Verstecktes Talent

Ein Blick in die Kommentarspalten zeigt, was Mascha Iwaschinzowa (1942 – 2000) zu Lebzeiten nicht für möglich gehalten hätte: Bewunderung und Anerkennung für ihre Momentaufnahmen, die hauptsächlich Sankt Petersburg zeigen. Zehntausende Menschen folgen ihren Schwarz-Weiß-Bildern bereits in den sozialen Netzwerken.

Schon fast symptomatisch für weibliches Schaffen unterschätzte sie ihre Fotografie chronisch, war davon überzeugt, dass sie von männlicher Konkurrenz überschattet würde. So blieb ihr Talent bis über ihren Tod im Jahr 2000 hinaus versteckt. Erst ihre Nachfahren entdeckten Iwaschinzowas Werke 2017 fein säuberlich geordnet, beschriftet und in Schachteln verpackt auf dem Dachboden ihres Hauses. Der Fund umfasst 30.000 Negative und Abzüge: Sie dokumentieren detailverliebt und charakterstark das Leben im Sankt Petersburg der 1960 bis 1990er Jahre.

Einige Stimmen vergleichen Iwaschinzowa mit der US-amerikanischen Amateurfotografin Vivian Maier, die ihre Aufnahmen ebenso – in der festen Überzeugung von der Banalität ihrer Kunst – bis zu ihrem Tod geheim hielt.

Zum Weltfrauentag am 8. März präsentiert dekoder einige Bilder der Fotografin Mascha Iwaschinzowa.

Selbstportrait, Leningrad, 1976 © Mascha Iwaschinzowa

Iwaschinzowa führte ein – in der Sowjetunion unytpisch – beruflich unbeständiges Leben: Sie verdiente ihr Geld unter anderem als Lichttechnikerin, Theaterkritikerin, Bibliothekarin, Sicherheitsbeamtin und Konstrukteurin. Die Konstante in ihrem Leben war die Fotografie, der sie bis kurz vor ihrem Tod treu blieb. 
 

Piskarewski Prospekt, Leningrad, 1978 © Mascha Iwaschinzowa
 

links: Garderobiere in der Theaterbibliothek, Leningrad, 1980 / rechts: Tiflis, 1989 © Fotos: Mascha Iwaschinzowa

Iwaschinzowa hatte einen besonderen Blick für das Alltägliche. Sie nahm Momente auf: mürrische Schuljungen, neugierige Katzen, gedankenverlorene Passanten, Sankt Petersburger Hinterhöfe und gesellige Szenen aus sowjetischen Wohnküchen. Viele ihrer Fotos – gerade auch die Stilleben – bestechen durch eine ungewöhnlich moderne Bildsprache. 
 

Orechowo, Leningrad, 1978 © Mascha Iwaschinzowa
 

Twеrskaja Uliza, Leningrad, 1978 © Mascha Iwaschinzowa
Dworzowaja Ploschtschad, Leningrad, 1991 © Mascha Iwaschinzowa
Pussja und Harlekin, Leningrad, 1977 © Mascha Iwaschinzowa
Aprilschnee, Leningrad, 1991 © Mascha Iwaschinzowa
April, Leningrad, 1991 © Mascha Iwaschinzowa
Leningrad, 1978 © Mascha Iwaschinzowa

Der heroische Arbeiter, die glückliche Familie, im Hintergrund moderne Architektur – die sowjetische Zensur versuchte ein Idealbild in der Fotografie zu etablieren. Iwaschinzowa entgegnete dieser Utopie mit ihren Aufnahmen. Sie fokussierte ebenso die fehlerhaften und schwermütigen Seiten des Lebens in der UdSSR. Iwaschinzowa selbst musste lange Zeit in einer psychiatrischen Klinik verbringen, weil sie ihr zugewiesene Berufe ablehnte. 
 

Frühling in Leningrad, 1976 © Mascha Iwaschinzowa
links: Moskau im August 1988 / rechts: Natascha, Leningrad, 1983 © Fotos: Mascha Iwaschinzowa

Ein immer wiederkehrendes Motiv auf Iwaschinzowas Bildern sind Hunde, aber auch Katzen, Vögel, Pferde und Affen. Während die Fotografin eher auf Distanz zu ihren Mitmenschen blieb, habe sie Gesellschaft von Tieren sehr geschätzt, berichten Tochter Assja und Schwiegersohn Jegor.
 

Leningrad, 1977 © Mascha Iwaschinzowa
Leningrad,  1977 © Mascha Iwaschinzowa

Anitschkow Most, Newski Prospekt, Leningrad, 1976 © Mascha Iwaschinzowa
 

links: Nabereshnaja Kutusowa, Leningrad, Sommer 1977 / rechts: Lena Gurewitsch, Leningrad, 1979 © Fotos: Mascha Iwaschinzowa
 

Marta, Leningrad, 1978 © Mascha Iwaschinzowa


Fotos: Mascha Iwaschinzowa
Text: Emely Schalles
Bildredaktion: Andy Heller
Veröffentlicht am 08.03.2021

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