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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Presseschau № 43: Russland und die USA

    Presseschau № 43: Russland und die USA

    Das Verhältnis zwischen Russland und westlichen Regierungen kühlt sich weiter sichtlich ab. Während sich Russland die an den Luftangriffen auf Aleppo geäußerte Kritik verbittet, erheben einzelne Politiker in Europa und Vertreter im UN-Sicherheitsrat schwere Vorwürfe und sprechen von „Kriegsverbrechen“. Scharfe Töne kommen zudem aus den USA, Deutschland und Frankreich.

    Kommende Woche wollte Präsident François Hollande bei einem (lange im Voraus) anberaumten Treffen in Paris die Gespräche mit dem Kremlchef nun auf die Lage in Syrien beschränken und anderen gemeinsam angedachten Terminen fernbleiben. Putin ließ den Staatsbesuch platzen.

    Nun soll es am Sonnabend neue Friedensverhandlungen für Syrien in der Schweiz geben. Unterdessen bestätigte Russland die Verlegung von atomwaffenfähigen Kurzstrecken-Raketen in die Exklave Kaliningrad, will zudem Militärstützpunkte in Syrien auf eine dauerhafte Nutzung ausrichten.

    Seit Beginn der massiven diplomatischen Verwerfungen vergangene Woche sind in der russischen Presse weitere Kommentare und Analysen erschienen. Immer wieder tritt dabei vor allem das konfrontative Verhältnis zu den USA in den Vordergrund: Gibt es einen neuen Kalten Krieg? Hat sich die Lage tatsächlich zugespitzt oder ist alles nur Getöse? Oder droht ein direkter Konflikt mit den USA? Unsere aktuelle Presseschau zeigt Ausschnitte mit verschiedenen Blickwinkeln.

    Spektr: Virtuelle Realität

    Der kremlkritische Journalist Oleg Kaschin markiert Handeln und Rhetorik russischer Außenpolitik in einem Kommentar für das Online-Portal spektr als verlängerten Arm der Innenpolitik – als eine selbst geschaffene Realität, die lange schon auf Konfrontation mit dem Westen setze.

    [bilingbox]Das Kompositum „Kriegsverbrechen“ klingt mehr als ernst, und es handelt sich nicht um einen Krimi, in dem auf der vorletzten Seite der Name des Bösewichts genannt wird. Der Bösewicht ist längst bekannt – das sind wir. Man darf nur keine Angst haben, in den Spiegel zu sehen.

    Wäre es ein Film, käme darin ein durchgedrehter Diktator vor, der bereit ist, die ganze Welt im atomaren Bombenkrieg hochgehen zu lassen. Aber war der Zauberer der Smaragdenstadt ein durchgedrehter Diktator? Nein, er war ein fröhlicher Gauner, dessen ganze Größe darin bestand, den Menschen in der Stadt vorzuschreiben, sie müssten grüne Brillen tragen.

    Die Menschen, denen derzeit Russland gehört, sind nicht angetreten, um die Welt zu erobern – ihnen genügten schon immer die ungeteilte Macht und die damit verbundenen Reichtümer in ihrem eigenen Land. Und auch die Außenpolitik war für sie seit jeher nur die Fortsetzung der Innenpolitik – als Natoflugzeuge auf ihrem Weg nach und aus Afghanistan in Uljanowsk landeten, berichtete das Fernsehen davon, wie Russland sich der Allianz der NATO entgegenstemmt, und niemand sah darin einen Widerspruch.~~~Словосочетание «военные преступления» звучит более чем всерьез, и это не детектив, в котором имя злодея прозвучит на предпоследней странице. Злодей уже известен — это мы, надо только не побояться посмотреть в зеркало.

    Если бы это было кино, в нем показали бы обезумевшего диктатора, готового спалить весь мир в огне ядерной войны. Но был ли обезумевшим диктатором Волшебник Изумрудного города? Нет, это был веселый плут, величие которого основывалось на обязательных для ношения в городе зеленых очках. Люди, которым принадлежит сейчас Россия, пришли не завоевывать мир — им всегда хватало безраздельной власти и привязанных к ней богатств в своей стране. Да и внешняя политика всегда была для них только продолжением внутренней — когда в Ульяновске приземлялись натовские самолеты по дороге в Афганистан и из Афганистана, телевизор рассказывал о противостоянии России Североатлантическому альянсу, и никто не видел в этом противоречия.[/bilingbox]

     
    erschienen am 12.10.2016

    EJ: Vorbereitungen aufs Extreme

    Alexander Golz ist Militärexperte und schreibt scharfe Analysen für das oppositionelle Portal ej.ru, das wegen seiner Kritik an der Ukraine-Politik des Kreml seit Jahren im russischen Web gesperrt ist – als Kontrastfolie zu Putins Syrien-Politik und die außenpolitischen Schritte hebt Golz die innenpolitischen Töne und Maßnahmen in Russland hervor.

    [bilingbox]Vom Katastrophenschutzministerium wurden bislang nie dagewesene Übungen zur Zivilverteidigung abgehalten, an denen, so die offiziellen Zahlen, mehr als 40 Millionen Menschen beteiligt waren. Als Bilanz vermeldete der Vize-Chef des Moskauer Katastrophenschutzes Andrej Mischtschenko eine fabelhafte Nachricht für die Hauptstadtbewohner: Alle zwölf Millionen könnten im Notfall in wohnlich ausgestatteten Bunkern unterkommen.

    Doch vor feindlichen Bomben und Raketen Zuflucht zu suchen, reicht nicht aus. Man muss unter dem Schutzdach der Betondecke auch etwas essen. Und da folgt eine erfreuliche Nachricht aus Sankt Petersburg. Der dortige Gouverneur Poltawtschenko bestätigte die Versorgungsnormen der nördlichen Hauptstadt mit Brot. Er verpflichtete seine Untergebenen, so viel Roggen und Weizen einzulagern, dass jeder der fünf Millionen Petersburger über 20 Tage mit je 300 Gramm Brot versorgt werden kann.~~~Министерство по чрезвычайным ситуациям проводит невиданные доселе учения по гражданской обороне, которые, как утверждают, охватили свыше 40 миллионов человек. И по их результатам заместитель начальника столичного управления МЧС Андрей Мищенко сообщил москвичам замечательную новость: все 12 с лишним миллионов будут укрыты в случае необходимости в гостеприимных бомбоубежищах.

    Но мало укрыться от вражеских бомб и ракет. Под сенью бетонных потолков надо еще чего-то есть. И вот радостная весть из Санкт-Петербурга. Тамошний губернатор Полтавченко утвердил нормы снабжения хлебом жителей северной столицы. Он обязал своих подчиненных держать столько ржи и пшеницы, чтобы обеспечить каждого из пяти миллионов петербуржцев 300 граммами хлеба в течение двадцати дней.[/bilingbox]

     
    erschienen am 11.10.2016

    Izvestia: USA verweigern gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus

    Die USA, so der Politologe Andrej Manoilo in der regierungsnahen Tageszeitung Izvestia, hätten sich mit ihrer Politik im Nahen Osten selbst diskreditiert.

    [bilingbox]Die Politik des Weißen Hauses seit Beginn der 2000erJahre verwandelte die USA und das große amerikanische Volk von absoluten Gegnern des internationalen Terrorismus zu de facto Gehilfen. […]

    In den Beziehungen zwischen Russland und den USA befinden wir uns aktuell an einem Wendepunkt, von dem aus unsere Beziehungen jede Sekunde entweder in Richtung Frieden oder in Richtung Konflikt rutschen können. Wir und die Vereinigten Staaten befinden uns an einem Scheideweg: Es gibt einen Weg der Rettung, das ist der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus.

    Der jedoch wird von Washington aus irgendeinem Grund wütend abgelehnt. Unter solchen Bedingungen kann jede unbedachte Bewegung tödliche Folgen haben, nicht nur für zwei Weltmächte, sondern auch für den gesamten Rest der Welt.

    Ein Krieg bleibt nach wie vor nicht unausweichlich, doch aufgrund der Bedrohung seitens der USA steigt das Risiko unterdessen über alle Maßen.~~~политика, проводимая Белым домом с начала 2000-х годов, превратила США и великий американский народ из непримиримых противников международного терроризма в его фактических пособников. […]

    Нынешняя фаза развития отношений России и США является, по сути, поворотной точкой, из которой наши отношения в любую секунду могут скатиться как в сторону мира, так и в сторону конфликта. Мы с Соединенными Штатами — на распутье: спасительный путь есть, это путь совместной борьбы с терроризмом.

    Однако он почему-то яростно отвергается Вашингтоном. В этих условиях любое неосторожное движение может стать гибельным не только для двух мировых держав, но и для всего остального мира в целом.

    Война по-прежнему не является неизбежной, но ее риски сегодня благодаря угрозам со стороны США явно зашкаливают.[/bilingbox]

     
    erschienen am 11.10.2016

    Slon: Neu belebter Antiamerikanismus

    Der Politologe Wladimir Pastuchow spricht in seinem Kommentar für das liberale Webmagazin slon.ru von „hysterischem Antiamerikanismus“, der noch aus Sowjetzeiten bestehe und, wie sich in diesen Tagen zeige, leicht zu entfesseln sei.

    [bilingbox]Er ist noch nicht verschwunden, der gute alte Antiamerikanismus aus sowjetischen Tagen, der auch bis heute noch mehrere politisch aktive Generationen vereinnahmt hat. Er glomm tief im Unterbewussten und man brauchte nur ein Streichholz nehmen, um diesen Leitstern der sowjetischen Propaganda wieder zum Leuchten zu bringen. […]

    Millionen Menschen atmeten erleichtert auf, als sie für alles eine einfache und verständliche Erklärung fanden. Es irritiert sie nicht, dass es in ihren Ansichten unversöhnliche Widersprüche gibt: Amerika liegt im Sterben und unterjocht gleichzeitig die ganze Welt. Mal ist es die einzige Supermacht, mal ist es geopolitisch eine „lahme Ente“.

    Verschwörungstheorien sprießen aus dem Boden wie Pilze nach dem Regen: Es gibt kein Verbrechen in der Welt, keinen Konflikt, keine Dummheit und keine Gemeinheit, die nicht vorher von den Amerikanern geplant worden wäre. ~~~[…] не выветрился еще старый добрый советский антиамериканизм, который впитывали в себя несколько политически активных и по сей день поколений. Он тлел глубоко в подсознании, и достаточно было поднести спичку, чтобы эта путеводная звезда советской пропаганды снова загорелась. […]

    Миллионы людей вздохнули с облегчением, найдя всему простое и понятное объяснение. Их не смущает, что в их воззрениях есть непримиримое противоречие: Америка одновременно умирает и порабощает мир. Она то единственная сверхдержава, то геополитическая «хромая утка». Теории заговоров растут как грибы после дождя – нет такого преступления в мире, нет такого конфликта, такой глупости или подлости, которая не была бы заранее спланирована американцами.[/bilingbox]

     
    erschienen am 13.10.2016

    Snob: Kreml treibt künftige US-Regierung vor sich her

    Mit dem Aussetzen des Plutonium-Abkommens und anderen konfrontativen Akten versuche sich Russland kurz vor der US-Präsidentschaftswahl einen strategischen Vorteil zu erspielen, meint Alexander Baunow. Auf Snob schreibt der Chefanalyst des Moskauer Carnegie Zentrums, der Kreml habe diesen neuen Tiefpunkt bewusst gesetzt, um selbst die Initiative zu haben:

    [bilingbox]Durch die scharfen Worte und Handlungen Russlands soll der zukünftigen Administration der USA Raum für Initiativen genommen werden wenn es darum geht, die bilateralen Beziehungen herunterzufahren auf ein Niveau, das der unheilvollen Rolle entspricht, die man Russland im amerikanischen Wahlkampf zugeschrieben hat.

    Es ist ein Versuch, für den Moment der Machtübergabe im Weißen Haus eine Situation zu schaffen, in der die Initiative zur Verschlechterung der Beziehungen nicht von den USA ausgehen kann, weil es für eine solche Initiative schlicht keinen Raum mehr gibt.

    Der Wunsch, Russland zu bestrafen wird künftig dadurch erschwert, dass das zu einem äußerst gefährlichen Level in den Beziehungen führen würde. Und falls der russische Favorit die US-Wahlen gewinnen sollte, kann man die gegenwärtige Verschlechterung leicht zurückspielen, ohne seine Reputation groß zu schädigen. Denn das wäre dann nicht etwas Neues, Prorussisches, sondern einfach eine Rückkehr zur kürzlichen Normalität. […]

    Das ist eine effektive politische Entscheidung, die Putin außerdem großen Handlungsspielraum gibt bei konkreten Angelegenheiten wie Aleppo oder dem Donbass. Allerdings birgt sie eine offensichtliche Gefahr: Am äußersten Tiefpunkt angekommen, kann es sein, dass man feststellt: Es geht noch weiter nach unten.~~~Резкие слова и действия России – способ лишить будущую администрацию США инициативы в деле редукции двусторонних отношений к уровню, соответствующему зловещей роли, которую приписали России на американских выборах.

    Это попытка создать к моменту передачи Белого дома новому обитателю такую ситуацию, при которой инициатива ухудшения отношений не могла бы исходить от США просто потому, что пространства для такой инициативы уже просто не найдется. Желание наказать Россию будет затруднено тем, что оно уведет на запредельно опасный уровень отношений. Ну а в случае победы российского фаворита нынешнее одномоментное ухудшение можно будет легко отыграть назад без большого ущерба для его репутации, ведь это будет не что-то новое, пророссийское, а просто возвращение к недавней норме. […]

    Это эффектное политическое решение, которое к тому же дает большую свободу действий для Путина в частных вопросах вроде Алеппа и Донбасса, содержит в себе очевидную опасность: под найденным дном может оказаться другое, более глубокое.[/bilingbox]

     
    erschienen am 6.10.2016

    Gazeta.ru: Schlechte Zeiten haben Kontinuität

    Fjodor Ljukanow ist auf Fragen der russischen Außenpolitik spezialisiert. Für die Internetzeitung Gazeta.ru zieht der Chefredakteur des Magazins Russia in Global Affairs angesichts der aktuellen Spannungen historische Parallelen zur Jelzin-Ära und meint, es sei geradezu eine Gesetzmäßigkeit, dass sich das Verhältnis zwischen Russland und den USA – aufbauend auf einem Grundkonflikt – in Wahlkampfzeiten kontinuierlich verschlechtere.

    [bilingbox][Der Verlauf der russisch-amerikanischen Beziehungen – dek] ist den Wahlkampfzyklen unterworfen. In ihnen kann es Schwankungen in die eine oder andere Richtung geben, aber am Ende einer jeden Kadenz erfahren sie ganz sicher eine weitere Verschärfung.

    „Bill Clinton hat sich erlaubt, Druck auf Russland auszuüben. Er hat offensichtlich – für eine Sekunde, eine Minute, eine halbe Minute lang – vergessen, wer Russland ist. Dass Russland ein ganzes Arsenal an Atomwaffen besitzt. Clinton entschied sich für Muskelspiele.

    Ich will Clinton an dieser Stelle etwas sagen: Er möge nicht vergessen, in welcher Welt er lebt. Es war nie so und es wird nie so sein, dass er allein der Welt diktiert, wie sie zu leben hat. Eine multipolare Welt – das ist die Grundlage von allem. Es ist so, wie ich mich auch mit dem Staatsoberhaupt der Volksrepublik China, Jiang Zemin, verständigt habe: Wir werden der Welt Vorgaben machen, nicht er allein.“

    Jelzin sprach diese Worte bei seiner letzten Auslandsreise als Staatschef – in Peking im Dezember 1999. Bis zu seinem aufsehenerregenden Rücktritt blieben zu diesem Zeitpunkt noch etwas mehr als drei Wochen.

    Diese Aussagen waren im Wesentlichen ein Schlusspunkt unter den ereignisreichen Beziehungen der beiden Länder und zwischen beiden Präsidenten in den 1990er Jahren (die sich offiziell gegenseitig Freunde nannten). Jelzins scharfe Reaktion war eine Antwort auf die Bemerkung Clintons, dass Russland für sein Vorgehen in Tschetschenien „teuer bezahlen werde“ – der Westen bereitete damals gerade Sanktionen vor. […]

    Letztlich geht es im Grunde auch nicht danach, ob die Chemie zwischen den Präsidenten stimmt (zwischen Putin und Bush gab es sie ja), sondern genau darum, worüber Jelzin damals in Peking 1999 gesprochen hat. Russland war nie bereit, sich in eine von den Amerikanern geführte Weltordnung einzupassen, und hatte zugleich nicht die Kraft, diese ernsthaft herauszufordern. Auch den USA fehlte immer die Kraft, die Welt wirklich zu ordnen, aber sie sind zugleich nicht bereit, von dieser Idee abzulassen.~~~Она привязана к избирательным циклам, внутри которых могут быть колебания в ту и другую сторону, но к завершению очередной каденции обязательно случается обострение.

    «Билл Клинтон позволил себе надавить на Россию. Он, видимо, на секунду, на минуту, на полминуты забыл, что такое Россия, что Россия владеет полным арсеналом ядерного оружия. Клинтон решил поиграть мускулами. Хочу сказать через вас Клинтону: пусть он не забывает, в каком мире живет. Не было и не будет, чтобы он один диктовал всему миру, как жить. Многополюсный мир — вот основа всему. То есть так, как мы договорились с председателем КНР Цзян Цзэминем: мы будем диктовать миру, а не он один».

    Слова Бориса Ельцина прозвучали во время его последнего зарубежного визита в ранге главы государства — в Пекин в начале декабря 1999 года. До сенсационной отставки оставалось чуть больше трех недель, и это высказывание по существу подвело черту под насыщенными отношениями двух стран и двух президентов (которые официально именовали друг друга друзьями) в девяностые годы.

    Резкая реакция Ельцина последовала в ответ на замечание Клинтона, что Россия «дорого заплатит» за свои действия в Чечне, — Запад готовил санкции. […]

    Однако в основе, конечно, не наличие или отсутствие «химии» между лидерами (у Путина и Буша она как раз была), а то, о чем в декабре 1999 года говорил в Пекине Борис Ельцин. Структурно Россия никогда не была готова вписаться в мир, которым руководит Америка, но и не имела сил бросить серьезный вызов. А у Америки никогда не хватало сил этот мир по-настоящему выстроить, но она не готова и отказаться от этой идеи.[/bilingbox]

     
    erschienen am 7.10.2016

    dekoder-Redaktion

     

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  • Infografik: Dumawahl 2016

    Infografik: Dumawahl 2016

    Triumph für Einiges Russland. Die Machtpartei holt ihr bestes Ergebnis seit der Gründung 2001. Mit rund 54 Prozent der Stimmen und 343 Sitzen in der Duma stellt sie jetzt sogar die verfassungsändernde Mehrheit. Die wichtigere Zahl dieses Wahltages aber lautet: 47,88. So viel Prozent nämlich beträgt die (offizielle) Wahlbeteiligung – ein historischer Tiefstand. Wie der Erfolg von Einiges Russland zustande kam und welche Fragen sich daran anschließen, erläutern wir anhand unserer Infografiken zu den Wahlergebnissen.

     

    Quelle: ZIK

    Haushoch überlegen – für die Partei Einiges Russland, die sich im Wahlkampf als „Partei Putins“ präsentierte, weist das Ergebnis rund 54 Prozent der Stimmen aus.  

    Die Systemopposition verlor dagegen einiges an Stimmen, an Sitzen jedoch überproportional viel mehr. Vor fünf Jahren sah die Stimmverteilung hier noch so aus: Kommunisten (KPRF) 19 Prozent (92 Sitze), Liberaldemokraten (LDPR): 12 Prozent (56 Sitze), Gerechtes Russland 13 Prozent (64 Sitze).

     

    Quelle: ZIK / RBC

    Insgesamt wurden bei der Wahl alle 450 Dumasitze neu besetzt. Die eine Hälfte davon über Kandidaten im lokalen Wahlkreis und die andere über die Parteiliste. Gerade die Stimmen für die Direktkandidaten haben zum Ergebnis von Einiges Russland beigetragen. 202 von 225 Direktmandaten gingen an die Machtpartei, über die Parteiliste kamen noch 141 Mandate dazu. Mit 343 Abgeordneten hat Einiges Russland 76 Prozent der Sitze in der Duma inne und stellt damit nun eine verfassungsändernde Mehrheit – es ist das beste Ergebnis für die Partei seit ihrer Gründung 2001.

     

    Quelle: ZIK / RBC

    47,88 Prozent Wahlbeteiligung ist aber wohl die wichtigere Kennzahl dieser Dumawahl. Sie liegt 12 Prozentpunkte unter der Wahlbeteiligung im Jahr 2011. Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten ist diesmal also nicht zur Wahl gegangen. In den großen Städten Moskau und Sankt Petersburg lag die Wahlbeteiligung überhaupt nur bei 35,2 bzw. 32,7 Prozent. Wie ist diese schweigende Mehrheit eingestellt? Bedeutet Schweigen Zustimmung oder Protest? Das ist die Frage, mit der sich das Land in den nächsten Monaten beschäftigen wird.

     

    Quelle: ZIK / RBC

    Woher kommen aber die markanten regionalen Unterschiede bei der Wahlbeteiligung? Für unabhängige Medien nähren die Zahlen Zweifel an der Sauberkeit der Wahlen, denn Einiges Russland schnitt genau in solchen Regionen besonders gut ab, in denen es statistische Ausreißer nach oben bei der Wahlbeteiligung gab.

    Die Hinweise auf mögliche Wahlfälschungen sind insgesamt zahlreich – laut unabhängiger Wahlbeobachter bislang aber nicht so zahlreich wie bei der vergangenen Dumawahl.

    Vor diesem Hintergrund ist ein Wiederaufflammen der politischen Proteste von 2011/12 unwahrscheinlich. Die Opposition wird nun wohl vielmehr das Wahlsystem kritisieren. Bei niedriger Wahlbeteiligung spiele es nämlich noch mehr der Machtpartei in die Hände.

    Zwar entsteht damit nun kein Einparteiensystem, die Dominanz von Einiges Russland wird aber noch massiver: Über eine Opposition, die im Parlament die meisten Entscheidungen der Regierungspartei inzwischen ohnehin mitträgt und insofern zum „System Putin“ dazugehört.

    Ausgehend von dieser Dumawahl stellen sich also folgende Fragen: Wird die Systemopposition vor diesem Hintergrund Systemopposition bleiben oder eine neuerliche Wahlrechtsreform fordern? Und wie werden sich die oppositionellen Parteien Jabloko und PARNAS verhalten, die – wie bisher schon – außerhalb der Duma stehen? Werden sie angesichts ihrer schlechten Ergebnisse zu einer gemeinsamen Linie der demokratischen Opposition finden, oder werden sie nun von parteiinternen Querelen zerrissen?

    Mit der Dumawahl wurden in Russland die politischen Weichen neu gestellt – sowohl für das „System Putin“ als auch für die Opposition. Obwohl die Duma im politischen System Russlands eine untergeordnete Rolle spielt, werden diese Wahlen ein wichtiges Stimmungsbarometer für die politische Elite sein – auch angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage im Land. 

     


    Text: dekoder-Redaktion
    Veröffentlicht am 19.09.2016


    Die Erstellung dieser Infografik wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung.

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  • Presseschau № 41: Dumawahl 2016

    Presseschau № 41: Dumawahl 2016

    Nach der Dumawahl am Sonntag sind – wie schon seit 2011 – vier Parteien im russischen Parlament vertreten: die Kremlpartei Einiges Russland, die Kommunistische Partei (KPRF), die nationalkonservative Liberaldemokratische Partei (LDPR) und die linke Partei Gerechtes Russland. Mit insgesamt 343 von 450 Mandaten erhält Einiges Russland die meisten Sitze im Parlament. Dieses Ergebnis galt als erwart- und vorhersehbar. Präsident Wladimir Putin ließ nach Bekanntgabe der Stimmanteile verlautbaren, die Menschen hätten gespürt, dass gesellschaftliche und politische Stabilität gebraucht würde.

    Nach der Wahl ist vor der Wahl? An der politischen Kräfteverteilung hat sich nichts Wesentliches geändert, mit dem Unterschied, dass Einiges Russland nun sogar eine Zweidrittelmehrheit innehat. Die Systemopposition teilt sich untereinander ihre Plätze lediglich etwas anders auf. In der Presse wurde daher vor allem diskutiert, welche Signalwirkung davon ausgeht – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Fälschungsvorwürfe laut wurden und die Wahlbeteiligung nach aktuellem Stand bei nur 47,81 Prozent lag.

    Komsomolskaja Prawda: Kein Anlass zur Euphorie

    Der Chefredakteur der regierungsnahen Komsomolskaja Prawda, Wladimir Sungorkin, geht auf die sinkende Wahlbeteiligung ein und führt sie darauf zurück, dass es kein Vertrauen in den Wahlmechanismus gebe.

    [bilingbox]Mich beunruhigt diese Euphorie von Einiges Russland. Ihr glaubt doch nicht etwa wirklich an das, was ihr sagt? […] Ihr sagt, das Volk habe für Einiges Russland gestimmt. Nun mal langsam. Ein gewisser Teil hat für Einiges Russland gestimmt. Kein großer. Das kann man leicht nachrechnen. Ungefähr 20 Millionen von 145 Millionen haben Einiges Russland gewählt. Über die Hälfte der Wahlberechtigten sind nicht zur Wahl gegangen. Wir verlegen uns auf Schamanismus: In Frankreich sind sie weggeblieben, in Deutschland sind sie weggeblieben. Hört mal, aber wir sind hier nicht in Frankreich und nicht in Deutschland. Meine Bewertung fällt so aus: Ein riesiger Teil der Bevölkerung ist nicht hingegangen, weil er keinerlei Vertrauen in die Wahlen hat. Er geht nicht hin, weil er nicht daran glaubt. Ich denke, es gibt keinen Grund zur Euphorie. ~~~Меня тревожит такая эйфория «Единой России». Неужели вы действительно верите в то, что вы говорите? […] Вы говорите, что народ проголосовал за «Единую Россию». Давайте как-то осторожнее. Некая часть народа проголосовала за «Единую Россию». Она небольшая. Это же в пределах арифметики. Примерно 20 миллионов из 145 миллионов населения России проголосовало за «Единую Россию». Больше половины избирателей не пришли. Мы начинаем шаманствовать: во Франции тоже не пришли, и в Германии не пришли. Слушайте, у нас далеко не Франция и не Германия. Мое оценочное суждение: огромная часть населения не пришла, потому что абсолютно не доверяет выборному механизму. Она не идет, потому что не верит. Я считаю, что поводов для эйфории нет.[/bilingbox]

    Slon: „Wahl zwischen schlechten Möglichkeiten“

    Andrej Archangelski findet, es habe bei der Dumawahl lediglich eine „Wahl zwischen schlechten Möglichkeiten“ bestanden. Auf dem unabhängigen Magazin Slon fragt er sich, wie sich das auf die Psyche der Wähler auswirkt.

    [bilingbox]Das Besondere an dem aktuellen Wahlkampf bestand darin, dass formal die Wahlmöglichkeiten zugenommen hatten (bei den vorigen Wahlen war die Einstiegshürde für die Parteien höher und es gab keine Einerwahlkreise). Doch sowohl bei den vergangenen als auch bei diesen Wahlen hat im Endeffekt das grundlegende Prinzip gesiegt, das wir als „Wahl zwischen schlechten Möglichkeiten“ bezeichnen – wenn jedwede Verhaltensstrategie des Wählers das Ergebnis nicht grundlegend beeinflussen kann. Das versetzt jedes Mal insbesondere dem moralischen Zustand der Gesellschaft einen derben Schlag und erzeugt weiteren Unglauben und Apathie.~~~Специфика нынешней выборной кампании в том, что формально возможности выбора стали шире (на прошлых выборах был выше проходной барьер для партий и не было одномандатников). Но и на прошлых, и на этих выборах побеждает в итоге все тот же базовый принцип, который мы назовем «ситуацией плохого выбора», когда любая альтернативная стратегия поведения избирателя на выборах не может принципиально повлиять на конечный результат. Это всякий раз сильно бьет именно по моральному состоянию общества и порождает еще большее неверие и апатию.[/bilingbox]

    Izvestia: Wie es in einem demokratischen Land sein soll

    In der kremlnahen Zeitung Izvestia sieht der Politikwissenschaftler Alexej Martynow Russland dagegen im Kreis lupenreiner Demokratien angekommen. In denen das Volk naturgemäß der Souverän sei.

    [bilingbox]Trotz trüber Prognosen einiger unzufriedener Polittechnologen waren diese Wahlen geprägt von spannenden Kämpfen, dramatischen Situationen und scharfer Konkurrenz. Außerdem bemerkten alle Beobachter und Experten eine völlig neue Qualität des Wahlprozesses und des Wahlkampfs selbst. […] Insgesamt ist die Demokratie in Russland herangereift. Zu einer anerkannten Notwendigkeit. Wahrscheinlich ist bei den jetzigen Parlamentswahlen der Wähler zu einem der wichtigsten Teilnehmer geworden. So, wie sich das in einem demokratischen europäischen Land gehört.~~~Вопреки унылым прогнозам некоторых неудовлетворенных политтехнологов эти выборы оказались отмечены высоким накалом борьбы, драматичными ситуациями и острой конкуренцией. Кроме того, все наблюдатели и эксперты отмечают совершенно новое качество выборного процесса и самой предвыборной кампании. [….] В целом демократия в России повзрослела. Стала осознанной необходимостью. Наверное, одним из главных участников прошедших парламентских выборов стал избиратель. Как и должно быть в демократической европейской стране.[/bilingbox]

    Nesawissimaja Gaseta: Bodensatz bleibt haften

    Alexej Gorbatschow, Beobachter der Nesawissimaja Gaseta, hat beim Verfolgen der medialen Berichterstattung zwei völlig verschiedene Wahltage erlebt.

    [bilingbox]Wie zu erwarten, entfernten sich Regierungsvertreter und Opposition im Laufe des Wahltages immer weiter voneinander in ihrer Bewertung über den Verlauf der Abstimmung. Auch in den Medien wurden unterschiedliche Bilder gezeichnet. Während die staatlichen Sender Berichte über einen ruhigen, ja geradezu feierlichen Tag brachten, wimmelte es im Internet und in den sozialen Netzwerken von Meldungen über Verstöße. Insgesamt gab es nur geringfügig weniger Informationen über den massiven zusätzlichen Stimmeinwurf oder die berühmten Wähler-Karussels als im Jahr 2011. […]~~~Как и полагается, представители власти и оппозиции в течение дня существенно расходились в оценках хода голосования. Разные картинки предоставила и медиасфера. Если на госканалах звучали рапорты о спокойном и даже праздничном дне, то Интернет и соцсети были забиты сообщениями о нарушениях. Судя по всему, информации о пресловутых вбросах и «каруселях» окажется лишь немногим меньше, чем в 2011-м. […] В общем, уже можно сделать предварительный вывод о том, что идеальной кампании, конечно, не получилось. Указания Кремля о конкурентных, открытых и легитимных выборах, как и предполагалось, хроника 18 сентября сильно портит. И хотя большая часть сообщений о нарушениях или не подтвердится, или будет проигнорирована, а то и просто замолчена, но осадок, как говорится, все равно останется.[/bilingbox]

    Lilia Shevtsova (facebook): Fake-Vertretung

    Die renommierte Politikwissenschaftlerin Lilia Shevtsova schreibt auf ihrer facebook-Seite, die Verbindung zwischen Volk und Volksvertretung sei seit langem abgerissen. Der Graben vertiefe sich nach dieser Wahl.  

    [bilingbox]Einen RISS. Genau den wird die Siebente Duma demonstrieren. Den Riss zwischen der neuen Realität des Landes, das immer tiefer in die Krise gleitet, und den Versuchen des Kreml, Stabilität zu wahren. Die verrostete parlamentarische Konstruktion entspricht schon seit langem nicht mehr den gesellschaftlichen Anforderungen. Sie könnte noch eine Zeit lang weiterrosten. Doch wird die Duma heute potenziell zu einem revolutionären Faktor – weil sie eine Fake-Vertretung darstellt. Die Gesellschaft wird in dieser Situation wachsender Unzufriedenheit dazu gezwungen sein, ihre Interessen auf der Straße zu formulieren – weil sie legaler Kanäle zur Durchsetzung ihrer Interessen beraubt ist. Und die Regierung weiß das sehr wohl. Warum sonst sollte sie schon im Vorwege ein repressives Verteidigungssystem geschaffen haben? […] Also haben wir es gerade mit dem letzten Atemzug der „parlamentarischen Stabilität” zu tun. Und er wird in die Geschichte eingehen als Beispiel für die Diskreditierung des Parlamentarismus.~~~РАЗРЫВ. Именно это будет демонстрировать седьмая Дума. Разрыв между новой реальностью страны, все глубже вползающей в кризис, и попытками Кремля сохранить стабильность. Заржавевшая «парламентская» конструкция давно уже не отвечает запросам общества. Она могла бы еще какое-то время ржаветь и дальше. Но сегодня Дума потенциально становится революционным фактором – в силу своей функции фейкового представительства. Общество в ситуации нарастающего недовольства и не имея легальных каналов защиты своих интересов, будет вынужденно выражать свои интересы через улицу. Впрочем, власть это понимает. Иначе зачем заранее создавать репрессивную систему обороны? […] Так, что мы имеем дело с последним вздохом «парламента стабильности». И он останется в истории, как пример дискредитации парламентаризма. [/bilingbox]

    Rossijskaja Gaseta: Die Gesellschaft akzeptiert das System

    Leonid Radsichowski, Kolumnist der Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta, meint, dass das System die heutige Duma reproduziert habe und die Gesellschaft damit einverstanden sei:

    [bilingbox]Man kann durchaus sagen, dass die Duma die Hürde des Wahlkampfs überwunden hat und dabei nicht mit dem Fuß hängengeblieben ist: Das System hat sich selbst reproduziert, hat die heutige Duma reproduziert. […] Die Gesellschaft, die in Russland existiert (die Mehrheit), akzeptiert das Parteiensystem (und auch das politische System insgesamt), das wir haben. Genau wie auch die Gesellschaften in den anderen Ländern des Westens und Ostens mit ihrem politischen und ihrem Parteiensystem faktisch einverstanden sind. Die Systeme unterscheiden sich, die Gesellschaften unterscheiden sich, die Vorstellungen von Wettbewerb unterscheiden sich, das Zusammenspiel zwischen Verwaltungssystem, politischem System und Gesellschaft ist ein jeweils anderes, aber in jedem existierenden stabilen Staat gibt es ganz offensichtlich eine ENTSPRECHUNG zwischen der Gesellschaft und dem System. Und die heißt Gesellschaftsvertrag – entweder ist er schriftlich niedergelegt in Gesetzen oder er existiert als stillschweigende Übereinkunft.~~~Можно сказать, что Дума перепрыгнула через веревочку выборов, и ножкой не зацепив, Система воспроизвела себя, воспроизвела сегодняшнюю Думу. […] Общество, существующее в России (большинство), принимает ту партийную Систему (как и в целом политическую Систему), которая есть. Так же как общества в других странах Запада и Востока по факту устраивает их партийно-политическая Система. Системы – разные, общества – разные, представления о конкуренции – разные, соотношение "Административная Система – Политическая Система – Общество" – в каждом случае разное, но в каждом стабильно существующем государстве, есть, видимо, СООТВЕТСТВИЕ между Обществом и Системой. Вот такой Общественный Договор – или записанный в законах, или "по умолчанию".[/bilingbox]

    dekoder-Redaktion

     

     

     


    Diese Presseschau wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung.

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  • Infografik: Wie beliebt ist Putin?

    Infografik: Wie beliebt ist Putin?

    Am 18. September wählen die russischen Staatsbürger ihr Parlament – die Staatsduma. Obwohl die Volkskammer nur eine geringe Rolle in der politischen Landschaft Russlands spielt, ist diese Wahl von enormer Bedeutung. Sie wird ein Stimmungsbarometer abgeben und somit mittelbare Folgen für die wohl meistbeachtete Statistik Russlands haben: die Zustimmungswerte des Präsidenten.

    Was sagen uns diese Zahlen? Ist Putin wirklich dermaßen beliebt? In welchem Zusammenhang stehen die Umfragewerte mit den politischen Ereignissen? Diskutieren Sie mit uns auf facebook!

     


    Quelle: Lewada-Zentrum

     

    Wie beliebt ist Putin? Diese repräsentative Infografik verdeutlicht die Höhen und Tiefen in den Zustimmungswerten seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000. Das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada, das kurz vor der Dumawahl 2016 zum sogenannten ausländischen Agenten erklärt wurde, ermittelt sie in regelmäßigen Abständen.

    Wir versahen diese Grafik mit wichtigen Ereignissen, die das Auf und Ab der Werte erklären können. Sie können in bestimmte Zeiträume hineinzoomen, um ein genaueres Bild zu bekommen. Beachten Sie dabei aber den Leitspruch, der in jedem Statistik-Lehrbuch zu finden ist: „Traue keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast.“

    Denn zum einen: Was heißt „Zustimmung“? Drückt dieses Wort tatsächlich Beliebtheit aus oder einfach nur den Umstand, dass die Befragten nichts Schlechtes über Putin sagen können? Solche Begriffe sind dehnbar und verzerren somit das Ergebnis. Hinzu kommt die Tendenz, bei Umfragen eine Meinung kundzutun, die eher auf soziale Zustimmung träfe als die wirkliche Meinung. Soziale Erwünschtheit nennt man dieses Phänomen. Es dürfte zwar in allen Ländern eine wichtige Rolle spielen, in autokratischen Systemen aber umso mehr, wo die Bürger einem gewissen Anpassungsdruck ausgeliefert sind.

    Lassen wir aber mal die eigentlichen Zustimmungswerte außer Acht und betrachten nur die Kurve. Da zeigt sich, dass es die höchsten Zuwachsraten nach Konflikten gibt: wie der Antiterror-Operation im Moskauer Dubrowka-Theater im Oktober 2002, der Verhaftung Chodorkowskis im Oktober 2003, dem Georgienkrieg im August 2008 und der Krim-Angliederung im März 2014. In die umgekehrte Richtung, nämlich nach unten, ging es nach solchen Ereignissen wie dem Untergang der Kursk im August 2000, der Orangen Revolution Ende 2004, den Sozialprotesten 2005 und den Bolotnaja-Protesten 2011/12. 

    Alles nur Zufall? Manche Soziologen sehen durchaus Zusammenhänge. Einen möglichen eröffnet Lew Gudkow, Direktor des Lewada-Zentrums: In Zeiten von Konflikten laufe die Propaganda-Maschinerie auf vollen Touren. Sie wende sich an sowjetische und imperiale Vorstellungen, aktiviere Feindbilder und suggeriere Gefahr. Dies mobilisiere die Gesellschaft und solidarisiere sie hinter dem Präsidenten, so Gudkow.

    Vor dem Hintergrund anhaltend schlechter Beziehungen zwischen Russland und den USA staunten viele Beobachter, als die antiamerikanischen Stimmungen in der russischen Gesellschaft nach der Fußball-WM 2018 rapide sanken. Das Ab in der Kurve erklärten sie mit rund drei Millionen ausländischen WM-Touristen, die das seit Jahren verbreitete Bild des russophoben Ausländers ins Wanken brachten. Die renommierte russische Politologin Lilija Schewzowa etwa meinte in diesem Zusammenhang, dass die propagandistischen Feindbilder mitsamt der Formel belagerte Festung immer weniger Anklang fänden: „Allem nach zu urteilen ist den russischen Bürgern sehr bewusst, dass die Konfrontation Russlands mit dem Westen ein Ablenkungsmanöver ist: von innenpolitischen Problemen und von der Unfähigkeit der Regierenden, diese zu lösen“, so Schewzowa.


    Text: dekoder-Redaktion
    Veröffentlicht am 12.09.2016

     


    Die Erstellung dieser Infografik wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung.

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  • Presseschau № 40: Paralympics ohne Russland

    Presseschau № 40: Paralympics ohne Russland

    Doping-Sperre für russische Sportler bei den Paralympics: Der Internationale Sportgerichtshof CAS hat alle russischen Sportler von der Teilnahme an den Paralympics ausgeschlossen. Damit hat der CAS die Entscheidung des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) bestätigt. Dies hatte die Sperre mit den Untersuchungen der Welt-Antidoping-Agentur WADA begründet, die im sogenannten McLaren-Report systematisches Staatsdoping in Russland nachweist.

    Anders als bei Olympia, wo das IOC einzelne russische Sportler zuließ, werden somit bei den Paralympics keine russischen Athleten antreten.

    Da waren russische Sportler noch dabei – Paralympische Winterspiele in Sotschi 2014 / Foto © kremlin.ru

    Rossijskaja Gaseta: Die Falschen bestraft

    In der Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta kritisiert Ilja Triswjatski den Bann der russischen Sportler von den Paralympics – und sieht dahinter keine sportliche, sondern eine politische Entscheidung:

    [bilingbox]Abgesehen davon, dass das Internationale Paralympische Komitee (IPC) organisatorisch und formal unabhängig ist vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC), ist die Art und Weise, wie der russische Sport geballt attackiert wird, wie eine Blaupause gestrickt: Absolut saubere, integre Athleten, die niemals gegen irgendwelche Dopingregeln verstoßen haben, müssen die Kollektivschuld auf sich nehmen für die, gegen die es mehrfach Beschwerden gab.

    Plus: Sportlern mit sowieso eingeschränkten Möglichkeiten wird das Recht abgesprochen, bei den Paralympics anzutreten – einzig auf Grundlage der im McLaren-Report zusammengetragenen Fakten, die nie juristisch bestätigt wurden. […]

    Die, die zur Attacke auf das sportliche Russland bliesen, haben so ihr Ziel erreicht. Da sie unser Land nicht von Olympia verbannen konnten, lassen sie das jetzt an denjenigen Leuten aus, die sich durch eigene Anstrengung, über lange Wege und durch das Aufbieten unglaublicher Kräfte einen Lebenstraum erfüllen wollten. Der wird ihnen zerstört aus einer Laune von Funktionären heraus, die Politik über die sportliche und menschliche Ehre stellen.~~~Несмотря на то что IPC является независимой организацией и формально никакого отношения к Международному олимпийскому комитету (МОК) не имеет, схема массированной атаки на российский спорт содрана словно под копирку. Абсолютно чистые, ничем не запятнанные, никогда не нарушавшие антидопинговые правила атлеты вынуждены нести коллективную ответственность за тех, к кому в разное время имелись претензии. Плюс спортсмены, теперь уже с ограниченными возможностями, лишаются прав выступить на главном старте четырехлетия лишь на основании изложенных в докладе Макларена фактов, не находящих никакого юридического подтверждения. […]

    Те, кто предпринял атаку на спортивную Россию, все-таки добились своего. Не сумев лишить нашу страну Олимпиады, они отыгрались на людях, которые своим трудом, долгой дорогой боли и невероятных усилий шли к мечте всей жизни и были лишены ее по прихоти чиновников, которым политика оказалась дороже спортивной и человеческой чести.[/bilingbox]

    Echo Moskwy: Schaltet euren Verstand ein!

    Nikolaj Jaremenko, Chefredakteur des Sport-Hörfunksenders komanda.com, findet auf seinem Blog auf Echo Moskwy, es wurde nun genug gejammert – nicht alles sollte immer nur unter dem Aspekt der Politik betrachtet werden:

    [bilingbox]Ein Land, das ständig damit beschäftigt ist, nach Feinden zu suchen, hat aufgehört, nachzudenken. […] Unsere Leichtathleten werden nicht zugelassen: „Fass die bösen Angelsachsen, die eine politische Kampagne führen gegen Russland und seine Sportler!“ Na, welche Kampagne erwartet uns da noch, wenn wir alles nur unter dem Aspekt und durch das Prisma der Politik betrachten? […]

    Aber Olympia ist nun schon vorbei. Russen haben daran teilgenommen. Und das war eine gemeinsame Entscheidung Russlands und des IOCs. Und eine derartige Entscheidung verlangt nach einem Kompromiss, nach einem Handel. Und bei diesen Verhandlungen mussten irgendwelche Opfer gebracht werden. Unter den Opfern sehe ich außer den Paralympioniken niemanden. Daraus folgt, die Paralympioniken wurden verraten. Russland hat sie verraten.

    Deswegen möchte ich nicht in den Chor derer miteinstimmen, die jetzt einen neuen Kampfgesang anstimmen und erneut ausrufen: „Fass!“.
    Täuscht euch nicht. Schaltet euren Verstand ein.~~~Страна, озабоченная постоянно поисками врага, уже не  думает. […] Не допускают наших легкоатлетов – «ату» злобных англо-саксов, развязавших против России и её спортсменов политическую кампанию. Ну, а какая ещё кампания нам привидится, если мы сами всё рассматриваем только в политической плоскости, только через призму политики? […]

    Но Олимпиада уже прошла. Россияне выступили. И это было совместное – МОК и России – решение. А любое подобное решение предполагает компромисс, торговлю. И вот на этих торгах надо было чем-то жертвовать. В списке жертв, кроме паралимпийцев, я никого не вижу. Выходит, паралимпийцев сдали сами. Сдала Россия.

    Поэтому я не хочу участвовать в  хоре тех, кто будет теперь поднимать новый вой и запускать новое «ату!» Не ведитесь. Будьте думающими людьми.[/bilingbox]

    Komsomolskaja Prawda: Ein Schock!

    Jewgeni Nesyn, Redakteur des Boulevardblatts Komsomolskaja Prawda, sieht in der Sperre allgemeine Russophobie am Werk:

    [bilingbox]Die Entscheidung über Russlands Paralympioniken ist ein Schock. Sie ist die direkte Folge des Berichts, den die Welt-Antidoping-Agentur WADA unter Leitung von Richard McLaren am 18. Juli veröffentlicht hatte. Indes, wenn auch die „Wohlwollenden“ der westlichen Seite beschwören mögen, dass dieses Dokument Grundlage für den Kampf gegen Dopingverwendung bei Sportlern aller Länder sei – es hat einen gänzlich anderen Trend hervorgerufen: das Bestreben, überhaupt alle russischen Athleten von der internationalen Sportarena zu verbannen. Und zwar alle ohne Ausnahme, unabhängig vom Ausmaß ihrer Schuld, ungeachtet ihrer bisherigen Verdienste: Wenn du aus Russland bist, dann bist du nicht würdig, auf einer Stufe mit „sauberen“ Sportlern anzutreten. […] Was ist hier los? Wofür? Dafür, dass es Russen sind!  ~~~Решение по Паралимпийцам России – шок. Оно — прямое следствие публикации 18 июля доклада комиссии WADA под началом Ричарда Макларена. Однако как бы ни божились «доброжелатели» с западной стороны, что этот документ является основой для борьбы с употреблением допинга спортсменами всех стран, он породил совершенно другой тренд – стремление изгнать вообще всех российских атлетов с международной спортивной арены. Причем, всех без исключения – вне зависимости от степени их вины, невзирая на их прошлые заслуги: если ты из России, то недостоин выступать наравне с «чистыми» спортсменами. […]

    Да что же это такое творится? За что?

    Да потому что русские![/bilingbox]

    Izvestia: Das ist Faschismus

    Der Politikwissenschaftler Alexej Martynow geht in der kremlnahen Tageszeitung Izvestia mit den westlichen Sportfunktionären ins Gericht: Sie handelten aus Neid und Rache. Dabei scheut Martynow keine harten Vergleiche:

    [bilingbox]Die westliche Gesellschaft schmeichelt sich selbst, wenn sie der westlichen Demokratie solche Errungenschaften zuschreibt wie Toleranz, Pluralismus, Fürsorge für Alte und Menschen mit Handicap. […]

    Ungeachtet dessen, dass ein Drittel unseres Olympiateams vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde, belegte Russland den vierten Platz im Medaillenspiegel und ging faktisch als Sieger aus dieser übelriechenden „Meldonium-Spezialoperation“ hervor. Allem Anschein nach sind die westlichen Sportfunktionäre angesichts dessen in Raserei verfallen. Dieselben Bürokraten zahlen es uns nun heim: nach demselben Schema und auf dem Rücken russischer Paralympioniken.

    Die Rechnung auf Kosten Behinderter zu begleichen – das ist Faschismus, der nach 70 Jahren wieder den Kopf erhebt in Europa.~~~Западное общество льстит себе, записывая в число достижений западной демократии такие явления, как толерантность, плюрализм, забота о стариках и людях с ограниченными возможностями. […]

    Судя по всему, западные спортивные функционеры пришли в бешенство от результатов Олимпийских игр в Рио, где, несмотря на отстранение трети нашей сборной от соревнований, Россия заняла 4-е место в медальном зачете и фактически вышла победителем из этой дурно пахнущей «мельдониевой спецоперации». Теперь по той же схеме эти же стряпчие от международных спортивных организаций решили отыграться на российских паралимпийцах.

    Сводить счеты с инвалидами — это фашизм, который вновь поднимает голову в Европе 70 лет спустя.[/bilingbox]

    Novaya Gazeta: Die Funktionäre kommen davon

    Wladimir Mosgowoj von der unabhängigen Novaya Gazeta sieht die Schuld an dem Debakel eindeutig bei den zuständigen Funktionären. Nur würden die nun zu Opfern gemacht:

    [bilingbox][IPC-Präsident] Philip Craven und seine Mitstreiter, die von der Richtigkeit der Entscheidung überzeugt sind, hoffen, die russischen Funktionäre zu besseren Sitten zu bekehren. Aber das sind die besten Absichten, die in die falsche Richtung führen. In erster Linie zerstören sie den Traum von Menschen, die in sich die Kraft entdeckten, sich sowohl über die Trägheit des Umfelds als auch über eigene Gebrechen zu erheben.

    Nicht unwichtig ist auch, dass die Isolation von behinderten Sportlern nur die Konfrontation mit dem Westen verschärfen wird, die in der russischen Gesellschaft ohnehin mehr als genug anzutreffen ist. So werden die Funktionäre jetzt von den Schuldigen an der Katastrophe beinahe zu Opfern, obwohl nicht sie bestraft werden, sondern die Sportler.~~~[…]Филипп Крэйвен и его соратники, уверенные в правильности решения, очевидно, надеются на исправление нравов российских чиновников. Но это благие намерения, ведущие совсем не в ту сторону. Они в первую очередь убивают мечту людей, ощутивших в себе силы подняться и над косностью среды, и над своим недугом. Немаловажно и то, что изоляция российских спортсменов-инвалидов только усилит конфронтацию с Западом, которой и без того в российском социуме сейчас предостаточно. Теперь чиновники из реальных виновников катастрофы превращаются едва ли не в жертв, хотя наказаны не они, а спортсмены.[/bilingbox]

    dekoder-Redaktion

     

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  • FAQ zur Dumawahl 2016

    FAQ zur Dumawahl 2016

    Am 18. September 2016 wird in Russland die Staatsduma gewählt, das Unterhaus des russischen Parlaments. Aber was heißt „wählen” in Russland? dekoder gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen:

    DIE DUMA

    1. Was überhaupt ist die Duma?

    2. Was macht die Duma eigentlich? Entscheidet Putin nicht eh alles selbst?

    3. Warum wird die Duma als „durchgedrehter Drucker“ bezeichnet?

    DIE WAHL

    1. Steht das Ergebnis der Wahl nicht sowieso schon fest?

    2. Warum geht dann überhaupt jemand wählen?

    3. Was haben Karusselle, Reigen und Kreuzfahrten mit den Wahlen zu tun?

    4. Wieso wird der ehemalige Vorsitzende der Wahlkommission Wladimir Tschurow auch  „Zauberer“ genannt?

    5. Es gibt 2016 doch einige Neuerungen im Wahlmodus. Machen diese die Wahl nicht auch demokratischer?

    6. Nach der letzten Wahl gab es 2011/12 heftige Proteste. Ist damit in diesem Jahr wieder zu rechnen?

    7. Wenn es ihr angeblich doch nur darum geht, an der Macht zu bleiben, warum führt die Regierung dann Wahlen durch?

    8. Warum gilt Einiges Russland  als Machtpartei, obwohl Putin gar kein Mitglied ist?​

    9. Gibt es denn eine richtige Opposition in Russland?

    10. Was gehen uns im Westen die Wahlen in Russland an?


    DIE DUMA

    1. Was überhaupt ist die Duma?

    Die Staatsduma ist das Unterhaus des russischen Parlaments, sie ist also mit dem Deutschen Bundestag vergleichbar. Die 450 Abgeordneten, die im Gebäude am Ochotny Rjad im Herzen Moskaus arbeiten, dürfen offiziell ansonsten ausschließlich wissenschaftlichen oder künstlerischen Tätigkeiten nachgehen. Sie werden in der kommenden Legislaturperiode alle Gesetzesentwürfe – die sowohl von ihnen selbst als auch von anderen Staatsinstanzen eingebracht werden – besprechen, redigieren, annehmen oder ablehnen.

    Allerdings gehört die Duma zu denjenigen politischen Institutionen, die am wenigsten Vertrauen im Volk genießen. An manchen Tagen scheint die Duma nur zur Hälfte besetzt, und viele Abgeordnete stimmen für ihre fehlenden Kollegen ab. Auch die Tatsache, dass viele Millionäre im Parlament sitzen, dürfte zum schlechten Ruf der Duma beitragen.

    Es ist also denkbar, dass die bisherige kleine Duma-Riege der populären Stars, Sportler, Filmleute und Playboy-Sternchen diesmal erweitert wird, um die unpopuläre Duma populärer zu machen. Manche Kandidaten der Regierungspartei Einiges Russland, die aus den Reihen der nationalpatriotischen Dachorganisation Volksfront rekrutiert werden, sollen außerdem mehr Bürgernähe in die Volkskammer bringen. ­­­

    2. Was macht die Duma eigentlich? Entscheidet Putin nicht eh alles selbst?

    So einfach ist das nicht. Zwar ist das Regierungssystem Russlands (semi)präsidentiell – der Präsident hat hier also das verfassungsmäßige Recht, an der Duma mit Hilfe eines Ukas vorbei zu regieren. Allerdings tut er das aber weitaus seltener, als beispielsweise noch sein Vorgänger Boris Jelzin.

    Das sogenannte „System Putin“ zeichnet sich dennoch durch eine Art politische Deckungsgleichheit von Präsident, Parlament und anderen Staatsorganen aus. Bei schwach ausgeprägter Gewaltenteilung zählt nicht nur die Machtpartei Einiges Russland zum politischen Lager des Präsidenten. Auch der Großteil der parlamentarischen Opposition steht hinter ihm. Deshalb wird diese oft auch als Systemopposition bezeichnet.

    Da dem Präsidenten also eine starke eigene Mehrheit in der Duma zur Verfügung steht, kann er sich meistens darauf verlassen, dass die dort getroffenen Entscheidungen seinem politischen Kurs entsprechen.

    3. Warum wird die Duma als „durchgedrehter Drucker“ bezeichnet?

    Die Duma beschließt Gesetze – in den vergangenen Jahren sogar so viele Gesetze, dass es ihr den sarkastischen Beinamen des „durchgedrehten Druckers“ einbrachte. Ihren Rekord von 2007 bis 2011 mit durchschnittlich circa 395 Gesetzen pro Jahr konnte sie mit entsprechenden 363 Gesetzen in der Legislaturperiode 2011 bis 2016 allerdings nicht toppen. Zum Vergleich: Der Deutsche Bundestag verabschiedete zwischen 2009 und 2013 durchschnittlich circa 138 Gesetze pro Jahr.

    Der „Drucker“ gilt auch deshalb als „durchgedreht“, weil er eine Menge repressiver Gesetze produziert.

    Doch allein die schiere Menge ist ein wichtiges Indiz für rechtsstaatliche Defizite: Da Bürger sich ständig an die fortwährenden Neuerungen anpassen müssen, bewirkt die Gesetzesschwemme eine instabile Rechtslage.

    Außerdem haben Bürger ob der Schnelligkeit kaum die Möglichkeit, den Gesetzgebungsprozess konsequent zu verfolgen und gegebenenfalls darauf einzuwirken. Wie auch in anderen (semi)autokratischen Systemen fallen Entscheidungen oft plötzlich und überraschend. Das schafft ein Klima der Unsicherheit und zementiert Machtstrukturen.

    DIE WAHL

    1. Steht das Ergebnis der Wahl nicht sowieso schon fest?

    Wahrscheinlich werden die meisten Wähler ihre Stimme für die Regierungspartei Einiges Russland abgeben. Und das hat zwei wichtige Gründe:

    Da der Großteil der Medienlandschaft Russlands staatlich kontrolliert wird, werden die meisten Medien den Wahlkampf der Machtpartei Einiges Russland unterstützen und ihr zum Triumph verhelfen. Die Staats- und staatsnahen Medien, vor allem TV-Sender, bieten nur staatstreuen Akteuren Präsenz beziehungsweise Sendezeiten. Deshalb lernt die Mehrheit der Wähler schlicht keine anderen Wahlinhalte kennen.

    Neben dieser medialen Ressource verfügt Einiges Russland auch über die sogenannte Administrative Ressource – einen Amtsbonus, der Möglichkeiten bietet, eigene Regeln durchzusetzen und somit auch den Wahlausgang zu beeinflussen. Diese Gründe sprechen dafür, dass die Machtpartei also mit höchster Wahrscheinlichkeit gewinnen wird.

    ​2. Aber warum geht dann überhaupt jemand wählen?

    Die offizielle Wahlbeteiligung bei Parlamentswahlen liegt meist zwischen 55 und 65 Prozent. Damit liegt Russland im osteuropäischen Durchschnitt. Dass viele Menschen zur Wahl gehen, obwohl sie sicher sind, dass es keine Überraschungen geben wird, kann viele Gründe haben:

    Die Partei Einiges Russland  ist weniger beliebt als der Präsident, da sie aber als Machtpartei gilt, wählen die Unterstützer von Präsident und Regierung mehrheitlich Einiges Russland. Da außerdem zurzeit viel von äußeren Bedrohungen die Rede ist, kann eine solche Wahl einen demonstrativen Schulterschluss mit der nationalen Führung ausdrücken. Zusätzlich werden in staatlichen Einrichtungen wie Kasernen, Schulen oder Behörden und auch in manchen Unternehmen Wahlempfehlungen für die Regierungspartei ausgesprochen.

    Wähler, die sich politischen Wandel wünschen, diskutieren dagegen häufig, ob es sich unter den gegebenen Umständen überhaupt lohnt, zur Wahl zu gehen. Dabei unterscheiden sich die Positionen: Die einen glauben, dass Beteiligung an den Wahlen die zunehmend undemokratischen Institutionen legitimiert, die anderen finden, dass man jede noch so kleine Gelegenheit nutzen sollte, die eigene Stimme einzubringen.

    3. Was haben Karusselle, Reigen und Kreuzfahrten mit den Wahlen zu tun?

    Bei der Dumawahl 2011 gab es zahlreiche Hinweise auf organisierte Form von Wahlfälschungen: Karussell (oder Kreislauf) nennt sich eine Methode, die sehr häufig kritisiert wurde. Dabei wird dem Wähler ein Anreiz geboten, einen bereits ausgefüllten Stimmzettel in die Wahlurne zu stecken und den leeren dem Karussell-Organisator zu übergeben. Dieser füllt den leeren Zettel aus und übergibt ihn dem nächsten Wähler.

    Kreuzfahrten (oder Bächlein bzw. Reigen) werden demgegenüber mit gefälschten Unterlagen durchgeführt. Diese entbinden den Wähler vom Wahlbezirk und ermöglichen ihm so eine mehrfache Stimmabgabe in verschiedenen Wahlbezirken. Die Kreuzfahrt-Organisatoren sorgen dafür, dass die Wähler (zumeist in Bussen) vom einen zum anderen Wahllokal gebracht werden. Das Entgelt für diese Wahlfälschungsmethoden, die gemeinhin unter dem Begriff Karussell subsumiert werden, erhalten die Wähler im Nachhinein.

    4. Wieso wird der ehemalige Vorsitzende der Wahlkommission Wladimir Tschurow auch  „Zauberer“ genannt?

    „Sie sind ja fast ein Zauberer“, lobte Dimitri Medwedew den Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission Wladimir Tschurow, nachdem dieser bemerkt hatte, dass seine Prognose zur Dumawahl 2011 näher am Endergebnis lag, als die Prognosen von zehn Meinungsforschungsinstituten. Der Spott über die Zauberkräfte Tschurows entlud sich in anschließenden Protesten, die eine Untersuchung der Wahlfälschungsvorwürfe forderten.

    Tschurow wurde zu einem sarkastischen Abziehbild der Manipulationen, die Metapher des Zauberns wurde scheinbar aufs Engste mit der Zentralen Wahlkommission verknüpft – bis März 2016, als Tschurow überraschenderweise durch Ella Pamfilowa, ehemals Vorsitzende der Menschenrechtskommission, ersetzt wurde.

    5. Es gibt 2016 doch einige Neuerungen im Wahlmodus. Machen diese die Wahl nicht auch demokratischer?

    Die Dumawahl 2016 läuft – wie schon zwischen 1993 und 2003 – wieder nach dem sogenannten Grabenwahlprinzip ab. Das ist eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl. Dabei hat jeder Wahlberechtige zwei Stimmen: eine für einen Kandidaten im lokalen Wahlkreis und eine für eine Parteiliste. Die Wahlen von 2007 und 2011 dagegen waren nach reiner Verhältniswahl erfolgt, das heißt: die Duma wurde ausschließlich durch Parteilisten besetzt.

    Eine weitere Änderung in diesem Jahr ist die Absenkung der Sperrklausel von sieben auf fünf Prozent. Obwohl dies den kleineren Parteien den Einzug ins Parlament erleichtern soll, wird damit gerechnet, dass sie dennoch an der Einzugshürde scheitern werden. Die Rückkehr des Grabenwahlsystems bietet zugleich einen Vorteil für die Machtpartei Einiges Russland: In den Wahlkreisen reicht die einfache Mehrheit aus, um den Sitz zu erringen, die Stimmen für die anderen Kandidaten gehen verloren.

    Während diese Neuerungen also eher Vorteile für Einiges Russland bringen werden, spricht zurzeit viel dafür, dass die Wahl freier ablaufen wird als 2011. Präsident Wladimir Putin hat Stabilität und Vertrauen der Bürger zu Schlüsselfaktoren in der Entwicklung Russlands erklärt. Auch andere wichtige Hinweise deuten darauf hin, dass die politische Elite des Landes ein neuerliches Bolotnaja-Szenario der Jahre 2011/12 vermeiden will. Der zu erwartende Triumph von Einiges Russland wird diesmal wohl nicht von Wahlfälschungsvorwürfen überschattet.  

    Vor allem die Ernennung Ella Pamfilowas zur Leiterin der Zentralen Wahlkommission stellt eine Wahl ohne Fälschungen in Aussicht. Pamfilowa, die zuvor das Amt der Menschenrechtsbeauftragten bekleidete, hat sich mehrmals als eine scharfe Kritikerin der politischen Situation Russlands gezeigt. Oppositionelle Kräfte begrüßten die Quasi-Absetzung ihres Vorgängers Wladimir Tschurow. Sie äußerten aber zugleich die Skepsis, dass mit der Personalentscheidung nur eine demokratische Kulisse geschaffen werde, hinter der ein unfaires System aus Filtern und Barrieren bestehe, das echte politische Konkurrenz verhindere.

    6. Nach der letzten Wahl gab es 2011/12 heftige Proteste. Ist damit in diesem Jahr wieder zu rechnen?

    Ein Wiederaufflammen der politischen Proteste von 2011/12 ist unwahrscheinlich. Denn zurzeit wird vieles dafür getan, um Wahlfälschungen wie 2011 zu vermeiden. Die meisten Wahlberechtigten begrüßen tatsächlich den aktuellen politischen Kurs, viele sehen dazu keine Alternative, einige sind im Zuge der autoritären Konsolidierung unpolitisch geworden und gehen gar nicht erst wählen.

    Diejenigen, die sich aus demokratischen Erwägungen gegen den Kurs des „Systems Putin“ stellen, rufen zu Wahlboykotten auf. Doch die Aufsichtsbehörde Roskomnadsor unterbindet die Aufrufe teilweise, in dem sie die entsprechenden Internet-Ressourcen blockt.

    Nicht zuletzt weil die Wahl auf einen Termin kurz nach den Sommerferien vorverlegt wurde, dürfte die Wahlbeteiligung niedrig bleiben – und damit die faktische Legitimität der Duma schmälern.

    7. Wenn es ihr angeblich doch nur darum geht, an der Macht zu bleiben, warum führt die Regierung dann Wahlen durch?

    Formal ist Russland eine repräsentative Demokratie – und in einer solchen finden Wahlen statt. Zwar wurde die demokratische Substanz der Verfassung in den vergangenen 15 Jahren abgebaut, unter anderem durch Politisierung der Justiz, staatliche Kontrolle von Medien, Einschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten und repressive Gesetze. Doch niemand in der Regierung hat ein Interesse daran, die Wahlen als solche abzuschaffen.

    Sie dienen erstens zur formalrechtlichen Legitimierung der Wahlsieger.

    Zweitens können dadurch frische Kandidaten der Regierungspartei ins Parlament geholt werden – und so weniger effektive oder unpopuläre Abgeordnete ersetzen.

    Drittens sind die Wahlen und die damit verbundenen öffentlichen Auseinandersetzungen ein guter Stimmungstest: Regierungen benötigen Unterstützung in der Bevölkerung und müssen daher wissen, was im Volk so los ist.

    8. Warum gilt Einiges Russland als Machtpartei, obwohl Putin gar kein Mitglied ist?

    Vordergründig geht es um eine machttragende Partei, also eine Partei, die in der Duma die meiste Macht hat. Einiges Russland ging aus den Parlamentswahlen 2003, 2007 und 2011 als jeweils stärkste Kraft hervor. Sie ist außerdem mit über zwei Millionen Mitgliedern die zahlenmäßig größte Partei Russlands.

    Doch ist der Begriff mehrdeutig, und die synonyme Verfestigung von Einiges Russland und Machtpartei verweist darauf, dass diese politische Kraft auch machtnah ist. Da die politische Macht durch die Person des Präsidenten verkörpert wird, und Einiges Russland sich nur sehr selten als uneinig mit ihm zeigt, wird die Machtpartei oft als ein Zustimmungsinstrument des „Systems Putin“ gesehen, das dazu da sei, dem präsidentiellen Kurs weitere Legitimität zu verleihen.​

    9. Gibt es denn eine richtige Opposition in Russland?

    Der Begriff der Opposition funktioniert in Russland anders als in Westeuropa. Zwar gibt es auch in Russland die begriffliche Trennung zwischen Parteien, die gerade an der Regierung sind und solchen, die sich in der Opposition befinden. Legt man diesen formalen Maßstab an, dann sind alle Parteien außer Einiges Russland zurzeit Oppositionsparteien. Allerdings wird häufig noch eine weitere Differenzierung vorgenommen: die drei parlamentarischen Oppositionsparteien KPRF, LDPR und Gerechtes Russland gelten als Systemopposition; das heißt, dass diese Parteien ihren nachgeordneten Platz akzeptiert haben und zum „System Putin“ – dem einheitlichen politischen Lager des Präsidenten – gehören.

    Viele kleinere, liberale, kommunistische und nationalistische Parteien dagegen bilden die Nicht-System-Opposition. Diese fordert Wladimir Putin und die Regierung offen heraus. Die Unterscheidung ist allerdings weniger trennscharf als der Begriff suggeriert.

    10. Was gehen uns im Westen die Wahlen in Russland an?

    Wie spätestens die Ukraine-Krise gezeigt hat, ist die Stimmungslage innerhalb Russlands und sind die damit zusammenhängenden politischen Entscheidungen für Europa und die Welt von großer Bedeutung. Wer daran interessiert ist, dass sich die Spannungen zwischen Russland und dem Westen langfristig wieder abbauen, der kommt nicht umhin, sich mit den innerrussischen Entwicklungen zu beschäftigen – nicht zuletzt, um angemessen reagieren zu können: Das Erstaunen über Russlands harsches Vorgehen in der Ukraine-Krise zeigt auch, dass viele in Europa sich nur unzureichend mit Russland beschäftigt hatten. Deswegen sind die Wahlen, die Beziehungen zwischen den politischen Kräften und der Fortgang der politischen Diskussionen in Russland für westeuropäische Beobachter ebenso wichtig wie Entwicklungen in Frankreich oder den USA.

    Text: dekoder-Redaktion
    Veröffentlicht am 18.08.2016

     


    Dieser Text wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung.

  • Presseschau № 39: Säbelrasseln auf der Krim

    Presseschau № 39: Säbelrasseln auf der Krim

    Die Krim rückt wieder mehr in die internationale Aufmerksamkeit: Vergangene Woche hatte der russische Geheimdienst FSB erklärt, am Wochenende ukrainische „Terrorangriffe“ auf der Krim vereitelt zu haben. Ein FSB-Mitarbeiter und ein russischer Soldat seien von ukrainischen „Saboteuren” ermordet worden, Drahtzieher sei Jewgeni Panow gewesen, ein ukrainischer Geheimdienstmitarbeiter. Putin erklärte außerdem, es sei sinnlos, die geplanten Gespräche im Normandie-Format (Russland, Deutschland, Frankreich und Ukraine) zu führen. Kiew wies die Anschuldigungen zurück, versetzte die eigenen Truppen aber in Alarmbereitschaft.

    Bei einem heutigen Treffen in Jekaterinburg mahnte Außenminister Steinmeier seinen russischen Amtskollegen Lawrow, „alles zu unterlassen”, was die Lage weiter verschärfen könnte. Unterdessen kämpfen im Osten der Ukraine prorussische Separatisten weiter gegen ukrainische Truppen.

    Russische Medien diskutieren unter anderem, wer tatsächlich Terror säe: Moskau oder Kiew? Welche Rolle spielen die USA? Und droht nun gar ein Krieg?

     

    Rossijskaja Gaseta: Gespräche bringen nichts

    Jewgeni Schestakow verurteilt in der Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta den „Terror“ Kiews und verteidigt die Äußerung Putins, Treffen im Normandie-Format vorerst auszusetzen:

    [bilingbox][…] Wie Politologen meinen, haben die letzten Treffen im Normandie-Format die Beilegung des Donbass-Konflikts nicht vom Fleck bewegt: Nach jedem einzelnen hat Kiew eine Menge von Kniffen gefunden, um die erreichten Vereinbarungen nicht zu erfüllen oder ihren Inhalt gänzlich auszuhöhlen.

    Solange die Ukraine nicht von Schritten absieht, die die Situation auf der Krim und im Donbass verschärfen, wirkt die Nichtteilnahme des russischen Präsidenten am Normandie-Format gerechtfertigt, als konsequente Entscheidung in der gegebenen Situation.

    Wie Wladimir Putin erklärte, sind „die Menschen, die seinerzeit die Macht in Kiew ergriffen haben und sie immer noch halten, von der Suche nach Kompromissen zu Terrorhandlungen übergegangen“. Eine friedliche Konfliktbeilegung in der Ukraine mit einem Staatsoberhaupt zu verhandeln, dessen Militärs die Provokation auf der Krim organisiert und russische Bürger getötet haben, wird im Kreml als eine perspektivlose Angelegenheit gesehen.~~~[…] в последнее время, как считают политологи, встречи в "нормандском формате" уже не сдвигали с мертвой точки урегулирование на Донбассе: ведь после каждой из них официальный Киев находил множество уловок, чтобы не выполнять достигнутые договоренности или полностью выхолостить их содержание. Так что неучастие российского президента в "нормандском формате", пока Украина не откажется от шагов, направленных на обострение ситуации в Крыму и на Донбассе, выглядит оправданным, последовательным решением в сложившейся ситуации. Как заявил Владимир Путин, "те люди, которые захватили в свое время власть в Киеве и продолжают ее удерживать, вместо поиска компромиссов перешли к практике террора". А обсуждать мирное урегулирование на Украине с главой государства, чьи военные организовали провокацию в Крыму, убив российских граждан, в Кремле посчитали делом бесперспективным.[/bilingbox]

    Slon: Es ist Krieg

    Auf dem unabhängigen Portal Slon.ru dagegen schreibt Oleg Kaschin, warum Putins Gesprächsabsage zeige, dass auf der Krim kein Konflikt, sondern ein Krieg im Gange sei:

    [bilingbox]Die schlechteste und besorgniserregendste Neuigkeit zum Schusswechsel auf der Krim kommt nicht von der Krim, sondern aus Moskau. […] Zum wichtigsten russischen Sprecher des Krim-Problems wurde überraschenderweise Wladimir Putin, der die FSB-Version mit ihren direkten Beschuldigungen wiederholte und sich in dem Sinne äußerte, dass Kiew mithilfe der Schießerei das eigene Volk von wirtschaftlichen Problemen ablenken wolle und das Treffen im Normandie-Format nun keinen Sinn mehr ergeben würden.

    Nach den Erklärungen Putins […] ist es nun eine vom Präsidenten selbst bezeugte Tatsache, dass es sich um einen zwischenstaatlichen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine handelt. Und überhaupt ist dies tatsächlich ein Krieg (im Gegensatz zu Donbass und Syrien), weil Krieg sich nicht durch Schüsse und Opfer auszeichnet, sondern durch Worte, und diese Worte hat Wladimir Putin bereits gesprochen.

    Das bedeutet überhaupt nicht, dass den Worten unbedingt eine heiße Phase der militärischen Konfrontation folgen muss, es besteht auch kein Bedarf dafür. Der Krim-Vorfall eröffnet eine Menge von Möglichkeiten für die schärfste innenpolitische Rhetorik, für neue Jarowaja-Pakete, für beliebige Spekulationen und Spiele im letzten Monat vor den Duma-Wahlen. ~~~Cамая плохая и самая тревожная новость по поводу крымских перестрелок пришла не из Крыма, а из Москвы […] Главным российским спикером по крымской проблеме неожиданно стал сам Владимир Путин, повторивший версию ФСБ с прямыми обвинениями в адрес украинских властей и высказавшийся в том духе, что Киев с помощью стрельбы пытается отвлечь собственный народ от проблем в экономике и что встречаться в нормандском формате теперь не имеет смысла. После заявлений Путина […] факт именно межгосударственного конфликта России и Украины засвидетельствован российским президентом, и вообще-то это и есть война (в отличие от Донбасса или Сирии), потому что в войне первичны не выстрелы и не жертвы, а именно слова, и эти слова уже сказаны Владимиром Путиным.

    Это совершенно не значит, что за словами обязательно последует горячая фаза военного противостояния, да в нем и нет нужды. Крымский инцидент открывает множество возможностей для самой резкой внутриполитической риторики, для новых «пакетов Яровой», для каких угодно спекуляций и игр в оставшийся до выборов Госдумы месяц.[/bilingbox]

    Izvestia: Giftnadel ins Herz Russlands

    In der kremlnahen Tageszeitung Izvestia fragt der bekannte Schriftsteller Alexander Prochanow nach dem Ziel der sogenannten „Saboteure“:

    [bilingbox]Das Ziel der Kiewer Saboteure besteht nicht darin, einen Angriff gegen Erdöltanks oder Militärlager zu führen. Und nicht darin, Panik an Badestränden zu schüren und Konvois von Würdenträgern zu beschießen. Es ist der Versuch, einen Angriff auf die Tiefen des russischen Selbstverständnisses der eigenen Geschichte zu landen, seines historischen Schicksals, des Mythos Krim, der russischen Staatlichkeit und der russischen Staatsführung.

    Die Krim – sie ist die Hauptstadt der russischen Welt, die Wiege fünf großartiger Imperien, die eins nach dem anderen das russische Leben umkleidet haben mit der Hülle eines mächtigen Staates. Eben hier, in dieses geistige Herzstück, sollte der Schlag der Terroristen treffen. Bewaffnet mit Maschinenpistolen und Sprengstoff, waren sie ausgestattet mit der heimtückisch schwarzen Aufgabe, den heiligen Ort zu entweihen, eine Giftnadel ins mystische Herz Russlands zu stoßen.~~~Цель киевских диверсантов не в том, чтобы нанести удар по нефтехранилищам и военным складам. Не в том, чтобы посеять панику на пляжах или обстрелять вельможный кортеж. Это попытка нанести удар в глубины русских представлений о своей истории, о своей исторической судьбе, о мистическом Крыме, о русской государственности и о русской власти.


    Крым — столица русского мира, колыбель пяти грандиозных империй, которые одна за другой облекали русскую жизнь в плоть могучего государства. Именно сюда, в эту духовную сердцевину, был направлен удар террористов. Вооруженные автоматами и взрывчаткой, они были вооружены злокозненной черной задачей осквернить священное место, вонзить иглу с ядом в мистическое сердце России.[/bilingbox]

    Rus2Web: Krieg oder Frieden?

    Vedomosti-Reporter Ilja Barabanow dagegen, der seit 2014 immer wieder aus der Ukraine berichtet hatte, sieht die Schuld weniger bei Kiew, sondern skizziert auf dem unabhängigen Portal Rus2Web die Wahlmöglichkeit des Kreml zwischen einer friedlichen und einer kriegerischen Variante des weiteren Geschehens:

    [bilingbox]Im schlimmsten Fall kommt es noch zu einem bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Angesichts der Anzahl von Streitkräften, die in der letzten Zeit über die russisch-ukrainische Grenze verschoben wurden, erscheint dieses einst absolut unglaubwürdige Szenario schon nicht mehr ganz so unwahrscheinlich.

    […]

    Ein großangelegter Krieg muss nicht unbedingt schon morgen beginnen. Ob man es zugeben will oder nicht, aber auf eine gewisse Art ist der schon seit März 2014 im Gange. Und wenn dann das Geld ausgeht und das Finanzministerium schon ganz offen sagt, dass keiner weiß, wie man im kommenden Jahr die Renten und Gehälter zahlen soll, dann hast du zwei Möglichkeiten: entweder den Krieg doch endlich zu beenden und so eine Aufhebung der Sanktionen zu erreichen oder einen neuen Krieg zu entfesseln, um die verarmende Bevölkerung gegen den äußeren Feind zu vereinen. Leider scheint es nach den Ereignissen der vergangenen […] Tage immer unwahrscheinlicher, dass der Kreml sich für die friedliche Variante entscheidet.~~~В худшем случае — вооруженный конфликт России с Украиной все же произойдет. С учетом того, какое количество войск в последнее время перебрасывали к российско-украинской границе, этот, казавшийся прежде абсолютно фантастическим, сценарий уже не смотрится таким невероятным

    […]

    Полномасштабная война не обязательно должна начаться завтра. Как бы кому ни хотелось этого признавать, но в том или ином виде, она уже идет с марта 2014 года. И когда у тебя заканчиваются деньги, а Минфин уже вполне открыто говорит, что в следующем году не знает, как платить пенсии и зарплаты, то варианта у тебя два: либо войну все же заканчивать, добиваясь этим отмены санкций, либо развязывать новую, чтобы сплотить беднеющее население против внешнего врага. К сожалению, в то, что Кремль выберет мирный вариант, после событий последних […] дней верится все меньше.[/bilingbox]

    Nesawissimaja Gaseta: USA wollen von Syrien ablenken

    Oleg Odnokolenko, Kommentator der einst unabhängigen Nesawissimaja Gaseta, macht eine Verbindung auf zwischen den Ereignissen in Aleppo und denen auf der Krim – und vermutet die USA als Helfer der Ukraine:

    [bilingbox]Die Drahtzieher hinter Petro Poroschenkos Mannschaft auf der anderen Seite des Ozeans müssen gewusst haben, dass […] die Krim scharf bewacht ist, und dass ein heimlicher Grenzübertritt mit Waffen und Sprengstoff höchst problematisch würde. Was es nun auch wurde.

    Die andere Frage ist: Warum mussten sie die Lage bis zum Höchstmaß verschärfen? […]

    Wie unschwer zu erraten ist, ist es jetzt die Hauptsache, Moskau mit allen Wahrheiten und Unwahrheiten von den aktuellen Ereignissen in Syrien abzulenken. Bei allem ist es ja nicht so wichtig – laut Michael Morella, dem ehemaligen stellvertretenden CIA-Direktor und heutigen Berater der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton – wo man „Russen tötet“. Vielleicht ist es sogar besser, wenn es auf der Krim passiert, denn dort ist Russland besonders empfindlich.~~~Заокеанские кураторы команды Петра Порошенко не могли не знать, что […] Крым охраняется в особом режиме и проскочить через границу с оружием и взрывчаткой незамеченными будет крайне проблематично. Что, собственно говоря, и произошло.

    Другой вопрос: зачем им понадобилось доводить обстановку до крайней степени обострения? […]

    И теперь главное, как нетрудно догадаться, – всеми правдами и неправдами отвлечь Москву от текущих событий в Сирии. При этом не так уж важно, где, следуя советам бывшего заместителя директора ЦРУ, а ныне советника кандидата в президенты США от Демпартии Хиллари Клинтон Майкла Морелла «убивать русских». Возможно, в Крыму даже лучше, поскольку для России это чувствительнее.[/bilingbox]

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    Presseschau № 38: Treffen von Putin und Erdogan

    Seit der plötzlichen Aussöhnung zwischen Putin und Erdogan Ende Juni lag dieses Treffen auf der Hand. Am 9. August trafen die beiden Staatschefs nun in Sankt Petersburg zusammen: Erdogan bezeichnete Putin mehrmals als seinen „geschätzten Freund“, der Kreml-Chef blieb etwas kühler und sagte, die „guten Beziehungen“ zwischen den beiden Ländern sollten wiederhergestellt werden.

    Entsprechend wurden bei dem rund dreistündigem Gespräch die ganz heißen Themen wie der Syrienkrieg, in dem Russland und die Türkei unterschiedliche Seiten unterstützen, nicht weiter vertieft. Stattdessen ging es vor allem um die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern.

    Russische Medien, staatliche wie unabhängige, bewerten das Treffen mit zurückhaltender Begeisterung:

    Essen vom Freundschaftsteller – Putin und Erdogan trafen sich am 9. August in St. Petersburg

    Rosbalt: Keine Zungenkuss-Freundschaft

    Iwan Preobrashenski fragt sich auf dem unabhängigen Nachrichtenportal Rosbalt, inwiefern die Annäherung der beiden Präsidenten wirklich eine nachhaltige Grundlage für eine russisch-türkische Freundschaft ist:

    [bilingbox]Anders gesagt, aus einer Zungenkuss-Freundschaft wird natürlich erstmal nichts. Am ehesten wegen eben dieser Syrien-Geschichte. Die Positionen Russlands und der Türkei haben sich schon so sehr angenähert, dass man beispielsweise überhaupt mal die Zukunft Assads diskutieren kann. Aber sie habe sich noch nicht genug angenähert, als dass man sich über diese Zukunft auch einigen könnte.

    Letztlich darf man nicht vergessen, dass die Beziehungen der beiden Länder, wie zu Zeiten des monarchistischen Europas, vollständig abhängig sind von der Freundschaft ihrer Herrscher – die kann ebenso rapide erlöschen wie sie wieder aufflammen kann. Und das lässt sich wohl kaum als feste und stabile Basis für eine russisch-türkische Freundschaft bezeichnen, ganz gleich wie schnell sich die beiden Länder derzeit einander annähern. ~~~Иначе говоря, «дружбы взасос» пока явно не получается. Скорее всего, все по той же сирийской причине. Позиции России и Турции настолько сблизились, что они вообще могут уже откровенно обсуждать, например, будущее Башара Асада. Но все еще не настолько, чтобы они могли об этом будущем договориться. В конце концов не надо забывать, что отношения двух стран, как в эпоху монархической Европы, полностью зависят от стремительно гаснущей и также стремительно возрождающейся дружбы двух государей. А это вряд ли можно назвать твердой и стабильной основой для российско-турецкой дружбы, несмотря на нынешнее стремительное сближение двух стран.[/bilingbox]

    Life.ru: Putins Linie hat sich bewährt

    Auf der Internetseite des kremlnahen Fernsehsenders LIFE dagegen sieht Anna Gimadejewa nach dem Treffen neue Chancen für eine Lösung der Situation im Nahen Osten:

    [bilingbox]Statt eines weiteren feindlich gesinnten Staates an der eigenen Grenze bekommt Russland nun eine günstige strategische Auszeit und die Möglichkeit, an einer Reihe von Energie-Projekten weiterzustricken. Die Türkei wird natürlich kein strategischer Verbündeter oder Freund Russlands. Jedoch kann sie unter dem Druck der Umstände und objektiven Bedingungen ein berechenbarer Partner bei der Lösung von unterschiedlichsten Problemen in der Welt sein.

    Außerdem muss man darauf hinweisen, dass sich die außenpolitische Linie von Präsident Putin vollends bewährt hat: Erstens hat Putin verhindert, dass Russland in einen gefährlichen Militärkonflikt mit der Türkei (und entsprechend mit dem ganzen NATO-Block) hineingezogen wird. Zweitens hat er Ausdauer und Beharrlichkeit bewiesen, dass er der türkischen Führung genau in dem Moment entgegen kommt, der geopolitisch gesehen für Russland am vorteilhaftesten ist.~~~Россия вместо очередного недружественного государства у своих границ получит благоприятную стратегическую паузу и возможность „расшить“ ряд энергетических проектов. Турция, безусловно, не станет стратегическим союзником или другом России, однако под давлением обстоятельств и объективных условий способна быть предсказуемым партнёром в решении целого ряда мировых проблем.


    Также необходимо указать и на то, что полностью оправдала себя внешнеполитическая линия президента Путина, который, во-первых, не дал втянуть Россию в острое военное противостояние с Турцией (и всем блоком НАТО соответственно), во-вторых, продемонстрировал выдержку и упорство, пойдя навстречу турецкому руководству в наиболее выгодный для России с геополитической точки зрения момент.[/bilingbox]

    Novaya Gazeta: Klub der Ausgestoßenen

    Eine Ursache der raschen Annäherung von Erdogan und Putin liegt für Alexander Tschursin von der unabhängigen Novaya Gazeta im Zwist der Türkei mit Deutschland wegen der deutschen Anerkennung des Genozids an den Armeniern:

    [bilingbox]Dadurch, dass der türkische Präsident einen eigenen Kalten Krieg gegen Deutschland, und somit gegen die gesamte Europäische Union begonnen hatte, brauchte er Verbündete. Und der Kreml passte am besten in diese Rolle – Russland lebt schon seit zwei Jahren unter Sanktionen, die politische Elite Russlands verwandelt sich in internationale Aussätzige, und Propaganda hat die öffentliche Meinung mit antiwestlichen Einstellungen durchsetzt.~~~Начиная свою собственную холодную войну против Германии, а в ее лице против всего Евросоюза, турецкий президент нуждался в союзниках. И Кремль лучше всего подходил на эту роль — Россия два года живет под санкциями, российская политическая элита превращается в международных изгоев, общественное мнение пропаганда пропитала антизападными настроениями.[/bilingbox]

    Argumenty i Fakty: Türkei nicht allzu eng umarmen

    Im Boulevardblatt Argumenty i Fakty warnt Wjatscheslaw Kostikow vor einer zu engen „Umarmung“ der Türkei:

    [bilingbox]Die russische Diplomatie war in einer äußerst heiklen Situation. Sich ausgerechnet in dem Moment in eine Umarmung mit Erdogan zu stürzen, in dem die Türkei in eine islamische Spielart des Totalitarismus abgleitet, das würde bedeuten, genau diejenigen politischen Vorlieben an den Tag zu legen, vor denen sich Moskau sonst beflissen sträubt. Denn egal wie laut wir auch immer wieder behaupten: „Eurasien, Eurasien über alles!“, unsere Gedanken sind sowohl historisch als auch aktuell mit Europa verbunden. Den Riss zu Europa noch zu vergrößern, das ist gefährlich für Russland. Die Gespräche über eine „Partnerschaft“, über „besondere Beziehungen“, wie sie unsere Diplomatie so gerne führt, muss man im Bezug auf die Türkei mit einem Konjunktiv versehen: „Wir sind nicht dagegen, falls, natürlich…“

    Klar, sehr viele (42 Prozent) wollen an die warmen und süßen Küsten zurück. Aber es ist offenkundig, dass man, wie beim wunderbaren „all inclusive“-System, auch die gefährlichen Besonderheiten der türkischen Politik im Kopf haben muss.~~~Российская дипломатия оказалась в крайне деликатной ситуации. Броситься в объятия Эрдогана в тот момент, когда Турция скатывается в исламскую разновидность тоталитаризма, значило бы продемонстрировать те политические вкусы, от которых Москва старательно открещивается. Ведь как бы громко мы ни твердили: «Евразия-Евразия превыше всего!», наши помыслы и исторически, и актуально связаны с Европой. Углублять разрыв с Европой опасно для России. Разговоры о «партнёрстве», об «особых отношениях», столь любимые нашей дипломатией, в случае с Турцией следует облекать в форму сослагательного наклонения: «Мы не против, если, конечно…»

    Понятно, что очень многим (42%) хочется вернуться к тёплым и вкусным берегам. Но очевидно, что, вспоминая чудесную систему «всё включено», следует помнить и об опасных особенностях турецкой политики.[/bilingbox]

    Blog Echo Moskvy: Türkei ist ein gefährlicher Nachbar

    Auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Oppositionspartei Jabloko, Grigori Jawlinski, sieht in der Türkei einen eher gefährlichen Bündnispartner für Russland – wie er auf dem Blog des unabhängigen Radiosenders Echo Moskvy deutlich macht:

    [bilingbox]Für Russland ist es sehr gefährlich, einen solchen Nachbarn zu haben. Hierzu gäbe es viel zu sagen: Dass Erdogan diese Situation mit seiner extrem autoritären Politik selbst herbeigeführt hat, dass diese Politik die Türkei weiter zerlegen wird … Aber angesichts der bestehenden brutalen Konfrontation mit den Kurden und angesichts dessen, dass Erdogan sich nun immer mehr auf islamistische Radikale stützen wird, ist klar, dass dies alles für Russland sehr gefährlich ist. Denn die Türkei ist unser nächster Nachbar.~~~Для России иметь такого соседа — очень опасная вещь. Здесь много о чем можно говорить: что привел к этой ситуации сам Эрдоган своей сверхавторитарной политикой, что теперь эта политика будет дальше разваливать Турцию… Но учитывая существующее жестокое противостояние с курдами, учитывая, что теперь Эрдоган все больше будет опираться на исламистских радикалов, мы понимаем, что все это очень опасно для России. Потому что Турция — наш ближайший сосед.[/bilingbox]

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  • Presseschau № 37: Putschversuch in der Türkei

    Presseschau № 37:  Putschversuch in der Türkei

    Rund 300 Tote, 1400 Verletzte, 6000 Festnahmen und 2700 abgesetzte Richter. Das ist die bisherige Bilanz nach dem türkischen Putschversuch in der Nacht zu Samstag.

    Russische Medien debattieren die offenen Fragen: Wer steckt hinter dem Putsch? War am Ende alles nur inszeniert?

    Aber auch: Könnte Gleiches in Russland passieren? Und was bedeutet der Putsch für die NATO sowie für die gerade erst aufgefrischte türkisch-russische Freundschaft?

    Izvestia: Ende der russisch-türkischen Freundschaft?

    Andrej Manoilo, Politikwissenschaftler und Professor an der Moskauer Staatlichen Universität, außerdem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Russischen Sicherheitsrats, vermutet in der kremlnahen Izvestia eine Einmischung der USA und ein baldiges Ende der russisch-türkischen Freundschaft:

    [bilingbox]Womöglich wurden die türkischen Generäle zu diesem verfrühten Aufmarsch von ihren „Partnern“ aus Washington angestoßen, mit denen die Aufständischen ihren finalen Handlungsplan abgestimmt haben.

    […] Der Putsch wurde von der Armee organisiert, die eintritt für „Demokratie, Freiheit und Menschenrechte“. Er sollte die Position Moskaus untergraben (die durch die Wiederaufnahme der Beziehungen zur Türkei gestärkt worden war) und gleichzeitig der ganzen Welt zeigen, was mit politischen Führern passiert, die sich Russland annähern. […]

    Doch Erdogan hat letzten Endes sowohl die aufständischen Generäle als auch die Amerikaner ausgespielt. […]

    […] als sein [Erdogans] Schicksal am seidenen Faden hing, brauchte er wenigstens einen Verbündeten oder Partner. Ein Land, das ihm im Fall des Falles politisches Asyl gewährt. Jetzt, nach dem Sieg und Gericht über die aufständischen Generäle, wird er zum echten Diktator und braucht keine Hilfe mehr, von niemandem. Und so werden die russisch-türkischen Beziehungen möglicherweise wieder zurückgedreht.~~~

    Возможно, к преждевременному выступлению подтолкнули турецких генералов их «партнеры» из Вашингтона, с которыми мятежники согласовывали окончательный план действий. […] путч, организованный военными, выступающими за «демократию, свободу и права человека», должен был подорвать позиции Москвы (восстановление отношений с Турцией эти позиции укрепило) и одновременно показать всему миру, что бывает с политическими лидерами, взявшими курс на сближение с Россией. […]

    Но Эрдоган в итоге переиграл и мятежных генералов, и американцев. […]

    В условиях, когда его судьба висела на волоске, ему нужен был хотя бы один союзник или партнер — страна, которая в случае чего предоставит ему политическое убежище. Теперь же, после победы и суда над мятежными генералами, он станет полноценным диктатором и ни в чьей помощи уже нуждаться не будет. И тогда, возможно, российско-турецкие отношения будут отыграны назад.[/bilingbox]

    Vedomosti: Gut für Russland in Syrien

    Pawel Aptekar dagegen schreibt in der unabhängigen Tageszeitung Vedomosti, dass Russland nun leichteres Spiel mit der Türkei haben wird, wenn es um Syrien geht:

    [bilingbox]Russlands Verurteilung des Umsturzversuchs ist ein unzweideutiger Wink, dass man von der Türkei Veränderungen in ihrer Haltung gegenüber Syrien erwartet. Zwar wird Erdogan wohl kaum auf die Unterstützung der [dortigen] Opposition verzichten, aber für Russland wird es nun leichter sein, sich mit der Türkei über „rote Linien“ zu einigen. Ankara wird sich auf den Norden konzentrieren, Moskau auf Latakia, Tartus und wahrscheinlich Damaskus.~~~Осуждение Россией переворота – недвусмысленный намек, что от Турции ждут изменения позиции по Сирии. Эрдоган вряд ли откажется от поддержки оппозиции, но, вероятно, теперь России будет легче договориться с Турцией о «красных линиях», Анкара сконцентрирует свое внимание на севере, а Москва – на Латакии, Тартусе и, вероятно, Дамаске.[/bilingbox]

    Colta: Besser so

    Politologe Wladimir Frolow ist auf dem unabhängigen Portal colta.ru davon überzeugt, dass der Westen froh darüber sein kann, dass der Putsch misslang – und nicht nur der Westen:

    [bilingbox]Für Russland gilt ungefähr [folgende] Logik: Es ist besser, es mit der bekannten Größe Erdogan und einer stabilen Regierung zu tun zu haben, mit denen die Beziehungen nach einstweiligen Schwierigkeiten nun fast in Ordnung sind, als mit der nicht allzu bekannten Größe der Militärs, die traditionell gegen Moskau eingestellt sind. Sogar hinsichtlich Syriens, in der Kurden-Frage, deutet sich heute zwischen Moskau und Ankara gegenseitiges Verständnis an.~~~Для России действует примерно та же логика: лучше иметь дело с понятным Эрдоганом и стабильным правительством, с которыми после временных трудностей отношения уже почти налажены, чем с не очень понятными военными, традиционно настроенными против Москвы. Даже в связи с Сирией между Москвой и Анкарой сегодня намечается взаимопонимание по курдскому вопросу.[/bilingbox]

    Slon: Türkisches Szenario als Vorbild

    Oleg Kaschin stellt auf dem unabhängigen Portal slon.ru fest, dass der Kreml Umstürze weltweit stets mit großer Aufmerksamkeit verfolge. Und er stellt die Frage, ob ein Putschversuch seitens der Armee auch in Russland möglich wäre – oder ob vielleicht Putin selbst sich von den Ereignissen in der Türkei inspirieren lassen könnte:

    [bilingbox]

    Es lohnt sich, auf 1918 zurückzublicken, als die Bolschewiken für ihre Armee Soldaten und Kommandeure mobilisierten und deren Familienmitglieder als Geiseln nahmen – diese Erfahrung ist sehr wichtig, um das Grundprinzip der Roten Armee zu verstehen, das sich bis heute gehalten hat, wie der Donbass mit seinen anonymen Bestattungen und den Verzichtleistungen der Ehefrauen gezeigt hat: Russische Armeeangehörige muss man sich eher als bewaffnete Geiseln vorstellen und nicht als eine klassische Armee. Und ihr derzeitiger Häuptling, der Volksheld Sergej Schoigu – der ist eben ein Kommissar, also ein vom Kreml eingesetzter Vorgesetzter, und keineswegs der Anführer eines Offizierskorps, das eigene Interessen und Werte besitzt. Sollte es Sergej Schoigu plötzlich in den Sinn kommen, sich an Wladimir Putins Macht zu vergreifen, müsste er mindestens mit Viktor Solotow ein knallhartes Gespräch führen – allein das Sicherungssystem des Kreml vor politischen Überraschungen kann als Meisterwerk der Verteidungskunst gelten […]

    Die russische Armee kann dem Beispiel der türkischen nicht folgen und sich gegen den Kreml erheben – aber den Kreml hindert nichts daran, das türkische Szenario in der Version russischer Verschwörungstheoretiker zu wiederholen und bei uns einen drolligen Putsch zu veranstalten, dessen drollige Niederschlagung zu allem anderen als drolligen Ergebnissen führen wird.~~~

    […] стоит иметь в виду опыт 1918 года, когда, мобилизуя в свою армию солдат и командиров, большевики брали в заложники членов их семей, – этот опыт очень важен с точки зрения понимания базового принципа Красной армии, сохранившегося, как показал опыт Донбасса с анонимными похоронами и отречениями жен, до сих пор – к российским военным правильнее относиться как к вооруженным заложникам, а не как к классической армии, и нынешний ее предводитель, народный герой Сергей Шойгу – он как раз комиссар, то есть назначенный Кремлем начальник, а вовсе не лидер офицерского корпуса, имеющего какие-то свои интересы и ценности. Если вдруг Сергею Шойгу придет в голову посягнуть на власть Владимира Путина, ему придется иметь очень суровый разговор как минимум с Виктором Золотовым – система защиты Кремля от политических неожиданностей сама по себе может считаться шедевром оборонительного искусства. […]

    Да, российская армия не может последовать примеру турецкой и выступить против Кремля – но самому Кремлю вообще ничто не мешает повторить турецкий сценарий в пересказе российских конспирологов и устроить у нас потешный путч, потешное подавление которого приведет к совсем не потешным результатам.[/bilingbox]

    Arkadi Babtschenko (facebook): Da kann Putin noch was lernen

    Kriegsreporter Arkadi Babtschenko zeigt sich auf seinem persönlichen Facebook-Account unmittelbar nach den Ereignissen in der Türkei überzeugt, dass Erdogan den Putsch selbst inszenierte:

    [bilingbox]Hm. Erdogan als Regisseur einer Show – geht so. Das ist der erbärmlichste „militärische Umsturz“, den ich kenne. Obwohl – meiner Meinung nach hat er nicht mal selbst kapiert, wie nah er die Türkei gestern an den Rand des Bürgerkriegs gebracht hat. Die Chancen standen wirklich fifty fifty. Es hätte auch schiefgehen können, ganz unerwartet. Nun, es hat hingehauen. Alles paletti […] Was solls, meinen Glückwunsch an die Erdogansche Türkei zu ihrem langersehnten Sieg über die Demokraktie und die Rückkehr zu geistigen Klammern, Größe und Obskurantismus. Galt der Genosse früher in Bezug auf das Ansichreißen von Macht als kleiner Putin, so kann Putin nun sicherlich selbst etwas dazulernen. Im Grunde hat in der Türkei tatsächlich ein Staatsstreich stattgefunden, und Erdogan hat die Macht ergriffen. Den Kurden natürlich mein herzliches Beileid.~~~

    Нда. Ну, как постановщик шоу, Эрдоган – не очень. Это самый лажовый "военный переворот", который я знаю. Хотя, по-моему, он даже сам не понял, насколько вчера поставил Турцию на грань гражданской войны. Там расклад реально пятьдесят на пятьдесят. Могло бы полыхнуть, как и не ожидал. Ну, прокатило. Сработало. […] Что ж, мои поздравления эрдоганской Турции с её долгожданной победой над демократией и возвращению к скрепам, величию и мракобесию. Если раньше товарища считали за маленького Путина в плане захвата власти, то теперь, безусловно, Путину есть чему поучиться самому. Собственно, государственный переворот в Турции то как раз и состоялся. Власть захватил Эрдоган. Курдам мои соболезнования, конечно.[/bilingbox]

    Komsomolskaja Prawda: Armutszeugnis der NATO

    Im Interview mit dem Radiosender Komsomolskaja Prawda, das vom gleichnamigen Boulevardblatt verschriftlicht wurde, sieht Igor Korotschenko, Chefredakteur der monatlichen Militärzeitschrift „Nationale Verteidigung“, den Putschversuch vor allem als Niederlage der NATO:

    [bilingbox]Die NATO ist nicht im Stande, ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. Verzeihen Sie, aber die NATO, die in Warschau verkündet hat, dass die größte Sicherheitsbedrohung von Russland ausgehe, erlebt in Nizza einen Schlag durch den internationalen Terrorismus und gleich am nächsten Tag einen Militärputsch in der Türkei. Wir sollten der NATO jetzt sagen: Schaut mal in den Spiegel … aber stattdessen versucht ihr den Spieß in Richtung Russland umzudrehen. Das heißt, wir sollten Zähne zeigen auf der Informations-Ebene. Aktiv sein. Das mag vielleicht zynisch klingen, aber die Situation sieht so aus, dass wir der NATO mal ordentlich zeigen können, wo der Hammer hängt.~~~НАТО не может обеспечить свою собственную безопасность. Извините, НАТО, которое заявило в Варшаве, что главная угроза безопасности – Россия – фактически получило удар от международного терроризма в Ницце и дальше на следующий день – военный переворот в Турции. И мы должны сейчас НАТО сказать – посмотрите в зеркало… а вы пытаетесь стрелки переводить на Россию. То есть, мы должны здесь зубки показать информационные. Быть активными. Ну, знаете, может, это цинично звучит, но ситуация такова, когда мы можем ткнуть НАТО «фейсом об тейбл».[/bilingbox]

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    Presseschau № 36: #янебоюсьсказать

    „Im postsowjetischen Raum wird nicht der Täter beschuldigt, sondern man sucht gleich nach Vorwänden, um das Opfer zu beschuldigen: Was hat die Frau falsch gemacht?“ Mit diesen deutlichen Worten und unter dem Hashtag #янебоюсьсказать (Ja ne bojus skasat – dt: Ich habe keine Angst zu sprechen) hat die ukrainische Aktivistin Anastasia Melnitschenko im Juli eine Hashtag-Aktion gegen die Tabuisierung sexueller Gewalt gestartet.

    Sie wollte Opfern eine Stimme geben und einen Raum, ihre Geschichte zu erzählen. Mit der Resonanz hat Melnitschenko wohl selbst nicht gerechnet: Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der Hashtag in den vergangenen Tagen durch die Soziale Medien, unter anderem auch in Russland und Belarus.

    In Russland reagieren Öffentlichkeit und Presse ganz unterschiedliche darauf: Zwar finden sich zahlreiche Befürworter der Aktion, viele stoßen sich an patriarchalischen Strukturen in Gesellschaft und Politik. Doch es gibt auch kritische Stimmen. Diskutiert wird dabei häufig die Frage, ob EU-Europa im Umgang mit sexueller Gewalt als Vorbild taugt. Ein Debatten-Querschnitt:

    Izvestia: Und was ist mit der Silvesternacht in Köln?

    In der kremlnahen Izvestia kritisiert die Politologin Natalja Narotschnizkaja die Aktion. Die Präsidentin des Instituts für Demokratie und Zusammenarbeit, das nach eigenen Angaben Menschenrechtsverletzungen in Europa und den USA nachgeht, stört sich daran, dass die Initiative, die in der Ukraine gestartet wurde, Kritik an Russland, aber nicht an EU-Europa übt:

    [bilingbox]Die Autoren dieses, mit Verlaub, Projektes appellieren daran, dass die öffentliche Meinung im postsowjetischen Raum teilweise der Frau selbst den Vorwurf mache, die Gewalt gegen sie provoziert zu haben: Sie habe sich nicht angemessen gekleidet, sich aufreizend verhalten und so weiter. Entsprechend ist ein Ziel dieser Hashtag-Aktion, diesen Trend umzukehren und sich in dieser Hinsicht dem, wie es so schön heißt, europäischen Werteverständnis anzunähern.

    Aber ich erinnere mich da an eine himmelschreiende Geschichte, die große Aufmerksamkeit fand: die Silvesternacht im deutschen Köln. Da trieben die gerade in Deutschland angekommenen Migranten ihr Unwesen, beleidigten und missbrauchten die Einwohnerinnen der Stadt. Das Interessanteste ist, dass die Bürgermeisterin der Stadt Henriette Reker den Mädchen empfahl, auf ihr Verhalten zu achten.

    Natürlich verärgerte diese unpassende Reaktion einer Amtsträgerin einen Teil der deutschen Bevölkerung. Aber ich kann mich irgendwie nicht daran erinnern, dass irgendeine ukrainische Journalistin deswegen eine Hashtag-Aktion gestartet hätte. Bei den weltweit wichtigsten Fragen der Menschen und der Menschheit gibt es in Europa heute keine Redefreiheit!~~~Авторы этого, с позволения сказать, проекта апеллируют к тому, что на постсоветском пространстве общественное мнение зачастую обвиняет саму женщину в провоцировании совершенного против нее насилия — была-де не так одета, вела себя вызывающе и прочее. Соответственно, одна из целей данной флешмоб-акции — переломить этот тренд и приближаться, мол, в этом смысле к европейскому пониманию ценности, неприкосновенности личности. Но мне вспоминается вопиющая и ставшая достоянием широкой общественности история, которая произошла в новогоднюю ночь в немецком Кельне. Прибывшие в Германию мигранты бесчинствовали, оскорбляя и насилуя жительниц города. Самое интересное, что мэр города Генриетта Рекер рекомендовала девушкам пересмотреть свое поведение.

    Естественно, часть граждан Германии возмутилась такой неадекватной реакцией чиновницы. Но я что-то не припомню, чтобы какая-нибудь украинская журналистка объявляла по этому поводу флешмоб. По главным вселенским вопросам человека и человечества свободы слова в Европе сейчас нет![/bilingbox]

    Forbes: Russische Alphamännchen

    Der renommierte Historiker und Journalist Sergej Medwedew nimmt im Wirtschaftsmagazin Forbes die Aktion zum Anlass, um das Verhältnis zwischen Gender und Politik in Russland genauer zu beleuchten:

    [bilingbox]Die russische Staatsmacht ist im höchsten Maß archaisch und physisch: Sie gründet […] nicht auf rationalen Mechanismen, nicht auf gesichtslosen Maschinen der Weberschen Bürokratie, sondern auf direktem physischem Kontakt, auf Ausübung der Macht durch menschliche Körper. Zum Beweis des Anrechts auf Macht braucht es in Russland Akte übermäßiger Gewalt – wie das Schau-Massaker in Kuschtschowskaja, die Folterungen in der Abteilung für Innere Angelegenheiten Dalny, den Mord an Nemzow, das Abfackeln der Häuser von mutmaßlichen Terroristen in Tschetschenien, die demonstrative Vernichtung sanktionierter Lebensmittel

    Nicht zufällig steht an der Spitze des Staates ein Alphamännchen, eine Verkörperung männlicher Macht, der den Macht- und Kraftkult legitimiert hat, angefangen mit körperdominierten Halbnackt-Fotosessions bis hin zur Anwendung von Gewalt im Verhältnis zu Opposition und Nachbarländern. Deren Lexik und Argumentation („Die Schwachen werden geschlagen“, „Man muss als Erster zuschlagen“) entstammt direkt den Machtdemonstrationen aus kriminellen Ritualen.
    In diesem Sinn steckt hinter den patriarchalen Geschlechtermodellen, die die Hashtag-Aktion bloßlegt, die gesamte archaische Matrix der russischen Macht, die in der Hand von „Kerlen“ liegt.~~~Дело в том, что российская власть предельно архаична и физиологична: она основана […] не на механизмах рационального устройства, не на безличных машинах веберовской бюрократии, а на прямом физиологическом контакте, на силовом управлении человеческими телами. Для доказательства права на власть в России важны акты избыточного насилия – такие как показательное убийство в Кущевке, пытки в ОВД «Дальний», убийство Немцова, сожжение домов предполагаемых террористов в Чечне, демонстративное уничтожение санкционных продуктов… Неслучайно во главе государства стоит «альфа-самец», олицетворение мужской власти, который легитимизировал культ силы, начиная с физиологичных полуобнаженных фотосессий и заканчивая применением силы в отношении оппозиции и соседних стран, чья лексика и аргументы («слабых бьют», «бить первым») напрямую происходят из блатных ритуалов демонстрации силы. В этом смысле за патриархальными гендерными моделями, которые так явно обнажил флешмоб, стоит вся архаическая матрица российской власти, осуществляемой «мужиками».[/bilingbox]

    Slon: Die Untertanen

    Patriarchale Vorstellungen in der Gesellschaft kritisiert auch Kirill Martynow, Dozent an der Moskauer Higher School of Economics, in seinem Beitrag auf dem unabhängigen Portal Slon.ru – und findet es bezeichnend, dass die Aktion in der Ukraine und nicht in Russland startete:

    [bilingbox]Die Aktion #янебоюсьсказать hat die Mechanismen freigelegt, auf denen die russische Gewalt-Kultur basiert. Es geht nicht nur um Gender- oder sexuelle Gewalt, man muss die Frage weiter fassen, denn „das Persönliche ist politisch“. Nicht zufällig kam die Aktion aus der postrevolutionären Ukraine, in der das Niveau politischer Freiheit deutlich höher ist. Der moderne Feminismus behauptet, dass das Patriarchat, also die institutionalisierten Praktiken maskuliner Herrschaft, die fundamentale Quelle aller weiteren Formen der Unterdrückung ist – sei es der politische Autoritarismus oder die ökonomische Ungleichheit.

    Die Diskussion darüber, ob diese These theoretisch gerechtfertigt ist, soll hier ausgeklammert bleiben. Aber intuitiv scheint offensichtlich: Während russische Männer patriarchalischen Vorstellungen über das „weibliche Wesen“ anhängen, fügen sie sich gleichzeitig  ziemlich harmonisch in die Rolle als Untertanen eines maskulinen Diktators.~~~Акция #янебоюсьсказать вскрыла механизмы, на которых основана российская культура насилия. Речь не только о гендерном и сексуальном насилии, вопрос следует ставить шире, ведь «личное есть политическое». Акция неслучайно пришла из постреволюционной Украины, в которой уровень политической свободы заметно выше. Современный феминизм утверждает, что патриархат, то есть институционализированные практики мужского господства, являются фундаментальным источником всех иных форм угнетения, будь то политический авторитаризм или экономическое неравенство.

    Обсуждение теоретической справедливости этого тезиса можно вынести за скобки. Но интуитивно кажется очевидным: пока российские мужчины разделяют патриархальные представления о «женской сущности», они вполне гармонично выглядят в качестве подданных маскулинного диктатора.[/bilingbox]

    Novaya Gazeta: Gewalt und Krieg

    Jan Schenkman dagegen weist in der unabhängigen Novaya Gazeta vor allem auf Ähnlichkeiten zwischen der russischen und ukrainischen Gesellschaft hin:

    [bilingbox]Es ist bemerkenswert, dass #яНеБоюсьСказать (Ja ne bojus skasat) zum russisch-ukrainischen Flashmob wurde. Auf Ukrainisch ist nur ein Buchstabe in dem Hashtag anders: Ja ne bojus skasaty. Ansonsten keinerlei Unterschied. Das Zeugnis einer Ukrainerin kann man nicht unterscheiden vom Zeugnis einer Russin. In der Gegend um die Twerskaja Straße [im Zentrum Moskaus] passiert ungefähr das gleiche wie um den Chreschtschatyk [im Zentrum Kiews]. Sowohl in der quasi freien Ukraine als auch im quasi totalitären Russland gibt es einen Haufen Leute, die dazu fähig sind, ein 14-jähriges Mädchen in einen Keller zu schleifen, einer Frau mit der Faust ins Gesicht zu schlagen oder einfach so zu brüllen, dass du vor Angst anfängst zu zittern.

    Beide Länder sind von Gewalt durchsetzt. Ich bin mir sicher, das liegt nicht am Krieg. Im Gegenteil: Deswegen kam es zu diesem Krieg.~~~Поразительно, что #яНеБоюсьСказать стало русско-украинским флешмобом. По-украински тэг отличается всего на одну букву: #яНеБоюсьСказати. А в остальном никакой разницы. Исповедь украинки вы никак не отличите от исповеди россиянки. В окрестностях Тверской происходит примерно то же, что в окрестностях Крещатика. И в как бы свободной Украине, и в как бы тоталитарной России полно людей, способных затащить 14-летнюю девочку в подвал, разбить женщине кулаком лицо или просто наорать так, что будешь дрожать от страха.

    Обе страны буквально напичканы насилием. Я уверен, что это не из-за войны. Наоборот: война из-за этого. А политики подтянулись уже по ходу дела.[/bilingbox]

    Nesawissimaja Gaseta: Nicht vor aller Augen!

    In der Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta stößt sich die Psychologin Swetlana Gamsajewa an Hass-Kommentaren im Netz. Gleichzeitig zweifelt sie, ob eine solch laute und öffentliche Aktion überhaupt nötig ist:

    [bilingbox]Und daraufhin geschah etwas für die russische Öffentlichkeit Typisches: Auf die Welle von Offenbarungen folgte eine Welle von Beschuldigungen und zynischer, teilweise niederträchtiger Kommentare. Es schien, als verwandelte sich eine völlig menschliche Aktion in einen neuen, unmenschlichen Krieg. Einen Genderkrieg – denn offenbart hatten sich vor allem Frauen und Beschuldigungen kamen vor allem von Männern. Das heißt, im Grunde kam es im Netz zu einer weiteren Serie von Vergewaltigungen, nur diesmal in den Kommentaren. Und psychische Gewalt ist bekanntlich nicht weniger effektiv als physische. […]

    Diese Geschichte hat gezeigt, wie schnell und laut wir sehr intime, schmerzhafte Themen aufgreifen. Und eben auch, wie achtlos wir mit uns selbst umgehen. Und wie gefährlich wir bei Konfrontationen aufeinanderprallen. Selbst wenn es um sehr sensible Themen geht. Und wie viel passive Aggression wir in uns tragen. Und folglich, wie viel Gewalt wir durchlebt haben.

    Doch alle gleichzeitig von diesem Schmerz zu befreien, das wird nicht gehen. Das schafft kein Hashtag der Welt, oh je. Das kann nur jeder für sich alleine machen. Das muss auch gar nicht vor aller Augen geschehen.~~~А затем произошла привычная для российского публичного пространства вещь: навстречу волне откровений поднялась волна обвинений и циничных, а порой и грязных комментариев. Казалось бы, вполне человечная акция обернулась новой нечеловечной войной. Войной гендерной, потому что среди авторов откровений были женщины, а обвинений – мужчины. То есть, по сути, в Сети произошла новая серия изнасилований – только теперь в комментариях. А, как известно, психологическое насилие не уступает по эффективности физическому. […]

    эта история показала, как легко и громко мы подхватываем очень интимные, болезненные темы. И, значит, как небрежно к самим себе относимся. И как опасно мы сталкиваемся в противостоянии. Даже когда речь идет о деликатных вещах. И как много скрытой агрессии мы таим. А значит, соответственно сколько насилия пережили.

    Вот только освободиться от этой боли всем скопом не получится. Ни под каким хештегом, увы. Это можно сделать только поодиночке. И совсем необязательно у всех на виду.[/bilingbox]

    Spektr: Auf die Scheiße zeigen

    Dagegen argumentiert Ljudmilla Petranowskaja in ihrem viel beachteten Beitrag auf dem Exilmedium Spektr, dass die Aktion die Gesellschaft endlich zwinge, über ein lange tabuisiertes Thema zu sprechen:

    [bilingbox]Die Aktion heilt keine Traumata, aber sie zwingt alle dazu, über etwas nachzudenken, worüber man nicht nachdenken möchte. Sie zwingt einen, darüber zu sprechen, wenn auch nur andeutungsweise oder mit zusammengebissenen Zähnen, gegen die inneren Widerstände. Man kann den Augiasstall nicht reinigen, wenn man nicht mit dem Finger auf die Scheiße zeigt und diese auch als solche benennt. Gewalt als Alltäglichkeit, Gewalt als „Ordnung der Dinge“, Angst vor der Gewalt, Identifikation mit dem Gewalttäter, Beschuldigung des Opfers – das ist genau die Scheiße, in der unsere Gesellschaft bereits so tief drin steckt, dass sie sich nicht mehr bewegen kann.

    Die Diskussion solcher Themen zwingt jeden zu wählen, was man dieser schmerzhaften und komplizierten Mischung hinzufügen möchte: noch mehr Missachtung und Beschuldigungen des Opfers oder ein wenig Mitgefühl und Respekt. Die Ergebnisse summieren sich zu der Gesellschaft, in der wir leben. Was wir wählen, das bekommen wir auch – so einfach ist das.~~~Флешмоб не вылечит ничьих травм, но он заставит всех подумать том, о чем думать не хочется. Заставит говорить об этом, пусть даже с экивоками или через губу, продираясь через защиты. Нельзя расчистить авгиевы конюшни, не указав пальцем на дерьмо и не назвав его вслух дерьмом. Насилие как обыденность, насилие как «порядок вещей», страх перед насилием, идентификация с насильником,  обвинение жертвы,– это и есть то дерьмо, которое налипло за нашу историю в таких количествах, что не дает обществу двигаться дальше. Обсуждение таких тем заставляет каждого выбрать, что добавлять в болезненный и сложный замес: еще презрения и обвинений жертв или немного сочувствия и уважения. Эти выборы суммируются и мы получаем общество, в котором живем. Что навыбираем, то и получим, только и всего.[/bilingbox]

    Wetschernaja Moskwa: Plötzlich hilflos

    In Wetschernaja Moskwa, einem Boulevardblatt, das die Moskauer Regierung herausgibt, wundert sich Korrespondentin Lera Bokaschewa über europäische Frauen:

    [bilingbox]Und das ist auch wichtig: Man muss in der Lage sein, für sich selbst einzustehen. Ich meine, dass eine erwachsene Frau diese Kunst beherrschen sollte. Sie muss wissen, wie man sich wo kleidet, wie man sich präsentiert. Weil – und auch das zeigt uns die alte Oma Europa – Frauen, die ihre Männer seit Jahrzehnten moralisch kastriert und sie der „Belästigung” bezichtigt haben, wo überhaupt nichts Kriminelles passiert war, waren plötzlich absolut hilflos, als sie realer Belästigung ausgesetzt waren. Wenn Migranten in Deutschland und Frankreich jetzt höchst ungehobeltes Verhalten gegenüber den wunderhübschen Europäerinnen an den Tag legen, können letztere nur heulen oder in Ohnmacht fallen. Da helfen weder Hashtag-Aktionen noch die Polizei.~~~И это тоже важно: уметь постоять за себя. Считаю, что взрослая женщина этим искусством должна владеть. Знать, как и куда одеваться, как себя подавать. Потому что – и это тоже нам демонстрирует старушка-Европа – женщины, которые на протяжении десятилетий кастрировали морально своих мужчин, уличая их в "домогательствах" там, где в помине не было ничего криминального, оказались неожиданно абсолютно беззащитны перед домогательствами реальными. Когда в Германии и Франции сейчас мигранты демонстрируют в высшей степени хамское поведение по отношению к прекрасным европейкам, последние могут только рыдать и падать в обмороки. Не помогают ни флешмобы, ни полиция.[/bilingbox]

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