Harter Kurs voraus

Am 27. Februar 2022 wird in Belarus ein Verfassungsreferendum stattfinden, von dem wohl nur die wenigsten glauben, dass es die präsidiale Macht Alexander Lukaschenkos entscheidend beschränken wird. Bei seiner alljährlichen „Rede an die Nationalversammlung und das belarussische Volk“, die Lukaschenko Ende Januar im Palast der Unabhängigkeit in Minsk hielt, schwörte der Autokrat die mehr als 2500 Parlamentarier, Politiker, Funktionäre und Gäste auch auf die anstehende Abstimmung und die zu erwartenden Änderungen im politischen System ein. 

Der belarussische Journalist Alexander Klaskowski hat sich die Rede für das Online-Medium Naviny.by genauestens angehört. In seinem Beitrag analysiert er, ob die Verfassungsreform überhaupt darauf ausgerichtet ist, Lukaschenkos eingeschlagenen Radikalisierungskurs einzudämmen und ob Opposition, Medien und Zivilgesellschaft entsprechend auf erleichterte Rahmenbedingungen hoffen können.

Seiner Rhetorik nach zu urteilen, sieht Lukaschenko die Lösung für die innenpolitische Krise und die gespaltene Gesellschaft in Belarus eindimensional: „Diese verrückten Unglaublichen“, wie er die Protestteilnehmer nannte, müssen sich der brutalen Gewalt des Regimes fügen.

Machtwechsel als Krankheit

Obwohl er Verfassungsänderungen immer als Demokratisierung bewarb, offenbarte sich seine tatsächliche Haltung zur Demokratie in der Aussage: „Wenn wir uns, so wie einige andere postsowjetische Staaten, dem Fieber der Machtwechsel ergäben [Hervorhebung des Autors], wenn wir ein politisches und ideologisches Zurückweichen zuließen, dann wäre ein unkontrollierbarer Sturzflug nicht mehr aufzuhalten.“ Also gilt der in Demokratien übliche Prozess des Machtwechsels als Anomalie, als Krankheit.       

Der (aktuelle) Auftritt hat gezeigt, dass Lukaschenko nicht beabsichtigt, sein autoritäres System im Kern zu ändern. Das Publikum, das ihm zuhörte, bezeichnete er als Prototypen der zukünftigen Allbelarussischen Volksversammlung (WNS), an die er sich in Zukunft mit solchen Botschaften wenden wolle. Da stellt sich die Frage: War denn das Volk an der Zusammensetzung dieses Publikums beteiligt? Eine rhetorische Frage. Im Saal waren natürlich Beamte und erprobte Loyalisten versammelt, die eine breit aufgestellte Volksvertretung imitieren sollten.      
Ein Gesetz, das die Kompetenzen, den Entstehungsprozess und die Tätigkeiten der Allbelarussischen Volksversammlung festlegt, soll innerhalb eines Jahres nach dem Referendum verabschiedet werden. Man kann jedoch unschwer annehmen, dass dieses zu gründende Organ, das gemäß der neuen Verfassung mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet werden soll, auf genauso intransparente und volksferne Art zusammengeschustert wird. 

Nie der richtige Zeitpunkt für den Rücktritt

Eigentlich geht es bei der Idee der Allbelarussischen Volksversammlung darum, die Bürger noch weiter vom Staat zu entfernen. Die aktuell regierende Elite will ein von den Willenserklärungen der Bevölkerung isoliertes politisches Konstrukt schaffen, das es ermöglicht, alle staatlichen Schlüsselfragen im intimen Kreis zu entscheiden. 
Wobei fast kein Zweifel besteht, dass Lukaschenko auch Vorsitzender der WNS sein wird (diese Option ist ausdrücklich in dem Verfassungsentwurf vorgesehen) und die beiden Ämter mindestens bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen 2025 zu behalten gedenkt.      

Mit seiner Rede hat Lukaschenko zum wiederholten Mal thematisiert, wie lange er vorhat, im Amt zu bleiben. Und wieder ist er einer direkten Antwort ausgewichen: „Alles je nach Situation. Wenn sie uns einen Krieg anhängen – was soll es dann für Wahlen geben, wie soll ich da abdanken? Wenn’s sein muss, nehm ich eine MG, und gehe voran … Wenn alles ruhig bleibt, sei’s drum, wenn unser Volk friedlich lebt und sich entwickelt – jederzeit.“  
Damit gibt Lukaschenko erstens de facto zu, dass die Lage in Belarus alles andere als stabil ist. Wenn er zweitens die unermüdliche Suche nach Feinden fortsetzt, die Dämonisierung der Opposition, der benachbarten NATO-Mitgliedsländer, der Ukraine und der USA, wenn er die Atmosphäre einer belagerten Burg weiter hochpeitscht (und speziell davon war seine Botschaft durchdrungen), dann wird er immer sagen können, jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt zu gehen.  

Überhaupt strotzte Lukaschenkos gesamte Rede nur so von der Idee, er sei unersetzlich (oder gar von Gott erwählt). Als ob es ohne seine Entschlossenheit mit der MG in Händen im August 2020 am Höhepunkt der Proteste (die er Aufstand nennt) das Land gar nicht mehr gäbe: Die fünfte Kolonne hätte die Macht ergriffen und Belarus bereits dem Westen ausgeliefert (die NATO-Truppen „waren schon in Startposition“).  
Dieses Motiv – dass unter bedrohlichen Umständen ein erfahrener, starker Führer auf keinen Fall abdanken darf – wird er bestimmt weiter ausschlachten, zumal die Konfrontation mit dem Westen allem Anschein nach ernst werden und lang dauern wird. Und da eröffnet sich noch dazu die günstige Gelegenheit, dem Kreml zuzuspielen.  

Echte Ideen zur Entwicklung fehlen dem Regime

Wobei die Redenschreiber sich offenbar bemüht haben, Ideen von Innovation und Entwicklung einzubauen, um den Redner nicht komplett rückschrittlich und reaktionär aussehen zu lassen. Allerdings mit wenig Erfolg.
„Wir haben alle Möglichkeiten, Belarus zu einem sich dynamisch entwickelnden Land zu machen“, erklärte Lukaschenko. Doch hat er versucht eine Überarbeitung des Grundgesetzes, die das vom ersten Präsidenten geschaffene strenge und undemokratische System aufrechterhält, als politische Innovation zu verkaufen. Sogar in Bezug auf den kontrollierten Aufbau von Parteien (auf dessen Belebung sowohl der Kreml als auch ein Teil der Loyalisten gehofft hatten) verplapperte sich unser Staatsoberhaupt mit den Worten: „Wir werden diesen Prozess nicht forcieren.“     

Desgleichen ließ er verlautbaren, dass in nächster Zeit ein Gesetz beschlossen werde, das definiert, was Zivilgesellschaft ist und was ihr Wesen, ihre Struktur ausmache. Doch die Formierung einer Zivilgesellschaft nach staatlichen Vorgaben ist per se Nonsens. Eine echte Zivilgesellschaft wächst von unten, auf Initiative der Bevölkerung.   
Noch dazu ist das wichtigste Ziel, wie ganz offen erklärt wurde, dass „die Basis der Zivilgesellschaft nicht schlafende Keimzellen nationaler Minderheiten werden, die 2020 das Land umstürzen wollten“. Mit anderen Worten, auf diesem durch die Repressionen verbrannten Feld sollen Attrappen geschaffen werden, GONGOs, die eine Zivilgesellschaft imitieren.

Kein Wort fiel zum Thema Wirtschaftsreformen. Im Gegenteil, Lukaschenko gab zu verstehen, dass er IT-ler und Unternehmer noch stärker in die Mangel nehmen kann – jene Berufsgruppen, die sich aktiv an den Protesten beteiligt hatten. Indessen sind es gerade diese fortschrittlichen Gesellschaftsschichten, die die Wirtschaft in Schwung bringen könnten. Aber wie wir sehen: Der Chef des Regimes will in erster Linie den Aufstand unterdrücken, wenn auch zum Schaden der wirtschaftlichen Entwicklung. 
Insofern sind Versprechungen dynamischer Transformationen schöne Worte und nichts dahinter. Faktisch opfert die Regierung, die um jeden Preis an der Macht bleiben will, die Entwicklung des Landes und versucht, jegliche Gegenstimmen in die Knie zu zwingen.

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