Auf dem Weg in die volle Kontrolle?

 „Ich möchte mitteilen, dass ich am Freitagabend, dem Tag, an dem die Zerschlagung von Radio Svaboda stattfand, Belarus verlassen habe.“ Dies teilte Waleri Karbalewitsch am gestrigen Sonntag auf Facebook mit. Der Politologe und Historiker schreibt für den belarussischsprachigen Dienst von Radio Liberty regelmäßig politische Analysen. Karbalewitsch befürchtete wohl, selbst festgenommen zu werden. Denn am Freitag hatten Silowiki die Wohnungen von Leuten durchsucht, die mit dem in Prag ansässigen Sender zusammenarbeiten, und zahlreiche freie Mitarbeiter festgenommen. Drei befinden sich aktuell immer noch in Haft. Die Razzien betrafen auch Mitarbeiter des Auslandsenders Belsat und zahlreiche bekannte NGOs im ganzen Land. Bereits seit dem 8. Juli lassen die belarussischen Machthaber die Büros von Medien, Journalisten, Menschenrechtsorganisationen, Parteien und Initiativen durchsuchen, Dokumente und Gerätschaften konfiszieren und Mitarbeiter festnehmen. Gegen vier Mitarbeiter des Online-Mediums Nasha Niva, das aus der ältesten belarussischen Zeitung hervorgegangen ist, wurde bereits ein Strafprozess eingeleitet. Der Vorwurf: „das Organisieren oder Vorbereiten von Aktionen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen, oder die Teilnahme daran”. Nasha Niva hat daraufhin die Arbeit vorerst eingestellt. Auch wurden weiter Telegram-Kanäle wie beispielsweise Strana dlja shisni (dt. Ein Land zum Leben) – den die Initiative des inhaftierte Videobloggers Sergej Tichanowski betreibt – als „extremistisch“ eingestuft.

Wie ist die neuerliche Repressionswelle zu deuten? Wollen die Machthaber jegliche Form von Zivilgesellschaft, freie Meinungsäußerung und Dissens in Belarus zerstören und Belarus in einen totalitären Staat verwandeln? Ist die Aktion gar eine Antwort auf die EU-Sanktionen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Journalist Pawljuk Bykowski in seiner Analyse für Naviny.by.

„Gegenwärtig erfolgt eine breit angelegte Operation zur Säuberung von radikal eingestellten Personen“, erklärte der stellvertretende Leiter der Verwaltung Strafermittlung des belarussischen KGB, Konstantin Bytschek.
Liest man das Interview dieses Vertreters des KGB aufmerksam durch, dann spricht er zwar von den bekannten „destruktiven Telegram-Kanälen“, doch beziehen sich Bytscheks Worte auch auf einen breiteren Kontext und sind bezeichnend für die Reaktion eines autoritären Regimes, das ins Wanken geraten, aber noch nicht gestürzt ist. Es geht um die Beseitigung jeglicher Protestherde und jeglicher zivilgesellschaftlicher Strukturen, die sich mit diesen solidarisieren könnten, wie auch aller Medien, die zu einem Sprachrohr des Protests werden oder einfach weiterhin mit Empathie für die Opfer der Willkür über die Lage in Politik und Gesellschaft berichten könnten.

Der „Schwarze Donnerstag“

Nach Angaben des unabhängigen Belarussischen Journalistenverbandes (BAJ) sind seit Jahresbeginn 87 Journalisten und Mitarbeiter von Medien festgenommen worden, von denen derzeit 29 hinter Gittern sitzen.

Am 8. Juli wurden an nur einem Tag sieben Journalisten und die Buchhalterin von Nasha Niva festgenommen. Vier von ihnen sind feste Mitarbeiter der Zeitung. Sie werden in einem Strafverfahren der Organisation oder Vorbereitung von Handlungen verdächtigt, die die gesellschaftliche Ordnung grob verletzen. Zwei weitere Mitarbeiter der Redaktion blieben mit unklarem prozessualem Status in Freiheit, mussten aber eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschreiben.

Am 8. und 9. Juli erfolgten auch in den Redaktionen und in den Wohnungen von Mitarbeitern der Brestskaja Gaseta, der Portale Orsha.eu, Media-Polessje, Intex-Press, Bobr.by sowie bei freischaffenden Journalisten, die mit dem aus Polen sendenden TV-Kanal Belsat zusammenarbeiten, Hausdurchsuchungen, bei denen Computer und Smartphones konfisziert wurden.

Media-Polessje teilte mit, dass die Hausdurchsuchungen bei Redaktionsmitarbeitern in Luninzk und Pinsk von Ermittlergruppen des KGB im Rahmen eines Verfahrens wegen eines „terroristischen Aktes“ erfolgt seien.

Darüber hinaus erging am 8. Juli „aufgrund einer Benachrichtigung durch die Generalstaatsanwaltschaft“ der Beschluss, den Zugang zum Portal nn.by (Nasha Niva) zu blockieren: Diese Domaine ist jetzt für belarussische wie auch für ausländische Nutzer gesperrt.

Am gleichen Tag wurde der Nachrichtenredakteur des Portals Perschy rehijon, Oleg Suprunjuk, in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen „der Verbreitung von Informationserzeugnissen, die im Republiksverzeichnis extremistischer Materialien geführt werden“, zu einer Geldstrafe von 590 Rubeln [knapp 200 Euro – dek] verurteilt.

Durch die Unterdrückung unabhängiger Medien wird die Gesellschaft Beiträge lesen, ,die nicht einmal minimalen professionellen Standards genügen‘

Der Belarussische Journalistenverband (BAJ) forderte, „die Vernichtung des freien Wortes [in Belarus] zu stoppen“. „Unter dem Vorwand des Kampfes gegen Extremismus versucht die Regierung, die unabhängigen belarussischen Medien zu vernichten“, heißt es in einer Erklärung des BAJ.

In dem Papier wird prognostiziert, dass durch die flächendeckende Unterdrückung unabhängiger Medien „die Gesellschaft anstelle verifizierter und im Einklang mit der journalistischen Ethik vermittelter Informationen Beiträge lesen wird, die nicht einmal minimalen professionellen Standards genügen“.

Reden mit Kriegsrhetorik

Gleichzeitig erklärte Alexander Lukaschenko am 8. Juli bei einer Zeremonie zu Ehren der Absolventen der Militärhochschulen und des höheren Offizierskorps, dass ein Krieg heute in der Regel nicht mehr durch eine Aggression von außen begänne: 
„Er beginnt von innen, damit, dass die Hirne unserer Leute zerstört werden. Er beginnt damit, dass in unserem Land Chaos erzeugt wird, und erst danach werden, wenn nötig, ausländische Truppen hierher entsandt. Davon haben wir gesprochen. Hierin besteht der Kern unserer nationalen Sicherheitskonzeption“.

Die Äußerungen fügen sich in ein propagandistisches Schema, in dem die Proteste keine tieferen Gründe im Land selber haben können

Angesichts des Ortes und der Adressaten lag der Akzent des Auftrittes auf militärischen Aspekten, mit der Rhetorik eines Informationskriegs, der von außen geführt werde. Allerdings fügen sich die Äußerungen sehr wohl in ein propagandistisches Schema, in dem sowohl die Proteste als auch negative Informationen in den Medien keine tieferen Gründe im Land selber haben können, sondern allein als Umsetzung eines Auftrags aus dem Ausland gesehen werden. 

In Russland war die Regierung in dieser Hinsicht offener, aber auch raffinierter. Dort wurden die Medien vor allem dadurch unter Kontrolle gebracht, dass die Zeitungen per Kauf übernommen wurden.

Igor Nikolajtschuk, Mitarbeiter des Zentrums für Rüstungsforschung des Russischen Instituts für strategische Studien (RISI), bekannte in einem Interview für die Literaturnaja Gaseta: „Bevor die Krim angeschlossen wurde, erfolgte eine riesige, penible, schmerzliche und nahezu unsichtbare Arbeit, um im medialen Raum in Russland jene Medien auszuschalten, die dem Regime in den Rücken schießen könnten. Der Informationskrieg erfordert eine Übermacht von Medien, die für eine Umsetzung der staatlichen Idee arbeiten. Die propagandistische Katastrophe des ersten Tschetschenienkrieges, als die eigenen Leute [von den Medien] angegangen wurden, ist nicht vergessen und soll sich nicht wiederholen.“

Es geht darum, den nicht loyalen Medien die unternehmerische Basis zu zerstören

Etwas ähnliches versucht man auch in Belarus zu unternehmen, doch geht es hier nicht um die Übernahme von Medien, sondern darum, den nicht loyalen Medien die unternehmerische Basis institutionell zu zerstören, um deren Ausschluss aus dem monopolisierten System, über das Periodika vertrieben werden, und um ein Druckverbot in belarussischen Druckereien.

Die verbleibenden Internet-Medien erhalten Besuch vom KGB oder der GUBOPiK, die Geräte werden konfisziert und die Mitarbeiter der Redaktionen zum Verhör vorgeladen oder in Untersuchungshaft gesteckt. Dadurch werden unabhängige Journalisten gedrängt, ins Ausland zu gehen.

Wird jetzt das Urteil vollzogen, das Makei im April verkündete?

Angesichts der Zerschlagung unabhängiger Medien sind Meldungen über Repressionen gegen Aktivisten und die Zerstörung zivilgesellschaftlicher Strukturen in den Hintergrund getreten. Allerdings wird auch hier das Versprechen von Außenminister Wladimir Makei eingelöst. Der hatte am 10. April erklärt, eine Verhängung von Sanktionen gegen das herrschende Regime werde „zweifellos dazu führen“, dass es „jene Zivilgesellschaft, um die sich unsere europäischen Partner so sehr kümmern, nicht mehr geben wird“.

Jetzt überprüft das Justizministerium auf nationaler Ebene eine Reihe von NGOs, während man sich jetzt schon einige von ihnen auf lokaler Ebene vorknüpft.

So teilte die Staatsanwaltschaft am 8. Juli mit, dass auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Brest die Einrichtungen Sa swoj gorod und Dsedsitsch durch die Verwaltung des Leninski-Stadtbezirks aufgelöst wurden.

Allem Anschein nach werden sie vernichtet, „damit sie niemandem in den Rücken schießen“. Insbesondere in Bezug auf Dsedsitsch wurde festgehalten, dass diese Einrichtung „Wettbewerbe für Kunstwerke und Clips in sozialen Medien organisiert [hat], die die Herausbildung einer Haltung der Bürger propagieren, die rechtswidrige Handlungen gutheißt“.

Eine „Normalisierung der Lage“ – wie sie vom herrschenden Regime verstanden wird – macht es erforderlich, dass aus dem öffentlichen Raum jede Kritik am Regime und jede abweichende Meinung verschwindet. Uniformierte führen die Befehle aus und werden für Pogrome gegen Andersdenkende belohnt.

Es ist zwar von vornherein klar, dass man auf diese Weise die Belarussen nicht dazu bringen kann, Lukaschenko wieder lieb zu gewinnen. Doch ein taktisches Ziel ist durchaus erreichbar, nämlich bestimmte politische Veränderungen vorzunehmen, ohne dass der Unmut der Bevölkerung sichtbar wird. 

Wir können nur mutmaßen, wann sie sich auf eine harte Landung werden vorbereiten müssen – im Vorfeld der für den Herbst angekündigten vertieften Integration mit Russland oder vor dem für Anfang 2022 angesetzten Verfassungsreferendum.


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