Das zynische Spiel mit der Migration

Die Lage an der östlichen EU-Grenze ist nach wie vor angespannt. Das Lukaschenko-Regime hatte Mitte 2021 künstlich eine Migrationskrise herbeigeführt. Als Reaktion auf die scharfen Sanktionen, die die EU verhängte, nachdem Minsk eine Ryan Air-Maschine zur Landung in Belarus genötigt hatte, um den Blogger und Aktivisten Roman Protassewitsch festnehmen zu können. Bis heute versuchen Menschen aus Syrien, Afghanistan, aber auch aus Mali, nach Polen oder Litauen zu gelangen. Dabei kommt es immer wieder zu Gewalt, zu sogenannten Pushbacks und zu Toten. Viele verschwinden in den Grenzwäldern.  
Warum nutzt das Regime in Belarus bis heute Flüchtlinge als politisches Druckmittel? Welche Rolle spielt Russland dabei? Warum hat die EU wenig Interesse, mit Lukaschenko darüber zu verhandeln? Eine Analyse von Waleri Karbalewitsch für das Online-Portal Pozirk. 

Am 2. September kündigte der belarussische Außenminister Maxim Ryshenkow für November eine internationale Konferenz in Minsk an, die sich mit der Bekämpfung der illegalen Migration in der Region beschäftigen sollte. Eingeladen seien „alle Interessierten, inklusive der Nachbarländer, anderer Staaten der EU und der GUS“. Ferner sagte der Minister: „Wir hoffen auf die Teilnahme aller, die an einer Normalisierung der Situation an der Grenze interessiert sind.“ 

Am 15. November war es so weit. Allerdings: Von westlicher Seite waren nur ein Mitarbeiter der britischen Botschaft sowie der ungarische Botschafter vertreten. Das Problem der illegalen Migration an der Grenze zwischen Belarus und den EU-Staaten ohne Beteiligung der europäischen Nachbarn zu diskutieren, kommt einem Scheitern der Ausgangsidee gleich. 

Mit vorgespielter Empörung beschuldigt die belarussische Führung nun die westlichen Partner. Dabei hat sie das Problem selbst geschaffen – und sich einen so fragwürdigen Ruf erarbeitet, dass niemand mehr etwas mit ihr zu tun haben will.  

Die Migrationskrise wurde vom belarussischen Regime künstlich herbeigeführt 

Zur Erinnerung: Bis 2021 gab es keinerlei Probleme mit illegaler Migration an der Grenze zwischen Belarus und Polen, Litauen und Lettland. Die Migrationskrise wurde vom belarussischen Regime künstlich herbeigeführt. Lukaschenko hat viele Male öffentlich erklärt, er habe als Reaktion auf das feindliche Verhalten des Westens befohlen, Migranten aus dem globalen Süden nicht mehr daran zu hindern, die Grenzen zur EU zu überqueren. 

Dabei ist unberechtigter Grenzübertritt in jedem Land eine Straftat. Migranten, die zum Beispiel die Grenze zu Polen überqueren, verletzen zwangsläufig zuerst die belarussische Grenze. Wenn die belarussischen Grenzbeamten die Rechtsbrecher nicht aufhalten, dann erfüllen sie ihre Funktion als Grenzschützer nicht. Mehr noch, sie verstoßen selbst gegen das Gesetz, indem sie die Straftat nicht unterbinden. 

Der Schutz der Staatsgrenze gehört zu den grundlegenden Aufgaben eines Staates. Wenn die Machthaber sich weigern, sie zu erfüllen, zeugt das von einer unzulänglichen Staatsregierung. Der Angriff auf die EU-Außengrenzen mithilfe von Migranten stellt eine Art Spezialoperation gegen die Nachbarn dar. Das offizielle Minsk setzte sich ein Minimal- und ein Maximalziel. Ersteres bestand darin, sich an Europa, allen voran an den angrenzenden Staaten, für ihre Haltung zur innenpolitischen Krise in Belarus zu rächen. Die zweite, maximale Zielsetzung bestand darin, die EU zu Verhandlungen zu zwingen, deren Bedingungen der belarussische Machthaber diktieren wollte. Die Beteiligung der belarussischen Sicherheitskräfte an der Spezialoperation ist reichlich dokumentiert. 

Es gab Situationen, da liefen Migranten in Kolonnen von mehreren tausend Menschen durch das Grenzgebiet, direkt auf der Fahrbahn, sammelten sich dann an der Grenze und versuchten, sie zu stürmen. Ohne Unterstützung von staatlichen Strukturen wäre das undenkbar gewesen. Selbst Innenminister Iwan Kubrakow räumte ein: „Wir gewährleisten die Absicherung, begleiten die Migranten bei ihren Streifzügen.“  

Der Transfer der Migranten nach Belarus war bewusst auf Fließband gestellt worden. Nach EU-Informationen landeten im November 2021 wöchentlich mindestens 47 Flugzeuge aus den Staaten des Nahen Ostens in Minsk. Am 26. November des Jahres besuchte Lukaschenko das Transport- und Logistikzentrum nahe des Grenzübergangs Brusgi, wo temporär Migranten untergebracht wurden, um ihnen Geleit zu geben. Auf der improvisierten Kundgebung sagte der Machthaber: „Wenn ihr in den Westen wollt, werden wir euch weder einkesseln noch fangen oder schlagen. Es steht euch frei. Wenn ihr durchkommt, dann geht nur.“ 

Als Motivation fügte Lukaschenko hinzu, täglich würden es bis zu 200 Menschen erfolgreich über die Grenze schaffen. Er sagte auch, dass Belarus 12,6 Millionen US-Dollar in die Unterstützung der Migranten stecken würde, und rief sie dazu auf, der Regierung jeglichen Hilfsbedarf zu melden.