„Die Verlegung von Truppen ist kein Angriff“

Die Aufregung war groß, als Alexander Lukaschenko nach einem neuerlichen Treffen mit Wladimir Putin in Sankt Petersburg ankündigte, einen regionalen Truppenverband zusammen mit dem russischen Militär aufstellen zu wollen. Würde der belarussische Machthaber, nachdem er sich über Monate offensichtlich dem Druck des Kreml entzogen hat, doch eigene Truppen in den Angriffskrieg gegen die Ukraine entsenden? 

Der belarussische Verteidigungsminister Viktor Chrenin versuchte, den Sorgen und Befürchtungen, gerade von ukrainischer Seite, Wind aus den Segeln zu nehmen. Er sagte: „Wir wollen nicht gegen Litauer kämpfen, oder Polen, oder Ukrainer.“ Allerdings senden die belarussischen Machthaber seit Monaten widersprüchliche Signale, denn Lukaschenko unterstützt den russischen Krieg nicht nur mit seiner aggressiven Rhetorik, die der des Kreml in vielerlei Hinsicht ähnelt, sondern auch, indem Russland das belarussische Territorium bis heute für den Abschuss von Raketen in Richtung Ukraine nutzt.

Die Ankündigung einer gemeinsamen Truppe hielt Lukaschenko, wie man es von ihm kennt, recht schwammig. Was aber steckt hinter dieser Ankündigung? Wie ist sie zu bewerten? Welche Taktik verfolgt Lukaschenko? Und ist sie gleichzusetzen mit einer Entsendung eigener Truppen in die Ukraine? In einem Telegram-Beitrag gibt der belarussische Politanalyst Wadim Mosheiko Antworten auf diese Fragen.   

Die Verlegung von Truppen ist kein Angriff. Die Alarmisten helfen Putin, der mit verschiedenen demonstrativen Aktionen versucht, sein „Das ist kein Bluff“ zu untermauern.

Die Angriffe auf ukrainische Städte, Wohnhäuser und Infrastruktur mit zivilen Opfern, das ist zwar immer furchtbar, aber auch nicht neu oder überraschend. Das ist eine Taktik, die Russland bereits eingesetzt hat, und die nichts am Verlauf des Krieges geändert hat.

Lukaschenkos Erklärungen folgten der absolut gleichen Logik. Seine „Aufstellung eines gemeinsamen regionalen Truppenverbands“ sind sehr allgemeine Worte, die letztendlich eine Verlegung unterschiedlicher Kräfte beschreiben, mehr aber auch nicht. Von einem Einmarsch der belarussischen Armee war keine Rede; eine Aufstellung ist kein Angriff.

Die einzig konkrete Ankündigung (und auch die eine recht mickrige) war das Versprechen, dass „in nächster Zeit“ russische Soldaten in Belarus aufgenommen und dort stationiert werden, „nicht in großer Zahl“, aber auch „nicht nur tausend Mann“. Auch das ist leider nichts Neues: Seit Beginn des Krieges ziehen sowieso russische Militärangehörige nach Belarus, und zwar zu dem Zeitpunkt und in der Stärke, wie es ihnen beliebt, und das Regime Lukaschenko gewährt ihnen dabei logistische Unterstützung. Hier verweise ich erneut auf meine Drei Prinzipien, die Lukaschenkos Verhalten im Krieg beschreiben:

1) Wenn ein Stillhalten von Lukaschenko ausreicht, damit der Kreml von Belarus aus agieren kann, dann bekommen und machen die Russen, was sie wollen und wann sie es wollen. Um beispielsweise Flugzeuge der russischen Luftwaffe in den belarussischen Luftraum zu lassen, damit sie die Ukraine angreifen, reicht es, wenn Lukaschenko nicht stört. Das Gleiche gilt für die Ankunft russischer Raketenwerfer, mit denen ukrainische Städte beschossen werden. Die werden so oft und zu dem Zeitpunkt eintreffen, wie es Russland beliebt, und so lange, wie Russland über ausreichend Ausrüstung und Munitionsvorräte verfügt. Unabhängig davon, ob sich derzeit solche russische Streitkräfte in Belarus befinden, was Lukaschenko gesagt hat, oder ob Kyjiw das Kabinett Tichanowskaja anerkennen wird und so weiter.

2) Wenn von Lukaschenko eine technische Unterstützung verlangt wird, die seine politische Position nicht gefährdet, dann wird er dem Kreml bei allem behilflich sein. Das betrifft die gesamte Logistik, angefangen bei den Flughäfen über die Straßen und Gleisverbindungen, die Behandlung verletzter russischer Soldaten in belarussischen Krankenhäusern bis hin zur Reparatur russischen Kriegsgeräts in belarussischen Fabriken und Werkstätten. Für Minsk würde das alles keine größere Schuld und keine zusätzlichen Sanktionen bedeuten, und es würde an der öffentlichen Meinung in Belarus oder der Ukraine nichts Wesentliches ändern. 

3) Falls von Lukaschenko konkrete Entscheidungen im militärischen Bereich verlangt werden, ohne die die Dinge nicht in Gang kämen, dann würde er sie nicht treffen und nichts würde geschehen. Ohne einen Befehl des Oberkommandos (und des Oberkommandierenden Lukaschenko) werden die Offiziere der belarussischen Streitkräfte nicht dazu übergehen, auf Befehle aus Moskau zu hören und einen Angriff unternehmen. Ohne Lukaschenkos Befehl werden die belarussischen Mehrfachraketenwerfer vom Typ Polones keinen Beschuss der Ukraine beginnen. Und ohne einen Befehl von Lukaschenko wird es keine Mobilmachung geben. Das bedeutet natürlich nicht, dass eine Eskalation von Seiten Lukaschenkos grundsätzlich ausgeschlossen ist. Doch seine Angst, sich Russland entgegenzustellen ist, gepaart mit seinem Unwillen, noch tiefer in den Krieg hineingezogen zu werden, wobei er sich die eigene Grube immer tiefer gräbt (indem er die ohnehin überaus hohe Abhängigkeit von Russland weiter vergrößert).

* * *

Wenn jetzt irgendwann ein paar Tausend russische Soldaten in Belarus eintreffen sollten, wäre das nichts Gutes. Es wäre aber auch nichts Neues und würde weder am Verlauf des Krieges noch an der Position von Lukaschenko oder Belarus etwas ändern.

Auf solche Dinge muss natürlich auf diplomatischer Ebene und bei der NATO reagiert werden, es ist ein Schritt in eine schlechte Richtung, der unbedingt zu bedenken ist. Aber die belarussische Armee wird hier und jetzt nicht in den Krieg eintreten, also sind auch panische Rufe wie „Ein Wolf, ein Wolf!“ unangebracht.

Weitere Themen

Rund um den Kreml

Anders sein – Dissens in der Sowjetunion

Lukaschenkos Macht und Putins Krieg

FAQ #5: Welche Rolle spielt eigentlich Belarus im Ukraine-Krieg?

Im Schienenkrieg gegen Putin

„Jeder, der der Ukraine irgendwie helfen kann, sollte es tun“

„Auf dass wir niemals aufeinander schießen“

Russlands Krieg gegen die Ukraine – Fragen und Antworten

Von der „Spezialoperation“ zum Krieg


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter: