aber unsere Besorgnis werden wir nicht verheimlichen: Ende vergangener Woche hatte die Polizei sowohl von der einen als auch von der anderen Seite Skinheads, jugendliche Neonazis und Randalierer zu verjagen. Im Übrigen: Der Fall der Bastille, wie man weiß, war nicht der Weg zu Frieden und Glückseligkeit auf unserer sündigen Erde. Ungeachtet dessen haben wir dieses Ereignis 200 Jahre später groß gefeiert.

     

     

     

    Moskowskije Nowosti, 19.11.1989, Berlinskaja stena: Kto stroil, tot i snossit, Wladimir Ostrogorski

     

    #BRD: Wirtschaften ohne Lehrbuch

    Die Mauer ist seit zehn Tagen Geschichte: Der Spiegel macht sich Gedanken darüber, was die Öffnung nach anfänglicher Begeisterung an der Börse wirtschaftlich für beide Seiten, BRD und DDR, bedeutet:

     

     

    Deutsch
    Den Börsianern und Kleinanlegern, den Managern und den Politikern dämmerte, daß mit der plötzlichen Öffnung der bislang hermetisch verriegelten DDR eine ökonomische Situation eingetreten war, für die es keine historische Parallele gibt; für die sich auch in keinem Lehrbuch der Volkswirtschaft eine Handlungsanweisung finden läßt. Es ist eine Situation voller Risiken.
    […] Viel Zeit zum Reagieren haben Modrow, Krenz und Genossen nicht. Durch die offene Grenze laufen ihnen, wenn die ökonomische Lage sich nicht bald zum Besseren wendet, die Jungen und die Fähigen davon. Richtung Westen droht zudem, wegen der vertrackten Umtauschverhältnisse, ein Ausverkauf der spärlichen Güter.

     

     

     

     

    Der Spiegel, 20.11.1989, Da rollt eine Lawine

     

    #UdSSR: Die Perestroika überholt

    Die Wochenzeitung Argumenty i Fakty, lange nur Funktionären zugänglich, in den 1980er Jahren aber zum vielgelesenen Leserforum avanciert, sieht die Maueröffnung als weitreichendes Signal für die gesamte innere Verfasstheit der DDR:

     

     

    Deutsch
    Es besteht kein Zweifel daran, dass das, was in der DDR im Herbst dieses Jahres geschehen ist, eine Revolution war. […] Der Oktober wurde für die DDR zu einer Zeit, in der unter die gesamte historische Periode des verwaltungsökonomischen, stalinistischen Entwicklungspfades ein Strich gezogen wurde. Ein Pfad, der sich auch hier erschöpft und die Republik weiter in eine Sackgasse geführt hatte. […] 
    An Intensität in der Dynamik und Dramatik übertraf das deutlich unsere Perestroika.

     

     

     

    Argumenty i Fakty, 9.12.1989, Oktjabrskaja revoluzija v GDR, S. Rjabikin

     

    Zusammenstellung der Presseschau: Xenia Gerber, Jakob Koppermann, Alena Shyrko, Chantal Stannik (Universität Hamburg)
    Titelbild: Dave Tinkham/datapanikdesign
    Kapitelbild: © Thorsten Koch/flickr.com/CC BY 2.0 

    Die historische Presseschau wurde gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

    Sie ist im Rahmen einer Kooperation von dekoder mit einem Lehrprojekt an der Universität Hamburg (UHH) unter Leitung von Monica Rüthers und Mandy Ganske-Zapf entstanden. Das Projekt wurde vom Lehrlabor des Universitätskolleg der UHH gefördert und ist Teil des Verbundprojektes Wissenstransfer hoch zwei – Russlandstudien.

    Weitere Themen

    Perestroika: Wirtschaft im Umbruch

    Der Mann, der den Atomkrieg verhinderte

    Historische Presseschau: Der sowjetische Truppenabzug aus Afghanistan

    Truppenabzug 1991–1994: Historische Presseschau

    Der Baltische Weg: die Menschenkette vom 23. August 1989

    Tauwetter

  • Debattenschau № 77: Wahltag – wer ist der wirkliche Sieger?

    Debattenschau № 77: Wahltag – wer ist der wirkliche Sieger?

    Am Sonntag, 8. September, haben in allen 83 Föderationssubjekten Russlands Wahlen stattgefunden: Unter anderem stimmten Menschen über 16 Gouverneursposten ab sowie über Abgeordnete von elf Regionalparlamenten. Während alle Wunschkandidaten des Kreml die Gouverneurswahlen gewonnen haben, musste die Regierungspartei Einiges Russland (ER) herbe Schlappen einstecken.

    So bewerten viele Beobachter das Ergebnis der Moskauer Stadtduma-Wahl als Niederlage für Einiges Russland. Bei einer Wahlbeteiligung von rund 22 Prozent gingen hier 20 der insgesamt 45 Sitze an Kandidaten anderer Parteien. 

    Schon im Vorfeld der Wahlen galt die Regierungspartei für viele als angeschlagen. Ihre Kandidaten schickte sie als „Unabhängige“ ins Rennen – laut Beobachtern deshalb, damit das schlechte Image von Einiges Russland nicht auf sie abfärbe. Auch der Moskauer Parteichef Andrej Metelski hat als „Unabhängiger“ an der Wahl teilgenommen, laut vorläufigem Ergebnis verliert er die Wahl gegen den Konkurrenten von der Kommunistischen Partei.

    Nun verbuchen sowohl Opposition als auch Regierungspartei das Ergebnis als einen Erfolg. Ist die Wahl tatsächlich ein Triumph für die Opposition? Welche Folgen hat sie für die Regierungspartei? dekoder bringt Ausschnitte aus der Debatte in russischen Medien.

    Sobyanin.ru: Diversity in der Duma

    Moskaus amtierender Bürgermeister Sergej Sobjanin hat sich auf seiner Homepage offiziell zufrieden über das Wahlergebnis geäußert:

    [bilingbox]Es war am Ende ein echter politischer Wettbewerb, und es waren die emotionalsten Wahlen in der gesamten jüngeren Geschichte. In jedem Wahlkreis kämpften im Durchschnitt fast fünf Kandidaten um die Mandate. Die Leidenschaft war kein Witz.

    Im Ergebnis kamen neben einem starken Trupp Kommunisten eine Kohorte aus den ehrwürdigen Parteien Jabloko und Gerechtes Russland ins Parlament. Die Duma ist nun politisch vielfältiger, was dem Stadtparlament, so hoffe ich, gut tun wird.~~~Пожалуй, самые эмоциональные и реально конкурентные за всю последнюю историю. В каждом округе за мандаты боролись в среднем почти по пять кандидатов. Страсти были нешуточные.

    В результате, помимо сильного отряда коммунистов, в парламенте появилась когорта от уважаемых партий «Яблоко» и «Справедливая Россия». Дума стала политически более разноплановой, что в общем, надеюсь, будет на пользу городскому парламенту.[/bilingbox]

    erschienen am 09.09.2019, Original

    Facebook/Alexej Nawalny: Sieg für das kluge Abstimmungsverhalten

    Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hatte im Vorfeld der Wahl zu klugem Abstimmungsverhalten aufgerufen: Man sollte die Stimme für denjenigen Oppositionskandidaten abgeben, der dem Kandidaten der Regierungspartei Einiges Russland am ehesten gefährlich werden könnte. Auf Facebook schreibt er nach der Wahl:

    [bilingbox]4 Uhr morgens. Jetzt kann man mit Sicherheit sagen, dass der Bürgermeister und Einiges Russland 24 von 45 Wahlkreisen verloren haben.
    Mit Fälschungen haben sie das derzeitige offizielle Ergebnis erreicht: Einiges Russland – 24 Sitze, kluges Abstimmungsverhalten – 21 Sitze.
    Jetzt versuchen sie noch drei weitere Mandate zu klauen.

    Es ist jedoch ein fantastisches Ergebnis des klugen Abstimmungsverhaltens. Dafür haben wir zusammen gekämpft. Danke für den Beitrag jedes Einzelnen.~~~4 часа утра. Сейчас можно уверено говорить, что мэрия и „Единая Россия“ проиграли 24 округа из 45.
    С помощью фальсификаций они добились того, что текущий счёт: ЕР – 24 депутата, УМГ – 21 депутат.
    Сейчас они пытаются украсть ещё три мандата.

    Однако в любом случае, это фантастический результат „Умного голосования“. Мы боролись за него вместе. Спасибо каждому за его вклад.[/bilingbox]

    erschienen am 09.09.2019, Original

    The New Times: Haftzeiten statt Prozente messen

    In der unabhängigen New Times erinnert Kolumnist Iwan Dawydow an die Haftstrafen nach den Protesten für faire Wahlen: 

    [bilingbox]Dennoch ist das Hauptergebnis der Wahlen schon jetzt offensichtlich. Es lässt sich nicht in Prozenten messen, sondern in Jahren. In den realen Haftzeiten, zu denen die Betroffenen des Moskauer Prozesses verurteilt wurden im Rahmen von mit beispielloser Geschwindigkeit durchgeführten Gerichtsprozessen.
    […] Neun von ihnen […] hat Memorial International als politische Häftlinge anerkannt.~~~И все-таки главный итог выборов понятен уже сейчас. Главный итог исчисляется не в процентах, а в годах. В реальных сроках, которые получили фигуранты «московского дела» в ходе проводившихся с невиданной стремительностью судебных процессов.

    […]  Девятерых […] международный «Мемориал» признал политическими заключенными.[/bilingbox]

    erschienen am 08.09.2019, Original

    Novaya Gazeta: Digitale versus reale Stadt

    Kirill Martynow, Politikchef der unabhängigen Novaya Gazeta, konstatiert einen Erfolg der Opposition und liefert Hinweise auf Wahlfälschungen:

    [bilingbox]Die Lage der Regierung in Moskau ist ziemlich wackelig, das Vertrauen in sie ist nach der Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten im Sommer sehr gering. Die Opposition kann sich bislang zwar noch nicht die Hauptstadt holen, aber sie ist schon fähig zu einem ernsten Kampf.
    Der einzige Ort, wo in der Stadt wie bisher Einiges Russland herrscht, ist wohl die moderne digitale Wahl, die bislang im Testverfahren gelaufen ist und den „unabhängigen“ Kandidaten aus der Mannschaft um den Bürgermeister hervorragende Ergebnisse brachte – enorm viel besser als in der realen Stadt.~~~Положение властей в Москве довольно шаткое, кредит доверия к ним после летних полицейских рейдов против мирных демонстрантов очень невысокий. Оппозиция, возможно, пока не забирает столицу себе, но уже способна дать серьезный бой. Единственное место, где в городе по-прежнему правят единороссы, — это, кажется, модное электронное голосование, которое пока проводилось в тестовом режиме и показало прекрасные результаты для самовыдвиженцев из «команды мэра». Гораздо лучшие, чем в реальном городе.[/bilingbox]

    erschienen am 08.09.2019, Original

    Izvestia: Plan B für die Opposition

    Um die Unzufriedenheit der Bürger einzudämmen, plant der Kreml sogenannte nationalen Projekte. In der kremlnahen Izvestia fordert Polittechnologe Dimitri Fetisow noch ganz andere Strategien:

    [bilingbox]Es ist gut, wenn die Strategie des Kreml bezüglich der nationalen Projekte umgesetzt wird und die Staatsmacht bei den Wahlen zur Staatsduma 2021 einen überzeugenden Sieg erringt. Aber es wäre nicht schlecht, einen Plan B zu haben, falls die Regierungen in einer Reihe von Regionen es nicht schaffen sollten, die nationalen Projekte umzusetzen, falls sich das Leben der Leute nicht verbessert und sie gezwungen sind, ihren Protest auf jede mögliche Art und Weise zu artikulieren. 
    Solch ein Plan B könnte sein, entweder diejenigen parlamentarischen Oppositionsparteien zu transformieren, mit denen es möglich ist, eine gemeinsame Sprache oder akzeptable Formen der Zusammenarbeit zu finden. Oder aber man könnte neue politische Kräfte gründen, die die Interessen des Gesellschaftsteils vertreten, der die Wahlen ignoriert hat. Schließlich hat noch nie jemand gefordert, auf die Opposition im Staat zu verzichten. Hauptsache, sie ist bereit zum konstruktiven Dialog und ruft nicht zu illegalen Protestaktionen auf.~~~Хорошо, если стратегия Кремля по нацпроектам будет реализована и власть одержит убедительную победу на выборах в Государственную думу в 2021-м. Но неплохо было бы иметь и «план Б» на случай, если в ряде регионов местные власти не справятся с реализацией нацпроектов, жизнь людей не улучшится и они будут вынуждены искать все возможные формы для того, чтобы обозначить свой протест. И таким «планом Б» могла бы стать либо трансформация уже существующих партий парламентской оппозиции, с которыми можно найти общий язык и приемлемые формы сотрудничества, либо создание новых политических сил, которые будут отстаивать интересы той части общества, которая проигнорировала выборы. Ведь от оппозиции в государстве никто никогда не призывал отказываться. Главное, чтобы она была готова к конструктивному диалогу с властью, а не выходила на незаконные акции протеста.[/bilingbox]

    erschienen am 09.09.2019, Original

    Facebook/Dimitri Gudkow: Jede kleine Chance genutzt

    Der Oppositionelle Dimitri Gudkow, Parteichef von Partija Peremen, war zu der Wahl nicht zugelassen worden. Er wertet das Wahlergebnis ebenfalls positiv:

    [bilingbox]Moskau hat Nein gesagt zu diesem Sondereinsatz, der unter dem Deckmantel von Wahlen stattfand. In der illegitimen Moskauer Stadtduma wird es trotz allem anständige Menschen geben. 

    Klar, das sind bei weitem nicht alle. Klar, sie sind weiterhin in der Minderheit. 
    Aber angesichts von Repressionen und Polizeiterror haben die Moskauer gezeigt, dass sie sich das nicht gefallen lassen wollen. Und da, wo es zumindest eine kleine Chance gab, haben sie sie genutzt.~~~Москва сказала «нет» спецоперации, проходившей под видом выборов. В нелегитимной Мосгордуме все же будут приличные люди.

    Да, далеко не все. Да, их там по-прежнему меньшинство. Но в условиях репрессий и полицейского террора москвичи показали, что не намерены с этим мириться. И там, где был хотя бы небольшой шанс, воспользовались им.[/bilingbox]

    erschienen am 08.09.2019, Original

    dekoder-Redaktion

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  • Margarete Buber-Neumann

    Margarete Buber-Neumann

    Margarete Buber-Neumann (1901–1989) war eine deutsche Kommunistin. 1935 wurde sie aus der Schweiz in die Sowjetunion abgeschoben. Dort verurteilte man sie 1938 zunächst zu fünf Jahren Lagerhaft, doch 1940 wurde Buber-Neumann nach Deutschland ausgeliefert. Als Kommunistin wurde sie hier fünf Jahre im KZ Ravensbrück inhaftiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Buber-Neumann vor allem als Publizistin. Sie war zunächst Mitglied der SPD, trat jedoch 1975 wegen Willy Brandts Ostpolitik in die CDU ein.

  • Editorial: Was hat dekoder mit einem Labor zu tun?

    Editorial: Was hat dekoder mit einem Labor zu tun?

    Was hat dekoder mit einem Labor zu tun?

    Das fragen wir uns auch! Je weiter wir dekoder entwickeln, desto mehr erinnert uns unser Alltag an die Arbeit eines Labors, das Stichproben macht, Experimente durchführt und neuartige Produkte entwirft. Nicht an einen Konzern, der am Fließband Waren in Tausender-Auflagen produziert, sondern doch eben an ein kleines Labor, dessen Mitarbeiter mit Neugierde die Wissenschaft aus dem Reagenzglas über die Destillierbrücke auf die glühende Platte des Journalismus tropfen lassen. 

    Vor einiger Zeit schon haben wir bemerkt, dass das alte kleine Gnosen-Labor (WTF sind Gnosen?) allein uns etwas eng geworden ist. Nun haben wir es erweitert und neu ausgerüstet, um innovative Verbindungen auszuprobieren und vor allem, um zu prüfen, ob die Chemie stimmt. Die Chemie zwischen Wissenschaft und Journalismus, die sich zu einem medialen Reinstoff verbinden sollen.

    In diesem Jahr sind wir eine Kooperation mit der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen (FSO) eingegangen: Wissenstransfer hoch zwei – Russlandstudien heißt das Projekt, das erstmal mit Unterstützung der VolkswagenStiftung auf eineinhalb Jahre angelegt ist.
    Die Entscheidung für die Kooperation mit der FSO lag quasi auf der Hand: Wenn man durch den Flur der Forschungsstelle Osteuropa geht, kann man praktisch an jeder Tür die Namen unserer Gnosenautoren lesen: Susanne Schattenberg, Heiko Pleines, Jan Matti Dollbaum, Eduard Klein, Manfred Zeller, Manuela Putz … zahlreiche aktive, ehemalige und assoziierte Wissenschaftler der FSO haben bereits für uns geschrieben. Und seit diesem Jahr ist die renommierte Forschungsstelle nicht mehr einfach nur Lieferant der Reagenzien und Freund, sondern ein dekoder-Kollege, mit dem wir die medialen Experimente gemeinsam durchführen. 
    Das erste Experiment war das Multimedia-Dossier Archipel Krim, das nun in allen vier (!) Sprachversionen komplett ist. 

    Das Experimentelle daran war, dass 30 Wissenschaftler, 13 Redakteure, zwei Programmierer, ein Dutzend Übersetzer, Fotografen, Grafiker und Designer zusammen an einem Medienprodukt gearbeitet haben und dabei richtig Spaß hatten. Nicht nur die FSO, sondern auch das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS), das maßgeblich zu Konzeption, Umsetzung und auch Finanzierung des Dossiers beigetragen hat, sowie fünf weitere Medien waren daran beteiligt. Aber das alles ist nur der Anfang eines langen Weges. Eines Weges zu einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Journalismus und zum „Content neuen Typs“, der uns vorschwebt. 

    Aus dem Krim-Projekt haben wir viel gelernt und gehen nun weiter. Das nächste Stück kommt schon nach dem Sommer. Versucht mal anhand des Bildes herauszufinden, worum es da gehen soll (nein, nicht um Erdbeeren):

    Wie und warum wir das alles machen? Wie es Leonid in einem Gastbeitrag für das Fachmagazin Wissenschaftskommunikation.de skizziert hat, entwickeln sich die wissenschaftlichen und medialen Diskurse derzeit noch weitgehend in parallelen Welten. Die enorme Expertise, die von Forschungsinstituten kontinuierlich generiert wird, ist nicht ohne Weiteres zugänglich: Es fehlen Räume, in denen sich Wissenschaftler explizit an eine breitere Öffentlichkeit und nicht an die eigene Scientific Community wenden können. Es fehlt an Infrastruktur, die dem mediengerechten Wissenstransfer dient und es mangelt an medialen Formaten, die wissenschaftsbasierten Content rezipierbar machen. Und hier setzt dekoder an. 

    Wie Ihr seht, wir haben viel vor. Alles hoch zwei. 

    Eure dekoderschtschiki2

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  • Der Fall Iwan Golunow – offener Brief der dekoder-Redaktion

    Der Fall Iwan Golunow – offener Brief der dekoder-Redaktion

    Update 11.06.2019 16:16 Uhr: siehe Ende des Textes

    Unterstützen Sie unsere Petition auf change.org

    An: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesminister des Auswärtigen Heiko Maas, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation Rüdiger von Fritsch, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland Dirk Wiese

    Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, 
    sehr geehrter Herr Bundesminister des Auswärtigen, 
    sehr geehrter Herr Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation, 
    sehr geehrter Herr Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland,

    am vergangenen Donnerstag wurde im Zentrum Moskaus der renommierte russische Journalist Iwan Golunow festgenommen. Angeblich soll Golunow mit Drogen gehandelt oder solche hergestellt haben. Alles spricht für einen gezielten Versuch, Golunows journalistische Tätigkeit zu unterbinden, initiiert aus der Grauzone von Wirtschaftskorruption und Behördengewalt. Ihm droht eine Haftstrafe von bis zu 20 Jahren.

    Die Methode, Rauschgiftdelikte unter Mitwirkung der Polizei zu inszenieren, um missliebige Personen aus dem Verkehr zu ziehen („podbros“​​), wird in Russland tatsächlich immer wieder angewandt. Die Initiative muss nicht unbedingt vom Staat ausgehen. Die staatlichen Stellen hätten aber die Möglichkeit, diese Machenschaften jeweils zu unterbinden.

    Wir, das online-Portal dekoder.org, sammeln, übersetzen und verbreiten seit 2015 Texte aus russischen unabhängigen Medien in Deutschland. Wir arbeiten regelmäßig mit Materialien von meduza.io. Iwan Golunow ist daher auch Teil unseres unmittelbaren fachlichen Netzwerks.

    Wir protestieren aufs Schärfste gegen die Festnahme Golunows aufgrund fabrizierter Vorwürfe und fordern die Adressaten dieses Briefes dazu auf, ihre Stimme in die Waagschale zu legen.


    Iwan Golunow gehört zu den nicht eben zahlreichen Journalisten in Russland, die die Verflechtungen von halblegalen privaten Akteuren und Stellen aus dem Staatsapparat beleuchten. Er ist Korrespondent des Onlinemediums meduza.io, das als Nachfolger des 2014 zerschlagenen führenden Nachrichtenkanals lenta.ru in Riga neugegründet worden ist. Der 36-jährige Golunow wird in der russischen Medien-Community hoch geachtet. Seine Festnahme hat eine massive Protestwelle ausgelöst. Selbst staatsnahe Stimmen wie der TV-Journalismus-Veteran Wladimir Posner haben sie aufs Schärfste verurteilt: Mit dem Vorgehen gegen Golunow werde „allen Journalisten in Russland ins Gesicht gespuckt“.

    Golunow hat Untersuchungen publiziert unter anderem zu Korruption und Bereicherung im Bestattungswesen, zur Moskauer Müllmafia und zur Verschleierung von Vermögensverhältnissen von Politikern. Golunow ist immer wieder aufgrund seiner Arbeit bedroht worden. Seine Reputation unter Kollegen ist tadellos, niemand hält eine Verstrickung in Rauschgiftgeschäfte auch nur im Entferntesten für denkbar, auch wurden nach Auskunft seines Anwalts keine Fingerabdrücke Golunows auf den untersuchten Drogenverpackungen gefunden. Golunows Rechte wurden während der Festnahme aufs Massivste missachtet: Er bekam zunächst keine Möglichkeit, durch Gewebeproben seinen Nichtgebrauch von Drogen nachzuweisen, er wurde körperlich misshandelt, ihm wurde medizinische Hilfe vorenthalten.

    Iwan Golunow vor dem Nikulinski Bezirksgericht / Foto © Jewgeni Feldman/Meduza unter CC BY-SA 4.0
    Iwan Golunow vor dem Nikulinski Bezirksgericht / Foto © Jewgeni Feldman/Meduza unter CC BY-SA 4.0

    Am Samstag, den 8. Juni, wurde Golunow nach dramatischen Verhandlungen im Moskauer Nikulinski Bezirksgericht zunächst für zwei Monate unter Hausarrest gestellt. Weiterhin droht ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu 20 Jahren. Vergleichbare Fälle zeigen, dass derartige Verhandlungen sich als Hinhaltetaktik über Jahre erstrecken können, in denen die betroffene Person nicht ihrer Tätigkeit nachgehen kann und oft schwere persönliche und psychische Konsequenzen erleidet.

    dekoder.org versteht sich als Medium, das dem unabhängigen Qualitätsjournalismus aus Russland eine deutsche Stimme gibt. Wir stehen in ständigem engen Kontakt mit unseren russischen Kollegen, für die unsere Arbeit eine Möglichkeit bedeutet, über die Landesgrenzen hinaus gehört zu werden. Wir erfüllen außerdem den Auftrag, die deutschsprachige Öffentlichkeit über russische Aktualitäten und Hintergründe durch Originalstimmen zu informieren, zusätzlich zur etablierten Arbeit der Auslandskorrespondenten. 

    Wir sind der Ansicht, dass nicht alle internen Vorgänge in der Russischen Föderation der Kommentierung von außen bedürfen. In diesem Fall allerdings erheben wir entschieden unsere Stimme. Die Festnahme Golunows ist nicht nur ein Affront gegen den Anstand im Umgang eines Staates mit seinen Bürgern, er ist auch eine Attacke auf die Möglichkeit der Grenzen übergreifenden, internationalen Berichterstattung, der wir uns als Medienprojekt verschrieben haben und auf die die Leserschaft in Deutschland einen Anspruch hat.

    Wir bitten Sie, Frau Bundeskanzlerin Merkel, Herrn Außenminister Maas, Herrn Botschafter von Fritsch, Herrn Wiese, Russland-Beauftragter der Bundesregierung, die entsprechenden russischen staatlichen Stellen anzusprechen und entschieden darauf zu dringen, dass dieser offensichtliche Missbrauch von Polizeigewalt unterbunden wird. Die Gesetze müssen geachtet und befolgt werden und Golunow muss seiner Arbeit in einem sicheren Umfeld nachgehen können.


    dekoder.org: 

    Martin Krohs, Gründer
    Tamina Kutscher, Chefredakteurin
    Anton Himmelspach, Geschäftsführer und Politikredakteur
    Leonid A. Klimov, Wissenschaftsredakteur
    Daniel Marcus, Social Media-Redakteur, IT
    Friederike Meltendorf, Übersetzungsredakteurin
    Alena Schwarz, Controlling
    Jakob Reuster, Studentischer Mitarbeiter
    Peregrina Walter, Studentische Mitarbeiterin

    Unterstützen Sie unsere Petition auf change.org.

    Update 16:16 Uhr: Wladimir Kolokolzew, Minister des Innern der Russischen Föderation, hat soeben die Einstellung des strafrechtlichen Verfahrens gegen Iwan Golunow verkündet. Als Begründung nennt er die Nichtnachweisbarkeit einer Straftat im Fall Golunow. Die an der Festnahme beteiligten Polizisten wurden nicht entlassen, jedoch vorübergehend von ihrem Dienst entbunden, wie es aus dem Innenministerium heißt. Das Ermittlungskomitee soll sich nun mit der Sache befassen.

    Damit können Mediengemeinde und Zivilgesellschaft sicher einen klaren Erfolg für sich verbuchen, dennoch warten zahlreiche offene Fragen – etwa wie es überhaupt zu dieser Aktion kommen konnte und wie Derartiges in Zukunft verhindert werden soll – auf eine schnellstmögliche Klärung. Zudem ist interessant, welche Deutung der Kreml selbst dem Vorfall geben wird: Für den 20. Juni ist ein Direkter Draht mit Wladimir Putin angekündigt. Wir werden die Sache aufmerksam verfolgen und weiter berichten.

    Wir unterstützen diesen Aufruf:

    Daniel Schulz, Co-Leiter Reportage & Recherche, taz
    Martin Aust, Lehrstuhlinhaber Osteuropäische Geschichte der Universität Bonn
    Svetlana Dyndykina, Projektleiterin, ROMB

  • Debattenschau № 76: Kolyma – Heimat unserer Angst

    Debattenschau № 76: Kolyma – Heimat unserer Angst

    Am 23. April veröffentlichte der Journalist und YouTuber Juri Dud seinen Film Kolyma – Heimat unserer Angst. Mit mehr als 14 Millionen Views und über 700.000 Likes ist die mehr als zwei Stunden lange Doku eines der erfolgreichsten Videos des jungen Journalisten.

    Kolyma gilt als Inbegriff des Gulag und der Stalinschen Säuberungen. Allein in Sewwostlag, dem 1932 gegründeten größten Lager in der Region, saßen unter unmenschlichen Haftbedingungen jährlich bis zu 190.000 Menschen ihre Strafe ab. Viele davon, ohne je ein Verbrechen begangen zu haben. In den Kolyma-Lagern waren unter anderem der Autor der Kolymskije rasskasy (Erzählungen aus Kolyma) Warlam Schalamow inhaftiert sowie Sergej Koroljow, der später als Vater der sowjetischen Raumfahrt berühmt wurde. Mit Nachfahren und Historikern führt Dud lange Interviews.  

    Duds Zuschauerschaft gilt als jung. Da fast die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen in Russland laut einer Umfrage noch nie etwas von Stalinschen Säuberungen gehört hat, feiern viele seinen Dokumentarfilm nun als eine aufklärerische Leistung. Auch vor diesem Hintergrund löste der Film eine heftige Diskussion in den russischen Medien aus: Ist es ein Auftrag, Russland zum Einsturz zu bringen? Ist es ein Film über die Geistesstärke des sowjetischen Menschen, oder eine Möglichkeit für die Nation, in den Abgrund zu schauen? dekoder bringt Ausschnitte aus der Debatte.

    Echo Moskwy: Hohlraum der Erinnerungskultur

    Laut einer Umfrage haben 47 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Russland noch nie etwas von Stalinschen Säuberungen gehört. Diese Leerstelle füllt jetzt der Film Kolyma aus, meint Ex-Polittechnologe Gleb Pawlowski auf Echo Moskwy:

    [bilingbox]Es ist ein guter Aufklärungsfilm. Davon sollte es viele geben, und das wäre übrigens auch möglich. […] Er füllt eine Leerstelle, eine Leerstelle an der Stelle des Wortes „Stalin“. Stalin kennen alle, 100 Prozent. Aber was ist das bitteschön, was steht hinter dem Wort? Nicht alle wissen doch, dass es eine besondere Bestialität war, derer sich die Staatsmacht bediente, und zwar – ich würde sogar sagen – unter persönlichem Druck von Josef Wissarionowitsch Stalin. Dass er der Autor des Ganzen war, dass er persönlich wie am Fließband Dokumente durchsah und entschied: „Plattmachen!“ Wer weiß diese Dinge?~~~Это хороший просветительский фильм, я думаю. Таких должно быть много, между прочим, и могло быть много <…>.
    [Он] заполняет пустоту на этом месте, пустоту на месте слова «Сталин». Сталина-то все знают, сто процентов. А что это такое, чем это заполнено? Не все же знают, что это особый тип зверства, который практиковался властью, практиковался именно под личным, я бы сказал даже, давлением Иосифа Виссарионовича Сталина; что он автор этого, что он лично просматривал паточные [sic – dek] документы и ставил резолюцию: «Бить!» Вот эти вещи кто знает?[/bilingbox]

    erschienen am 29.04.2019, Original

    Rossijskaja Gaseta: Mächtige journalistische Arbeit

    In der regierungsnahen Zeitung Rossijskaja Gaseta bringt der Schriftsteller Andrej Maximow eine persönliche Note in seine lobenden Worte ein:

    [bilingbox]Juri Dud hat mit Kolyma einen grandiosen Film gemacht. Auf dieser Feststellung bestehe ich. Juri Dud hat ein Filmereignis geschaffen. 70 Prozent der Russen heißen die Taten Stalins gut. Die Intelligenzija sagt dazu Ach! und Oh!. Und Dud dreht einen Film. Einen klugen Film. Sehenswert. Ernst.
    Meine Mutter ist vor mehr als zehn Jahren gestorben. Und bis zu ihrem Tod ist sie zusammengezuckt, wenn sie nachts hörte, wie jemand Autotüren zuschlug: Meinen Opa hatten sie geholt. 
    Ein junger Mensch in zerfetzten Jeans und roter Winterjacke hat nun über diese Angst einen Film gedreht. Ich nicht. Und viele andere nicht. Er hat es gemacht. Danke, Juri Dud, für diese mächtige journalistische Arbeit. Danke für das Beispiel. […]
    Dem Autor des Films wird fehlender Patriotismus vorgeworfen und unterstellt, etwas in den Dreck ziehen zu wollen. Aber ich möchte Ihnen eines sagen, meine Lieben: Kolyma ist nicht nur – was sag ich – vielleicht gar nicht so sehr ein Film über die Stalinschen Säuberungen als vielmehr ein Film über die Geistesstärke des sowjetischen Menschen, über einen Geist, den zu zerstören nicht möglich war. Ein Film darüber, dass die Menschen hier bei uns immer stärker und gütiger sind als das System. ~~~Юрий Дудь снял выдающийся фильм „Колыма“. Я настаиваю на этом определении. Юрий Дудь снял картину-событие. 70% россиян одобряют деятельность Сталина. Интеллигенция заахала. Дудь снял кино. Талантливое. Зримое. Серьезное. 
    Моя мама умерла более десяти лет назад. И до самой смерти она вздрагивала, если слышала, как ночью хлопает дверь машины: мой дедушка был репрессирован. Молодой человек в рваных джинсах и красной куртке снял кино про этот страх. Я не снял. И много кто еще не снял. А он сделал. […] Спасибо, Юрий Дудь, за мощную журналистскую работу. Спасибо за пример.

    […]
    … автора картины обвиняют в отсутствии патриотизма и желании чего-то там опорочить. А знаете, что я вам скажу, дорогие мои: „Колыма“ – это не только, а, может быть, и не столько картина о сталинских репрессиях, сколько фильм – о силе духа советского человека, духа, который невозможно было сломить. Про то, что люди у нас всегда сильнее и добрее системы.[/bilingbox]

    erschienen am 05.05.2019, Original

    Livejournal/Arkadi Babtschenko: Hipper Jüngling in teuren Klamotten

    Der oppositionelle Journalist Arkadi Babtschenko sieht auf Livejournal ein Authentizitätsproblem der Doku:

    [bilingbox]Sieh an: in Kolyma ist es kalt. Wer hätte das gedacht. Moskau hat für sich den Einfluss der Kälte entdeckt: als das Vernichtende all des Menschlichen im Menschen. Eine übersättigte Community, die es fertiggebracht hat, sich aus allen Erschütterungen, Kriegen, Naturkatastrophen herauszuhalten, die das Land in den letzten 30 Jahren umfänglich mitgemacht hat, hört jetzt zu, wie ein hipper Jüngling in teuren Klamotten ihnen etwas über die Kälte erzählt. […]
    Geht in die Bibliotheken, ihr Infantilos.
    Nehmt eure Kinder mit.
    Und lest.~~~На Колыме, оказывается, холодно. Кто бы мог подумать. Москва открыла для себя уничтожающее в человеке все человеческое влияние холода. Сытая тусовка, умудрившаяся остаться в стороне от всех потрясений, войн, катаклизмов, которые последние тридцать лет несла их страна по всему периметру, слушают, как им про холод рассказывает модный мальчик в дорогой одежде. <…>
    Идите в библиотеки, инфантилы. 
    Детей своих ведите. 
    Читайте.[/bilingbox]

    erschienen am 03.05.2019, Original

    Swobodnaja Pressa: Wir klauen euch eure Zukunft

    Zu den schärfsten und lautstärksten Kritikern des Dokumentarfilms gehört Sachar Prilepin. Auf Swobodnaja Pressa erläutert der polarisierende Schriftsteller seinen Standpunkt:

    [bilingbox]Der Sinn des Films ist so banal, dass einem leicht übel wird. Der Autor sagt: Kinder, jetzt erzähle ich euch, warum ihr diesem fiesen Land nichts schuldig seid, in dem in vergangenen Zeiten solche wie ihr, nämlich Kinder, für’s Eisessen ins Lager gesteckt wurden. […]
    Offensichtlich ist es möglich, den historischen Fokus, der 1987 bis 1991 gesetzt wurde, einfach zu wiederholen. Mit dem bisherigen Resultat waren die Auftraggeber nicht zufrieden: Denn wir sind wieder hervorgekrochen und fluchen nun, was das Zeug hält. Nun gut, sagen sie, dann fangen wir euch eben eure Zukunft weg: eure naiv dreinschauenden Erben. Und sie sind äußerst erfolgreich auf ihrem Fang: 500.000 Likes – das ist ein ganz veritabler Maidan, ein Versammlungsplatz gefüllt bis in die letzte Ecke.
    ~~~Смысл фильма банален до легкой тошноты. Автор говорит: дети, сейчас я вам расскажу, почему вы ничего не должны этой мерзкой стране, где в былые времена таких же, как вы, детей сажали за съеденное мороженое. <…>
    Оказывается, фокус, который был произведён в 1987—1991 гг. — вполне можно еще раз повторить. Прежним результатом заказчики не удовлетворены: мы как-то выползли и отругиваемся теперь. Ну, ладно, сказали они, мы своруем у вас ваше будущее: ваших лупоглазых наследников. И более чем успешно воруют. Пятьсот тысяч лайков — это вам, имейте в виду, хорошая майданная площадь, заполненная до краёв.[/bilingbox]

    erschienen am 29.04.2019, Original

    The New Times: Guter Grund für Optimismus!

    Nicht nur die Doku selbst hat in Russland für Aufsehen gesorgt, auch die implizite Kontroverse zwischen Prilepin und Dud ist ein großes Thema. Auf The New Times sieht der Politologe und Schriftsteller Fjodor Krascheninnikow diesen Streit entschieden: 

    [bilingbox]Der Streit zwischen Prilepin und Dud ist grundlegend: Es geht darum, wer die Jugendlichen in die Zukunft führt und wie diese Zukunft einst werden wird. […]
    Die Niederlage Prilepins und seinesgleichen war unausweichlich, weil all ihre faulige UdSSR-Nostalgie, all ihre masochistische Liebe zu Stalin-Stiefeln, ihr gewissenloses Jonglieren mit Orden toter Kriegsveteranen und das Posieren in Soldatenmänteln, all die Sagen über den Donbass, den provinziellen Hass gegen Amerika und Europa – all das kannst du nicht denen verkaufen, die mit dem Internet geboren sind und ihr Leben lang damit gelebt haben. Diese junge Menschen interessiert kein Prilepin, der über den Donbass redet, sie interessiert Dud, wenn er über Kolyma spricht – und das lässt Optimismus aufkommen!~~~Спор Прилепина и Дудя принципиален, и он о том, кто поведет молодежь в будущее и каким это будущее станет. <…>
    Поражение Прилепина и ему подобных неизбежно, потому что всю их протухшую ностальгию по СССР, всю их мазохистскую любовь к сапогам тов. Сталина, их бессовестное жонглирование медалями умерших ветеранов и позирование в мундирах, все эти былины про Донбасс и провинциальную ненависть к Америке и Европе — всё это не продать тем, кто родился и прожил всю жизнь в интернете. Им, этим ребятам, не интересен Прилепин про Донбасс, им интересен Дудь про Колыму — и это хороший повод для оптимизма![/bilingbox]

    erschienen am 06.05.2019, Original

    Spektr: Wenn man lange in einen Abgrund schaut …

    Semjon Nowoprudski betrachtet Duds Kolyma als „die größte Tat des gegenwärtigen russischen Journalismus“. Auf Spektr argumentiert er für seine These:

    [bilingbox]Kolyma ist in Duds Film ein Gebiet von schönster Natur und absoluter Hoffnungslosigkeit, was das Leben angeht. So kann man nicht leben. Hier kann man nicht leben. Hier herrscht ewiges Eis. Ewiges Eis und die ewige Scheußlichkeit der Verwüstung in den Seelen von Millionen Russen. Dieser Film und die Reaktion darauf ergeben ein Blutbild – es ist der Versuch der Russen, öffentlich über ihre schlimmste Tragödie zu sprechen. 
    In der russischen Geschichte ist immer viel Blut geflossen. Die Machthaber haben das Volk immer als „menschliches Material“ angesehen, als „Personal“, jetzt auch noch als „Elektorat“. Dieser Film – beinahe mutet er unterhaltsam, ruhig an, mit Elementen aus dem ganz normalen Leben – erweist sich als Möglichkeit für unsere Nation, in den Abgrund zu schauen. Und dort ihr Spiegelbild zu sehen.~~~Колыма в фильме Дудя предстает территорией красоты природы и абсолютной безнадежности уклада жизни. Так жить нельзя. Здесь жить нельзя. Это вечная мерзлота. Но мерзлота и мерзость запустения в душах миллионов россиян. Этот фильм и реакция на него дают «общий анализ крови» — становятся попыткой россиян публично проговаривать свою самую главную трагедию. В российской истории всегда лилось много крови. Власть всегда считала людей «человеческим материалом», «личным составом», теперь вот еще «электоратом». Этот фильм, вроде бы почти развлекательный, спокойный, с элементами обычной нормальной жизни, оказался способом для нации заглянуть в бездну. И увидеть там свое отражение.[/bilingbox]

    erschienen am 07.05.2019, Original

    dekoder-Redaktion

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  • „Die Wahrheit werden wir vermutlich ohnehin nie erfahren“

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    Katastrophe am Moskauer Flughafen Scheremetjewo: Bei der Notlandung einer Passagiermaschine sind am Sonntagabend offiziellen Angaben zufolge 41 Menschen gestorben. Darunter sollen zwei Kinder und ein Mitglied der Crew sein.

    Am Tag nach dem Unglück gibt es verschiedene Versionen, wie es dazu kam. Die Maschine, ein Suchoi Superjet-100, soll etwa 45 Minuten nach Abflug von Scheremetjewo dort wieder notgelandet sein. Dabei stand das Flugzeug am Heck in Flammen. Nach Flughafen-Angaben wurde das Feuer schnell gelöscht, Passagiere und Crewmitglieder hätten das Flugzeug über Notrutschen in 55 Sekunden verlassen.
     
    Die genauen Ursachen müssen nun untersucht werden, die Flugschreiber der Maschine sind inzwischen gefunden. Unterdessen kursieren unterschiedliche Versionen über den Unglückshergang: Laut Aeroflot hat ein Technikfehler die Piloten des Fluges SU1492 – mit 73 Passagieren und 5 Crewmitgliedern an Bord – zur Umkehr gezwungen. Augenzeugen berichten dagegen von einem Blitzeinschlag. Laut Nachrichtenagentur Interfax schlug die Maschine bei der Notlandung mehrfach am Boden auf, wobei ein Tank explodiert sei. So habe das Flugzeug Feuer gefangen.
     
    In Sozialen Netzwerken artikulieren derzeit viele ihre Trauer, aber auch Wut. Im internationalen Vergleich schneidet die Flugsicherheit innerhalb Russlands immer wieder schlecht ab. Das Vertrauen, dass die Katastrophe restlos aufgeklärt wird, ist in den Kommentaren gering. Dahinter steht, wie bei vergleichbaren Tragödien – etwa dem Kaufhaus-Großbrand in Kemerowo – ein Misstrauen in die Arbeit der Behörden in solchen Fällen.


    Kritik entzündet sich derzeit auch am Flugzeugtyp, dem Suchoi Superjet-100. Das Flugzeug gilt als Prestigeprojekt, es war das erste russische Passagierflugzeug, das nach Ende der Sowjetunion in Russland entwickelt wurde. Immer wieder gab es Pannen – und ein Unglück bei einem Demonstrationsflug 2012 in Indonesien: die Maschine stürzte ab.
     
    dekoder dokumentiert Auszüge aus der Debatte.

    Facebook: Zwei Seiten derselben erlernten Hilflosigkeit

    Derzeit kursieren noch unterschiedliche Versionen über den Unglückshergang. Sergej Medwedew teilt auf Facebook das Misstrauen, das in Sozialen Netzwerken gegenüber den Ermittlungen geäußert wird:

    [bilingbox]Ich bin nicht in der Lage über die technischen Aspekte zu urteilen, dennoch reicht mein dilettantisches Wissen, um zu ahnen, dass ein modernes Flugzeug nicht von einem Blitz aus der Fassung gebracht werden sollte. Die Wahrheit werden wir vermutlich ohnehin nie erfahren, wie auch nicht die genaue Anzahl der Opfer. Selbst wenn die Regierung die Wahrheit sagt, werden wir es trotzdem nicht glauben. So ist es nunmal bei uns: Wir retten uns individuell und akzeptieren die Lüge kollektiv, zwei Seiten derselben erlernten Hilflosigkeit. Ewiges Andenken den Verstorbenen.  ~~~Я не готов судить о технической части, но моих дилетантских знаний хватает на то, чтобы подозревать, что молния не должна выводить из строя современный самолет. Впрочем, правды мы все равно наверняка никогда не узнаем, как не узнаем точного числа жертв. И даже если власти скажут правду, то все равно не поверим. Так уж у нас все устроено: спасаемся поодиночке и коллективно соглашаемся с враньем, две стороны одной и той же выученной беспомощности. Вечная память погибшим.[/bilingbox]

    erschienen am 06.05.2019, Original

    Facebook: Schuld der „effektiven Manager“

    Oppositionspolitiker Gennadi Gudkow sieht – wie bei vergleichbaren Tragödien – die Ursache im System:

    [bilingbox]Was ist die Ursache der endlosen Kette von Unfällen und Katastrophen in Russland? Haben wir vielleicht unbelehrbare Piloten? Haben wir keine kompetenten Fluglehrer? Dumme und unendlich gierige Leiter von Fluggesellschaften? Hirnlose Fluglotsen?

    Ich denke, es waren unfähige und gewissenlose Minister, Leiter verschiedener Luftfahrtbehörden, die unannehmbare Zustände für die Arbeit des Luftverkehrs schufen. Solche, die nicht in der Lage sind, Fehler zuzugeben und zu korrigieren. […]

    Der russische Staat tötet weiterhin seine Bürger: in der Luft, auf Straßen, auf Baustellen und in Fabriken, in Krankenhäusern (wegen deren Nichtexistenz) und in Ersatzeinrichtungen. Wir sind leider weltweit auf den ersten Rängen dieser beschämenden Statistik.

    Weil wir nicht von Spezialisten regiert werden, von talentierten Meistern ihrer Fächer, sondern von den nach dem Prinzip der persönlichen Ergebenheit in die Ämter eingesetzten, unfähigen und gaunerhaften „effektiven Managern“, die es gewohnt sind zu lügen, zu stehlen und für nichts Verantwortung zu übernehmen. Soll doch jemand soviel Dreistigkeit aufbringen und sagen, dass es anders ist!

    Den russischen Bürgern bleibt aber beim Flugticketkauf nur das Vertrauen auf den Allmächtigen – sonst kann man auf nichts hoffen.~~~В чем же причина бесконечной череды смертельных аварий и катастроф в России? Может, у нас необучаемые пилоты? Нет квалифицированных инструкторов? Тупые и бесконечно жадные руководители авиакомпаний? Безмозглые авиадиспетчеры?
    Думаю, это — бездарные и бессовестные министры, руководители всяких летных инстанций, сотворившие неприемлемые условия для нормальной работы авиационной отрасли, не способные признавать и исправлять свои ошибки. […]
    Российское государство продолжает убивать своих граждан: в воздухе, на дорогах, на стройках и производстве, в больницах (и из-за их отсутствия), а также с помощью различных суррогатов. Мы, увы, на первых местах в мире по этой позорной статистике.
    Потому что нами управляют не специалисты, не талантливые мастера своего дела, а назначенные на должности по принципу личной преданности бездарные и жуликоватые «эффективные менеджеры», привыкшие врать, воровать и ни за что не отвечать. И пусть кто-нибудь наберется наглости сказать, что это — не так!
    А гражданам России остается полагаться лишь на Всевышнего, покупая билет в самолет: больше надеяться не на кого.
    [/bilingbox]

    erschienen am 05.05.2019, Original

    Facebook: Ihr seid überhaupt keine Journalisten!

    Journalist Boris Minajew hat sich durch die Berichterstattung im russischen Fernsehen gezappt – und kritisiert die Kollegen:

    [bilingbox]Wissen Sie, ich habe gerade durch die Fernsehkanäle gezappt. (Ja, ich habe einen Fernseher). Also. Der einzige (ich scherze nicht) der einzige Kanal, der eine Live-Reportage aus Scheremetjewo – live, ohne Unterbrechungen, mit Einbeziehung von allem möglichen, mit Videos, die Zeugen machten – das war Moskwa-24
    Überall auf allen Kanälen läuft entweder einfach alles nach Programm – Serien und anderes – oder schlicht die Meldung in Laufschrift samt Bild in der linken unteren Ecke, wie auf den Nachrichtenkanälen RBK und Rossija 24. Im Bildfeld aber sind geistreiche Moderatoren, die mit Händchen und Äuglein gestikulierend das Publikum mit einem bombastischen Beitrag über den Kinostart von Avengers: Endgame unterhalten (das ist live, damit Sie nicht zweifeln). 
    Oder es läuft eine hochintelligente Reportage von Propaganda-Kondomen über die USA oder Venezuela
    Und es sind keine 13 [Opfer, wie zuerst berichtet – dek]. Und es ist nichts klar. Ihr seid überhaupt keine Journalisten. Keine Informierenden. Ihr seid einfach die Schande der Nation. Moskwa-24 aber ist super. Wirklich.
    ~~~Ну вы знаете, я сейчас переключал каналы ТВ. (Да, у меня есть телевизор). Так вот. Единственный (я не шучу) единственный канал, по которому шел прямой репортаж из Шереметьево, прямой, непрекращающийся, с включениями всех кого можно, с видео, которое сделали очевидцы – это Москва-24. Везде по всем каналам идет либо просто то, что в программе – сериалы и проч., либо даже по информационным каналам(!) РБК и Россия-24, только бегущая строка и картинка в левом нижнем углу. А в кадре остроумные ведущие ручками и глазками развлекающие публику огромным, просто огромным сюжетом о российском прокате Мстителей (это прямой эфир, чтоб вы не сомневались), или высоко-умный репортаж пропагандонов про Америку и Венесуэлу. А смотреть на картинку просто страшно, самолет сгорел наполовину. И никакие там не 13. И ничего не понятно. Никакие вы не журналисты. Никакие вы не информационщики. Вы – позор нации просто. А Москва-24 молодцы. Реально.[/bilingbox]

    erschienen am 05.05.2019, Original

    Facebook: Gewaltige Probleme mit SSJ-100

    Auch am Flugzeugtyp, dem Suchoi Superjet-100, wird lautstark Kritik geübt. Anton Dolin, Chefredakteur von Iskusstwo Kino, zitiert aus einem Interview zum SSJ-100, das das Investigativ-Portal The Insider 2018 mit einem Aeroflot-Piloten geführt hatte:

    [bilingbox]Ich denke, jetzt werden sich alle an diesen Text erinnern. Sollen sie, es ist genau die richtige Zeit.

    ‚Tatsächlich stellen wir den Suchoi Superjet nicht her, wir setzen ihn nur zusammen. Die Montage des Superjet erfolgte in Komsomolsk am Amur, dabei war die Qualität dermaßen niedrig, dass es gewaltige Probleme mit dem Flugzeug gibt. In Sachen Energieausbeute ist es unglaublich ineffizient. Aber es wird Aeroflot aufgezwungen. Das Projekt Superjet gehört Putin, dieses Flugzeug nicht zu kaufen ist dementsprechend keine Option. Aeroflot hat kürzlich 50 weitere Maschinen bestellt, das heißt, das Problem wird größer werden, wie ein Schneeball. Irgendwann einmal wird man das Flugzeug wahrscheinlich in einen vernünftigen Zustand bringen, aber mit welchen Mitteln und zu welchen Betriebskosten? 
    Die Flüge werden sehr oft gestrichen oder verzögert. Ein Pilot, der einen Superjet nach Woronesh fliegt, sagt: Ich spiele hier jedesmal Lotto – in 50 Prozent der Fälle kann ich fliegen, in 50 Prozent nicht. Das ist überhaupt kein [akzeptabler] Indikator für eine Fluggesellschaft, dass ein Flug nur mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden kann – das ist eine finanzielle Katastrophe.‘~~~Думаю, все сейчас будут вспоминать этот текст. Ну пусть, самое время.

    «Реально мы не производим Sukhoi Superjet, а только собираем. Сборка Superjet проходила в Комсомольске-на-Амуре, и при этом даже ее качество было настолько низким, что с самолетом огромные проблемы. В плане эксплуатации он безумно неэффективен. Но «Аэрофлоту» его навязывают. Проект Superjet принадлежит Путину, соответственно, вариантов не купить этот самолет нет. «Аэрофлот» недавно заказал еще 50 машин, то есть проблема будет расти, как снежный ком. Наверное, когда-то этот самолет доведут до ума, но какими средствами и какой эксплуатационной ценой? Рейсы отменяют, задерживают очень часто. Пилот, который летает в Воронеж на Superjet, говорит: у меня каждый раз лотерея: 50% — я улетаю, 50% — нет. Это вообще не показатель для авиакомпании, чтобы рейс выполнялся с вероятностью 50%, просто финансовая катастрофа».[/bilingbox]

    erschienen am 05.05.2019, Original

    Echo Moskwy: Versucht, eure Sünden mit Gebeten reinzuwaschen

    Auf privaten Videos der Evakuierung sieht man Menschen, die auch ihr Handgepäck aus dem brennenden Flugzeug mitnehmen. Ein anonymer Zivilpilot macht im Blog auf Echo Moskwy Vorwürfe an die Überlebenden:

    [bilingbox]Ich möchte mich an die Überlebenden des Flugs SU1492 wenden, die ihr Handgepäck bei der Evakuierung mitschleppten: Leute, geht in die Kirche und versucht, eure Sünden mit Gebeten reinzuwaschen, wenn es klappt. Ihr könnt so viel ihr wollt Aeroflot beschuldigen, der Tod von so vielen Passagieren lastet aber unter anderem auch auf eurem Gewissen. Ich weiß nicht, wie man damit leben kann, dass mit dem Preis von Menschenleben eure stinkigen Unterhosen gerettet wurden. Das ist irgendein Surrealismus, das übersteigt meinen Verstand.~~~Хотел бы обратиться к выжившим пассажирам рейса SU 1492, которые тащили с собой свою ручную кладь во время эвакуации. Люди, сходите в церковь и попробуйте замолить свои грехи, если получится. Вы можете сколько угодно обвинять «Аэрофлот», но смерть такого количества пассажиров, в том числе, и на вашей совести. Как жить с мыслью о том, что ценой человеческой жизни были спасены ваши вонючие трусы я не знаю. Это какой-то сюрреализм, за гранью моего понимания.[/bilingbox]

    erschienen am 06.05.2019, Original

    dekoder-Redaktion

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