Bystro #16: Gefechte in Bergkarabach – welche Rolle spielt Russland?

Ende September sind die Gefechte in Bergkarabach erneut entflammt. Welche Rolle spielen äußere Mächte wie Russland? Wieso gibt es den Konflikt überhaupt – und warum ist er so schwer zu lösen? Ein Bystro von Silvia Stöber in sieben Fragen und Antworten, einfach durchklicken.

Foto © Furfur/wikimedia unter CC BY-SA 4.0

  1. 1. Der EU-Außenbeauftragte Borell warnte vor äußerer Einmischung in den Konflikt in Bergkarabach. Welche Rolle spielen äußere Mächte dabei – und welche Mächte sind das?

    Die wichtigste Rolle in der Region spielt Russland, dies seit dem Ende der Sowjetunion. Als sich Armenien und Aserbaidschan zu Beginn der 1990er Jahre bekämpften, bestimmten russische Truppen, aber auch Vermittlungsbemühungen aus Moskau den Ausgang des Krieges mit. Die russische Führung betrachtet bis heute die Region Südkaukasus als vorgelagerte Sicherheitszone und ist zugleich Schutzmacht für Armenien. Durch den ungelösten Konflikt kann sie Einfluss ausüben, will allerdings auch keinen offenen Krieg, bei dem sie die Kontrolle verlieren könnte. So bemüht sich Russland auch um gute Beziehungen zu Aserbaidschan, an das es zum Beispiel Waffen verkauft.

  2. 2. Inwiefern heizt die Türkei den Konflikt an?

    Mit Rücksicht auf Russland hielt sich die Türkei bislang in der Region zurück. Seit diesem Jahr aber engagiert sie sich stark auf Seiten des turksprachigen „Bruderstaates“ Aserbaidschan. Präsident Recep Tayyip Erdogan positionierte sich nicht nur verbal gegen Armenien, er unterstützt Aserbaidschan auch in großem Umfang militärisch und gerät damit indirekt in Konfrontation mit Russland. Zurückhaltender zeigt sich bislang der südliche Nachbar Iran, der gute Beziehungen zu Armenien pflegt.

  3. 3. Tragen demnach hier auch Russland und die Türkei einen Konflikt miteinander aus?

    Die macht- und militärstrategischen Interessen beider Staaten widersprechen sich, und alte Rivalitäten gewinnen derzeit wieder die Oberhand. In Syrien und Libyen unterstützen sie gegnerische Kräfte. Auch im Schwarzen Meer kommen sie sich durch die russische Aufrüstung der Krim und der weiteren Region immer näher. Mit dem Engagement für Aserbaidschan bedient Erdogan wiederum revanchistische und nationalistische Ansprüche, die er in den vergangenen Jahren bei seinen Anhängern geschürt hat. Bislang vermieden die Türkei und Russland aber eine direkte Konfrontation, indem Erdogan und Putin immer wieder Arrangements eingingen.

  4. 4. Was ist mit den USA und der EU?

    Die EU ist neben den USA der größte Geldgeber für demokratische und zivilgesellschaftliche Projekte sowie Wirtschaftsförderung im Südkaukasus. Bei der Lösung des Konflikts verweist die EU allerdings auf die Minsk-Gruppe der OSZE, die seit dem Waffenstillstand 1994 einen dauerhaften Kompromiss auszuhandeln versucht. In der Führung der Minsk-Gruppe ist als EU-Staat Frankreich vertreten, dies neben Russland und den USA.
     
    Die USA haben ihr Engagement in den vergangenen vier Jahren erheblich reduziert. Die Regierung von Präsident Donald Trump konzentrierte sich darauf, Druck auszuüben, damit dem südlichen Nachbarn Iran sämtliche Wege für wirtschaftliche und finanzielle Aktivitäten über Armenien und Aserbaidschan verschlossen werden. Aufgrund der Gegnerschaft zum Iran sind die USA, aber auch Israel, an guten Beziehungen zu Aserbaidschan interessiert.

  5. 5. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Kämpfe in einen Krieg ausarten – was ja auch nicht im Interesse Russlands sein kann?

    Seit Beginn der Gefechte am 27. September entwickelt sich das Geschehen sehr dynamisch. Die Kämpfe finden entlang der gesamten Frontlinie statt und greifen stellenweise auf Gebiete außerhalb Bergkarabachs über. Neben weitreichenden Geschützen, Panzern, Drohnen und Kampfhubschraubern kommen inzwischen offenbar auch Kampfjets zum Einsatz. Auch wenn die Zahlen kaum überprüfbar sind, so ist davon auszugehen, dass die Zahl der militärischen und zivilen Opfer schon nach wenigen Tagen höher ist als beim letzten großen Ausbruch der Kämpfe 2016. Dauern die Gefechte unvermindert und länger als eine Woche an und greifen sie weiter aus, muss von einem offenen Krieg gesprochen werden. 

    Bislang signalisiert die aserbaidschanische Führung keine Bereitschaft zu einem Ende der Kämpfe, motiviert auch durch die Unterstützung der Türkei. Armenien, das den Status Quo aufrechterhalten will, fordert internationale Vermittlung, die zu einem Ende der Gefechte führen soll. Russland hält sich bislang auffallend zurück, auch wenn es im Rahmen der Organisation des Vertrages über die kollektive Sicherheit (OVKS) eine Beistandsklausel für Armenien gibt – nicht aber für das Territorium von Bergkarabach.

  6. 6. Wie begann der Konflikt um Bergkarabach überhaupt?

    Die Ursachen des Konfliktes gehen weit zurück. Gebietsansprüche beider Seiten aufgrund historischer Grenzverläufe und Ereignisse im Südkaukasus widersprechen sich weitgehend. Spannungen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern führten bereits 1905/06 und 1918/19 zu Massakern mit mehreren tausend Toten. Im Zuge der Eroberung der Region durch die Sowjetunion wurde Bergkarabach Aserbaidschan zugeschlagen – mit dem Status eines autonomen Gebietes. Wiederholten Bitten der armenischen Mehrheitsbevölkerung um Anschluss an die SSR Armenien kam die Zentralregierung in Moskau nicht nach. Als die staatlichen und politischen Strukturen der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre immer schwächer wurden, trat die armenische Nationalbewegung immer offener und fordernder auf und wurde zur Triebkraft der Opposition. Die zunehmenden Spannungen führten erneut zu massiver Gewalt zwischen beiden Volksgruppen mit zahlreichen Toten, was schließlich in den Krieg zu Beginn der 1990er Jahre mit mehr als 30.000 Toten und hunderttausenden Vertriebenen führte.

  7. 7. Weshalb ist es so schwer, diesen Konflikt zu lösen?

    Die internationalen Bemühungen der Minsk-Gruppe um eine dauerhafte Lösung des Konflikts seit 1994 führten mehrfach zu Kompromissvorschlägen, die jedoch jeweils in den Bevölkerungen beider Staaten keine ausreichende Unterstützung fanden. Ein Grund dafür ist die Intransparenz bei der Aushandlung der Regelungen. 
    Hinzukommt, dass die Führungen beider Staaten in den vergangenen 30 Jahren den Konflikt auch immer wieder dazu nutzten, um von innenpolitischen Problemen abzulenken und Widerspruch zu verhindern mit dem Hinweis darauf, dass eine Schwächung der nationalen Einheit dem Gegner helfen würde.

*Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.

Text: Silvia Stöber
Stand: 30.09.2020

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