Die 33 letzten Kilometer von Lipakowo

Wenn Dörfer schrumpfen, werden auch Bahnlinien kürzer. Makar Tereschin hat für Zapovednik die letzten Kilometer einer gar nicht so alten Schmalspurbahn im Gebiet Archangelsk fotografiert, ehe sie verschwinden – wozu es vielleicht aber gar nie kommt.

Im Jahr 1947 wurde in Lipakowo ein industrieller Forstbetrieb angesiedelt – in der Produktion arbeiteten ansässige Bewohner, außerdem holte man Gefangene und Verbannte dorthin. Der Bau einer Schmalspurbahn begann. In den 1950er Jahren wuchs das Dorf immer weiter, die Schmalspurbahn führte einige Dutzend Kilometer in den Wald, entlang ihrer Gleise entstanden zwei weitere Dorfsiedlungen.

Nach dem Zerfall der UdSSR kam die industrielle Forstwirtschaft zum Erliegen, die Gleise wurden demontiert; die Menschen zog es in Städte, wo es mehr Perspektiven gab. Die letzten 33 Kilometer der Bahn haben nur überlebt, weil das der einzige Weg zu zwei Dorfsiedlungen ist, die entlang dieser Gleise entstanden sind.

Der Zug fährt dreimal die Woche, er befördert Einwohner, Lebensmittel, Sanitäter und den Postboten. Die Lipakowoer Schmalspurbahn (UShD) ist für das Gebiet weiterhin eine Verbindungslinie, die nicht nur für die dortigen Einwohner nützlich ist, sondern auch für die Bevölkerung des nahegelegenen Oneshski Rajons, die zur Holzbeschaffung herkommt.

Schon lange wird über die Umsiedlung der letzten Ortschaften gesprochen, doch Maßnahmen werden keine ergriffen. Eher werden die Bewohner es selbst in die Hand nehmen. Aber vorerst leben die Menschen in den Orten. Und der Zug fährt.Die Lokomotive Baujahr 1986 mit einem Waggon. Sie kommt morgens zum Tanken nach Lipakowo gefahren, aus Sesa, der letzten an den Gleisen gelegenen Dorfsiedlung

Gegen 10 Uhr versammeln sich alle im Waggon. Lebensmittel werden eingeladen, und ab geht die Post

Kisten mit Lebensmitteln

Auf dem Weg hält der Zug an, um Eisenbahnschwellen abzuladen. Die Gleise verwittern schnell und müssen ständig gewartet werden

Bei Ankunft des Zuges versammelt sich das ganze Dorf, um Post zu holen oder neue Zeitungen oder einfach Brot zu kaufen. Der Laden macht erst bei Ankunft des Zuges auf und schließt nach der letzten Abfahrt

Lushma – die erste Station, an der Lebensmittel und Passagiere den Zug verlassen

Auch ein Fortbewegungsmittel: Selbstgebaute Motordraisinen, auch Pionerki (dt. „kleine Pionierinnen“) genannt. Sie sind viel gefährlicher als der Zug, eröffnen dem Besitzer dafür jedoch alle Möglichkeiten

Kabine des Zugführers

Djadja (dt. „Onkel“) Sascha, der Helfer des Zugführers, erzählt, wie sie einmal über ein altes Funkgerät auf den Kanal von Bewässerungsarbeitern in Kasachstan stießen und sich mit ihnen über das Wetter austauschten

Die meisten Häuser in Lushma und Sesa stehen leer. Während des Winters bleiben 20 bis 30 Menschen dort wohnen

Natalja, Arbeiterin der Eisenbahn, bei sich zu Hause

Zugführer Pawel

Der Zug erreicht seine letzte Station – Sesa. Das Dorf wird lebendig, wie auch das vorherige. Alle kommen zu den Gleisen, gehen einkaufen, dann verläuft sich die Menschenansammlung, der Zugführer und seine Mannschaft gehen nach Hause Mittagessen

Die Mannschaft kehrt nach Lipakowo zurück, sie holen die Einwohner Sesas und Lushmas ab, die morgens aufgebrochen waren, um ihre Erledigungen zu machen

Text und Fotos: Makar Tereschin
Original: Zapovednik
Übersetzung: Friederike Meltendorf
Veröffentlicht am 15.01.2018

Weitere Themen

Kleine Geschichte des Reisens durch Russland

Anders sein – Dissens in der Sowjetunion

„Sie sind völlig frei“

September: Fischfang auf Sachalin

November: Einst war hier das Meer

Lehrerinnen fürs Ende der Welt

Danila Tkachenko: Родина – Motherland

Transsibirische Eisenbahn

Die transsibirische Eisenbahn

Dezember: Norilsk


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter: