Am 26. April 1986 kam es zur größten Atomkatastrophe in der Geschichte: An diesem Tag explodierte der Reaktor-Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl in der Nähe der ukrainischen Stadt Prypjat. Bei diesem folgenschweren Unfall, der durch einen routinemäßigen, aber fehlerhaft ausgeführten Stromausfall-Test ausgelöst wurde, wurde eine Radioaktivität freigesetzt, die – so schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) – 200 Mal höher war als die freigesetzte Radioaktivität der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki zusammengenommen.
Hunderte Notfall-Einsatzkräfte – vor allem die ersten Arbeiter am zerstörten Reaktorblock, die sogenannten Liquidatoren – starben unmittelbar nach der Katastrophe. Am schwersten betroffen waren die Ukraine, Russland und Belarus, auf dessen Territorium sogar rund 70 Prozent des nuklearen Fallouts durch Cäsium-137 niedergingen. Rund 40 Prozent der Gesamtfläche Europas wurden kontaminiert. Die langfristigen Folgen der Katastrophe, auch die Zahl derjenigen, die an einer Krebserkrankung infolge von Tschernobyl verstarben, werden nie eindeutig bestimmbar sein.
Die sowjetische Führung versuchte die Katastrophe anfänglich zu vertuschen, erst ab dem 27. April 1986, 36 Stunden nach der Explosion, begann die Evakuierung der 50.000 Einwohner von Prypjat. Insgesamt mussten 330.000 Menschen umgesiedelt werden. „Die Menschen haben nicht begriffen, daß sie sich in einem lebensgefährlichen Strahlungsfeld befanden“, schreibt Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch Tschernobyl: Eine Chronik der Zukunft. „Sie nahmen Zuflucht zum Bekannten, verglichen es mit dem Krieg. Hunderttausende von Soldaten und Offizieren, Militärhubschrauber und Kriegstechnik befanden sich am Reaktor. Doch niemand begriff, daß man die Strahlung nicht mit Panzern bekämpfen könne. Tschernobyl hat die Welt der technischen Allmacht, des guten sowjetischen Atoms völlig zerstört.“
Die politischen, wirtschaftlichen, ökologischen, kulturellen und menschlichen Folgen von Tschernobyl waren verheerend, sie sind und werden noch lange spürbar sein. In diesem Dossier präsentieren wir Materialien und Beiträge, die sich damit beschäftigen.