Bystro #28: Von YouTube zu RuTube?

YouTube sperrt Kanäle von RT DE. Ist das gut oder schlecht? Und was könnte das fürs Runet bedeuten? Ein Bystro mit Medienwissenschaftlerin Anna Litvinenko (FU Berlin) in vier Fragen und Antworten, einfach durchklicken.

  1. 1. YouTube sperrt die beiden Kanäle RT DE und Der Fehlende Part wegen medizinischer Fehlinformation – ist das gut oder schlecht?

    Das Vorgehen steht im Einklang mit den Leitlinien, die die EU-Kommission in ihrem Verhaltenskodex für den Bereich der Desinformation festgelegt hat. Es gibt aber auch eine problematische Seite dieser Entscheidung – das ist die fehlende Transparenz und Konsequenz seitens YouTube beim Durchsetzen ihrer eigenen Community-Regeln. 
    So geht YouTube immer wieder Kompromisse zu Gunsten autoritärer Staaten ein. Vor der Dumawahl blockierten die sozialen Plattformen, darunter auch YouTube, auf Geheiß der Behörden in Russland die Seiten zum „Klugen Wählen“ des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Die Plattformen treten also einerseits für Pressefreiheit und gegen Desinformationen ein, andererseits zeigen sie sich durchaus dazu bereit, Kompromisse einzugehen. Offizielle Medien und Behörden in Russland nutzen diese Schwachstellen und Grauzonen sehr geschickt aus. Sie verweisen auf „double standards“ der Internetplattformen und bezeichnen sie als „neue Zensoren“. Dies hilft den Behörden eigene restriktive Maßnahmen zu rechtfertigen – unter dem Vorwand die Pressefreiheit zu schützen.
    Deswegen gibt es in Russland auch in liberalen Kreisen eine große Sensibilität gegenüber dem intransparenten Vorgehen von YouTube und Co., und auch der Twitterban von Trump wurde vor diesem Hintergrund gerade von Liberalen und Kremlkritikern heftig kritisiert. 

  2. 2. Die internationalen Plattformen scheinen immer wieder im Fokus der Medienaufsichtsbehörde zu stehen: Auch im Zuge der Solidaritätsproteste mit Nawalny wurden mehrfach Geldstrafen verhängt. Schließlich ging Roskomnadsor im März 2021 dazu über, Twitter zu drosseln. 

    Die offizielle Begründung zur Verlangsamung von Twitter war der Jugendschutz. Twitter ist in Russland aber längst nicht so populär wie YouTube und so konnte es als eine Art Versuchskaninchen dienen, um ohne viel Aufhebens zu testen, was an Zensurmaßnahmen überhaupt möglich ist. Gerade YouTube entwickelte sich zu einem alternativen Fernsehen in Russland. Dort findet man anspruchsvollen, auch investigativen Journalismus auf solchen Kanälen wie vDud, Redakzija oder Ostoroshno Sobtschak, deren Aufrufe teilweise in die Millionen gehen. 
    Die Blockade von RT DE kann nun zum Vorwand dienen, im Gegenzug zumindest teilweise Inhalte zu blockieren. Das wird alles schrittweise geschehen, sodass es nicht sofort spürbar ist.  

  3. 3. Tatsächlich sprach RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan von einem „Medienkrieg“ und das russische Außenministerium gab bekannt, Sperrungen deutscher Sender zu erwägen. Russland drohte gar der US-Plattform insgesamt mit einer Blockade. Sehen Sie das als bewusste Eskalation von russischer Seite?

    Ja, es sieht danach aus, als würde dieser Konflikt bewusst gesucht. So kann man vermutlich leichter mit YouTube in Verhandlungen treten darüber, diverse Kanäle auf Wunsch der russischen Behörden zu blockieren. Google als Betreiber von YouTube ist natürlich nicht daran interessiert, den russischen Markt für sich zu verlieren.
    Außerdem stehen der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor noch weitere Kontrollinstrumente bereit: Immer mehr Medien und Journalisten wurden im Laufe dieses Jahres auf die Liste der sogenannten „ausländischen Agenten“ gesetzt, was unter anderem ihre Geschäftsmodelle unterminiert. Im Zuge der Blockade von RT DE gab es außerdem den Aufruf der Föderationsrats-Vorsitzenden Valentina Matwijenko an russische Firmen, aus „patriotischen Gründen“ keine Werbung mehr auf YouTube zu platzieren. Das scheint auch erstmal wie ein Testlauf, der aber schnell zum Gesetz werden kann. Das würde das Ende des Geschäftsmodells von YouTubern in Russland bedeuten. 

  4. 4. Derzeit sind es vor allem Online-Magazine und deren Journalisten, die auf die Liste der sogenannten „ausländischen Agenten“ gesetzt wurden. Droht YouTubern nun das gleiche Schicksal? Was würde das für ihre Arbeit bedeuten? 

    Die letzten Monate haben gezeigt, dass ziemlich jede(r) in Russland als ausländischer Agent gelabelt werden kann – selbst ein einmaliges Honorar aus dem Ausland kann offiziell Grund genug dafür sein. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow betont sehr gerne, dass diese Leute weiterhin als Journalisten arbeiten können. Was er dabei nicht sagt, ist, dass, sobald ein Journalist oder ein Medium dieses Label haben, sie wie Paria behandelt werden: Die meisten Werbekunden springen ab, Interviews werden verweigert und so weiter. Das Geschäftsmodell solcher Medien bricht zusammen. Das könnte nun allmählich auch auf YouTube beginnen, gleichzeitig werden RuTube sowie andere russische Videohosting-Plattformen promotet. Wenn man einzelne Restriktionen aber zunächst nur willkürlich und selektiv anwendet, dann steckt dahinter die altbekannte Strategie, die Frösche langsam zu kochen, wie man auf Russisch sagt, sodass sie ihren nahenden Tod nicht bemerken. Genau das passiert derzeit in der russischen Medienlandschaft. 

*Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.

Text: Anna Litvinenko
Veröffentlicht am: 05. Oktober 2021

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