Debattenschau № 85: RT DE vs. Deutsche Welle – ein ungleiches Spiel?

Das deutsche Sendeverbot für das TV-Angebot von RT DE hat das russische Außenministerium zu einer „Gegenmaßnahme“ bewogen: Dem deutschen Auslandssender Deutsche Welle (DW) wurde die Lizenz entzogen, das DW-Büro in Moskau ist inzwischen geschlossen, die Journalisten dort verlieren ihre Akkreditierung – das heißt, die in Russland notwendige Erlaubnis, im Land als Journalisten zu arbeiten. Außerdem wurde ein Verfahren eingeleitet, die Deutsche Welle auf die Liste der sogenannten „ausländischen Agenten“ zu setzen. Dies bedeutet neben einer Stigmatisierung als vermeintlich feindlich gesinntes Medium auch zahlreiche bürokratische Hürden.

In Deutschland wiederum, darauf verweisen nun zahlreiche Medienjournalisten oder auch NGOs wie etwa Reporter ohne Grenzen, können RT-Journalisten weiterhin im Land ihrer Arbeit nachgehen und online publizieren, RT hat die Möglichkeit vor Gericht gegen die Entscheidung vorzugehen oder eine deutsche Lizenz zu beantragen (RT DE hat nur eine serbische, die die Rundfunkkommission ZAK nicht anerkannte). Ein ungleiches Spiel?

In Russland wird die Debatte um RT DE von Anfang an hauptsächlich in Staatsmedien geführt. Staatliche und kremlnahe Stimmen verteidigen das Vorgehen Russlands als „notwendige Gegenmaßnahme“ und kritisieren, dass Deutschland mit zweierlei Maß messe, da es sich selbst beim Vorgehen gegen RT DE als intolerant gegenüber abweichenden Meinungen zeige. 

Unabhängige russische Medien dagegen ordnen die „Gegenmaßnahme“ gegen die Deutsche Welle vor allem in das generell zunehmend restriktive Vorgehen gegen unabhängige Akteure und auch Medien in Russland ein, das vor allem seit den Solidaritätsprotesten für den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny im Frühjahr 2021 stark zugenommen hat.

RT DE vs. Deutsche Welle: Ein ungleiches Spiel? dekoder bringt Auszüge aus der Debatte in russischen Medien.

 

© Alexander Miridonow/Kommersant

Echo Moskwy/Telegram: Zensur unter der Maske „unabhängiger Aufsichtsbehörden“

Echo Moskwy bringt in seiner Rubrik Blogy („aus den Blogs“) einen Post des Telegram-Kanals Meister. Der Autor kritisiert zwar die Antwort Moskaus – spricht aber dennoch von „Zensur“ in westlichen Medien:

[bilingbox]Moskaus Antwort bezüglich DW ist natürlich nicht ideal, diese Entscheidung ist auch weit weg von den Prinzipien der Meinungs- und Pressefreiheit. Aber dennoch ist sie eine erzwungene Reaktion, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit fußt, das in den internationalen Beziehungen vorherrschend ist. Und sie ist in jedem Fall besser als wenn man sich bei uns als Reaktion auf die Maßnahmen gegen RT DE bloß empört und keine eigentliche Reaktion gezeigt hätte. Aber hier ist es wichtig, wer angefangen hat – diese konkrete Episode der Verschärfung hat nicht Russland begonnen.

Wird es die letzte bleiben? Das weiß der Herr allein, aber es ist zu befürchten, dass es weiter geht: Die Intoleranz gegenüber alternativen Meinungen und denen, die diese aussprechen, wird zum Teil der politischen Kultur in den Ländern, die noch bis vor Kurzem für sich beansprucht haben, die Standards in puncto Demokratie und Meinungsfreiheit zu setzen. Genauer gesagt tun sie das auch weiterhin, allerdings schwindet die Grundlage dafür immer weiter, so sehr man sich auch bemüht, die Zensur unter der Maske „unabhängiger Aufsichtsbehörden“ zu verstecken. Der Westen hat es letzten Endes immer verstanden, Brücken und Kanäle zu schaffen, zwischen zivilgesellschaftlichen und kommerziellen Organisationen und den [westlichen – dek] Staaten, wenn es die Aufgaben erforderten. Dass man jetzt erstaunt ist, wenn Moskau plötzlich die gleichen Methoden anwendet, wirkt etwas befremdlich. ~~~

Ответное решение Москвы в отношении DW сложно назвать идеальным, оно тоже далеко от принципов свободы слова и СМИ, но, все же, это вынужденное ответное решение, принятое исходя из принципа взаимности, доминирующего в международных отношениях. И оно в любом случае лучше, чем если бы у нас в ответ на меры против RT DE просто повозмущались бы, не отреагировав по сути.

Но здесь очень важно именно то, кто начал первым, и вот конкретно данный виток обострения начала не Россия.

Станет ли он последним? Бог знает, но есть большие опасения, что нет: нетерпимость к альтернативному мнению и тем, кто это мнение высказывает, становится частью политической культуры стран, еще недавно претендовавших на то, чтобы задавать стандарты в области демократии и свободы слова. Точнее говоря, претендуют они и сейчас, но вот оснований для этого все меньше, как ни прячь цензуру под маску деятельности «независимых надзорных структур». В конечном счете, оперативно перебрасывать мостики и связи от общественных и коммерческих организаций к государствам, когда это требуется для обоснования тех или иных решений, Запад тоже умел всегда, и удивление от того, что Москва начала использовать те же методы выглядит несколько странно.[/bilingbox]

erschienen am 05.02.2022, Original

Novaya Gazeta: „Agentengesetz – ein universeller Knüppel“

Die Novaya Gazeta zitiert die Medienjuristin Galina Arapowa, die als sogenannte „ausländische Agentin“ gelistet ist und für die russische NGO Zentrum für Medienrechte arbeitet, das ebenfalls als „ausländischer Agent“ gilt. Ihr gibt vor allem zu denken, dass das russische Außenministerium ein Verfahren eingeleitet hat, die DW ebenfalls auf die Liste der sogenannten „ausländischen Agenten“ zu setzen.

[bilingbox]

[Die Sanktionen gegen DW] wären nicht es der erste Fall, in dem ein ausländisches Medium zum „ausländischen Agenten“ erklärt wird. Das geschah bereits mit Meduza, The Insider und Radio Svoboda, die de-jure alle in anderen Ländern [und nicht in Russland – dek] registriert sind. Überhaupt ist das Gesetz so formuliert, dass prinzipiell jede im Ausland registrierte juristische Person mit ausländischem Geld zum „ausländischen Agenten“ erklärt werden kann. Deshalb ist das so ein universeller Knüppel. Theoretisch könnte man ihn sogar gegen die Sorbonne anwenden, denn es handelt sich ebenfalls um eine ausländische juristische Person (da ist ja nicht Rede von ausländischen Medien), die über ausländisches Geld verfügt und öffentlich Informationen verbreitet. 

Wichtig ist etwas anderes: Es wird im Klartext gesagt, dass die mögliche Aufnahme der Deutschen Welle ins Register der „ausländischen Agenten“ eine Gegenmaßnahme dafür ist, dass RT in Deutschland angegangen wurde. Es wird gar nicht versucht, eine politische Anwendung des Gesetzes zu verschleiern. Das Gesetz ist demnach nicht für alle gleich: Seine Anwendung folgt nicht juristischen, sondern politischen Zielen.~~~

Нельзя сказать, что это <санкции против DW> может стать первым случаем, когда иностранное СМИ признают «иностранным агентом». То же происходило с «Медузой»*, The Insider*, «Радио Свобода»**. Де-юре они все зарегистрированы в других государствах. Вообще закон сформулирован таким образом, что он дает возможность признать иностранным агентом любое зарегистрированное в другом государстве юридическое лицо, которое имеет иностранные деньги. Получается, что это такая очень универсальная дубинка. Теоретически ее можно использовать даже против университета Сорбонны, потому что это тоже иностранное юридическое лицо (там же не говорится — иностранное СМИ), у которого есть иностранные деньги и которое распространяет публичную информацию.

Важно другое: прямым текстом говорится, что возможное включение Deutsche Welle в реестр иноагентов — это ответное действие за то, что RT обидели в Германии. Нет даже попыток прикрыть политическое применение нормы закона. Получается, что закон не один для всех: его применяют не в законных, а в политических целях.[/bilingbox]

erschienen am 04.02.2022, Original

Novaya Gazeta: Gegenmaßnahmen auf allen Kanälen

In der Novaya Gazeta beschreibt Kirill Martynow den „Start einer großen Kampagne zur Verdrängung von Youtube vom russischen Markt“ – für die auch der Wirbel um RT DE herangezogen werde.

[bilingbox]Im Kampf gegen Youtube als wichtigste unabhängige Medienplattform in Russland bereitet die Medienaufsicht Roskomnadsor ein neues Paket mit „wirtschaftlichen Maßnahmen“ vor, das ein Verbot der Monetarisierung von Videos für Blogger beinhaltet. Formal begründet werden diese Maßnahmen mit den „feindlichen Tätigkeiten“ der amerikanischen Social-Media-Plattform in Bezug auf den deutschsprachigen Kanal von RT. ~~~

Параллельно для борьбы с YouTube как главной независимой медиаплощадкой в стране Роскомнадзор готовит новый пакет «экономических мер», включающих запрет на монетизацию роликов для блогеров. Формально причиной для этих мер являются «недружественные действия» американской соцсети в отношении немецкоязычного канала RT.[/bilingbox]

erschienen am 05.02.2022, Original

Facebook/Lew Rubinstein: Epochale Berichte

Das Vorgehen gegen die DW ähnelt dem Druck und den Maßnahmen, denen zahlreiche unabhängige Medien in Russland spätestens seit dem vergangenen Jahr verstärkt ausgesetzt sind. Denn in Russlands Medienlandschaft gibt es mehrere durchaus kritische Stimmen. Lew Rubinstein erinnert in einem Facebook-Solidaritäts-Post an die Sonderstellung, die die Deutsche Welle zu Zeiten der Sowjetunion noch hatte:

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Nachdem ich an einem regnerischen Tag im September 1974 mit einigen Freunden die Beljajewski-Brache verließ, wo wir gerade die Niederwalzung der Bulldozer-Ausstellung miterlebt hatten, haben wir unterwegs zu einem Freund noch Wein und etwas zu essen gekauft. Wir waren natürlich aufgeregt und gespannt und wollten unsere eigenen unmittelbaren Eindrücke mit den Berichten der ausländischen Journalisten über das Ereignis vergleichen, das sich später als epochal erweisen sollte. 

Wir schalteten das Radio ein haben sofort etwas gefunden: Ein Radiosender informierte über das Ereignis – dieser Sender war die Deutsche Welle.~~~

Когда в один из дождливых дней сентября 1974 года, я и несколько моих друзей ушли с Беляевского пустыря, где только что на наших глазах случился форменный погром Бульдозерной выставки, мы, купив по дороге вина и какой-то еды, заехали к нашему общему другу. Мы, разумеется, были возбуждены и взволнованы, и мы очень хотели сопоставить собственные непосредственные впечатления со свидетельствами тех иностранных журналистов, которые в изрядном количестве тоже присутствовали при этом событии , оказавшемся впоследствии эпохальным. 

Мы включили радио и стали искать. И сразу же нашли. Одна из радиостанций во всех подробностях рассказывала об этом событии. Этой радиостанцией была «Немецкая волна»[/bilingbox]

erschienen am 04.02.2022, Original

Echo Moskwy: „Wie ein rachedurstiger Halbstarker“

Alexej Wenediktow, Chefredakteur des Radiosenders Echo Moskwy, hält in der -Sendung Budem nabljudat die Entscheidung der deutschen Rundfunkkommission ZAK für ähnlich problematisch wie schon den Twitterban Trumps (den in Russland viele liberale Stimmen kritisierten) – und die „Gegenmaßnahme“ des russischen Außenministeriums gleichwohl für die Reaktion eines „rachedurstigen Halbstarken“.

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Wenediktow: Die Reaktion war zu erwarten. Noch einmal: Meine Position dazu habe ich schon oft in Diskussionen mit Maria Sacharowa, Margarita Simonjan und Kollegen aus dem Ausland dargelegt. All diese außergerichtlichen Verfahren, alle Verbote von Medien durch außergerichtliche Verfahren sind schlechte Beispiele, und es spielt keine Rolle, wer es tut. Der deutsche Staat, der russische … Der russische ist mir wichtig, weil ich in ihm lebe. Es ist mein Staat, mein Land. Deshalb ist es für mich schmerzhaft. Wenn aber Deutschland oder die Ukraine oder die USA so etwas tun – wie etwa Twitter mit Trump – habe ich dieselbe Position: Sie haben die Gesetze gebrochen – bring sie vor Gericht. Diese Lizenzgeschichte, natürlich ist es hinterhältig. Ich meine RT, denn RT hat wirklich, ohne eine deutsche Lizenz zu bekommen [RT hatte nie eine deutsche Lizenz beantragt – dek], eine serbische bekommen. Es gibt ein Abkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen, das vom Deutschen Bundestag und Serbien ratifiziert wurde. Aber dies ist eine juristische Geschichte. Wenn Sie der Meinung sind, dass der Sender illegal sendet, gehen Sie vor Gericht. Dasselbe gilt für die Deutsche Welle: Wenn Sie denken, dass die illegal sendet … Die hat aber eine russische Lizenz, hatte … Ist das Rache? Wie sieht denn der russische Staat aus, wenn er sich als rachedurstiger Halbstarker gibt?

Buntman: Nun, so sieht er aus.

Wenediktow: […] Das sieht nach kleinlicher Rache aus. Abgesehen davon gehe ich davon aus, dass, wenn es eine Beschwerde über die Ausstrahlung von RT in Deutschland gibt, man sich an die deutschen Gerichte wendet. An europäische Gerichte.

~~~

А. Венедиктов ― В ответ был ожидаемый. Я даже, извините, как-то все было предугадано. Еще раз. Моя позиция в этом, я уже неоднократно говорил и в спорах и с Марией Захаровой, и Маргаритой Симоньян, с коллегами из-за рубежа. Все, что внесудебная процедура, все запреты на медиа по внесудебным процедурам – это плохо. Это плохой пример и неважно, кто это делает. Германское государство. Российское государство важно, потому что я в нем живу. Это мое государство, моя страна. Поэтому мне болезненно, что здесь. Но когда это делает Германия или Украина или Штаты, твиттер с Трампом, пожалуйста, все видят, у меня одна и та же позиция: нарушили законы – по суду. Это история с лицензией, она конечно лукавая. Я имею в виду с RT, потому что RT действительно, не получив лицензию немецкую, получило сербскую. Существует конвенция по трансграничному вещанию, которая ратифицирована германским Бундестагом и Сербией. Но это судебная история. Если вы считаете, что они вещают незаконно – в суд. И то же самое: если вы считаете, что «Deutsche Welle» вещает незаконно, но у нее есть лицензия российская, была. Это называется месть? Как выглядит российское государство мстительным шпаненком?

С. Бунтман ― Ну так и выглядит.

А. Венедиктов ― […] Выглядит мелкой местью. Притом, понимаю, что если есть претензии по вещанию RT в Германии — в германские суды. В европейские суды.[/bilingbox]

erschienen am 05.02.2022, Original

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