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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Infografik: Die Wahl im Ausland

    Infografik: Die Wahl im Ausland

    Kurz nach der Präsidentschaftswahl am 18. März vermeldeten russische Medien diese Erfolgszahlen: Die Wahlbeteiligung im Ausland habe 98 Prozent betragen, rund 85 Prozent der Stimmen gingen an Putin. dekoder hat sich diese Zahlen genauer angeschaut und in einer Infografik abgebildet.

    Tatsächlich erklärt sich die hohe Wahlbeteiligung dadurch, dass sie im Verhältnis zu den Wählerlisten errechnet wurde – und nicht im Verhältnis zur Zahl der tatsächlich wahlberechtigten Russen im jeweiligen Ausland. Auf die Wählerliste gelangt jeder russische Bürger, der sich im Ausland zum Gang an die Wahlurne gemeldet hat – entweder schriftlich vorab oder mündlich am Tag der Wahl.

    So registrierten sich in Deutschland 33.860 Bürger mit russischem Pass für die Wahl – letzten Endes wählten davon 33.830, und 81,3 Prozent davon Putin. Insgesamt leben aber rund 500.000 wahlberechtigte Bürger mit russischem Pass beziehungsweise mit Doppelpass in Deutschland. Insofern liegt die tatsächliche Wahlbeteiligung extrem niedrig – bei etwa sechs bis sieben Prozent.

    Die große Mehrheit der Bürger mit russischem Pass in Deutschland hat also gar nicht gewählt.



    Im Drop-Down-Menü können Sie mit der Maus oder den Pfeiltasten die Wahlergebnisse der einzelnen Länder durchgehen / Quelle: ZIK (Falls die Grafiken nicht laden, bitte hier aktualisieren)

    Die meisten Stimmabgaben im Ausland gab es in der Republik Moldau, wo 80.013 Wähler ihre Stimmen abgaben. In Transnistrien bilden Russen die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe. Putin erreichte dort sein bestes Ergebnis im Ausland und erhielt 95,5 Prozent der Wählerstimmen.

    In den Niederlanden etwa gingen insgesamt nur 2025 Personen an die Wahlurnen – mit 24,3 Prozent der Stimmen erreichte dabei Xenia Sobtschak, die Kandidatin gegen alle, ihr bestes Wahlergebnis im Ausland. Auch in Großbritannien, wo 3963 Leute wählten, machten 23,3, Prozent ihr Kreuzchen bei Sobtschak – während Putin dort mit 51,9 Prozent vergleichsweise schlecht abschnitt.

    Text: Tamina Kutscher
    Datenvisualisierung: Daniel Marcus

    erschienen am 22.03.2018

    Diese Infografik wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Debattenschau № 64: Putins Wahlsieg

    Debattenschau № 64: Putins Wahlsieg

    Russland hat gewählt, der neue Präsident ist, wie erwartet, der alte: Wladimir Putin. Er ist für weitere sechs Jahre gewählt, 2024 wäre er damit faktisch ein knappes Vierteljahrhundert an der Macht.

    Das vorläufige offizielle Ergebnis, das die Zentrale Wahlkommission meldet, lautet: 76,69 Prozent der Stimmen gingen an Wladimir Putin (s. die dekoder-Infografiken zur Wahl), in einzelnen Wahlbezirken fuhr er über 90 Prozent der Stimmen ein, etwa auf der Krim, die 2014 an Russland angegliedert worden war.
     
    Besonders wichtig für den Kreml war die Wahlbeteiligung, die Putins Macht eine größere Legitimatität verschaffen soll. Während sie am Wahlabend lange auf rund 60 Prozent hochgerechnet wurde, lag sie nach weiteren Auszählungen schließlich bei rund 67,49 Prozent.
     
    Was sagen die hohen Prozentwerte aus – gerade auf der Krim? Zeigt die Wahl eine große Beliebtheit Putins – oder vor allem die immer autokratischeren Züge des Systems? dekoder bringt Ausschnitte aus russischen Medien-Debatten nach der Wahl.

    Komsomolskaja Prawda (Radio): Bedingungsloser Sieg Putins

    Ex-Premier Sergej Stepaschin zieht im Radio-Interview mit Komsomolskaja Prawda eindeutige Schlüsse aus dem Wahlergebnis:

    [bilingbox][…] Es ist ein bedingungsloser Sieg Putins. Genauer gesagt: Nicht einfach ein Sieg, sondern ein lautstarker Sieg mit einer solch hohen Unterstützung des Volkes. Das ist sein bestes Ergebnis. Um so mehr, weil niemand sagen kann, dass irgendwer, so wie 1996, mit irgendwas die Urnen aufgefüllt hätte. […]
    Das Wichtigste ist, dass der Präsident die Unterstützung von über 50 Millionen Bürgern bekommen hat. Nun kann niemand mehr behaupten, der Präsident hätte keinen Rückhalt in der Gesellschaft. Das ist die Unterstützung von quasi dem gesamten aktiven Teil des Landes.~~~[…] безоговорочная победа Владимира Путина. Точнее, не просто победа – а оглушительная победа, с таким высоким уровнем поддержки народа. Это его лучший результат. Тем более, что никто не скажет, как это было в 1996 году, что кто-то чего-то набросал в урны. […]
    Главное, что президент получил поддержку более 50 миллионов граждан. Вот теперь уже никто не скажет, что президент не имеет опоры в обществе. Это поддержка практически всей активной части страны.[/bilingbox]

    erschienen am 19.03.2018

    Republic: Entpolitisierung der Gesellschaft

    Ganz anders interpretiert Oleg Kaschin auf dem unabhängigen Online-Portal Republic die hohen Zustimmungswerte für Putin:

    [bilingbox]Der Kreml hat […] einen offensichtlichen Bedarf nach Entpolitisierung der Gesellschaft. Die Gesellschaft soll sich automatisch auf Seite der Staatsmacht befinden, bei deren Konfrontation mit äußeren Gegnern. […] 
    Aber wenn alle für Putin sind, heißt das, dass keiner für Putin ist. Die auf ein historisches Maximum gebrachten Zahlen formaler Loyalität verlieren ihre politische Aussagekraft: Staatsmacht und Gesellschaft sind gleichermaßen interessiert daran, sich gegenseitig zu ignorieren. Das wird offenbar zum Idealzustand unserer und derer Existenz für die nächsten Jahre.

    ~~~Очевидная потребность Кремля состоит […] в деполитизации общества – общество должно по умолчанию находиться на стороне власти в ее противостоянии с внешними оппонентами. […] Но если за Путина все, то это значит, что за Путина никто. Доведенные до исторического максимума цифры формальной лояльности просто перестают быть политическим фактором, власть и общество оказываются одинаково заинтересованы во взаимном игнорировании, которое, очевидно, и станет оптимальной формой нашего и их существования на ближайшие годы.[/bilingbox]

    erschienen am 19.03.2018

    Novaya Gazeta: Gestärkte Nomenklatura

    Nicht Putin – Politologe Alexander Kynew sieht in der unabhängigen Novaya Gazeta zwei ganz andere, eigentliche Gewinner der Wahl:

    [bilingbox]Nawalnys Wahlboykott war im Grunde nur eine Möglichkeit, nicht wen auch immer unterstützen zu müssen. Schließlich war völlig klar, dass es für’s Image höchst schädlich ist, einen gescheiterten Kandidaten zu unterstützen. Ausgehend von dem allgemeinen Ergebnis ist der politische Stellenwert Nawalnys höher als der von Sobtschak, Jawlinski und Titow zusammen.Tatsächlich gab es bei diesen Wahlen einen Kampf der alten Nomenklatura um den Erhalt des eigenen Status. Es ging darum, niemand neuen [zur Wahl – dek] zuzulassen, und falls doch, dann eine solche Kandidaten-Karikatur, die am bisherigen Monopol bestimmt nicht rüttelt. Das [die Nomenklatura – dek] waren die wahren Nutznießer der Wahlkampagne, es war nicht mal Putin.~~~Бойкот Навального — на самом деле, лишь способ дистанцироваться от поддержки кого бы то ни было. Ведь абсолютно понятно, что поддерживать провальные кампании с точки зрения имиджа – крайне вредно. Исходя из общих результатов, политический рейтинг Навального выше, чем у Собчак, Явлинского и Титова вместе взятых.

    На самом деле на этих выборах шла борьба старой номенклатуры за сохранение своего статуса. Задача была не допустить никого нового, а если и допустить, то такого карикатурного кандидата, который точно не помешает ее прежней монополии. Они были истинными бенефициарами кампании, даже не Путин.[/bilingbox]

    erschienen am 19.03.2018

    Facebook: Was ist mit den Nicht-Wählern?!

    Den bekannten Journalisten Alexander Morosow beschäftigen auf Facebook ganz andere Zahlen:

    [bilingbox]Eine einfache Frage, über die niemand nachdenkt: Warum ist ein Drittel der Bürger (nennen wir sie „Wähler“ unter Vorbehalt) wieder nicht zur Wahl gegangen? Und das, wo doch die Heimat in Gefahr, der Westen im Vormarsch und Konsolidierung gefragt ist? Ein Drittel! In absoluten Zahlen sind das um die 40 Millionen Menschen [nach aktuellem Auszählungsstand haben knapp 36 Millionen Menschen nicht an der Wahl teilgenommen – dek]. Warum gehen die nicht wählen?

    Erstens stellt sich die Frage: Gibt es die überhaupt? Vielleicht sind das irgendwelche Senioren, die schon längst von skrupellosen Immobilienmaklern aus der Stadt in irgendwelche abgeschiedenen Dörfer umgesiedelt wurden? Vielleicht liegen sie auch bereits unter der Erde? Oder die 40 Millionen sind so tief im Suff versunken, dass sie gar nicht wissen, dass die „Krim unsere“ ist, vielleicht schauen sie schon vier Jahre kein Fernsehen mehr, weil sie den [Fernseher – dek] zum Pfandleiher gebracht haben?

    Oder wollen die 40 Millionen mit ihrem Nicht-Wählen etwas sagen? Und was? Worüber die unzufrieden sind – keine Ahnung. Und warum fragt niemand in einem solchen Fall? Das ist doch spannend! Wer sind diese Leute, was machen sie, wo sind sie?~~~Вот простой вопрос, над которым никто не задумывается. а почему треть граждан („избирателей“, назовем их так условно) опять не пришла на выборы? причем, в условиях, когда родина в опасности, Запад наступает и требуется консолидация? Треть! В абсолютных цифрах – это около 40 млн человек. Почему они не ходят? Во-первых, встает вопрос: а есть они вообще? Может быть, это какие-то старики, которых давно уже черные риэлторы переселили из города в глухую деревню? и они там околели уже? Или это 40 млн человек, которые в таком запое, что даже не знают, что „Крым наш“, не смотрят телевизор уже четыре года, потому что уже снесли его в ломбард? Или эти 40 млн что-то хотят сказать своим „нехождением“. А что? Чем они недовольны, непонятно. И почему никто не спросит, в таком случае. Это же интересно! Кто эти все люди, чем они занимаются, где они?[/bilingbox]

    erschienen am 19.03.2018

    Izvestia: Kein Populismus

    Politologe Dimitri Orlow dagegen sieht in der kremlnahen Izvestia konkrete Versprechen für die Zukunft als einen Grund für den Sieg Putins:

    [bilingbox]Die umfangreiche Arbeit, die der Präsident mit der traditionellen „Putinschen Mehrheit“ verrichtet hatte, hat Früchte getragen. Eine wichtige Rolle spielte der direkte Umgang der Staatsführung mit den Wählern vor Ort.[…]
    Das im Vorfeld der Kampagne breit diskutierte „Zukunftsbild“, das von den Wählern positiv aufgenommen wurde, ist kein Populismus, sondern ein konkreter Vorschlag der Staatsmacht zur Lösung von Problemen, die die Schlüsselgruppen der Wähler betreffen. Dabei hat die Staatsmacht keine schnelle Lösung versprochen, sondern ein konkretes Arbeitsprogramm.~~~Принесла плоды масштабная работа, которую провел президент с традиционным «путинским большинством», большую роль сыграло прямое общение главы государства с избирателями на местах. […] Широко обсуждавшийся в преддверии нынешней кампании «образ будущего», который был позитивно воспринят избирателями, — не популизм, а конкретные предложения властей по решению проблем, касающихся ключевых групп избирателей, не обещания быстрого результата, а планы реальной работы.[/bilingbox]

    erschienen am 20.03.2018

    Carnegie.ru: No Future

    Auf dem Online-Portal des Thinktank Carnegie dagegen, kritisiert die Politologin Tatjana Stanowaja die bisherige offizielle Rhetorik gegenüber den Wählern als wenig zukunftsorientiert:

    [bilingbox]Die einfachste Erklärung dafür, warum die Bevölkerung sich in Warteschlangen einreihte, um für Putin zu stimmen, sind aus heutiger Sicht die angespannten geopolitischen Rahmenbedingungen, die Logik der belagerten Festung. […] Der wichtigste Fehlschluss der Staatsmacht bei der Interpretation der Wahlergebnisse besteht darin, dass sie die vollendete Legitimation der Vergangenheit mit einer Carte blanche für die Zukunft verwechseln. Dieselbe Zukunft, über die die Staatsmacht mit der Gesellschaft nicht diskutieren konnte und wollte. Stattdessen hat die Staatsmacht die Gesellschaft vollends zur Geisel des wachsenden geopolitischen Chaos gemacht.~~~На сегодня самым простым объяснением того, почему население выстроилось в очереди, чтобы проголосовать за Путина, стало влияние напряженного геополитического фона, логики осажденной крепости. […] Ключевая ошибка власти в интерпретации итогов выборов заключается в том, что они подменяют свершившуюся легитимацию прошлого народным карт-бланшем на будущее. То самое будущее, о котором власть не захотела и не смогла говорить с обществом, окончательно отведя ему роль заложника нарастающего геополитического хаоса. [/bilingbox]

    erschienen am 19.03.2018

    TASS: Dank an den Westen

    Die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission Ella Pamfilowa spielt auf die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Russland und dem Westen an, etwa die Anschuldigungen im Fall Skripal, wenn sie laut staatlicher Nachrichtenagentur TASS sagt:

    [bilingbox]Abgesehen natürlich von all den politischen Aspekten, möchte ich sagen, dass sich unser Volk in schwierigen Zeiten immer vereint. Deshalb gilt ein riesen Dank gewissen Führungspersonen gewisser westlicher Staaten – ich werde keine Namen nennen –, die ebenfalls eigene positive Beiträge geleistet haben und dabei behilflich waren, unser Volk zu konsolidieren und zu vereinen.~~~Помимо, конечно, всех тех политических аспектов, я хочу сказать, что, знаете, наш народ всегда объединяется в трудные минуты. Поэтому большое спасибо некоторым лидерам, не буду называть, некоторых западных государств, которые тоже внесли свою положительную лепту, содействовали консолидации и объединению нашего народа[/bilingbox]

    erschienen am 19.03.2018

    RIA FAN: Krim wählte Russland

    Die kremlnahe Nachrichtenagentur RIA FAN zitiert den skandalumwitterten Duma-Abgeordneten Leonid Sluzki, der das Wahlergebnis auf der Krim kommentiert:

    [bilingbox]Die Position des Westens, die Präsidentschaftswahl auf der Krim nicht anzuerkennen, hat nichts mit der Realität zu tun. Das Wahlergebnis von Wladimir Putin auf der Halbinsel, mehr als 90 Prozent der gewonnenen Wählerstimmen, spricht für sich. Die Krim wählte Russland. Die Krim wählte Putin und nicht Poroschenko. ~~~Позиция Запада о непризнании выборов президента в Крыму не имеет ничего общего с реалиями. Результат Владимира Путина на полуострове, более 90% в его поддержку, говорит сам за себя. Крым выбрал Россию, Крым выбрал Путина, а не Порошенко.[/bilingbox]

    erschienen am 19.03.2018

    Krym.Realii (Radio Svoboda): Anomale Territorien

    Auf Krym.Realii von Radio Svoboda erklärt Politologe Iwan Preobrashenski, warum er den hohen Werten auf der Krim nicht traut: 

    [bilingbox]Wenn die Wahlbeteiligung in einer Region den Landesdurchschnitt erheblich übersteigt, können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass es sich um „anomale Territorien“ wie Tschetschenien oder Dagestan handelt, wo eigentlich niemand die tatsächlichen Wahlergebnisse kennt. Grund dafür sind die vielfachen Wahlfälschungen, die bei den Bezirkswahlkommissionen beginnen und sich über die gesamte Vertikale ausbreiten, wo jeder Vorgesetzte versucht, sich so eifrig wie möglich anzudienen und dem Haupt-Kandidaten Stimmen zuzuschanzen. ~~~Если явка серьезно превышает среднероссийскую, то с большой долей вероятности мы можем говорить, что это «аномальные территории» типа Чечни или Дагестана, где реальных результатов выборов на самом деле не знает уже никто. Потому что там выборы многократно фальсифицируются, начиная с участковых избиркомов и по вертикали, где каждый начальник старается максимально выслужиться и добросить голосов главному кандидату.[/bilingbox]

    erschienen am 20.03.2018

    Republic: Denkt an Tunesien

    Der Politologe Grigori Golossow warnt auf Republic mit Blick auf den Arabischen Frühling generell vor zu viel Euphorie:

    [bilingbox]Wofür stehen Ergebnisse autoritärer Wahlen? Dafür, wofür sie stehen müssen – für Loyalität. Üblicherweise bleibt die Loyalität über die ganze Legislaturperiode hinweg erhalten, und das eröffnet den Spielraum für Propaganda à la „Rückhalt des ganzen Volkes“. Manchmal nehmen Ereignisse eine andere Wende. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass in Tunesien nach weniger als eineinhalb Jahren [nach der Präsidentschaftswahl – dek] eine Revolution stattfand, bei der Ben Ali keine Beschützer und nicht einmal passive Unterstützer fand. ~~~О чем свидетельствуют результаты авторитарных выборов? О том, о чем и должны свидетельствовать, – о лояльности. Обычно лояльность сохраняется в течение всего президентского срока, и это открывает простор для пропагандистской темы о «всенародной поддержке». Иногда события принимают другой оборот. В связи с этим напомню о том, что в Тунисе менее чем через полтора года произошла революция, в ходе которой ни защитников, ни даже пассивных сторонников у бен Али не нашлось.[/bilingbox]

    erschienen am 19.03.2018
     

    Diese Debattenschau wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Debattenschau № 63: Anschlag auf Ex-Doppelagent Skripal

    Debattenschau № 63: Anschlag auf Ex-Doppelagent Skripal

    Am 4. März wurden der russische Ex-Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia auf einer Parkbank im britischen Salisbury aufgefunden – bewusstlos. Mit lebensgefährlichen Vergiftungserscheinungen kamen sie in ein Krankenhaus. Skripal ist seit 2010 in England. Damals war er bei einem Agentenaustausch aus einem russischen Arbeitslager nach Großbritannien entlassen worden. Er soll als Offizier des Militärgeheimdienstes GRU für die Briten spioniert haben.
     
    Skripal und seine Tochter waren nach britischen Angaben mit Nowitschok vergiftet worden – ein Nervenkampfstoff, der in der Sowjetunion entwickelt wurde. Deswegen vermutet die britische Regierung unter Theresa May die russische Regierung hinter dem Attentat und stellte ein Ultimatum, das Russland allerdings verstreichen ließ. Großbritannien kündigte daraufhin an, 23 russische Diplomaten auszuweisen. Auf Antrag der britischen Regierung hatte sich auch der UN-Sicherheitsrat mit dem Fall beschäftigt.

    Russland weist alle Vorwürfe zurück und zeigt sich empört über die Anschuldigungen. Außenminister Lawrow erklärte, Russland habe kein Motiv und sprach von einer „russlandfeindlichen Kampagne“. Das Außenministerium kündigte außerdem an, mit einem Gegenschlag auf die britischen Sanktionen zu reagieren.

    Steckt der Kreml hinter dem Anschlag auf Skripal? Oder sind die Vorwürfe haltlos, will man Putin kurz vor der Wahl schaden? Diese Fragen werden auch in russischen Medien kontrovers diskutiert. dekoder bringt Ausschnitte aus der Debatte.

    RIA Nowosti: Gipfel der Russophobie 

    Olga Burgowa unterstützt in der Nachrichtenagentur RIA Nowosti die offizielle russische Sicht der Dinge:

    [bilingbox]Großbritannien möchte seine Bedeutung in der Weltpolitik unterstreichen, indem es Russland bestraft, aber es lässt sich auch hinreißen, Brücken abzubrennen und Schiffsverbindungen zu kappen. Und das schon seit 200 Jahren. Wenn nicht sogar mehr. 
    Die Aggressivität der antirussischen Haltung von Theresa May hat den Höhepunkt erreicht.~~~Хочется Британии подчеркнуть свое значение в мировой политике, наказав Россию, но и колется сжигать мосты и рушить переправы. И так уже 200 лет. А то и больше.

    Агрессивность антироссийского настроя Терезы Мэй достигла апогея.[/bilingbox]

    erschienen am 14.03.2018

    Republic: Signal an Überläufer

    Tatjana Stanowaja geht auf dem unabhängigen Portal Republic dagegen nicht von einer Provokation gegen Russland aus:

    [bilingbox]War das eine Provokation gegen Russland oder (und wer will das beweisen?) eine Operation der russischen Nachrichtendienste, zu deren indirektem Adressaten die gesamte russische Geheimdienst-Community wird: Der Mordanschlag auf Skripal demonstriert die ausnahmslose Angreifbarkeit jeden „Spions“, der sich zur Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten entschließt. Und eine solche Demonstration von Angreifbarkeit und Todgeweihtheit von „Verrätern“ entspricht genau dem Verständnis von Gerechtigkeit innerhalb der Machtzirkel der russischen Elite, und dem von Präsident Putin selbst.~~~Была ли это провокация против России или (кто докажет?) операция российских спецслужб, косвенным адресатом становится все разведывательное сообщество России: покушение на убийство Скрипаля демонстрирует исключительную уязвимость любого «шпиона», пошедшего на сотрудничество с иностранной разведкой. И такая демонстрация уязвимости, обреченности «предателей» в полной мере отвечает пониманию справедливости внутри силовой части российской элиты, да и самим президентом Путиным. [/bilingbox]

    erschienen am 14.03.2018

    Novaya Gazeta: Schmutzige Bombe

    Ein Leiter des Labors der Militärakademie für Strahlen-, chemischen und biologischen Schutz, der seinen Namen nicht gedruckt wissen wollte, bestätigte gegenüber der Novaya Gazeta, dass man bei der Auswahl eines Kampfstoffes wie Nowitschok offenbar auf öffentliche Wirkung abzielte:  

    [bilingbox]Schließlich hat der Täter eine Substanz gewählt, die für ihn selbst sehr gefährlich und in der Handhabung äußerst ungünstig ist. Die gewaltige Masse an zuverlässigen, selektiv wirkenden Giften, die der Menschheit bekannt ist, hat er dabei ignoriert.

    Die seinerzeit sehr beliebten Cyanide zum Beispiel sind leicht zugänglich. Es gibt auch schnell zerfallende, farb- und geruchlose. Hier aber wurde bewusst ein, wie es heißt, barbarisches Gift ausgewählt, das von den Gutachtern garantiert entdeckt wird und einen riesigen politischen Effekt hat. Schließlich ist das, soweit ich weiß, in der Geschichte die erste Anwendung einer Massenvernichtungswaffe auf dem Gebiet Großbritanniens, einem Mitgliedsland der Nato.~~~Ведь преступник выбрал очень опасное лично для себя и самое неудобное в обращении вещество, проигнорировав огромное количество надежных ядов с избирательным действием, известных человечеству.

    Можно упомянуть популярные в свое время цианиды как вполне доступные. Но есть и быстро распадающиеся, без цвета и запаха. Тут же намеренно был выбран, как говорится, варварский яд, который гарантированно будет обнаружен экспертизой и вызовет наибольший политический эффект. Ведь это, насколько я знаю, первое в истории использование оружия массового поражения на территории Великобритании, страны — члена НАТО.[/bilingbox]

    erschienen am 14.03.2018

    Kommersant FM: Abrechnung mit einem Verräter?

    Viktor Loschak hält die britischen Anschuldigungen für wenig plausibel, wie er in seinem Kommentar auf Kommersant FM erklärt: 

    [bilingbox]Wenn die Machthaber, die Frau May beschuldigt, auf diese Weise mit einem Verräter abrechnen wollten, hätten sie das in den Jahren machen können, in denen [in Russland – dek] die Ermittlungen und das Verfahren gegen Skripal liefen und er schließlich im Gefängnis saß. Solch einen grausamen, weltweit laute Reaktionen hervorrufenden Schritt zu tun – wo der Verräter schon seit sechs Jahren in England ist und außerdem die Wiederwahl von Wladimir Putin bevorsteht und die Fußballweltmeisterschaft – damit wird der russischen Regierung und dem ganzen Land ein Bein gestellt.~~~Если бы власть, которую обвиняет госпожа Мэй, хотела рассчитаться таким образом с предателем, все могли сделать в те несколько лет, что шло следствие, суд, и Скрипаль, наконец, находился в тюрьме. Делать такой жестокий, чреватый мировой оглаской шаг через шесть лет после того, как предатель оказался в Англии, да к тому же накануне переизбрания Владимира Путина и чемпионата мира по футболу — это подставить подножку и российской власти, и всей стране.[/bilingbox]

    erschienen am 15.03.2018

    Rossijskaja Gaseta: Wahleinmischung?  

    Gegen den Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten Leonid Sluzki werden seit einiger Zeit Vorwürfe wegen sexueller Belästigung erhoben. Im Amtsblatt der russischen Regierung, der Rossijskaja Gaseta, schließt er nicht aus, dass der diplomatische Akt aus London …

    [bilingbox][…] mit der anstehenden Präsidentschaftswahl zusammenhängt, um das Image Russlands im weltweiten medialen und politischen Raum zu beschädigen und das Vertrauen in die politische Herrschaft Russlands noch mehr auszuhöhlen.~~~ […] связан с предстоящими выборами президента, дабы деформировать образ РФ в мировом информационном и политическом пространстве и еще больше подорвать доверие к российским властям[/bilingbox]

    erschienen am 14.03.2018

    Vedomosti: Ruinierter Ruf

    Dass die Anschuldigungen gegen Russland erhoben wurden, obwohl noch viele Fragen offen sind, verwundert die Redaktion von Vedomosti nicht: 

    [bilingbox]Die Beschuldigungen sind Folge von einem etablierten, aus der UdSSR geerbten Ruf: dem Ruf von Staat und Geheimdiensten, die mehrfach Überläufer und sowjetische Staatsfeinde liquidiert haben, wobei sie offiziell die Beteiligung bestritten haben.

    […] Der Anschlag auf Skripal ließ sofort an die Londoner Vergiftungsgeschichte des ehemaligen FSB-Offiziers Alexander Litwinenko im Jahr 2006 zurückdenken.
    Moskau ist erneut in die Lage eines Wiederholungstäters geraten, der oft gesündigt hat, aber seine Schuld immer bestreitet.~~~

    Эти обвинения – следствие уже сложившейся репутации, унаследованной от СССР, репутации государства и спецслужб, которые много раз ликвидировали перебежчиков и врагов советской власти, официально отрицая причастность к их уничтожению.
    […] Покушение на Скрипаля сразу же заставило вспомнить историю отравления в Лондоне бывшего офицера ФСБ Александра Литвиненко в 2006 г.

    Москва снова оказалась в положении рецидивиста, не раз согрешившего, но всегда отрицавшего свою вину.[/bilingbox]

    erschienen am 14.03.2018

    dekoder-Redaktion

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  • Podcast #3: (Kein) Vertrauen in die Demokratie

    Podcast #3: (Kein) Vertrauen in die Demokratie

    Vor der Präsidentschaftswahl werden russische Wähler in anonymen Werbespots aufgerufen, an die Wahlurnen zu gehen. Die Staatsmacht hofft auf eine hohe Wahlbeteiligung, während der Oppositionspolitiker Nawalny zum Wahlboykott aufruft. Das einstige It-Girl Xenia Sobtschak tritt an als „Kandidatin gegen Alle“ – und kaum einer zweifelt am haushohen Wahlsieg Putins.

    Um das Vertrauen oder auch das Misstrauen in die Demokratie geht es im dekoder-Podcast #3.

    Katrin Rönicke im Gespräch mit zwei dekoder-Gnosenautoren: der Historikerin Corinna Kuhr-Korolev und dem Philologen Gasan Gusejnov.


    In Kooperation mit der Körber-Stiftung im Rahmen ihres Arbeitsschwerpunktes Russland in Europa.

     

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    Zum Weiterlesen:

    Grigori Judin, Ilja Matwejew: Warum Putin kein Populist ist 

    Waleri Solowej: „Die Menschen wollen Veränderung“

    Anton Himmelspach: Wlast

    Dossier über russische Machteliten



    erschienen am 14.03.2018

    Das Dossier „Werte-Debatten“ erscheint in Kooperation mit der Körber-Stiftung im Rahmen ihres Arbeitsschwerpunkts Russland in Europa

     

    Mit dem Fokusthema Russland in Europa widmet sich die Körber-Stiftung der Wiederbelebung eines offenen, kritischen und konstruktiven Dialogs zwischen Russland und seinen europäischen Nachbarn.

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  • Bystro #2: Wählen

    Bystro #2: Wählen

    Bystro #2: Das Wichtigste zur Präsidentschaftswahl 2018 – in sechs Fragen und Antworten. Einfach durchklicken.

    1. 1. Jeder sagt, Putin wird die Wahl gewinnen. Warum ist das so klar?

      Ein wichtiger Grund ist die Propaganda-Formel Putins Alternativlosigkeit: Diese ist in den staatsnahen Medien ein immer wiederkehrendes Motiv. Auch wenn Nawalny, der einzige wirkliche Konkurrent, zur Wahl zugelassen worden wäre – eine ernsthafte Chance gegen Putin hätte er genauso wenig wie die anderen sieben Kandidaten. Diese werden auch als Kandidaten von Putins Gnaden bezeichnet, wirkliche politische Konkurrenz gibt es bei dieser Wahl nicht. Auch deshalb sprechen nicht nur böse Zungen von einem Putin-Referendum statt von einer Präsidentschaftswahl.  

    2. 2. Warum durfte der Oppositionspolitiker Nawalny nicht kandidieren, wenn er doch eh keine Chancen hätte?

      Allein die Zulassung zur Wahl hätte Nawalny als Sieg verbuchen und viele seiner Anhänger mobilisieren können. Außerdem gliche die Zulassung einem Eingeständnis, dass Nawalny doch kein amerikanischer Spion sei – ein häufiger Vorwurf in den staatsnahen Medien. Dort hätte Nawalny als Kandidat auch noch eine ihm bislang völlig verschlossene Bühne bekommen, denn alle offiziellen Kandidaten haben ein Recht auf Sendezeit. Er hätte bestimmt auch die Korruption des Systems Putin angeprangert und damit auch Menschen erreicht, die bislang nicht mit dem Thema in Berührung kamen.  

    3. 3. Warum gehen die Wähler dennoch an die Wahlurne, auch wenn der Ausgang der Wahl so klar scheint?

      70/70 – so soll der stellvertretende Leiter der Präsidialadministration Putins Wahlziel definiert haben. Sprich: Putin möchte eine mindestens 70-prozentige Wahlbeteiligung und 70 Prozent der Stimmen. Um sie zu erreichen, wird ein virtueller Kriegszustand angeheizt: der Topos von Russland als belagerter Festung, die der Westen in die Knie zwingen wolle.

      Laut Propaganda ist „Für Putin“ gleichzusetzen mit „Für Russland“. Aus dieser Logik heraus gleicht die Wahl für viele einem Referendum über die Frage, wer die belagerte Festung am besten verteidigen kann.

      Hinzu kommt, dass auf Staatsbedienstete und Empfänger staatlicher Hilfsleistungen oft großer Druck ausgeübt wird, an den Wahlen teilzunehmen. 

    4. 4. Steht nicht der Großteil der Bevölkerung hinter Putin?

      Jein. Sicherlich funktioniert bei vielen die Propaganda, die Menschen haben Angst und versammeln sich hinter Putin, auch weil es sonst niemanden anderen gibt – wegen ausgeschalteter politischer Konkurrenz. Die Politikwissenschaftlerin Lilija Schewzowa meint allerdings, dass allein die Konzentration auf die Formel belagerte Festung einem Eingeständnis der Ohnmacht gleiche.

      Hinzu kommt die grassierende Verarmung, die Realeinkommen sinken schon vier Jahre hintereinander. Meinungsumfragen, die Putin eine über 80-prozentige Zustimmung bescheinigen, sind nicht unbedingt besonders aussagekräftig, worauf der Soziologe Grigori Judin hinweist: Denn die wenigen Menschen, die sich überhaupt zu einer Umfrage bereit erklären, referieren dabei oft nur das, was sie am Tag zuvor in den Nachrichten gehört haben.

    5. 5. Ist die Kandidatin Xenia Sobtschak tatsächlich eine Marionette des Kreml?

      Viele Beobachter meinen, dass Sobtschak ohne Putins Gnaden nicht zur Wahl zugelassen worden wäre. Sie spekulieren, dass die Kandidatin nur deshalb im liberalen Milieu um Protestwähler werben und sogar die Staatsmacht im Staatsfernsehen kritisieren darf, weil sie damit politische Konkurrenz simuliert, die Wahlbeteiligung steigert und die liberale Wählerschaft spaltet. Während Nawalny um eine neue politische Mitte wirbt, beackert Sobtschak aber nur den äußersten Rand des politischen Spektrums. 

    6. 6. Nach der letzten Präsidentschaftswahl gab es massive Proteste. Könnte das diesmal wieder passieren?

      Einige Wahlrechtsreformen der letzten Jahre können das Wahlprozedere selbst in einigen Punkten tatsächlich demokratischer machen. Das gilt allerdings nicht für das Prozedere vor der Wahl: unter anderem wurde die Zulassung zur Kandidatur erschwert. Auch wird die administrative Ressource verstärkt eingesetzt (siehe Punkt 3). So wird die Präsidentschaftswahl 2018 weder frei noch fair sein. Weil somit auch die politische Konkurrenz ausgeschaltet wurde, sind massive Wahlfälschungen jedoch eher unwahrscheinlich.

      Derzeit setzt Oppositionspolitiker Nawalny auf einen Wählerstreik und damit auf eine niedrige Wahlbeteiligung. Es ist zu erwarten, dass Nawalny nach dem 18. März weiter an seinen Korruptionsenthüllungen arbeiten wird. Angesichts der grassierenden Verarmung kann er womöglich noch mehr Menschen für Proteste mobilisieren.



    *Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.

    Text: dekoder-Redaktion
    Stand: 12.03.2018

    Diese Veröffentlichung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Podcast #2: Alles Propaganda?!

    Podcast #2: Alles Propaganda?!

    Alles Propaganda?! Kann man das so sagen, wenn es um Berichterstattung in Russland geht? Und was ist mit dem Russland-Bild in deutschen Medien? Wie sind die finanziellen und strukturellen Bedingungen, unter denen Russland-Berichterstattung in Deutschland stattfindet? Und umgekehrt: Wie berichten russische Medien über Deutschland und den Westen? Und was sagt das jeweils über die einzelne (Medien-)Gesellschaft aus?

    Katrin Rönicke im Gespräch mit Michael Thumann (Außenpolitischer Korrespondent in der Hauptstadtredaktion bei Die Zeit. Von 1996 bis 2001 war er Zeit-Korrespondent in Moskau; von 2014 bis 2015 leitete er das Moskauer Büro der Zeit) und dekoder-Chefredakteurin Tamina Kutscher.

     

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    Medien-Dossier mit Porträts unabhängiger russischer Medien: Alles Propaganda? Russlands Medienlandschaft

    FAQs zur Medienauswahl bei dekoder
     

    Mehr zum Schicksal von Lenta.ru
     

    Sergej Medwedew über das „Exportgut Angst



    erschienen am 07.03.2018

    Diese Podcast-Folge wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Historische Debattenschau: Friedensvertrag von Brest-Litowsk

    Historische Debattenschau: Friedensvertrag von Brest-Litowsk

    Am 3. März 1918 schied Russland aus dem Großen Krieg aus, wie der Erste Weltkrieg damals genannt wurde. Der Krieg, in dem Russland an der Seite der Alliierten gegen die Mittelmächte – vor allem gegen Deutschland – seit August 1914 gekämpft hatte, überforderte das Land in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht. Und er ist einer der Auslöser der revolutionären Ereignisse 1917

    Seit der Februarrevolution war die Friedensfrage von entscheidender Bedeutung. Die Provisorische Regierung sagte den Alliierten zu, nicht aus dem Krieg auszuscheiden. Diese Entscheidung spaltete die Gesellschaft und führte zu einer Regierungskrise. 
    Die Forderung nach Frieden war der wichtigste Programmpunkt der Bolschewiki, die seit dem Oktoberumsturz an der Macht waren. Tatsächlich war das Dekret über den Frieden das erste der neuen bolschewistischen Regierung. Es war gleich am Tag nach der Machtübernahme verabschiedet worden. Ende Dezember trafen sich die Vertreter der Bolschewiki und der Mittelmächte in Brest-Litowsk, um über die Friedensbedingungen zu verhandeln. Die Forderungen der Bolschewiki nach einem Frieden ohne Annexionen und Kontributionen waren jedoch unannehmbar für alle Beteiligten. Und so mündeten die Verhandlungen, die mehr als zwei Monate andauerten, in ein Abkommen, wonach Russland mehr als ein Viertel seines europäischen Territoriums verlor – und damit 60 Millionen Menschen, große Industriebetriebe und landwirtschaftliche Flächen.

    War es ein taktischer Zug der bolschewistischen Regierung? Ein Selbstmord der Revolution? Ein Triumph der deutschen Armee oder eine gewaltige geschichtliche Tragödie?
    Zum 100. Jahrestag des Friedensvertrags von Brest-Litowsk bringt dekoder in Kooperation mit dem Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin historische Debatten-Ausschnitte: Kontroverse Meinungsstücke, die in russischen und deutschen Medien in den ersten Tage nach der Vertragsunterzeichnung erschienen sind.

    Prawda: Ein unausweichlicher taktischer Zug 

    In der Prawda, dem zentralen Organ der Bolschewiki, begründet der führende Parteifunktionär Karl Lander die Notwendigkeit, den schmählichen Friedensvertrag zu unterzeichnen. Es sei ein taktischer Zug, dem eine Offensive folgen soll:

    [bilingbox]Schöne und laute Sätze ertönen, dass man an den Errungenschaften der letzten Revolution nicht um einen solchen Preis, einer möglichen nationalen Schande, festhalten dürfe, und es sei besser umzukommen. […] Aber macht es Sinn – und sei es nur um eines heroischen Impulses willen – tausende hervorragende Kämpfer der Revolution, ihre Seele, in den sicheren Tod zu schicken und sie auszurotten? […] Ist es nicht besser, dann den Kampf zu führen und in die Offensive zu gehen, wenn wir darauf vorbereitet sind […]
    Wir schließen diesen Vertrag, weil wir die Pflicht haben, den Feind [die deutsche Bourgeoisie] richtig einzuschätzen. […] Der Vertrag ist ein unvermeidbarer taktischer Schritt,  […], den die Interessen einer echten Klassenpolitik erfordern.~~~[…] раздаются красивые и громкие фразы, что нельзя ценою национального позора удерживать завоевания последней революции, что лучше погибнуть. […] но есть ли смысл хотя бы ради самого героического порыва бросить на верную гибель, на истребление тысячи лучших борцов революции, её душу? […] Не лучше ли принять бой и перейти в наступление, когда мы будем к этому подготовлены […] Мы заключаем этот договор постольку, поскольку мы обязаны считать с этим врагом [германской буржуазией], […]. Этот договор – неизбежный тактический ход, […], раз того требуют интересы реальной классовой политики[/bilingbox]


    erschienen am 5. März 1918, Nr. 41 (267)

    Nowaja Shisn: Selbstmord der Revolution 

    Diese offizielle Position der Bolschewiki kritisiert Nikolaj Suchanow in der Nowaya Shisn und meint, dass der Frieden mit Deutschland der Sowjetmacht im Gegenteil keine Atempause verschaffe:

    [bilingbox]Unsere Herrscher haben erneut im Chor bestätigt, dass der Kampf mit den deutschen Schändern unmöglich und sinnlos ist und dass der einzige Ausweg für die sowjetische Regierung ist, die Revolution zum Selbstmord zu zwingen. […] 
    Lenin und seine Gefährten beziehen sich in ihrer Arbeit als Desorganisatoren auf die Notwendigkeit einer „Atempause“ für die Revolution, um danach den Kampf wieder aufzunehmen. In Wahrheit ist dieses Argument ungeheuer naiv und unaufrichtig. Lenin geht davon aus, dass seine Berliner Kontrahenten, im Wissen um seine Absichten, ihm eine „Atempause“ gönnen und ihm gestatten werden, Waffen gegen sie zu schmieden. […] Nein, jede Atempause bedeutet den Tod. Nicht nur durch die deutsche Faust, sondern auch durch den Weltimperialismus.~~~Наши правители вновь затвердили хором, что борьба с немецкими насильниками невозможна и бессмысленна и что единственный выход для советской власти заставить революцию кончить самоубийством.  […] 
    Ленин и его соратники, в своей дезорганизаторской работе, ссылаются на необходимость «передышки» для революции, чтобы потом возобновить борьбу. Наивность или неискренность этого аргумента, по истине, превышают всякое вероятие. Ленин полагает, что его берлинские контрагенты, зная его намерения, действительно дадут ему «передышку» и действительно позволят добровольно выковать оружие против себя. […] Нет, всякая передышка есть смерть. Не только от немецкого кулака, но и от мирового империализма.[/bilingbox]  


    erschienen in Petrograd am 5. März 1918, Nr. 34 (248)

    Wetschernjaja Sarja: Russland ohne Verhandlung erschossen

    Auch die Zeitung Wetschernjaja Sarja (dt. „Abendrot“), die von den Menschewiki in Samara herausgeben wird, kritisiert Lenins Regierung für die Unterzeichnung des Friedensvertrags: 

    [bilingbox]Der Frieden ist unterzeichnet. Unterzeichnet, ohne dass die Bedingungen des Friedensvertrages diskutiert wurden. Das Dekret der Sowjetmacht über die Erschießung bei Ungehorsam ist in Kraft getreten.  
    Russland, ungehorsam gegenüber dem Rat der Volkskommissare, wurde in Brest ohne Gerichtsverfahren erschossen. Allerdings ist die Erschießung noch nicht erfolgt, bisher wurde nur ein Todesurteil ohne Gerichtsverfahren unterzeichnet und genehmigt. Aber Russland war schließlich gar nicht in Brest, es wurde in Abwesenheit mit stummer Beteiligung zum Tode verurteilt, in Anwesenheit mehrerer ihm völlig unbekannter Personen, die Lenin jedoch wohl bekannt waren und die verräterisch ihre Hand nach dem Judasbrief ausgestreckt haben. Wer hat diesen abscheulichen Alptraum in eine reale Tatsache verwandelt? Wer hat diesen gemeinen Verrat, diese feige Heimtücke begangen? Sowjetrussland? Das stimmt nicht. Die große Mehrheit, eine überwältigende Anzahl der bolschewistischen Räte – und in den gegenwärtigen Räten sind die Bolschewiki fast ausschließlich in der Mehrheit – hat sich scharf gegen die Unterzeichnung des Friedens und gegen Lenin vorauseilenden Gehorsam ausgesprochen.~~~Мир подписан. Подписан без обсуждения условий мирного договора. Декрет советской власти о расстреле неповинующихся на месте без суда приведен в исполнение. 
    Россия, неповинующаяся совету народных комиссаров, расстреляна в Бресте без суда. Расстрел, правда, еще не совершен, подписан и утвержден без суда только смертный приговор. Но ведь России не было в Бресте, ее заочно приговорили к казни при безмолвном участии и в присутствии нескольких, совершенно ей неизвестных, но зато хорошо известных Ленину, лиц, предательски приложивших руку к иудиной грамоте. Кто претворил этот гнусный кошмар в реальный факт? Кто совершил эту подлую измену, это трусливое вероломство? Советская Россия? Неправда. Огромное большинство, подавляющее количество большевистских советов, – а в нынешних советах почти сплошь преобладают большевики, – резко высказались против подписания мира и против ленинской услужливой расторопности.[/bilingbox]


    erschienen am 4. März 1918, Nr. 40

    Nasch Wek: Allumfassende Verzweiflung

    Die liberale Zeitung Nasch Wek (dt. „Unser Jahrhundert“), die der Partei der Kadetten nahe stand, kritisiert das Abkommen genauso und meint, dass der Kampf gegen Deutschland noch nicht zu Ende ist:

    [bilingbox]Wie fremd ist uns allen das Gefühl der Erleichterung, das die Nachricht vom Frieden hätte auslösen müssen! Neben der Verzweiflung, die jeden erfasst, der sein Heimatland liebt, herrscht bei dem Gedanken an das zukünftige Schicksal Russlands, wie es Deutschland zur Versklavung, anheimgegeben ist, auch die völlige Unsicherheit darüber, was die Delegation uns bringen wird, was die wahren Bedingungen des Friedensvertrages sind, der dem wehrlosen Russland von den Gewinnern diktiert wird. […] Die durch den Brester Frieden entstandene Situation ist unannehmbar für ein Land, das die Idee, ein Staat zu sein, nicht aufgegeben hat, und Russland kann sich mit dem Brester-Vertrag nicht zufrieden geben. […] 
    Der große Kampf auf der Welt geht weiter, und noch ist Deutschland nicht überall Sieger.~~~

    Как чуждо нам всем то ощущение облегчения, которое должна была вызвать весть о мире! Наряду с отчаянием, охватывающим всех, любящих родную страну, при мысли о грядущих судьбах России, отдаваемой на порабощение Германии, царит еще и полная неопределенность того, что нам привезет делегация, каковы подлинные условия мирного трактата, продиктованного победителями беззащитной России. […] Положение, созданное брестским миром, неприемлемо для страны, не отказавшейся от идеи государства, и Россия не может примириться с брестским договором. […] 
    Великая мировая борьба продолжается, и Германия еще не является победительницей везде и всюду[/bilingbox]


    erschienen in Petrograd am 5. März 1918, Nr. 40 (64)

    Zeitung der 10. Armee: Sonntagsgeschenk 

    Die deutsche Zeitung der 10. Armee, die täglich in dem von deutschen Truppen besetzten Wilna erschien, ist begeistert vom Friedensvertrag und der Reichsvergrößerung, was ausschließlich der deutschen Armee zu verdanken sei: 

    Deutsch
    Nicht mehr überraschend, aber in seiner Weltgeschichtlichen Bedeutung Herz und Verstand noch immer packend, hat sich der deutsch-russische Friede als wahres Sonntagsgeschenk eingestellt. […] Jeder Geschichtsschreiber wird sich fortan vor dem unermeßlichen Dienst verbeugen, den die deutschen Siege im Osten dem Selbstbestimmungsrecht der Völker erwiesen haben.


    erschienen am 5. März 1918, Nr. 509, 3. Jahrgang

    Vossische Zeitung: Östliche Kriegszielpolitik vorläufig erledigt

    Georg Bernhard, der deutsche Publizist und Chefredakteur der Vossischen Zeitung, die damals als eines der wichtigsten liberalen Blätter Berlins gilt, meint, mit dem Friedensvertrag handle es sich um eine Momentaufnahme. Und er nimmt die Möglichkeit eines erneuten Treffens der Verbündeten Russland, Frankreich und England  vorweg – was knapp zwei Jahrzehnte später während des Zweiten Weltkriegs Wirklichkeit wird:

    Deutsch
    Wer will heute am Tage nach dem Friedensschluss sagen, wohin die Dinge im Osten sich noch entwickeln werden? […] Und vollends in Ungewissheit getaucht bleibt es, ob die gleiche Koalition, die vor dem Krieg Deutschland gegenüberstand, und die jetzt als Kampforganisation im Augenblick gesprengt ist, sich nach dem Krieg nicht wieder zusammenfinden wird. […]
    Die einzelnen Kriegsschauplätze stehen nicht nur militärisch in Verbindung, sondern sind auch politisch nicht gesondert zu betrachten. […] Der Krieg im Osten ist nun erledigt und damit vorläufig auch die von Deutschland betriebene östliche Kriegszielpolitik. Nun aber verlangen wir, dass man wenigstens nach dem Westen eine Friedenspolitik auf der Grundlage eines tieferen Erschaffens deutscher Lebensnotwendigkeiten treibt.


    erschienen am 4. März 1918, Montags-Ausgabe Nr. 145

    Berliner Tageblatt: Sicherungsfrieden statt Verständigungsfrieden 

    Der deutsche Journalist Josef Schwab meint im Berliner Tageblatt, das damals eine der auflagenstärksten deutschen Zeitungen war, der Vertrag von Brest-Litowsk könne zur Grundlage für eine dauerhafte Friedensordnung im Osten werden:

    Deutsch
    Es wäre dem deutschen Volke in seiner grossen Mehrheit lieber gewesen, wenn ihm statt der Sonderfriedensschlüsse, die unsere Front im Osten entlasten, der allgemeine Friede beschert gewesen wäre. […] Für Deutschland ergab es sich unter solchen Umständen als eine natürliche Handlungsweise, die Schwäche Russlands, letzten Endes die Frucht unserer gewaltigen, mehrjährigen militärischen Arbeit, auszunutzen und ihm den Sonderfrieden, den es brauchte und doch nicht gewähren wollte, abzuringen. […] Aber es regen sich auch Zweifel und bleibt doch die Tatsache, dass wir den Frieden mit den Nachfolgern des Zarentums nicht als ‚Verständigungsfrieden‘, sondern als ‚Sicherungsfrieden‘ durchgesetzt haben. […] Sie machen die Brest-Litowsker Friedenskunde zu einem Dokument, das hinter gefährliche Entwicklungen der jüngsten Zeit einen ernsthaften Schlusspunkt zu setzen verspricht.


    erschienen am 6. März 1918, Wochen-Ausgabe für Ausland und Übersee, Nr. 10, VII. Jahrgang

    Vorwärts: Gewaltige geschichtliche Tragödie

    Die Parteizeitung der SPD Vorwärts kritisiert das Abkommen als Gewaltfrieden, der die Nationen im Gefühle tödlicher Feindschaft voneinander trenne:

    Deutsch
    Es ist der letzte Akt einer gewaltigen geschichtlichen Tragödie, den uns das deutsche amtliche Bureau in schonungsvoller Form übermittelt. Wir erleben in diesem Bericht noch einmal das letzte Sichaufbäumen eines großen Volkes, von dem uns niemals Haß getrennt hat, gegen die drückenden Bestimmungen eines Vertrages, die wir selber aufs entschiedenste mißbilligen. […] Man hat Frieden geschlossen und sich im Gefühle tödlicher Feindschaft voneinander getrennt. Das ist ein tief beklagenswertes Ergebnis, das wir vorausgesehen und vor dem wir gewarnt haben. […] Die deutsche Sozialdemokratie vermochte trotz der redlichsten Absicht durch ihre Politik nicht zu verhindern, daß ein Frieden geschlossen wurde, den die Gegner als Verständigungsfrieden nicht anerkennen konnten, den sie vielmehr als einen Gewaltfrieden nur unter Protest unterzeichneten.


    erschienen am 6. März 1918, Nr. 65, 35. Jahrgang

    Volksstimme: Der Schwertfriede

    Noch schärfere Kritik am Abkommen, aber auch ernste Besorgnis über die langfristigen Folgen äußert die sozialdemokratische Volksstimme aus Magdeburg:

    Deutsch
    Der Friede, der jetzt geschlossen worden ist, wird allmählich das russische Volk mit tiefster Erbitterung, mit allen Leidenschaften der Rachsucht erfüllen. Er wird den russischen Nationalismus, den der Sieg der russischen Arbeiter im Mai zu Boden geworfen hat, von neuem beleben. […] So groß die Bedeutung des Friedensschlusses für die Fortführung und Beendigung des augenblicklichen Krieges ist, in Rücksicht auf die Zukunft können wir seiner nicht froh sein.


    erschienen am 5. März 1918, Nr. 54, 29. Jahrgang

    zusammengestellt von Sofia Artemova & Maria Rupp


    Diese historische Presseschau entstand im Rahmen eines Lehrprojekts am Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Robert Kindler und Martin Lutz. Das Projekt wurde gefördert vom bologna.lab der HU Berlin.

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    Ein Held ist, wer nicht schießt

  • Video #14: Erste Homoehe in Russland registriert

    Video #14: Erste Homoehe in Russland registriert

    Zwei Stempel im russischen Pass, da steht es schwarz auf weiß: Pawel Stozko und Jewgeni Wojciechowski sind miteinander verheiratet. Das schwule Paar gab sich in Kopenhagen das Jawort, wie es viele homosexuelle Russen tun, ließ die Ehe aber in Russland anerkennen, was noch niemand versucht hat. In ihrem Fall ging es allerdings problemlos – zunächst. Im Fernsehsender Doshd erzählen sie von dem ungewöhnlichen Vorgehen und erklären ihre Beweggründe, die Ehe in Russland offiziell registrieren zu lassen.

     
    Das Originalvideo finden Sie hier.

    Doch unmittelbar nach Publikwerden des ungewöhnlichen Falles, erklärte die Sprecherin des Innenministeriums Irina Wolk die Pässe für ungültig. Der zuständigen Behördenmitarbeiterin, die die Ehe anerkannt hatte, und ihrer Vorgesetzten werde gekündigt, so Wolk. Die Wohnung des Paares wurde belagert von Polizisten, die von ihnen verlangten, die Pässe herauszugeben. Zwischenzeitlich wurde der Strom abgedreht, um Druck auf sie auszuüben. Den beiden wurde eine „Ordnungswidrigkeit” vorgeworfen, nämlich das „vorsätzliche Beschädigen von Dokumenten“. Die Eltern von Pawel Stozko erhielten anonyme Drohanrufe, sogar die Polizei kam bei ihnen vorbei – ohne Durchsuchungsbefehl, unter dem Vorwand, es sei ein Verbrechen im Hof des Hauses begangen worden.

    Vorwürfe, die gleichgeschlechtliche Ehe sei verboten in Russland, wo es das sogenannte Anti-Propagandagesetz gibt, sind allerdings haltlos. Das erklärte auch Jelena Lukjanowa, Professorin an der MGU und spezialisiert auf Verfassungsrecht, auf dem Radiosender Echo Moskwy: „Sie haben ihre Ehe in genauer Übereinstimmung mit dem russischen Familienrecht registrieren lassen, in dem nicht steht, welches Geschlecht die Bürger haben müssen, die ihre im Ausland geschlossene Ehe in Russland anerkennen lassen.”

    Pawel Stozko und Jewgeni Wojciechowski jedenfalls haben inzwischen das Land verlassen. In einer Stellungnahme dazu schreibt das Russian LGBT Network, das Paar habe sich aufgrund des „großen Drucks“ zu diesem Schritt gezwungen gesehen.


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  • Bystro #1: Medien in Russland

    Bystro #1: Medien in Russland

    Bystro #1: Ein schneller Überblick über die russische Medienlandschaft – in sechs Fragen und Antworten. Einfach durchklicken.

    1. 1. Wie steht es um die Pressefreiheit in Russland?

      Russland wird von vielen Politikwissenschaftlern als Autoritarismus beschrieben, also als „eingeschränkter Pluralismus“. Zum Meinungspluralismus gehört auch die Pressefreiheit. Und auch die ist in Russland eingeschränkt: In internationalen Rankings, wie dem von Reporter ohne Grenzen, landet Russland deswegen meist auf den hinteren Plätzen, derzeit auf Rang 148 von 180.

    2. 2. Welche Medien nutzen die meisten? Und was bedeutet der Ausdruck Zombie-Kiste?

      Das dominierende Medium ist das staatsnahe Fernsehen – vor Print, Online und Radio. Und das ist etwas anderes als das öffentlich-rechtliche bei uns: Es steht allein strukturell unter Kontrolle und Einfluss des Staates – und ist damit das wichtigste Propagandainstrument. Als Sombirowanije (dt. Zombie-sierung) wird der Effekt beschrieben, den diese ständige Manipulation auf den Zuschauer hat. Kritiker nennen den Fernseher sarkastisch Zombie-Kiste. Die größten Sender sind Rossija 1, Perwy Kanal (Erster Kanal) und NTW.

    3. ​3. Gibt es überhaupt unabhängige Medien in Russland?

      Ja, die gibt es. Unabhängiger Journalismus spielt sich vor allem online ab, darf allerdings gewisse „durchgezogene Linien“ nicht überschreiten – dazu gehört auch, dass er sich nur in einer Nische bewegen darf und eine bestimmte Reichweite nicht übersteigen sollte. Durch die Dominanz des staatlichen und staatsnahen Fernsehens haben es kritische und unabhängige Medien zusätzlich schwer.

    4. 4. Woher weiß ich denn, ob ein Medium unabhängig berichtet?

      Zunächst hilft es, auf die Struktur des Medium zu schauen: Wer ist der Eigentümer? Die Trennlinie zwischen direkter und indirekter Kontrolle ist allerdings nicht immer scharf zu ziehen.
      Außerdem gibt es Selbstzensur auch in (strukturell) unabhängigen Medien – und es finden sich kritische Beiträge in staatsnahen Medien. So unterscheiden sich etwa die Positionen der Moskauer Nesawissimaja Gaseta (dt. Unabhängige Zeitung), die dem Unternehmer Konstantin Remtschukow gehört, meistens nicht von den offiziellen. Der Radiosender Echo Moskwy hingegen, der zur staatsnahen Holding Gazprom-Media gehört, gilt als regierungskritisch.
      Einigen unabhängigen Medien (vor allem in den Regionen) kann man vorwerfen, dass sie zwischen Aktivismus und Journalismus nicht wirklich unterscheiden.

    5. 5. Wie finanzieren sich unabhängige Medien?

      Vor allem durch Abos und Spenden. Die Werbeeinnahmen sinken stetig – auch, weil es sich für Unternehmen geschäftsschädigend auswirken könnte, in kritischen Medien Werbung zu schalten.
      Zudem könnte eine Änderung im Mediengesetz, die im November 2017 von der Duma beschlossen wurde, für unabhängige Medien fatal sein. Denn damit ist es nun möglich, Medien mit dem Status des „ausländischen Agenten“ zu stigmatisieren. Dieses Label bekommen zivilgesellschaftliche Organisationen bereits seit 2012, etwa, wenn sie Geld aus dem Ausland erhalten. Ein Medium kann nun im Grunde zum „Agenten“ erklärt werden, wenn seine Abo- oder Spendeneinnahmen aus dem Ausland kommen. Noch dazu können Websites von „ausländischen Agenten“ unter Umständen ohne Gerichtsbeschluss blockiert werden.
      Ob und gegen wie viele Medien dieses Gesetz dann zum Einsatz kommt, weiß keiner. Aber allein dadurch, dass es existiert und diskutiert wird, kann es abschreckend wirken und die Selbstzensur (s. o.) verstärken.

    6. 6. Wie sieht das Deutschlandbild in russischen Medien aus?

      Auslandskorrespondenten in Deutschland können sich nur russische Staatsmedien leisten. Den Westen als Feind und Bedrohung zu stilisieren, ist Hauptthema in der offiziellen Rhetorik nach innen – ein Thema, das diese Medien gerne variieren (berühmtestes Beispiel in Deutschland ist der „Fall Lisa“).
      Unabhängige russische Medien bringen hauptsächlich Agenturmeldungen. Oder ein Experte schreibt seine Analyse vom Schreibtisch in Russland aus. Alltagsreportagen von vor Ort gibt es kaum, manche Themen werden gar nicht erst aufgegriffen.



    *Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.



    Text: dekoder-Redaktion
    Stand: 14.02.2018

    Diese Veröffentlichung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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    Verkehrsregeln für russische Medien

    Die Propagandamacher (Teil 1)

    „Am stärksten ist die Selbstzensur”

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  • Debattenschau № 61: The Death of Stalin nicht im russischen Kino

    Debattenschau № 61: The Death of Stalin nicht im russischen Kino

    Plötzliches Aus für The Death of Stalin: Auf Geheiß des Kulturministeriums darf der britische Film nicht in die russischen Kinos – wegen „Verbreitung illegaler Informationen“. Der Beschluss fiel nur zwei Tage vor dem geplanten Filmstart in Russland am 25. Januar.

    Am Vorabend der Entscheidung wurde die schwarze Komödie einem auserwählten Kreis gezeigt – darunter waren Mitglieder des Kulturministeriums, der Historischen Gesellschaft Russlands, der Staatsduma sowie einzelne Filmemacher wie der Regisseur und Schauspieler Nikita Michalkow. Einige davon wandten sich laut der Nachrichtenagentur TASS nach der Vorführung in einem Brief an Kulturminister Medinski und baten ihn darum, den Film nicht in russische Kinos zu lassen.

    Am Dienstag zog das Kulturministerium die Verleiherlaubnis wieder zurück. In der Begründung hieß es, dass der Film „in Russland verbotene Informationen enthalte“. Der schottische Regisseur Armando Ianucci hat inzwischen gegenüber dem Guardian seine Hoffnung geäußert, dass die schwarze Komödie – die auf einer Graphic Novel von Fabien Nury und Thierry Robin basiert – doch noch ins russische Kino kommt.

    Verhöhnt der Film die Opfer des Stalinismus? Oder sind diese Gründe nur vorgeschoben, Russland noch immer ein „stalinistisches Land“? Wäre es nicht sogar heilsam, über die historischen Traumata zu lachen? dekoder bringt Debatten-Ausschnitte aus russischen Medien.

    Rossijskaja Gaseta: Verhöhnung der Opfer

    Die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta zitiert Kulturminister Wladimir Medinski:

    [bilingbox]Ohne Frage: Viele Menschen der älteren Generation, und nicht nur sie, empfinden [den Film] als beleidigende Verspottung der gesamten sowjetischen Vergangenheit, des Landes, das den Faschismus besiegt hat, der sowjetischen Armee und der einfachen Leute und sogar – und das ist das ekelhafteste – der Opfer des Stalinismus.

    Es gibt bei uns keine Zensur. Wir haben keine Angst vor einer kritischen und unbefangenen Bewertung unserer Geschichte … Mehr noch – hohe Ansprüche, ja sogar Entschiedenheit in der Selbstbeurteilung haben in unserer Kultur Tradition. Doch es gibt eine moralische Grenze zwischen kritischer Geschichtsanalyse und Hohn.

    Das Kulturministerium hatte den Filmverleih auch auf die außerordentliche Unangemessenheit aufmerksam gemacht, einen solchen Film unmittelbar vor dem 75. Jahrestag des historischen Siegs von Stalingrad in die Kinos zu bringen. Der Verleiher hat nicht auf uns gehört.~~~Нельзя не согласиться: многие люди старшего поколения, да и не только, воспримут его как оскорбительную насмешку над всем советским прошлым, над страной, победившей фашизм, над Советской армией и над простыми людьми – и, что самое противное, даже над жертвами сталинизма.
    У нас нет цензуры. Мы не боимся критических и нелицеприятных оценок нашей истории… Более того, требовательность, даже категоричность в самооценке – традиция нашей культуры. Но есть нравственная граница между критическим анализом истории и глумлением над ней. Минкультуры обращало внимание прокатчика и на крайнюю неуместность выхода подобной картины на экраны в канун 75-летия исторической победы под Сталинградом. Нас прокатчик не услышал.[/bilingbox]

     

    erschienen am 23. Januar 2018

    Republic: Über Stalin wird nicht gelacht!

    Andrej Archangelski überlegt auf dem unabhängigen Portal Republic, warum über Stalin nicht gelacht werden darf: 

    [bilingbox]Vergleichbares hat es bei uns selbst in verschleierter Form seit den 1990ern nicht gegeben. Es gab seitdem keinen Versuch, den Stalinismus distanziert zu betrachten – vom Standpunkt normaler menschlicher Reaktionen auf Gewalt, mit den Augen eines normalen Menschen und nicht denen des Staates.

    Man darf Stalin beschimpfen, aber man darf nicht über ihn lachen – das ist offenbar das größte Tabu. Die Eile des Verbotes bestätigt diese Hypothese: Als wäre Lachen über Stalin ein gefährlicher Virus, dessen Verbreitung schleunigst eingedämmt werden muss, koste es, was es wolle.

    […] denn Stalin zu verspotten heißt, die Macht als solche zu verspotten – und das ist unzulässig. ~~~[…] ничего похожего даже в иносказательной форме у нас не было с 1990-х годов. Не было с тех пор попытки посмотреть на сталинизм отстраненно – с точки зрения обычных человеческих реакций на насилие, глазами обычного человека, а не государства. Сталина можно ругать, но над ним нельзя смеяться – это, по-видимому, и есть главное табу. И стремительность запрета подтверждает эту гипотезу: словно бы смех над Сталиным – опасный вирус, чье распространение нужно немедленно купировать, не считаясь со средствами.
    […] потому насмешка над Сталиным означает насмешку над властью как таковой – что недопустимо.[/bilingbox]

     
    erschienen am 24. Januar 2018

    Moskowskij Komsomolez: Stalin bleibt Zankapfel

    Auch das Boulevardblatt Moskowski Komsomolez kann nicht verstehen, weshalb man über Stalin nicht lachen sollte:

    [bilingbox]Unsere Zuschauer sind kompliziert. Sie sind schon ohnehin bereit, über alles unbesehen ein Urteil zu fällen – und nun auch noch so eine Steilvorlage. Stalin bleibt ein Zankapfel: Ist er ein Mörder oder ein Retter? Da hat man sich bei uns noch nicht endgültig festgelegt. In den letzten Jahren gab es eine Schwemme von neuen pseudopatriotischen Werken, in denen die stalinsche Epoche in Glanz und Gloria dargestellt wird. Und die Studenten der Filmhochschulen, die sich den ganzen Schmonz angeschaut haben, setzen diese Arbeit am laufenden Band fort. Ist es denn nicht besser, die eigenen Hirngespinste durch Lachen loszuwerden?~~~Зрители у нас сложные. Не видя, уже готовы осудить все что угодно, а тут такой благодатный материал. Сталин остается яблоком раздора. Убийца он или спаситель? С этим у нас окончательно не разобрались. В последние годы валом снимаются псевдоисторические опусы, где сталинская эпоха представлена в гламуре. А студенты киновузов, насмотревшись всякой дребедени, продолжают штамповать приблизительное кино на эту тему. Не лучше ли через смех избавиться от собственных фантомов?[/bilingbox]

     

    erschienen am 23. Januar 2018

    Izvestia: Was würden denn die Briten sagen?

    In der kremlnahen Izvestia dagegen findet der Leiter der Russischen militärhistorischen Gesellschaft Wladislaw Kononow gleich mehrere gute Gründe für ein Verbot des Films:

    [bilingbox]Dieser Film ist abscheulich. […] Abscheulich gar nicht so sehr deshalb, weil es dort keine einzige positive Rolle gibt, sondern weil dies eine abscheuliche Parodie auf die ganze Zivilisation Russlands ist. Genau so stellen sich die Autoren die russische Geisteshaltung vor, so, glauben sie, arbeite unser Staatsapparat … Ich kann mir nur schwer einen ähnlichen russischen Film über die britische Königsfamilie vorstellen, der in den britischen Verleih kommt. Das Einfachste, was man in dieser Situation machen kann, ist, den Verleih zu verbieten.~~~Фильм этот откровенно мерзкий. […] Мерзкий даже не тем, что там нет ни одного положительного персонажа, а потому что это мерзкая пародия на всю российскую цивилизацию. Именно так авторы представляют себе российскую ментальность, так, по их мнению, работает наш управленческий аппарат… Мне сложно представить подобный российский фильм, снятый о британской королевской семье и выходящий в британский прокат. Самое легкое, что можно сделать в данной ситуации, — это запретить его к показу.[/bilingbox]

     

    erschienen am 23. Januar 2018

    Tass: Experten haben geurteilt

    Ob der Debatte hat sich auch Kreml-Sprecher Dimitri Peskow geäußert, um die Entscheidung zu verteidigen. Die Nachrichtenagentur Tass gibt den Wortlaut wieder:

    [bilingbox]Das ist das Vorrecht des Kulturministeriums: Dort gibt es einen Expertenrat, und ausreichend viele dieser Experten haben sich den Film angesehen und sind zu einem entsprechenden Schluss gekommen. Das Kulturministerium kann die Meinungen seiner ehrenamtlichen Experten, die sich speziell dafür versammeln, nicht ignorieren. Im Übrigen ist das ein Vorrecht dieser Behörde. ~~~Это прерогатива Министерства культуры, там есть экспертный совет, эксперты в достаточно большом количестве посмотрели этот фильм и пришли к определенным выводам. Министерство культуры не может не учитывать точку зрения своих экспертов, общественников, которые для этого и собираются. В остальном это прерогатива ведомства[/bilingbox]

     

    erschienen am 24. Januar 2018

    The Insider: Ein stalinistisches Land

    Für den Filmkritiker und Chefredakteur des Filmmagazins Iskusstwo Kino, Anton Dolin, dagegen ist das Verbot ein trauriges Eingeständnis, wie er auf dem unabhängigen Portal The Insider schreibt:

    [bilingbox]Großzügig ausgelegt handelt es sich um das Eingeständnis des Staates und der in diesem Land für das Verbot verantwortlichen Staatsbeamten, dass dies ein stalinistisches Land ist, und dass ein Film, der den Diktator und den Moment seines Todes ironisch zeigt, auf unseren Leinwänden unzulässig ist. Dieser Logik zufolge muss in Deutschland Charlie Chaplins Der große Diktator verboten werden. Er war auch verboten, solange Hitler am Leben war, aber nach Kriegsende wurde er gezeigt, und es wurde gelacht wie in allen anderen Ländern.

    Was ist hier also los? Es ist doch nur Kino – ein Spielfilm, der nicht von sich behauptet, dokumentarisch zu sein, seine historische Genauigkeit ist nicht wichtig. Man kann ihn bewerten, wenn er rauskommt, Kritiken schreiben, zum Beispiel: „Er ist historisch ungenau“, oder darüber streiten, ob er genau ist oder nicht. Jedoch soll und kann das kein Grund für ein Verbot sein.~~~Расширительно можно это толковать как некое признание государства, тех чиновников, которые отвечают в стране за этот запрет, что у нас сталинистская страна, и фильм, который иронически показывает диктатора и момент его смерти, непозволителен на наших экранах. По этой логике в Германии должны запрещать «Великого диктатора» Чарли Чаплина. Его и запрещали, пока Гитлер был жив, но когда война закончилась, показывали и смеялись, как и весь остальной мир. Что тут такого? Это всего лишь кино — игровой фильм, не выдающий себя за документальный, его историческая точность совершенно не важна. Ее можно оценивать, когда картина выйдет, писать на него рецензии, например: «он исторически неточен» или спорить, точен он или нет. Однако, с моей точки зрения, это не должно и не может быть поводом для запрета.[/bilingbox]

     

    erschienen am 23. Januar 2018

    Vedomosti: Totaler Krieg der Befindlichkeiten

    Pawel Aptekar warnt im Wirtschaftsblatt Vedomosti die Kritiker des Films vor den Geistern, die sie rufen:

    [bilingbox]Der Schriftsteller Juri Poljakow, die Regisseure Nikita Michalkow und Wladimir Bortko und andere nennen den Streifen in ihrem Brief an Minister Wladimir Medinski eine „böse und absolut unangebrachte ,Komödie‘, die das Gedenken an unsere Bürger beschmutzt, die den Faschismus besiegt haben“ […]
    Den Autoren des Briefes an das Kulturministerium ist vielleicht nicht klar, dass sich ihre Initiative irgendwann auch gegen sie selbst wenden könnte: Innerhalb eines totalen Krieges der Befindlichkeiten finden sich sicher welche, die bereit sind, beleidigt zu sein, nachdem sie nochmals Bortkos Hundeherz oder Michalkows Zitadelle geschaut haben oder nochmals Poljakows frühe Erzählungen lesen.~~~Писатель Юрий Поляков, режиссеры Никита Михалков и Владимир Бортко и другие в письме министру Владимиру Мединскому назвали ленту «злобной и абсолютно неуместной якобы «комедией», очерняющей память о наших гражданах, победивших фашизм» […]
    Авторы письма в Минкульт, возможно, не поняли, что их инициатива может когда-нибудь обернуться и против них самих: в рамках тотальной войны чувств наверняка найдутся готовые оскорбиться, пересмотрев «Собачье сердце» Бортко, «Цитадель» Михалкова или прочитав ранние повести Полякова.[/bilingbox]

     

    erschienen am 24. Januar 2018

    dekoder-Redaktion

    Diese Übersetzung wurde gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

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